29.05.08
Der Plan für die Rallye "Verbrechen der Wirtschaft
1933-1945"
(beschlossen vom Landesausschuß der VVN-BdA)
Die Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA NRW vom 16.2.2008 hat
einen Aufruf zur Rallye "Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft
1933 - 1945" beschlossen.
Der Beschluss
sieht vor
- die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf einen bisher
vernachlässigten Teil der Erinnerungsarbeit zu richten,
- den Gedanken der Entschädigung der Opfer auch nach Auslaufen
der - unzureichenden - Zahlungen an einen Teil der
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aufrecht zu erhalten
- besonders mit jungen Menschen eine Aktion zur Kennzeichnung
einer wichtigen Tätergruppe zu starten (vergleichbar der Aktion
"Stolpersteine" für die Opfer und "Zug der
Erinnerung")
- die Täterschaft der Rüstungswirtschaft damals und heute zu
thematisieren, ihre Verantwortung für den Tod von Millionen im
Krieg - auch heute wieder
Die Geschichts-AG
der VVN-BdA NRW soll federführend sein. Sie tagt am 28. Juni 08
in Wuppertal.
Vorbemerkung:
Ein Pressebüro Friedrich Flicks teilte am 26. November 1932
vertraulich "die überraschende Tatsache (mit), daß fast die
gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen
Umständen, wünscht." In den Schulbüchern wird heute nichts
von dieser Forderung der Großindustrie mitgeteilt, sondern der
Eindruck vermittelt, nur eine geringe Minderheit der Industrie- und
Finanzwelt habe die Machtübertragung an die Nazis gewollt.
Nicht den Kampf einzustellen, bis auch die letzten Schuldigen vor
den Richtern der Völker stehen, das schworen 1945 die Häftlinge in
Buchenwald. Die Verbrechen der deutschen Wirtschaft von 1933 bis
1945 sind daher der Gegenstand unserer Großrecherche der VVN-BdA in
Nordrhein-Westfalen, die mit Mahnwachen am 4. Januar vor dem
ehemaligen Kölner Bankhaus Schröder und am 7. Januar vor dem
Gelände der ehemaligen Springorum-Villa in Dortmund begann. Dort
fanden im Januar 1933 die Verhandlungen der Nazis mit
Wirtschaftsführern statt, die zu Diktatur, Krieg und Holocaust
führten.
Doch gerade auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalens
waren und sind jene Wirtschaftseliten und ihre Nachfolger tätig,
die Hitler wollten, von seiner Herrschaft und seinem Krieg
profitierten - und die ihn auch bezahlten.
Die Tatorte
Noch heute finden wir an Rhein und Ruhr die Tatorte der
Sklavenarbeit, der Ausbeutung, der Hochrüstung und der Vernichtung
durch Arbeit:
- IG Farben/Bayer in Leverkusen,
- Fall Abs in Bonn
- Fall Pleigert in Gevelsberg
- Krupp in Essen,
- Quandt in Hagen und Lüdenscheid,
- Thyssen in Duisburg und Dortmund,
- Oetker in Bielefeld,
- Flick im Siegerland und in Gelsenkirchen,
- Kirdorf in Mülheim,
- Henkel und Rheinmetall in Düsseldorf,
- Bahnhöfe in den Städten, von denen die SS mittels der
Reichsbahn Deportationen vornahm.
- Büro Ernst Achenbach in Essen, Sekretär der "Adolf
Hitler Spende der deutschen Wirtschaft", später FDP MdB und
Förderer der alten und neuen Nazis in NRW
- "Industrieklub" in Düsseldorf, wo 1932 Hitler und
Industrie die Beseitigung der Demokratie und der Arbeiterrechte
planten und Kriegspläne schmiedeten,
- Arbeitserziehungslager der "Vereinten Stahlwerke" in
Dortmund-Hörde, von wo die Sklaven der Vögler und Thyssen in den
Tod getrieben wurden, ferner die
- ehemaliges Haus des ADGB in Duisburg, wo 1933, am 2. Mai, der
vom Unternehmertum begünstigte Überfall der SA auf die
Gewerkschaften vier tote Kollegen zeitigte,
- Zechen- und Stahlstandorte, die
- Bankhäuser wie auch die
- Betriebe, die bis heute nichts oder kaum mehr als ein Trinkgeld
für die ehemaligen Zwangsarbeiter herausrückten.
