Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

10.12.08

Licht bringen in eine dunkle Vergangenheit / Der deutsche Nazijäger Ulrich Sander hat nie aufgegeben

The German Times und The Asia Pacific Times Monthly newspapers from germany

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Shedding light on a dark past

German Nazi-hunter Ulrich Sander has never let go - By Hanjo Seissler All his life, Ulrich Sander has been tracking down the perpetrators of Nazi crimes in Germany. Ulrich Sander would hardly care to be introduced with a quotation from Prussian field marshal, Count Helmuth von Moltke (1800-1891). But if the tenacity, hard work, modesty and an unpretentious manner - the entire life, in fact, of the 67-year-old Nazi-hunter could be summarized, it would be appropriate to use the words of that military man: "Not the brilliance of success but the honesty of effort and true perseverance in duty determines the value of a human life - even when the result cannot be seen from outside." 
THIS ARTICLE WILL BE AVAILABLE ONE WEEK AFTER PUBLICATION. 
GERMAN TIMES Dez. 08 
Hier die deutsche "Urfassung":

Shedding light on a dark past / German Nazi-hunter Ulrich Sander has never let go 

Von Hanjo Seissler in "The German Times" vom 08.12.2008

Ulrich Sander wird nicht begeistert davon sein, mit einer Erkenntnis des preußischen Generalfeldmarschalls Helmuth Graf von Moltke (1800 - 1891) vorgestellt zu werden. Aber - wenn das beharrliche Vorgehen, das zielstrebige Handeln, der zähe Fleiß, die persönliche Bescheidenheit und das uneitle Wesen, kurz: das Leben des 67Jahre alten "Nazijägers˜ (wie ihn die deutsche Tageszeitung "taz" nennt) zusammengefasst werden müssten, dann am besten mit einem Wort dieses Militärs: "Nicht der Glanz des Erfolgs, sondern die Lauterkeit des Strebens und das treue Beharren in der Pflicht, auch da, wo das Ergebnis nicht in die äußere Erscheinung tritt, wird den Wert eines Menschenlebens bedeuten."

In die Pflicht genommen fühlte sich der Sohn eines Hamburger Widerständlers als er 15 Jahre alt war. Schon im Jahre 1956 wollte er dabei helfen, den von Nazis Ermordeten, Geschundenen und Eingekerkerten, ihre Würde zurück zu geben. Und denen, die den braunen Staatsterroristen widerstanden hatten, die verdiente Ehre zuteil werden zu lassen. Genauso will er, dass sich diejenigen, die während der braunen Diktatur Schuld auf sich luden, dazu bekennen, sich dafür verantworten und die Konsequenzen auf sich nehmen. Kurzum: Er will "Gerechtigkeit!"

Den Anstoß zu seiner Mission gab ein Erlebnis in früher Kindheit. Ulrich Sander war 1947, sechs Jahre alt, in eine Schule eingeschult worden, die als Außenstelle des Konzentrationslagers (KZ) Neuengamme gedient hatte. Im Keller dieses Gebäudes waren unmittelbar vor dem Zusammenbruch Nazi-Deutschlands 20 jüdische Kinder betäubt und danach erhängt worden. NS-Mediziner des KZ's wollten so vertuschen, dass sie die Kinder zu lebensgefährlichen Experimenten missbraucht hatten. "Dieser Keller war der Ort, in dem wir unsere Schulspeisung einnahmen." Die Schulanfänger hörten von ihren Eltern, was dort geschehen war. "Denn in den Zeitungen standen Berichte über einen britischen Prozess gegen die Mörder." Die Lehrer der Schule jedoch leugneten die Tat. Das Entsetzen darüber steckt Sander noch heute in den Knochen. Das spürt jeder, der mit ihm über das Geschehen von damals spricht.

Mit 17 Jahren, als kaufmännischer Lehrling in einem Zeitungsverlag, war er über die Geschichte von Helmuth Hübener gestolpert. Er begann zu recherchieren, was es mit dem Tod des 17-Jährigen auf sich hatte. Der war, weil er 1942 Flugblätter gegen die Nazis und den Krieg verteilt hatte, vom sogenannten Volksgerichtshof "wegen Vorbereitung zum Hochverrat und landesverräterischer Feindbegünstigung zum Tod" verurteilt und hingerichtet worden. Das, was Sander, der seit 1963 als Journalist arbeitet, bei den Recherchen über Mörder, Sadisten, Spitzel, Verräter, Denunzianten und Feiglinge, aber auch tapfere Normalmenschen, aufrechte Deutsche und stille Helden herausfand, hat ihn bis heute nicht losgelassen. Wohl deswegen, versucht er unermüdlich, Licht ins braune Dunkel zu bringen.

