30.12.07
Geheimes aus der Ruhrlade
Ruhr-Industrielle unterstützten
Hitler
Um sich im engsten Kreise vertraulich über wichtige Fragen
abzustimmen, schlossen sich im Januar 1928 zwölf Industrielle
zusammen, die sich selbst als die „maßgebenden Herren der
westlichen Industrie“ bezeichneten. Ihre Vereinigung nannten sie
die „Ruhrlade“. Mit ihr und ihrem „engeren Kreis“, dem
Krupp, Klöckner, Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und Poensgen
angehörten, hat sich der langjährige Dortmunder Stadtarchivar
Gustav Luntowski in seinem Buch „Hitler und die Herren an der Ruhr
– Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“ befaßt. Er
konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter den Privatarchiven
der Herren der Ruhrlade, schöpfen und kam nicht umhin
festzustellen, daß „eine Mitverantwortung der Industriellen für
das nationalsozialistische Unrechtssystem“ nicht zu verneinen sei.
Stärkere Urteile wären aufgrund des zusammengetragenen Materials möglich
gewesen, erschienen dem Historiker aber wohl nicht opportun.
Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm der
Ruhrlade schrie geradezu nach einem Mann wie Hitler: Tarifverträge
allenfalls im Betrieb, also nicht überbetrieblich, Beschränkung
aller sozialen Ausgaben, Verringerung der Arbeitslosenunterstützung
und „Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe“, so Paul
Reusch (Gutehoffnungshütte), der zusammen mit Albert Vögler
(Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher wirkt. Reusch weist im
Jahre 1932 als Mitbesitzer die Münchner Neusten Nachrichten an,
hinter dem NSDAP-Organ Völkischer Beobachter nicht sehr zurückzustehen,
und erklärt namens des Aufsichtsrates zur „vornehmsten Aufgabe
des Blattes“ die Pflege des „nationalen Gedankens“. Seine
Weisungen enthielten „die damals in konservativen Kreisen
allgemein vertretenen Positionen“ (so Luntowski), als da waren:
„Ein ,großdeutsches Reich' (Zusammenfassung aller geschlossen
siedelnden Deutschen und Anschluß Deutsch-Österreichs), Bekämpfung
des ,Systems von Versailles’ und der ,Kriegsschuldlüge’,
Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen
(Korridorfrage), Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen
Systems von Weimar, schärfste Bekämpfung des Marxismus,
Unantastbarkeit des Privateigentums usf.“. Ähnliche Töne hatte
Hitler im Januar 1932 im Düsseldorfer Industrieklub angeschlagen.
Zur
Entlastung des Großkapitals wird heute gern angeführt: Die
Industrielleneingabe von 1932 an Reichspräsident Hindenburg
zugunsten Hitlers sei ohne Wirkung geblieben, erst nach dem 30.
Januar 1933 seien die Industriellen auf die Gegebenheiten
eingeschwenkt, vorher hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP
verweigert. Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie für
einzelne Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige Finanztöpfe bereit.
Von der Eingabe an Hindenburg veröffentlichte Luntowski in einer
Ausstellung des Dortmunder Stadtarchivs ein Begleitschreiben, mit
dem die Herren Albert Vögler, Paul Reusch und Fritz Springorum
unter dem Eingangsstempeldatum des Büros des Reichspräsidenten vom
22. 11. 32 mitteilen, daß sie „voll und ganz auf dem Boden der
Eingabe stehen“. Durch Otto Köhlers Recherche wissen wir von den
gegenseitigen Hilfen von IG Farben und NSDAP im Sommer 1932, und
Luntowski benennt einen wichtigen Deal aus dem Bereich der
Schwerindustrie. Als Friedrich Flick – kein Mitglied der Ruhrlade
– seine wertlos gewordenen Gelsenbergaktien weit überteuert an
das Reich verkaufte und die Ruhrlade darin eine Bevorzugung Flicks
durch die Regierung Brüning und ein Stück „Sozialisierung“
sah, da konnte Flick auf die Zustimmung Görings und dann auch
Hitlers verweisen, weil sonst ein deutsches Werk unter Umständen in
polnische Hände geraten wäre. Es wird erkennbar, daß die
Harzburger Front vom Oktober 1931, bestehend aus Nazis und
Nationalisten aller Schattierungen, von Reusch und Co. begeistert
aufgenommen wurde und die Rede des Reichsbankpräsidenten a.D.
