Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

06.11.09

Die Krupps waren keine Demokraten

Essen: Walter Hilbig (VVN-BdA Essen) zum Antikriegstag 2009

Liebe Essener Bürger, liebe Friedensfreunde!

Als heute vor genau 70 Jahren die feldgraue Front der Nazi-Wehrmacht Polen überrollte, hatten die tapferen polnischen Verteidiger mit ihrer Kavallerie keine Chance, die massive Wucht der Essener Krupp-Panzer aufzuhalten. Ihr Schicksal wurde in einem Blitzkrieg besiegelt.

Nicht weit von hier steht das Denkmal des Mannes, der als Kanonenkönig in die Geschichte einging. Er lebte in der Zeit von 1812 bis 1887 und begründete den Ruf Essens als Waffenschmiede.

Zeitgleich (1817 - 1875) lebte in Deutschland der Dichter Georg Herwegh, der als Mitglied des Bundes der Kommunisten zusammen mit Marx und Engels für eine friedliche und sozialistische Gesellschaft eintrat. Er charakterisierte bereits damals sehr treffend die Tradition der Krupp-Dynastie:

So oft das Blut wie Wasser floss,
Sprachst du ein fromm Gebet
Und riefest: Gott ist groß
Und Krupp ist sein Prophet! 

Und hat man dann das Heldentum
Mit froher Hand gepflegt -
Wer heilt die Wunden, die der Ruhm
Daheim der Freiheit schlägt?

Im Aufbau und in der Zerstörung war Krupp eng mit der Geschichte Essens verbunden. Die "Waffenschmiede des Reiches" war die Voraussetzung für die Führung zweier Weltkriege. Die Folgen haben die Essener zu spüren bekommen. Unsere Stadt war, als sich der Krieg gegen die Angreifer richtete, bevorzugtes Ziel der Bombenangriffe der Alliierten.

Versailler Vertrag unterlaufen

Man sagt, die Industriellen haben Hitler unterstützt. Das ist aber zu wenig. Man muss sagen: Sie haben auf Krieg und Faschismus hingearbeitet.

Da sie sich nicht mit der Niederlage im 1. Weltkrieg abfinden wollten, bereiteten sie direkt nach Kriegsende den 2. Weltkrieg vor. Von Krupp wissen wir von heimlichen Rüstungsplänen unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg.

"Es ist das große Verdienst der gesamten deutschen Wehrwirtschaft, dass sie in diesen schlimmen Jahren nicht untätig gewesen ist, mochte auch aus einleuchtenden Gründen ihre Tätigkeit dem Lichte der Öffentlichkeit entzogen sein. In jahrelanger stiller Arbeit wurden die wissenschaftlichen und sachlichen Voraussetzungen geschaffen, um zu gegebener Stunde ohne Zeit- und Erfahrungsverlust wieder zur Arbeit für die deutsche Wehrmacht bereitzustehen… Nur durch diese verschwiegene Tätigkeit deutschen Unternehmertums … konnte nach 1933 unmittelbar der Anschluss an die neuen Aufgaben der Wiederwehrhaftmachung erreicht, konnten dann auch die ganz neuen vielfältigen Probleme gemeistert werden." (IMT, Bd. I, S. 203 f.) [http://www.braunbuch.de/1-01.shtml#i03]

So wurde der Versailler Vertrag unterlaufen und der Boden für Krieg und Faschismus aufbereitet. Aus einer streng geheim gehaltenen Sitzung geht hervor, dass Krupp bereits am 22. August 1933 eine Bestellung von 100 Panzern erhielt.

Die Krupps waren keine Demokraten

Ob Kaiser-Wilhelm-Monarchie oder Hitler-Diktatur, die Krupps waren Förderer und Nutznießer und mitverantwortlich am Massenmord zweier Weltkriege. Inzwischen sind vielen Deutschen die Begriffe "Holocaust" und "Auschwitz" vertraut. Aber Auschwitz war nur durch Krieg möglich, d. h. der Weg nach Auschwitz musste erst durch die Naziwehrmacht mit Kruppschen Waffen freigeschossen werden, damit der Großkonzern seine Zünder-Fabrik von Häftlingen bauen und mit "Vernichtung durch Arbeit" bedienen konnte. Und das geschah nicht etwa, weil Hitler diktierte und die armen Konzerne zwang, sich dem Diktat zu unterwerfen, nein, sie haben sich um die Häftlinge bemüht. Von der Kruppschen Fabrik in Auschwitz konnte man die rauchenden Schornsteine der Verbrennungsöfen sehen. Das Internationale Militärtribunal formuliert das so:

