Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

25.05.2010

Mehr als ein Definitionsstreit

Prof. Kurt Pätzold zur Aktualität der Dimitroff-Formel

Für unser Projekt Rallye "Verbrechen der Wirtschaft 1933 - 1945" stellte uns Prof. Kurt Pätzold seine Arbeit "Mehr als ein Definitionsstreit" zur Verfügung. Ende 1933 charakterisierte die Kommunistische Internationale den Faschismus an der Macht mit einer Formel, die als Dimitroff-Formel in die Geschichte einging, obwohl sie von Georgi Dimitroff auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1933 nur zitiert wurde. Die Arbeit von Kurt Pätzold erschien zuerst in der Jungen Welt vom 11. 12. 2008. Die Zeitung stellte diese Redaktionelle Vorbemerkung voran:

Der Autor unseres Beitrags erhielt am 21.August 1992 von der Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin, Frau Professor Dr. Marlis Dürkop, ein Schreiben, in dem sein Arbeitsverhältnis gekündigt wurde, in dem sich zu dessen Begründung u. a. der Satz findet: "Noch in den 70er Jahren gehen Sie in Ihren Arbeiten zum Faschismus ganz dogmatisch von der Faschismusformel der Kommunistischen Internationale vom Dezember 1933 aus ...".

Der Wortlaut der Arbeit Pätzolds: (….)

Heute wird der Faschismusbegriff in der Geschichtswissenschaft kaum noch für geeignet gehalten, die jeweiligen Besonderheiten faschistischer Systeme und des Nationalsozialismus angemessen zu erfassen." Derlei Unsinn liefert das Internet 2008. Der Begriff Faschismus zielte, seit er über den "italienischen Fall" hinaus Eingang in die Sprache von Politik und Gesellschaftswissenschaften fand, nie auf die Besonderheiten der neuartigen, nach dem Ersten Weltkrieg in mehreren europäischen Staaten entstandenen Bewegungen. Er abstrahierte gerade von deren Unterschieden und suchte das Gemeinsame, Charakteristische zu erfassen, das Wesen dieser Erscheinungen.

Daß der Begriff Faschismus heute in der Bundesrepublik in geschichtlichen Unterweisungen an Schulen und Hochschulen mit Bezug auf deutsche Zustände kaum benutzt wird, kommt einer stillschweigenden Leugnung solcher charakteristischen Gemeinsamkeiten gleich und besitzt seine Ursachen. Bevor davon zu reden ist, sei festgestellt, daß die Begriffe Faschismus und Faschisten für die sich "Nationalsozialisten" nennende Gefolgschaft Hitlers in Deutschland bereits vor 1933 geläufig waren, vor allem bei deren linken Gegnern, doch nicht allein dort. Davon überzeugt ein Blick in die Weltbühne Carl von Ossietzkys. Umstrittener als die Verwendung des Begriffs war die Kennzeichnung der Bewegung. Wer bildete sie? Wessen Interessen vertrat sie?

Moskau, Ende 1933

Kein Versuch, darauf zu antworten, erfuhr weitere Verbreitung und zugleich vielstimmigeren Widerspruch als die in eine Definition geronnene Charakteristik, die während der XIII. Tagung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale im November/Dezember 1933 gegeben wurde: Der Faschismus an der Macht ist die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals. Sie wird meist Georgi Dimitroff zugeschrieben, auch als Dimitroffsche Definition bezeichnet. In Wahrheit befand sich der bulgarische Kommunist zum Zeitpunkt der Moskauer Tagung in der Hand der deutschen Machthaber. Ihm, weiteren Kommunisten und Marinus van der Lubbe wurde in Leipzig ein Prozeß gemacht, mit dem den Kommunisten die Urheberschaft des Reichstagsbrandes angehängt werden sollte. Wer im Stab der Komintern, anknüpfend an frühere Bestimmungen - unter anderem eine von 1923 stammende Clara Zetkins - diese Kennzeichnung formuliert hat, ist unbekannt. Doch hat Dimitroff, daher mag die erwähnte falsche Zuordnung rühren, sie sich zu eigen gemacht und durch seinen im August 1935 gegebenen Bericht an den VII. Komintern-Weltkongreß, der die Definition enthielt, zu ihrer Popularisierung enorm beigetragen.