Hjalmar Schacht („Möge der nationale Sturmwind, der durch
Deutschland geht, nicht ermatten“) auch die Rede der
Ruhrindustriellen war.
Auf die „nationalsozialistischen Wirtschaftsideen“ mit all
ihrer antikapitalistischen Demagogie mußten sie jedoch noch mit
„Vernunft“ Einfluß nehmen. Reusch, Schacht und Vögler
vereinbarten 1932, „erprobte Herren“ einzustellen und zu
bezahlen, um die Wirtschaftspolitik der Nazis „zu formen“. Dabei
wußten die drei Herren nicht, daß Hitler bereits ein Jahr zuvor
den badischen Chemiefabrikanten Wilhelm Keppler und dessen
zahlungskräftige Freunde gewonnen hatte, ihre
„wirtschaftspolitischen Anschauungen“ auf die NSDAP wirken zu
lassen. „Sie sollten zur Verfügung der Partei stehen, ‚wenn wir
zur Macht kommen’.“ Und sie standen alle zur Verfügung: 1932
beim Treffen im Düsseldorfer Industrieklub, am 4. Januar 1933 beim
Bankier von Schröder in Köln und dann am 20. Februar 1933 in
Berlin. Bereits im Dezember 1932 war in einem vertraulichen Bericht
aus dem „Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen
Interessen in Rheinland und Westfalen“ (Langnamverein) konstatiert
worden, „daß fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers,
gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht“. (Aufgefunden im
Bundesarchiv, bei Luntowski S. 80)
Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem
Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie trägt im Stile der Stolpersteine die
Inschrift: „Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von
Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von
Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten
und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die
Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933
gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende
Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder
unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und
organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen
Wirtschaft an die SS.“
Als sich schließlich am 20. Februar 1933 Hitler und Göring in
Berlin mit der Spitze des Reichsverbandes der Deutschen Industrie
(Vorsitzender: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach) treffen, sagt
Hitler: „Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausgehen
wie sie will ... Wenn die Wahl nicht entscheidet, muß die
Entscheidung eben auf einem anderen Wege fallen ... oder es wird ein
Kampf mit anderen Waffen geführt werden, der vielleicht größere
Opfer fordert ...“ Nach dieser offenen Darlegung seiner Putschpläne
für den Fall einer Wahlniederlage spenden die rund 20 geladenen
Industriellen für den Wahlkampf der NSDAP drei Millionen
Reichsmark. Krupp fertigt abends eine Notiz über die Begegnung an:
„Ruhe in der inneren Politik: keine weiteren Wahlen. ... Ermöglichung
der Kapitalbildung. ... Dementsprechend Entlastung von Steuern und
öffentlichen Lasten.“
Die Aufrüstung, die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung
neuen „Lebensraums“ konnten beginnen. Sodann die Sklavenarbeit
von Millionen Menschen, die nach Kriegsbeginn „ins Reich“ geholt
wurden, wo sie die Profite der Industriellen mehrten. Luntowski
findet am Schluß für alles eine Entschuldigung: „Vielmehr
scheint ihr Handeln letztlich fast allein von der Sorge um Bestand
und Fortexistenz ihrer Unternehmen bestimmt gewesen zu sein.“
Diese „Fortexistenz“ des Kapitalismus brachte 55 Millionen
Menschen den Tod.
Gustav Luntowski: „Hitler und die Herren an der Ruhr –
Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“, Peter Lang
Frankfurt am Main/Bern, Europäischer Verlag der Wissenschaften,
2000, 315 Seiten, 52,-- Euro
Ulrich Sander
(aus: ossietzky, Nr. 25, Dez. 07)
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