"Die Diktatur, hinter der sich diese Menschen zu verschanzen suchten, war ihre eigene Schöpfung. Von dem Wunsche getrieben, sich selbst eine Machtstellung zu schaffen, haben sie das System aufgebaut, von dem sie ihre Befehle empfingen. Der Fortbestand dieses Systems hängt von ihrer dauernden Unterstützung ab." (IMT, Bd. XIX, S. 515) [http://www.braunbuch.de/1-01.shtml#i09]

Raubkrieg und "Plünderung"

Der 2. Weltkrieg, der in der Literatur häufig als Hitlers Vernichtungskrieg bezeichnet wird, war in erster Linie ein Raubkrieg der herrschenden Klasse des Industriekapitals. Dafür gibt es zahlreiche Beweise und Aufzeichnungen des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg. Dazu einige Beispiele

Exklusiver Club in Düsseldorf

Der Krupp-Biograph William Manchester beschreibt folgende Begebenheit, die sich am 16. Mai 1940 in einem exklusiven Düsseldorfer Club zugetragen hatte. Die Wehrmacht hatte die Gebiete noch nicht eingenommen, da wurde die Beute schon verteilt:

Anwesend waren in dem Club drei Ruhrindustrielle aus Essen und ein Kunsthistoriker namens Rümann. Der Gastgeber Herr Lübs, Betriebsführer bei Henkel, kündigte einen weiteren Gast, Herrn Alfried Krupp von Bohlen und Halbach an. Alle saßen vor einem Radio und hörten die 2-Uhr-Nachrichten. Die deutschen Truppen hatten am 10.März die Grenzen Hollands, Belgiens und Luxemburgs überschritten und bewegten sich auf Frankreich zu.

Einer der Industriellen hatte eine Landkarte mitgebracht. Er breitete sie aus, und die Augen aller glitten darüber hin, suchten die Namen der Orte, während der Ansager bekannt gab, wie weit die Wehrmacht vorgedrungen sei. "[…]Am Ende der Sendung unterhielten sich die Männer aufgeregt und intensiv. Sie deuteten mit den Fingern auf bestimmte Stellen der Landkarte". Er hörte sie aufgeregt schwatzen: "Dieses ist für Sie - jenes für Sie - den wollen wir verhaften lassen - da ist Müller; er gehört Ihnen", und "dort ist Herr ...[soundso] er hat zwei Fabriken". Einmal sagte Alfried zu einem der anderen: "Dieses Werk bekommen Sie". Kurz gesagt, sie fielen […] ein - in den mittelalterlichen teutonischen Schrei nach Plünderung. Rümann, der hinter ihnen stand, erinnerte sich:

"Sie glichen den um ihre Beute versammelten Aasgeiern, und Sie dürfen glauben, dass ein Mann wie ich, ein Kunsthistoriker, der sein Leben der Kulturerhaltung gewidmet hat, davon sehr erschüttert sein musste".

Angewidert legte er seinem Gastgeber die Hand auf die Schulter und sagte: "Ich scheine hier nicht recht am Platze zu sein". […] Eilends rief Lübs sogleich das zuständige Amt an, um Sonderpässe für sich und die anderen zu bestellen, die noch ganz in die Landkarte vertieft waren. [William Manchester: "Krupp Zwölf Generationen", Verlegt bei Kindler, Seiten 399/ 400]

Der Fall Rothschild

Erschütternd ist zum Beispiel das Schicksal Robert de Rothschilds in Frankreich, der sich standhaft geweigert hatte, sein Traktoren-Werk (wichtig für die Panzerproduktion!) an Krupp abzutreten. Zunächst wurde er bei den Verhandlungen wegen seiner jüdischen Herkunft unter Druck gesetzt, um dann, als immer noch kein "freiwilliger" Vertrag zustande gekommen war, nach Auschwitz abtransportiert zu werden.

Seine letzten 72 Stunden verbrachte er im Viehwagen der Reichsbahn. Er tröste Waisenkinder, die zu klein oder zu verängstigt waren, um die Befehlskommandos der Totenkopf-Uniformierten zu verstehen.

Zielbahnhof der Lokomotive war Auschwitz. Dort, unter dem riesigen berüchtigten Tor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei", standen die ausgemergelten Passagiere, während der Selektierer, nicht selten von einem Krupp-Mann beraten, "Links!" oder "Rechts!" rief und damit über Leben und Tod entschied. Für Rothschild hieß es "Links!".