Im Jahr 1967 legte er eine erste Arbeit über Helmuth Hübener und dessen Widerstandsgruppe vor. 1993 erschien sein Buch "Mord im Rombergpark". Es befasst sich mit den Morden der Nazis in der Endphase des Krieges. 1999 gab er den Nachlass des Kölner Widerstandskämpfers und Journalisten Kurt Bachmann unter dem Titel "Wir müssen Vorkämpfer der Menschenrechte sein" heraus. Die von ihm 2002 geschriebene Biografie "Jugendwiderstand im Krieg - Die Helmuth Hübener Gruppe 1941/42". Zuvor hatte schon sein Aufsatz von 1967 über den jungen Märtyrer den Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass (er zitiert aus Sanders Artikel) zu einer Hauptfigur seines Romans "Örtlich betäubt" inspiriert. Der wiederum löste in den USA einen umfassenden Dokumentarfilm aus. Demnächst soll der Spielfilm "Truth & Treason" von Matt Whitaker mit Haley Joel Osment, der auf Sanders Recherchen beruht, in die Kinos kommen. Vor vier Jahren kam "Mörder unterm Edelweiß" heraus. An der Dokumentation des Hearings zu den Verbrechen der deutschen Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg arbeitete er mit. Sein jüngstes Buch "Mörderisches Finale. Naziverbrechen bei Kriegsende" ist in diesem Jahr erschienen. Nicht gerade wenig und doch nur eine kleine Auswahl.

Dabei hat sich Sander keineswegs ausschließlich schreibend eingemischt. Bereits 1958 gründete er die "Geschwister-Scholl-Jugend" in Hamburg mit. Sophie und Hans Scholl waren Mitglieder der "Weißen Rose", einer Gruppe, die sich während des Zweiten Weltkrieges dem Nationalsozialismus widersetzte. Seit vielen Jahren stöbert er mit kriminalistischem Gespür alte und neue Nazis auf, hält Vorträge vor Schulklassen, Gewerkschaftern und vor Menschen, die einfach nur wissen wollen, was wirklich geschehen ist seit 1945. Er enttarnte Neonazis in der deutschen Gerichtsbarkeit und appelliert immer wieder an Behörden und Politiker Straßen, Plätze, Gebäude, Kasernen und andere öffentliche Einrichtungen von den Namen nationalsozialistischer Politiker, Hitlertreuer Militärs, mörderischer Mediziner, das Recht beugender Juristen und skrupelloser anderer Nutznießer des Systems - die beispielsweise durch den "kostengünstigen Einsatz" von KZ-Häftlingen und Verschleppten aus besetzten Ländern, sogenannten Fremdarbeitern, gigantische Vermögen zusammenrafften - zu befreien. Sander organisiert und nimmt teil an Demonstrationen gegen scheinbar honorige Relikte aus brauner Vergangenheit.

Ohne ihn wüssten viele Deutsche nicht, dass deutsche Soldaten - in Sonderheit Gebirgsjäger - in Italien und Griechenland wehrlose Greise, Kinder und Frauen ermordet haben. Ohne ihn stünde Josef Scheungraber, 89 - damals Kompanieführer einer Gebirgsjägertruppe, jetzt Träger der Goldenen Ehrennadel des Kameradenkreises der Gebirgsjäger - heute nicht vor Gericht. Ohne ihn - der die Initiative, die dagegen protestierte, mit seinem Wissen und in Artikeln unterstützte - trüge ein Gymnasium im westfälischen Kreuztal wohl noch den Namen des Industriellen Friedrich Flick, eines verurteilten Kriegsverbrechers. Ohne Menschen wie ihn und seine Freunde wären die neue Blüten treibenden Reste des braunen Sumpfes vermutlich längst ein angesehenes Feuchtbiotop. 

Hanjo Seißler

Bildtext:

Seit sieben Jahren: Protestierer beim jährlichen Treffen des "Kameradenkreises der Gebirgstruppe" (Vereinigung der Veteranen der Gebirgstruppe der Weltkriegs-II-Wehrmacht und der Nachkriegs-Bundeswehr) in Mittenwald/Bayern verlangen nach dem Stop der "furchtbaren Tradition". Ihre vorrangige Forderung ist, dass die "Täter" - Gebirgsjäger, die Frauen, Kinder und Alte in 200 Dörfern in Griechenland massakrierten - ins Gefängnis kommen und die Opferfamilien Entschädigung erhalten. Im Jahr 2003 errichteten diese Opponierenden gegen das "falsche Gedenken" Schilder für jede betroffene Gemeinde in Griechenland mit der Zahl der Opfer und dem Tag des Verbrechens. Sie zählten 400 an einem Tag am 18. September 1943 auf der Insel Kefalonia. In Angesicht der teilnehmenden Veteranen verliest Ulrich Sander laut die Namen der verantwortlichen Offiziere.