26.02.2010
Die Ruhrlade – Klub der Verbrecher
Eine Spurensuche: Zur
Verantwortung von Industrie und Banken an der faschistischen
Diktatur
Von Ulrich Sander
Antifaschisten fordern eine Mahntafel am Ort
der einstigen Villa Springorum in Dortmund Foto: Uwe Bitzel |
Die stille, abseitig von Hektik gelegene Allee erlebte die
Weimarer Zeit als Rathenauallee. Dann wurde daraus die Hitlerallee.
Nach 1945 benannten die Dortmunder Stadtoberen die Straße in
Hainallee um – wegen des Kaiserhains gegenüber im Westfalenpark.
Hier stand früher eine Villa; heute gibt es nur noch den kleinen
Park dort. In bitterer Kälte befestigte eine Gruppe Antifaschisten
ein Schild an einem Baum. Darauf stand geschrieben: »Hier an der
Ecke Eintrachtstraße/Hainallee, in der Villa Springorum, trafen
sich am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und führende
Ruhrindustrielle, um die Machtübertragung an Hitler
herbeizuführen. Viele Ruhrindustrielle unterstützten bereits vor
1933 die Ziele der Nazis. Sie profitierten von Krieg, Faschismus und
Holocaust.« In einer kurzen Rede wurde der Millionen Toten gedacht,
die den Januartagen 1933 folgten und angekündigt, den Text des
Schildes dem Rat der Stadt zuzuleiten, auf dass dieser eine
bleibende Erinnerungstafel installiere. Der Rat behandelte in einem
Ausschuss die Sache gründlich – konnte sich aber nicht
durchringen, den Vorschlag zu realisieren. So wird man nun in der
Bezirksvertretung einen neuen Antrag stellen, wie die Vorsitzende
der VVN-BdA Agnes Vedder sagte.
Der Vorgang, an den die Gruppe an jenem Tag erinnern wollte, ist
belegt durch das Buch »Hitler und die Herren an der Ruhr« von
Prof. Gustav Luntowski, ehemaliger Stadtarchivar: Im Januar 1928
hatten sich zwölf Industrielle zusammengetan, die sich selbst als
die »maßgebenden Herren der westlichen Industrie« bezeichneten;
ihre Vereinigung nannten sie die »Ruhrlade«. Mit ihr und ihrem
»engeren Kreis«, dem Krupp, Klöckner, Reusch, Springorum,
Thyssen, Vögler und Poensgen angehörten, ist ein Stück
folgenschwerer Geschichte verbunden.
Luntowski konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter den
Privatarchiven der Herren der Ruhrlade, schöpfen und stellte »eine
Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische
Unrechtssystem« fest. Er tat dies zu einer Zeit, als es als
kommunistische Propaganda aus dem Osten abgetan wurde, an die Schuld
der ökonomischen Eliten zu erinnern. Ist Luntowskis Buch deshalb in
der BRD verdrängt worden ?
Die Idee mit den Tafeln an Stätten der Täter aus der Wirtschaft
ist nicht neu, aber bisher fand sie nur einmalige Verwirklichung. In
Köln befindet sich seit 1996 vor dem Hause Stadtwaldgürtel 35 ein
Schild, das informiert: »Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt
Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler
und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen
Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem
Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum
Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen
für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten
geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die
Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle
Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.«
Alljährlich zu Jahresbeginn erinnern nunmehr in Köln und
Dortmund Antifaschisten nicht nur an die Opfer, sondern auch an die
Täter. Es gibt bundesweit ca. 20 000 Stolpersteine für die Opfer,
aber die Anregung von Ignaz Bubis, vor Jahren im Rahmen der Debatte
um die Entschädigung der Zwangsarbeiter ausgesprochen, wurde nie
ernsthaft befolgt. Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in
Deutschland wollte auch die Rolle der Wirtschaft beleuchtet haben.
Agnes Vedder bemerkt dazu: »Heutzutage wird die Rolle der Eliten an
der Machtübertragung an Hitler gern verschwiegen, gar geleugnet.