Bevor Werte und Mängel der Definition diskutiert werden sollen, sind ein paar Bemerkungen zu den gegen sie vorgetragenen Einwänden nötig. Manche rühren, wie der eingangs zitierte, aus bloßem Unverständnis dafür her, was die Defini­tion eines Phänomens aus Natur oder Gesellschaft ist und allenfalls leisten kann. Niemand wird auf die Idee kommen, eine Definition der Unterfamilie der Pantherinea (deutsch: Großkatzen) deshalb zu bemängeln, weil sie die Verschiedenartigkeit der Lebensgebiete, der Jagdgewohnheiten oder der Fellfärbung von, sagen wir Leoparden und Tigern, nicht berücksichtigt. Von dieser Art aber ist ein nicht unerheblicher Teil der Kritiken. Sie gehen am Interesse der theoretischen Anstrengung vorbei und ignorieren, daß jede Definition mit wissenschaftlichem Anspruch stets ärmer ist als die Theorie und diese wieder ärmer als die Wirklichkeit. Mit dem Gewinn, der aus der Abstraktion erwächst, geht ein Verlust einher. Daher gilt: Wessen Wissen auf die Definition eines Phänomens reduziert ist, hat von ihm noch nicht viel verstanden. Sie kann im besten Fall einen Zugang zum Verständnis des Ganzen in seiner Vielfalt eröffnen, das erarbeitet werden will, vor allem dadurch, daß der Gedankenweg, der zu solcher Begriffsbestimmung geführt hat, zurückgegangen wird - vom Allgemeinen zum Besonderen und von da zum Einzelnen.

Andere, nun inhaltliche Einwände gründen darauf, daß zwischen den Aspekten des Begriffs Faschismus nicht unterschieden wird. Er meint in einer Verwendung eine Ideologie, in einer anderen eine politische Bewegung, in der dritten eine Staatsform. Die Komintern-Definition zielte auf den an die (Staats)Macht gelangten Faschismus. Sie hätte anders gelautet, wäre unternommen worden, den Extrakt der faschistischen Ideologie herauszustellen oder die faschistischen Parteien zu kennzeichnen. Den Ideologen und Theoretikern der Komintern war es darum zu tun, in einer weltweiten Bewegung klarzumachen, was von den beiden neuartigen, erkennbar eng verwandten Staatsgebilden, dem 1922 in Italien und dem jüngst in Deutschland entstandenen, zu halten und zu erwarten sei. Formuliert wurden eine Warnung und eine Orientierung für den Kampf.

Kurzum: Die knappe Kennzeichnung der faschistischen Mächte - weitere dieses Typs zu schaffen, dafür wirkten Bewegungen in mehreren Ländern - erfolgte nicht in akademischer Absicht. Sie war bestimmt, Massen zu mobilisieren und falsche Frontstellungen zu meiden. Dazu mußte sie allgemeinverständlich sein. Ihre äußerste Verkürzung schloß wie in ähnlichen Fällen das Risiko von Mißverständnissen ein und erleichterte zudem absichtliche Mißdeutungen. Diese Zusammenhänge zu berücksichtigen, mag Menschen schwerfallen, die sich einzig in wissenschaftlichen Laboratorien bewegt und nie an politischen Kämpfen teilgenommen haben. Davon gibt es unter den Gesellschaftswissenschaftlern unserer Tage viele.

Geschichtsferne Einwände

Zahlreich sind auch Einwände, die im Unhistorischen wurzeln. Die Erfahrungen, die Ende 1933 mit den faschistischen Staaten vorlagen, sind minimal, verglichen mit jenen, die zwölf Jahre später angehäuft waren. Das gilt nicht nur für Antisemitismus und Judenhaß. Es betrifft ebenso die Herrschaftspraktiken der Machthaber in Rom und Berlin, und insbesondere die Methoden, mit denen die Regime ihre Massenbasis zu sichern wußten. Deren Beurteilung geschah 1933 unter dem Eindruck der Konzentrationslager, in denen gepeinigt, gefoltert und gemordet wurde, und einer sich radikalisierenden politischen Justiz. Eine andere unhistorische Kritik sieht davon ab, daß die Autoren der Definition mit ihr in Konkurrenz zu anderen Bestimmungen des Faschismus traten, von denen sie sich abzugrenzen wünschten. Das geschah insbesondere gegenüber jener Fehldeutung, die zwischen dem Gefolge der Faschistenführer, vorwiegend Angehörige der Mittelschichten, und dem Wesen der etablierten Macht nicht zu unterscheiden vermochte und sie als Herrschaft des Kleinbürgertums ansah. Eine bis heute anzutreffende andere Deutung reduzierte den Faschismus gar auf die "Herrschaft der Primitiven".