Ferner: Es sollte auch das Parkhotel Düsseldorf mit dem
"Industrieklub" bedacht werden, wo 1932 Hitler und
Industrie die Beseitigung der Demokratie und der Arbeiterrechte
planten und Kriegspläne schmiedeten. Die Varta-Werke in Hagen und
ihre Besitzer, die Quandt-Familie, müssten ebenfalls als Stätte
der Vernichtung durch Arbeit benannt werden. Weitere Beispiele: Der
Standort der Villa Springorum an der Hainallee in Dortmund, wo sich
die Ruhrladen-Industriellen mit dem Hitler-Steigbügelhalter von
Papen am 7.1.1933 gegen die Demokratie und den Frieden verschworen.
Das Arbeitserziehungslager der "Vereinten Stahlwerke" in
Dortmund-Hörde ist zu nennen, von wo die Sklaven der Vögler und
Thyssen in den Tod getrieben wurden. Die Bielefelder Oetker-Werke
wären zu untersuchen, wie auch Fa. Busch-Jäger in Lüdenscheid,
die zum Quandt-Konzern gehörte und von wo aus noch nach 1945 der
Goebbels-Nachfolger Werner Naumann die Fäden zu alten und neuen
Nazigruppen spann. (Ähnliches geschieht heute in Solingen mittels
Fa. Günther Kissel, Bauunternehmer.) Das Krupp-Zwangsarbeiterlager,
das nicht mehr arbeitsfähige Sklaven nach Auschwitz und
Bergen-Belsen verbringen ließ, verdient untersucht zu werden, wie
auch das Hotel Dresel in Hagen-Rummenohl, von wo Speer und die
rheinisch-westfälischen Gauleiter Mordfeldzüge unter Gefangenen
unternahmen. Das sind nur wenige Beispiele.
In jeder Stadt
gibt es Stätten, die auf einem Atlas der Täter vermerkt werden
müssten: Vor allem die Stätten der Sklavenarbeit und der
Kriegsendphasenverbrechen, aber auch die Konzernzentralen und die
firmeneigenen Gefängnisse.
In den Städten und Gemeinden mit ähnlichen Standorten und
Schauplätzen des Unrechts werden nun weitere Aktionen und
Informationsveranstaltungen stattfinden, es wird recherchiert und
dokumentiert.
An den Tatorten sollen Informationstafeln angebracht werden.
Die "Forschungsergebnisse" werden in einer
Gesamtdokumentation zusammengefasst.
Sie können zur Grundlage für eine Ausstellung "Verbrechen
der Wirtschaft 1933 - 1945" werden, ähnlich der
Wehrmachtsausstellung.
Großer Wert wird auf den Bündnischarakter der
"Rallye" gelegt, so der Name des Projekts, weil die
gesamte Landesorganisation sich mit anderen Gruppen, Initiativen und
Geschichtswerkstätten bei den Aktionen an den verschiedenen Orten
gegenseitig unterstützt und einen "Atlas der Tatorte"
anfertigen will.
Die Stiftungen für politische Bildung wurden um materielle Hilfe
gebeten. Wer ebenfalls helfen möchte, hier das Konto: VVN NRW
Postbank Essen BLZ 360 100 43 Nr. 282 12 - 435
Weitere Maßnahmen: Siehe Antrag 3 an die LDK
Antrag 3 an die
Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA NRW am 16. 2. 2008
Antragsteller: VVN-BdA Kreis Dortmund - Der Antrag wurde in
dieser Fassung beschlossen:
Aufruf zur Rallye
"Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945"
1945 schworen die befreiten Häftlinge des KZ Buchenwald
u.a.: "Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln
ist unsere Losung. ... Wir stellen den Kampf erst ein, wenn
auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker
steht." Die Wurzeln des Nazismus wurden nicht beseitigt,
nur wenige der Schuldigen standen vor den Richtern. Deshalb
gilt es, die Wurzeln des Nazismus weiter zu bekämpfen und die
Schuldigen weiter zu benennen.
Im höchsten Maße schuldig wurden zahlreiche Vertreter des
Großkapitals; von ihrem Profit, den sie aus Krieg und Leid
der Menschen zogen, haben sie kaum etwas in Form von
Entschädigung an die Opfer zurückgezahlt. Wissenschaftler
haben errechnet, dass im Jahre 2000 bei der sog.
Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nur
10 Prozent der Summe an entgangenem Lohn an die Überlebenden
gezahlt wurde, von den gut 10 Millionen bereits verstorbenen
Sklavenarbeitern gar nicht zu reden, die keinen Pfennig
erhielten und deren Angehörige ebenfalls leer ausgingen.
Wir fordern den Zukunftsfonds der Stiftung "Erinnerung
Verantwortung Zukunft", die zur
Zwangsarbeiterentschädigung gebildet wurde, auf, die
Schülerinnen und Schüler über die Verbrechen der deutschen
Wirtschaft aus der Zeit von 1933 bis 1945 aufzuklären oder
entsprechende Projekte zu fördern.