Zugleich maßen sich erneut die Herren der Industrie und der
Arbeitgeberverbände und der Banken an, die Politik maßgeblich zu
bestimmen.«
Wissenschaftler haben errechnet, dass im Jahre 2000 bei der
sogenannten Entschädigung der Zwangsarbeiter nur zehn Prozent der
Summe an entgangenem Lohn an die Überlebenden gezahlt wurde, von
den gut zehn Millionen bereits verstorbenen Sklavenarbeitern gar
nicht zu reden, die keinen Pfennig erhielten und deren Angehörige
ebenfalls leer ausgingen. Deshalb beschloss die VVN-BdA NRW, eine
Rallye »Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945« auf den
Weg zu bringen, eine Dokumentation über die Verbrechen zumindest
auf dem Territorium des Landes an Rhein, Ruhr und Lippe. Schüler-
und Jugendgruppen sind aufgerufen, die Informationen über die
Täter zu sammeln, um sie von der VVN-BdA veröffentlichen zu
lassen, was zunächst im Internet erfolgt (siehe www.nrw.vvn-bda.de).
Mögliche Standorte für Schilder, die auf die Täter weisen,
gibt es hierzulande viele. Beispielsweise das Parkhotel in
Düsseldorf, in dem der »Industrieclub« 1932 mit Hitler die
Beseitigung der Demokratie und der Arbeiterrechte plante und
Kriegspläne schmiedete. Oder die ehemaligen Gebäude der
Varta-Werke in Hagen, deren Besitzer die sich an »Vernichtung durch
Arbeit« bereichernde Quandt-Familie war. Des Weiteren das
Arbeitserziehungslager der »Vereinten Stahlwerke« in
Dortmund-Hörde, von wo die Sklavenarbeiter der Vögler und Thyssen
in den Tod getrieben worden sind, die Bielefelder Oetker-Werke und
das Unternehmen Fa. Busch-Jäger in Lüdenscheid, das zum
Quandt-Konzern gehörte und von wo aus noch nach 1945
Goebbels-Nachfolger Dr. Werner Naumann die Fäden zu alten und neuen
Nazigruppen spann. Das Krupp-Zwangsarbeiterlager in Essen, das nicht
mehr arbeitsfähige Sklaven nach Auschwitz und Bergen-Belsen
deportieren ließ, ist ein Ort des Verbrechens gewesen. An die
Blutschuld der IG Farben sollte in Leverkusen ein Schild erinnern.
Als die Bayer-Werke es nicht haben wollten, stellten es Privatleute
auf dem Gelände einer Arbeiterkulturvereinigung auf. In jeder Stadt
gibt es Stätten, die auf einem Atlas der Täter vermerkt werden
müssten, Orte der NS-verstrickten Konzernzentralen, der
Zwangsarbeit wie auch firmeneigener Gefängnisse.
Beim Rat der Stadt Essen wird beantragt, an der Geschäftsstelle
der FDP in der Seidlstraße eine Mahntafel anzubringen, die darauf
hinweist, dass der Nachkriegs-Parteivorsitzende, Bundestags- und
Landtagsabgeordnete Dr. Ernst Achenbach Geschäftsführer der
»Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft« und Mitwirkenden an
der Deportation französischer Juden in die Vernichtungslager der
Nazis war. Kraft seines Amtes sorgte er nach dem Krieg dafür, dass
führende Nazis weiterhin gut bestallt waren und NS-Verbrecher
straffrei blieben.
In Bonn sollte ein Schild an den Bankier Hermann Josef Abs
erinnern, der an der Spitze der Deutschen Bank stand, die eine
führende Rolle in der Wirtschaft der NS-Zeit spielte. Über Abs und
die Deutsche Bank berichtete im März 1947 der Omgus-Report (Report
einer US-amerikanischen Regierungsorganisation): »Es wird
empfohlen, daß die Deutsche Bank liquidiert wird.« Die
Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank sollten angeklagt und als
Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden, die leitenden
Mitarbeiter der Deutschen Bank von der Übernahme wichtiger oder
verantwortlicher Positionen im wirtschaftlichen und politischen
Leben Deutschlands ausgeschlossen werden. Bekanntlich ist dies nicht
geschehen.
aus: Neues
Deutschland vom 27.02.2010
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