Der Krupp-Biograph Manchester resümiert die eindeutigen Beweise im Kriegsverbrecherprozess gegen Krupp: "Rothschild musste in die Gaskammer, damit Krupp sich bereichern konnte." [William Manchester: "Krupp Zwölf Generationen", Verlegt bei Kindler, Seiten 403-408]

Ausbeutung von Sklavenarbeit

Der Faschismus hatte sich für Krupp und die Ruhrindustriellen gelohnt. Ca. 100.000 Sklavenarbeiter, zusammengesetzt aus KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen und Zwangsverschleppten arbeiteten in 81 Krupp-Betrieben.

Otto Köhler berichtet über ein undatiertes Massenverbrechen der Industrie: "Krupp beispielsweise, das berichtete der US-amerikanische Chefankläger im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess, Benjamin B. Ferencz in ‚Lohn des Grauens', hatte 2.000 Männer angefordert und musste sich mit 520 ungarischen Jüdinnen, zwischen zwölf und 25 Jahre alt, zufrieden geben. Sie hatten vorher mit ansehen müssen, wie ihre Eltern und Verwandten in die Gaskammern geschickt wurden. Bei Krupp war man mit der gelieferten Ware, den ‚Stücken', wie man sie dort nannte, unzufrieden. Die Mädchen werden mit Reitpeitschen zur Arbeit angetrieben, einige totgeschlagen. Als die US-Truppen nach Essen vordringen, müssen die Mädchen verschwinden. Trotz aller Transportschwierigkeiten beschließt Krupp, die Mädchen, welche die Arbeit überlebt hatten, zur weiteren Veranlassung nach Buchenwald zu schicken. Bei Krupp und später im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess ging man davon aus, dass das Problem seine Endlösung gefunden habe. Doch die Tötungskapazitäten in Buchenwald waren kurz vor Kriegsende überfordert. Die Jüdinnen wurden weiter nach Bergen-Belsen überstellt. Viele überlebten….viele aber auch nicht."(Aus Junge Welt, 3. August 2007) [Ulrich Sander: "Mörderisches Finale - NS-Verbrechen bei Kriegsende", S.138]

Unzureichende Aufarbeitung der Geschichte

Bei der Aufarbeitung unserer Vergangenheit vermisst man die sprichwörtlich deutsche Gründlichkeit. Ob Regierung, Parlament, Justiz oder Behörden, die Alleinschuld schiebt man gerne auf Hitler und seine Helfershelfer in Nazikreisen. Die Drahtzieher der Industrie und der Finanzwelt im Hintergrund werden geschont, so dass man eher von einer Gründlichkeit des Vertuschens reden kann. Verständlich, da an der Macht dieser Klasse im Westen Deutschlands kaum gerüttelt wurde. In Guido Knopps "Die Deutschen im 20. Jahrhundert" wird man vergeblich die Begriffe "Krupp", "Thyssen", "Flick" und "IG Farben" im Register suchen.

Hitler war kein Zufall der Geschichte. Er kam auch nicht aus dem Gully, wie das einmal der Chefredakteur einer westdeutschen Zeitung schrieb. Er war die konzentrierte Zusammenfassung der Ansprüche der Klasse der Mächtigsten des Kapitals. Die Hitler-Diktatur, wenn der Begriff seine Berechtigung haben sollte, war die Einheitsfront aus Großkapital, Militarismus und Nazipartei zur Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung und zur Ausplünderung anderer Völker.

Schluss

Warum beschäftigen wir uns überhaupt mit unserer jüngsten Geschichte? - Ein wichtiger Maßstab für die Beurteilung der aktuellen Ereignisse ist die Vergangenheit. Die Gegenwart ist zu kurz und die Zukunft hat noch nicht stattgefunden. Bei der Beurteilung rechtskonservativer Kreise des Kapitals sollten wir uns keinen Illusionen hingeben. Sie halten sich heute schon wieder Kettenhunde in Form von nazistischen Schlägertrupps, die gegebenenfalls losgelassen werden, um Angst und Schrecken zu verbreiten.

Der 1.September 1939 ist unser Mahn- und Gedenktag. Wir lassen ihn uns nicht nehmen, auch nicht von den Nachkommen der Herrenrasse, die Deutschland besudelt hat. In Dortmund werden wir die Aufmärsche der Helden zur Verfälschung unseres Gedenktages nicht zulassen.