Die Landesdelegiertenkonferenz beauftragt den
Landesausschuss der VVN-BdA NRW, eine Rallye "Spurensuche
Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945" auf den Weg zu
bringen, um eine Dokumentation über diese Verbrechen allein
auf dem Territorium unseres Landes an Rhein, Ruhr und Lippe zu
schaffen. Jugendgruppen und Schülerinnen und Schüler sollten
aufgerufen werden, die Informationen über die Täter zu
sammeln und zusammenzutragen, um sie von der VVN-BdA
veröffentlichen zu lassen. Daraus könnten Schriften oder
auch Exponate entstehen.
Zusätzlich wird beschlossen:
- Die VVN beantragt bei der Landesregierung NRW für die
Rallye "Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft
1933-1945" den Betrag von 200.000 Euro einzustellen
- Die Unterlagen und Dokumente die durch die Teilnehmer
eingehen, werden in einer Broschüre/Heft durch die
Landeszentrale für Politische Bildung NRW kostenlos
gedruckt und kostenlos landesweit als ein Beitrag zur
politischen Bildung für alle Interessierten angeboten
- In den Räten und Kreistagen in denen Abgeordnete der
Partei Die Linke oder ähnliche Gruppierungen z.B. offene
Linke Listen sind, stellen diese einen entsprechenden
Antrag an den RPJ (Ring Politischer Jugend), um
entsprechende Geldmittel für die Rally und die
Dokumentation zu erhalten.
Begründung: Am Kölner Stadtwaldgürtel 35 befindet
sich ein Schild mit dieser Inschrift: "Hier, im Haus des
Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4.
Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine
Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und
Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die
Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar
1933 gestellt und die Voraussetzungen für die
menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten
geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933
die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933
finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die
SS."
Der Standorte solcher und ähnlicher Schilder gibt es
hierzulande viele. (...) |
Literaturhinweise:
Gabriele Lotfi aus Essen hat in ihrem Buch "KZ der
Gestapo - Arbeitserziehungslager im Dritten Reich"
(Stuttgart München 2000) die Existenz von 200 gemeinsam von
Wirtschaft und NS-Staat betriebenen Arbeitserziehungslagern - den KZ
vorgeschaltet - nachgewiesen; sie hatten eine Kapazität von 40.000
Häftlingen. Zu den Kriegsendphasenverbrechen berichtet sie:
Exekutionen nahmen im letzten Kriegsendhalbjahr den Charakter von
Massenhinrichtungen ganz überwiegend von Zwangsarbeitern aus dem
Osten an. Sie dokumentiert für den rheinisch-westfälischen
Wehrkreis im Zeitraum vom November 1944 bis April 1945 allein
mindestens 998 polizeiliche Hinrichtungen.
Weitere Literatur:
Gustav Luntowski: "Hitler und die Herren an der
Ruhr - Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich",
Peter Lang Frankfurt am Main/Bern, Europäischer Verlag der
Wissenschaften, 2000, 315 Seiten, 52,-- Euro (Siehe dazu OSSIETZKY
Nr. 25 v. 15.12.07)
Ulrich Sander: Mörderisches Finale - Die
Kriegsendverbrechen des NS-Regimes - Herausgegeben vom
Internationalen Rombergparkkomitee. 2008 bei papy rossa, Köln - ca.
192 Seiten - EURO 12,90 (Das Buch enthält viele Stationen einer
Rallye, so die Stätten der Kriegsendphasenverbrechen in NRW.)
Adam Tooze: "Ökonomie der Zerstörung - Die
Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus" (2007),
927 S., 44 Euro, Siedler-Verlag München. "Die Herren der
Großindustrie waren, wie Tooze darlegt, mit der Wirtschaftspolitik
der Nazis hochzufrieden, räumte diese doch mit den Gewerkschaften
und linken Parteien auf, ließ die Löhne auf niedrigen Niveau
verharren und verhalf mit der Arbeitskraft von Kriegsgefangenen,
Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen zu saftigen Gewinnen." aus:
Giessener Echo, Mai 2008.
Emil Carlebach: "Hitler war kein Betriebsunfall",
Bonn, verschiedene Jahrgänge. "Carlebach zeigt deutlich auf,
wie sich die Republik der faschistischen Diktatur schrittweise
annäherte." aus: Giessener Echo, Mai 2008
Marion Einhorn: "Die ökonomischen Hintergründe
der faschistischen deutschen Intervention in Spanien 1936 - 1939"
(im Privatbesitz)
Lotte Zumpe: "Wirtschaft & Staat in
Deutschland 1933 bis 1945", Akademie-Verlag Berlin 1980
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