Die Kennzeichnung des Faschismus als Diktatur des Finanzkapitals, der ökonomisch mächtigsten und daher einflußreichsten Kräfte des Industrie- und Bankkapitals, diente vor allem der Entlarvung der Faschistenführer, die in Deutschland und Italien mit dem Versprechen auftraten, eine ganz neue gesellschaftliche und staatliche Ordnung errichten zu wollen, in der es keine Klassenkämpfe geben und alle Glieder der Nation einträchtig zusammenleben würden, so daß alte Größe wiedergewonnen und zu neuer aufgestiegen werden könne. Dieser Kern der Charakteristik richtete sich gegen die These von der "nationalsozialistischen Revolution" und zielte auf die Bloßlegung des Verhältnisses der Politiker um Hitler und Mussolini zum großen Kapital, da wie dort eines der am besten gehüteten Geheimnisse.

Damit war auch gesagt, daß die Machthaber nicht die Interessen aller Bourgeois gleichermaßen verfechten würden. Die Einschränkung - die reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente - drückte zudem aus, daß nicht alle Personen und Gruppen des Finanzkapitals die neue Staatsmacht unter dem Hakenkreuz favorisiert und beigetragen hatten, sie zu installieren. Führungsgruppen von Großkonzernen, wie beispielsweise die an der Spitze des Jenaer Zeiss-Unternehmens, die auch unter Krisenbedingungen wirtschaftsfriedlich mit Betriebsräten und Gewerkschaftsführern zusammenarbeiteten und dabei ihre Interessen durchzusetzen vermochten, hatten keinen Antrieb, sich auf die Seite der faschistischen Gegner der Republik zu schlagen.

Erwiesenes und Prognostiziertes

Reaktionärste - das hieß, es waren jene Kreise zu entscheidendem Einfluß gelangt, die mit der revolutionären wie der reformistischen Arbeiterbewegung ein für allemal abrechnen und ebenso gründlich die bürgerlich-demokratischen Zustände beseitigen wollten. Wer die Entwicklung von elf Monaten Nazidiktatur vor Augen hatte, konnte dies nicht in Zweifel ziehen. Doch war dieser innenpolitische Feldzug keine Parteipolitik auf nur eigene Rechnung, kein Toben der Rache für erlittene Niederlagen während der Kämpfe in der Republik. Jeder Schritt gegen die Arbeiterparteien und die Gewerkschaften, ausgegeben als Weg zur Volksgemeinschaft, wurde von Führungskreisen des Kapitals gebilligt, mitunter auch mit Beifall bedacht, entsprach er doch lang gehegten Wünschen, die unbeseitigten Folgen der Novemberrevolution zu liquidieren. Weit über die Zirkel des Kapitals hinaus, die den Weg zum 30. Januar bewußt ebnen halfen, schlossen sich die wirtschaftlichen Interessenorganisationen der Bourgeoisie nach der Wende um das sich etablierende Regime zusammen. Das Experiment, auf Initiative einer Minderheit einmal riskiert, sollte unter keinen Umständen scheitern. Man stellte sich, so die offiziellen Erklärungen, dienend "hinter die nationale Regierung".

Extrem chauvinistisch - das besagte, es würde die Außenpolitik der an die Macht gelangten Faschistenführer sich in keinen anderen Bahnen vollziehen als in jenen, die in Verlautbarungen zuvor bezeichnet waren. Das ergab sich aus den weitgehend identischen Vorstellungen von künftiger deutscher Politik, die im faschistischen Führungszentrum ebenso wie in maßgeblichen Kapitalkreisen gepflegt wurden. Weder die einen noch die anderen hatten je die Ergebnisse des Weltkriegs akzeptiert. Sie beabsichtigten, die 1914 verfehlten Ziele in einem zweiten Anlauf zu erreichen. Diese Charakteristik kontrastierte mit im In- und Ausland angestellten Mutmaßungen, ob der Hitler in der Wilhelmstraße noch der Hitler von "Mein Kampf" sei. Wer Selbstberuhigung suchte, verließ sich auf die wohlfeilen Beteuerungen des Friedenswillens, mit denen der "Führer" vom Tage an, da er Reichskanzler war, nicht sparte. Die sich davon einlullen ließen, wurden fünf Jahre später wach, als die faschistischen Chauvinisten zuerst gegen die Tschechen, dann gegen die Polen hetzten, von denen behauptet wurde, sie wollten die in ihren Grenzen lebenden Deutschen ausrotten.

