29.05.08
Die Verbrechen der Quandts
aus: "Mörderisches
Finale", Köln 2008
..... Was war 1945 wirklich geschehen? Gardelegen war wenige Tage
vor Ende des Zweiten Weltkriegs Ort eines der brutalsten
Naziverbrechen. In der zweiten Aprilwoche 1945 wurden in einer
Feldscheune in Isenschnibbe bei Gardelegen über eintausend
Zwangsarbeiter - bei Becker "einige Hundert" - von
Faschisten verbrannt. Sie kamen aus einer 3.000 KZ-Häftlinge
umfassenden Gruppe, die von ihren Bewachern aus dem Harz, aus
Hamburg und Hannover auf einem der sogenannten Todesmärsche durchs
Land getrieben wurde, um sie vor den herannahenden US-Panzertruppen
zu verbergen. Über tausend nicht mehr gehfähige Männer, Frauen
und Kinder wurden bei Gardelegen aus der Kolonne geholt, viele von
ihnen totgeprügelt. Örtliche NSDAP-Aktivisten ermordeten die
übrigen, indem sie sie in eine Scheune trieben und verbrannten oder
auf der Flucht erschossen.. Weitere Häftlinge - jene, die sich
entfernt und versteckt hatten - wurden von Volkssturmtrupps in und
um Gardelegen erschossen.
Nur einen Tag später waren die US-Truppen da.
Nachtrag: Es
dauerte 62 Jahre, bis ein weiterer bezeichnender Aspekt des Mordes
von Gardelegen-Isenschnibbe einer größeren Öffentlichkeit bekannt
wurde. Im November 2007 veröffentlichte der Norddeutsche Rundfunk
im Fernsehen den Film "Das Schweigen der Quandts". Diese
Familie gehört zu den reichsten der Welt - und ihr Reichtum fußt
vor allem auf der Ausbeutung der Zwangsarbeiter im Kriege und auf
den Profiten aus der Hochrüstung. Sie hat sich nie bei ihren Opfern
entschuldigt und sie auch nie wirklich entschädigt. Sie hat auch
nie ein Wort des Bedauerns darüber gefunden, dass der
Wehrwirtschaftsführer und Nazi-Funktionär Günther Quandt, dessen
Erbe die Familie 1954 antrat, gemeinsam mit seinem Sohn Herbert als
Schreibtischtäter am Mord von Gardelegen beteiligt war. Vom
Akkumulatorenwerk der Quandts in Hannover-Stöcken deportierten
diese Herren Hunderte nicht mehr arbeitsfähige Zwangsarbeiter aus
ihrem firmeneigenen KZ nach Gardelegen. Dort wurden sie Opfer der
Mordaktion in der Scheune von Isenschnibbe. Quandt sen. wurde nie
für seine Untaten bestraft, nach 1945 war er als
"Mitläufer" entnazifiziert worden. Bei seinem 60.
Geburtstag im Juli 1941 sagte der Chef der Deutschen Bank Hermann
Abs (Bonn): "Ihre hervorstechendste Eigenschaft ist Ihr Glaube an
Deutschland und den Führer." Daran hielt er fest. Den von
Hitler zum Nachkriegsnachfolger des Propagandaministers Joseph
Goebbels ernannten Staatssekretär Werner Naumann förderte er bei
seinen Naziaktivitäten im Nachkriegsdeutschland. Die Familie Quandt
stellte Naumann als Direktor in ihrer Firma Busch-Jaeger
Lüdenscheider Metallwerke ein.
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Von den Tatorten:
Hannover
6. April 1945: SS-Leute treiben drei Kolonnen
ausländischer Häftlinge auf den Seelhorster Friedhof in Hannover
und bringen 155 von der Gestapo "zum Tode verurteilte"
Lagerinsassen um. Auf dem Friedhof befanden sich etwa 400 weitere
Opfer aus Lagern, darunter viele aus dem Außenlager des KZ
Neuengamme in Hannover-Stöcken, dem sog. Firmen-KZ der Familie des
Wehrwirtschaftsführers Quandt. Die Ermordung wurde von der
Gestapo-Leitstelle in Hannover-Ahlem organisiert. Am 2. Mai werden
"belastete Nazis" von der US-Armee herangezogen, um das
Massengrab freizulegen: 526 Leichen werden entdeckt. 386 werden in
einem Trauerzug zum Maschsee gefahren und am Nordufer beigesetzt.
Isenschnibbe bei Gardelegen/Sachsen-Anhalt
13. April 1945:
Massaker in einer Scheune bei Isenschnibbe bei Gardelegen. 1.017
KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, darunter 63 jüdische Häftlinge,
werden dabei von NSDAP-Aktivisten wie Gerhard Thiele, Wilhelm
Biermann und Arno Brake ermordet. Sie werden in einer Scheune
verbrannt oder auf der Flucht erschossen. Unter den Opfern waren
auch Hunderte Zwangsarbeiter des Konzerns der Familie Quandt. (Lt.
Bundesarchiv, zitiert in Presseerklärung über die Ehrung von
Biermann und Brake durch die Stadt Halle am 1.6.2003, VVN
Sachsen-Anhalt). Später wird berichtet: "Etwas außerhalb auf
einer Anhöhe findet man die Überreste einer Scheune und ein
Gräberfeld mit 1.016 Kreuzen. Hier wurden Häftlinge aus den
Konzentrationslagern Hannover-Stöcken und Mittelbau-Dora im Harz am
13. April 1945 bei lebendigem Leib verbrannt. Nur einen Tag später
rückten die US-Truppen an. Unter der amerikanischen Besatzung
mussten die Einwohner von Gardelegen die Opfer des Massenmordes in
Einzelgräbern bestatten. Zu den wenigen Überlebenden gehören vier
französische Widerstandskämpfer. Lucien Amaro, Weinbauer in
Südfrankreich, hat als Anarchist schon im spanischen Bürgerkrieg
gekämpft. Lucien feiert zwei Mal im Jahr Geburtstag und organisiert
Fotoausstellungen über KZ-Gedenkstätten."
("antifa", Hamburg-Seite, Febr./März 2005)
Quelle: Mörderisches Finale - Die Kriegsendverbrechen des
NS-Regimes, von Ulrich Sander - Herausgegeben vom Internationalen
Rombergparkkomitee. 2008 bei papy rossa, Köln - ca. 192 Seiten -
EURO 12,90 (Das Buch enthält viele Stationen einer Rallye, so die
Stätten der Kriegsendphasenverbrechen in NRW.)
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