Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

30.12.07

Geheimes aus der Ruhrlade 

Ruhr-Industrielle unterstützten Hitler

Um sich im engsten Kreise vertraulich über wichtige Fragen abzustimmen, schlossen sich im Januar 1928 zwölf Industrielle zusammen, die sich selbst als die „maßgebenden Herren der westlichen Industrie“ bezeichneten. Ihre Vereinigung nannten sie die „Ruhrlade“. Mit ihr und ihrem „engeren Kreis“, dem Krupp, Klöckner, Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und Poensgen angehörten, hat sich der langjährige Dortmunder Stadtarchivar Gustav Luntowski in seinem Buch „Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“ befaßt. Er konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter den Privatarchiven der Herren der Ruhrlade, schöpfen und kam nicht umhin festzustellen, daß „eine Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem“ nicht zu verneinen sei. Stärkere Urteile wären aufgrund des zusammengetragenen Materials möglich gewesen, erschienen dem Historiker aber wohl nicht opportun.

Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm der Ruhrlade schrie geradezu nach einem Mann wie Hitler: Tarifverträge allenfalls im Betrieb, also nicht überbetrieblich, Beschränkung aller sozialen Ausgaben, Verringerung der Arbeitslosenunterstützung und „Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe“, so Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), der zusammen mit Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher wirkt. Reusch weist im Jahre 1932 als Mitbesitzer die Münchner Neusten Nachrichten an, hinter dem NSDAP-Organ Völkischer Beobachter nicht sehr zurückzustehen, und erklärt namens des Aufsichtsrates zur „vornehmsten Aufgabe des Blattes“ die Pflege des „nationalen Gedankens“. Seine Weisungen enthielten „die damals in konservativen Kreisen allgemein vertretenen Positionen“ (so Luntowski), als da waren: „Ein ,großdeutsches Reich' (Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden Deutschen und Anschluß Deutsch-Österreichs), Bekämpfung des ,Systems von Versailles’ und der ,Kriegsschuldlüge’, Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen (Korridorfrage), Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar, schärfste Bekämpfung des Marxismus, Unantastbarkeit des Privateigentums usf.“. Ähnliche Töne hatte Hitler im Januar 1932 im Düsseldorfer Industrieklub angeschlagen.

Hitler sagt: Millionen hinter mir und er empfängt dann das Geld - von MillionärenZur Entlastung des Großkapitals wird heute gern angeführt: Die Industrielleneingabe von 1932 an Reichspräsident Hindenburg zugunsten Hitlers sei ohne Wirkung geblieben, erst nach dem 30. Januar 1933 seien die Industriellen auf die Gegebenheiten eingeschwenkt, vorher hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert. Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie für einzelne Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige Finanztöpfe bereit. Von der Eingabe an Hindenburg veröffentlichte Luntowski in einer Ausstellung des Dortmunder Stadtarchivs ein Begleitschreiben, mit dem die Herren Albert Vögler, Paul Reusch und Fritz Springorum unter dem Eingangsstempeldatum des Büros des Reichspräsidenten vom 22. 11. 32 mitteilen, daß sie „voll und ganz auf dem Boden der Eingabe stehen“. Durch Otto Köhlers Recherche wissen wir von den gegenseitigen Hilfen von IG Farben und NSDAP im Sommer 1932, und Luntowski benennt einen wichtigen Deal aus dem Bereich der Schwerindustrie. Als Friedrich Flick – kein Mitglied der Ruhrlade – seine wertlos gewordenen Gelsenbergaktien weit überteuert an das Reich verkaufte und die Ruhrlade darin eine Bevorzugung Flicks durch die Regierung Brüning und ein Stück „Sozialisierung“ sah, da konnte Flick auf die Zustimmung Görings und dann auch Hitlers verweisen, weil sonst ein deutsches Werk unter Umständen in polnische Hände geraten wäre. Es wird erkennbar, daß die Harzburger Front vom Oktober 1931, bestehend aus Nazis und Nationalisten aller Schattierungen, von Reusch und Co. begeistert aufgenommen wurde und die Rede des Reichsbankpräsidenten a.D. Hjalmar Schacht („Möge der nationale Sturmwind, der durch Deutschland geht, nicht ermatten“) auch die Rede der Ruhrindustriellen war.

Auf die „nationalsozialistischen Wirtschaftsideen“ mit all ihrer antikapitalistischen Demagogie mußten sie jedoch noch mit „Vernunft“ Einfluß nehmen. Reusch, Schacht und Vögler vereinbarten 1932, „erprobte Herren“ einzustellen und zu bezahlen, um die Wirtschaftspolitik der Nazis „zu formen“. Dabei wußten die drei Herren nicht, daß Hitler bereits ein Jahr zuvor den badischen Chemiefabrikanten Wilhelm Keppler und dessen zahlungskräftige Freunde gewonnen hatte, ihre „wirtschaftspolitischen Anschauungen“ auf die NSDAP wirken zu lassen. „Sie sollten zur Verfügung der Partei stehen, ‚wenn wir zur Macht kommen’.“ Und sie standen alle zur Verfügung: 1932 beim Treffen im Düsseldorfer Industrieklub, am 4. Januar 1933 beim Bankier von Schröder in Köln und dann am 20. Februar 1933 in Berlin. Bereits im Dezember 1932 war in einem vertraulichen Bericht aus dem „Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen“ (Langnamverein) konstatiert worden, „daß fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht“. (Aufgefunden im Bundesarchiv, bei Luntowski S. 80)

Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie trägt im Stile der Stolpersteine die Inschrift: „Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.“

Als sich schließlich am 20. Februar 1933 Hitler und Göring in Berlin mit der Spitze des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (Vorsitzender: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach) treffen, sagt Hitler: „Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausgehen wie sie will ... Wenn die Wahl nicht entscheidet, muß die Entscheidung eben auf einem anderen Wege fallen ... oder es wird ein Kampf mit anderen Waffen geführt werden, der vielleicht größere Opfer fordert ...“ Nach dieser offenen Darlegung seiner Putschpläne für den Fall einer Wahlniederlage spenden die rund 20 geladenen Industriellen für den Wahlkampf der NSDAP drei Millionen Reichsmark. Krupp fertigt abends eine Notiz über die Begegnung an: „Ruhe in der inneren Politik: keine weiteren Wahlen. ... Ermöglichung der Kapitalbildung. ... Dementsprechend Entlastung von Steuern und öffentlichen Lasten.“

Die Aufrüstung, die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung neuen „Lebensraums“ konnten beginnen. Sodann die Sklavenarbeit von Millionen Menschen, die nach Kriegsbeginn „ins Reich“ geholt wurden, wo sie die Profite der Industriellen mehrten. Luntowski findet am Schluß für alles eine Entschuldigung: „Vielmehr scheint ihr Handeln letztlich fast allein von der Sorge um Bestand und Fortexistenz ihrer Unternehmen bestimmt gewesen zu sein.“ Diese „Fortexistenz“ des Kapitalismus brachte 55 Millionen Menschen den Tod.

Gustav Luntowski: „Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“, Peter Lang Frankfurt am Main/Bern, Europäischer Verlag der Wissenschaften, 2000, 315 Seiten, 52,-- Euro

Ulrich Sander 

(aus: ossietzky, Nr. 25, Dez. 07)