Aufs äußerste imperialistisch - diese Kennzeichnung heute noch zu diskutieren, heißt Eulen nach Athen tragen. Italiens Eroberung des souveränen Kaiserreiches Abessinien 1935, die Liquidierung Albaniens 1939 und der Angriff auf Griechenland 1940 illustrierten und bestätigten sie ebenso wie - deutscherseits - die Tilgung Österreichs und der Tschechoslowakei von Europas Staatenkarte 1938/1939, sodann die Eroberungen im Zweiten Weltkrieg und die sich mit dem einem "Endsieg" verbindenden Vorhaben, formuliert u.a. im Generalplan Ost, und nicht anders die Absicht, die Hand auf die Ölquellen des Nahen und Mittleren Ostens zu legen.

Der seit 1939 beschrittene Weg, so weit er jener der deutschen Eroberer ist, wird heute indessen nicht der von Imperialisten genannt, sondern meist als Hitlers Vernichtungskrieg bezeichnet, als hätte das Ziel einzig im Ausrotten und Zerstören bestanden und nicht in Landraub, Rohstoffquellen, Auspowerung versklavter Einwohner, als wären Kriegszüge und -ziele allein Ausgeburten des Größenwahns eines Mannes gewesen. Das waren sie auch, aber eben nur zu einem für sich genommen zu vernachlässigenden Teil. In Wahrheit vollzog sich unter Hitlers Führung die Wiederaufnahme, Fortsetzung, Umprägung und Erweiterung traditioneller Pläne, die in Machteliten des Reiches nach dessen Gründung 1871 sukzessive formuliert und gehegt worden waren und schon in den Ersten Weltkrieg geführt hatten.

Es gehört ein beträchtliches Quantum an Vorurteilen dazu, den Bestimmungen des Faschismus an der Macht aus dem Jahre 1933 Erkenntnis- und Wahrheitswert abzusprechen, sie als dogmatische Formel oder als "reduktionistisch" abzutun. Dennoch lassen sich derlei Etikettierungen massenhaft antreffen, argumentierende Einwände hingegen sind rar. Diese Art von "Auseinandersetzung" ist in ihrem Vorfeld inzwischen schon dadurch erleichtert, daß Begriffe wie "reaktionär" und "imperialistisch", die nicht dadurch gegenstandslos geworden sind, daß sie in Wissenschaft und - mehr noch - Politik mitunter inflationär und beliebig gebraucht worden waren, nahezu ganz aus dem gesellschaftswissenschaftlichen und publizistischen Verkehr entfernt sind. Das geschah, ohne daß je dargetan worden wäre, welcher Wandel diesen Verzicht rechtfertigen könnte. So scheinen die Imperialisten irgendwo im 20. Jahrhundert an einer historischen Weggabelung, die weit hinter uns liegt, sich verhockt zu haben ...

Der Platz des Terrors

Terroristische Diktatur - diese Hervorhebung entstand, wie erwähnt, unter dem unmittelbaren Eindruck der bestialischen Gewaltmethoden, die zum Zwecke raschester Etablierung der Nazimacht angewendet wurden. Kein Zeitgenosse, dem die Existenz der Konzentrationslager entgangen sein konnte, war davon 1933 doch in Zeitungsberichten zu erfahren. Kaum jemand, der die Drohung und Anwendung von Gewalt gegen Juden nicht bemerkt haben konnte. Niemand, der die Flucht von Verfolgten und Drangsalierten, darunter viele jüdische Angehörige der Intelligenz, ins Ausland nicht wahrgenommen hatte. Doch blieb ungehemmter und zur Schau gestellter Terror nicht der Alltag des Faschismus. Die Machthaber hatten sich nicht, wie angenommen wurde, permanent mit Widerständen auseinanderzusetzen und darauf mit gesteigerten Maßnahmen brutaler Unterdrückung zu antworten.

Die Entwicklung verlief anders. Sie ermöglichte dem Regime, sich ein gesittetes Äußeres aufzuschminken und das weniger mit Rücksicht auf das Inland denn auf den Ansehensverlust, den die Enthüllung der Bestialitäten im Ausland verursacht hatten. Etwa zur Zeit des Weltkongresses 1933 verkündete Göring als preußischer Innenminister eine sogenannte Weihnachtsamnestie. Häftlinge aus Konzentrationslagern kamen mit der Auflage der totalen Unterordnung frei. Die Propaganda der Nazis präsentierte Deutschland als friedliches Land, bevölkert von in Eintracht lebenden, strebsamen Menschen. Diesen idyllischen Bildern wurden solche von blutig verlaufenden Konflikten jenseits der Grenzen, etwa den innenpolitischen Kämpfen in Österreich im Februar 1934, gegenübergestellt.

Die größte Wirkung vermochte diese Reklame 1936 während der Olympia-Wochen zu erzielen. Keine Rede also von permanentem, öffentlich geübtem und erfahrbarem Terror. Dessen Hauptinstrument, die Konzentrationslager, wurden in der Wahrnehmung der Mehrheit der Deutschen wie des Auslands zu einer Randerscheinung, und was in ihren geschah, blieb weithin verborgen. In aller Öffentlichkeit und ungehemmt wurde der außerjustitielle Terror erst in der Endphase des Regimes wieder angewendet. Da kam es zu demonstrativen Hinrichtungen von Soldaten und Zivilisten, die den Krieg nicht länger mehr mitmachen wollten, zu den heute "Verbrechen der Endphase" genannten Untaten. Täter knüpften daran Hoffnungen, glimpflich davonzukommen, und es tobten sich mörderisch Rasende aus, die das eigene Ende nahe und unvermeidlich auf sich zukommen sahen.

Die Formulierung von der terroristischen Diktatur bezeichnet in der kommunistischen Ideologie und Theorie jener Jahre zugleich einen gedanklichen Fortschritt. Sie differenziert zwischen den kapitalistischen Staatsformen, und diese Unterscheidung eröffnete einen Gedankenweg zur Neubewertung von bürgerlich-demokratischen, repressiven, aber nicht terroristischen Herrschafts­praktiken. Hier kündigte sich, denkt man an das Verhältnis der deutschen Kommunisten zur Republik von Weimar, das sich etwa in Devisen wie "Republik, das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel" oder auch in Wendungen wie "Schwarz-Rot-Mostrich" für die Farben der Republik ausgedrückt hatten, eine Neubewertung an.

Einwände, die sich gegen diesen Teil der Faschismus-Definition richten, treffen nicht die Aussage, sondern das Unberücksichtigte. Das Fehlen jeder Erwähnung der mit dem Terror einhergehenden, sich auf ihn gründenden und mit ihm kombinierten Methoden der Herrschaftssicherung, also die permanente Machtstabilisierung durch die Instrumente der Propaganda und durch Erfolgsbestechung, die von innenpolitischen Veränderungen ebenso ausging wie von den Geschehnissen auf dem Wege zu "Großdeutschland". In diesem Punkte geht es nicht um eine Korrektur, sondern um eine Ergänzung. Sie betrifft die Autoren des Jahres 1933 nicht, denn weder der italienische noch der deutsche Faschismus hatten zu diesem Zeitpunkt Tatsachen geschaffen, die den Regimen jene Massen von Anhängern schufen, die sie seit der Mitte der dreißiger Jahre zu formieren verstanden und auf die gestützt sie in den Krieg zogen.

Die Erfahrungsmasse, die 1945 vorlag, hätte keinen Widerruf, wohl aber eine Überprüfung und Ergänzung der definitorischen Kennzeichnung des Faschismus an der Macht erfordert, die vor allem die Massengefolgschaft, den Platz und die Rolle der Ideologie, insbesondere von Rassismus und Antisemitismus, die Genozide an Juden, Sinti und Roma und die Massenmorde während des Krieges aufzunehmen hatten. Die materialistische Faschismusforschung war, wovon viele ihrer Publikationen zeugen, gleichsam über diese Definition hinausgelangt, ohne daß dies unter den Spezialisten in der DDR zu einer weiterführenden Bestimmung geführt hätte. Das wurde auch der kritischen Bewahrung dessen, was 1933 geleistet worden war, abträglich.

Im Februar 2008 erschien in der edition ost, Berlin, die Autobiographie von Kurt Pätzold: Die Geschichte kennt kein Pardon. Erinnerungen eines deutschen Historikers, 320 Seiten, geb., 19,90 Euro