Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

25.05.2010

Militant Ständisch

Fritz Thyssen: Ein Versuchsmodell, welches erst später in den 1930er Jahren zur Serienreife gelangte

Stefan Müller(1)

Der 1873 in Mülheim (Ruhr) geborene Fritz Thyssen, ältester Sohn des Schwerindustriellen August Thyssen, darf durchaus als Prototyp des den deutschen Faschismus fördernden Industriellen gelten. Prototyp, da er in einer monarchistisch-reaktionären Tradition stehend schon frühzeitig zu den Förderern und Unterstützern der rechtsextremen Szene der Nachkriegszeit (des Ersten Weltkrieges) zählte. Als militanter Anti-Demokrat und damit selbstverständlich auch Anti-Marxist und Gewerkschaftshasser unterschied er sich zwar zunächst wenig von anderen schwerindustriellen Vertretern der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Die lange preußische Tradition dieses Wirtschaftszweigs in seiner Bekämpfung der Gewerkschaften, der Ablehnung jeglicher betrieblicher Mitbestimmung oder gar tariflicher Vereinbarungen lebte auch in Fritz Thyssen in der Gestalt weiter, dass er sich unter keinen Umständen mit den neuen Verhältnissen - der Weimarer Republik - arrangieren wollte. 1930 äußerte Thyssen auf einer gemeinsamen Besprechung von Präsidium des Reichsverbandes der deutschen Industrie (RDI) und dem Vorstand der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (VDA), dass eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften zu einer "unrettbaren Verknüpfung mit dem marxistischen System" Weimars führen würde.(2)

Auch wenn viele seiner politischen Vorstellungen durchaus seiner gesellschaftlichen Klasse entsprachen, darf Fritz Thyssen dennoch als Prototyp - als ein Versuchsmodell, welches erst später in den 1930er Jahren zur Serienreife gelangte - gelten, da er über die in der Schwerindustrie existierende Trauer über den Verlust der Monarchie hinaus sich zu einem frühen politischen Förderer und Fürsprecher der NSDAP entwickelte. In der von 1928 bis 1939 existierenden "Ruhrlade", einem informellen Zusammenschluss der zwölf einflussreichsten Ruhrindustriellen, deren Zweck unter anderem in Spendensammlungen für die rechten Parteien bestand, galt die Person Fritz Thyssen mit seinem frühzeitigen und nachhaltigen Drängen auf eine unmittelbare Kooperation mit der NSDAP zunächst als "Außenseiter". Erst ab 1932 schwenkten auch weitere Mitglieder der Ruhrlade wie Fritz Springorum (Hoesch AG/Dortmund, Mitglied der DNVP) oder Paul Reusch (Gutehoffnungshütte, Mitglied der DVP und des Stahlhelm) um und versuchten, die NSDAP in ein Bündnis mit der bürgerlichen Rechten zu integrieren. Diesem Zentrum schwerindustrieller Macht widmete der Journalist Hermann Dannenberger, bekannt unter seinem Pseudonym Erik Reger, schon 1931 seinen noch heute überaus lesenswerten Roman "Union der festen Hand".

Fritz Thyssen stand bis 1923 im Schatten seines Vaters. Die Familie und damit auch Fritz Thyssen, obwohl selbst nie formelles Mitglied, war schon aufgrund ihrer katholischen Herkunft der Zentrumspartei verbunden. Der Dreh- und Angelpunkt für die Familie Thyssen war der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, ein begeisterter Anhänger eines deutschen "Siegfriedens" im Ersten Weltkrieg, nach Kriegsbeginn mit der Errichtung eines Auslandsgeheimdienstes befasst und als Lobbyist der Thyssens im Deutschen Reichstag tätig. Von 1915-197 war Erzberger zudem Mitglied des Grubenvorstands Deutscher Kaiser. Die Lösung Fritz Thyssens vom Zentrum begann mit dem Positionswechsel Erzbergers gegen Ende des Krieges. Nachdem 1917 die "aufgeklärteren" der deutschen Kriegstreiber der drohenden Niederlage gewahr wurden, verabschiedete der Reichstag im Juli 1917 die so genannte "Friedensresolution", die auf die Initiative Erzbergers zurückging. Mit dieser Friedensresolution erklärte die Reichstagsmehrheit, dass sie einen "Verständigungsfrieden" suchte, der, und dies war der neuralgische Punkt für Thyssen und viele andere Industrieller, auf "erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirtschaftliche oder finanzielle Vergewaltigungen" verzichten wolle. Diese Resolution, die für die wilhelminische Reichspolitik und den weiteren Kriegsverlauf keine Bedeutung hatte, ergab sich aus dem gemeinsamen Vorgehen von Zentrum, Sozialdemokratie und der Fortschrittlichen Volkspartei, den Parteien also, die später die "Weimarer Koalition" stellen sollten. Für Kriegstreiber, von Eroberungsphantasien und reaktionär-monarchistischen Vorstellungen getriebene Politiker, Militärs und Industrielle war damit war die Feindlinie für die folgenden rund 16 Jahre - bis zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 - markiert. Neben dem Judentum und dem sich erst noch herausbildenden kommunistischen Zweig der Arbeiterbewegung war es das Bündnis des Marxismus sozialdemokratischer Provenienz mit dem politischen Liberalismus.

Neben den Bemühungen Erzbergers als Vertreter des Zentrums für einen nicht-anexionistischen Frieden war es dessen Unterschrift unter das Waffenstillstandsabkommen vom 11. November 1918 und seine Befürwortung des Versailler Friedensvertrag 1919, der zum Bruch Fritz Thyssens mit dem Zentrum und ihn hin zur Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) führte. Die 1918 gegründete DNVP war ein Sammelsurium an nationalistischen, monarchistischen und antisemitischen Kräften, ihre soziale Basis hatte sie unter den ostelbischen Großgrundbesitzern, unter Adligen, Offizieren, Beamten, Selbständigen, Bauern und Teilen der Angestellten- und Arbeiterschaft. Das letztgenannte Segment organisierte sich vornehmlich im 1893 gegründeten, völkisch-antisemitischen Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband. Eine der bekanntesten Figuren der DNVP war der Rüstungs- und spätere Medienmogul Alfred Hugenberg, der im weiteren politischen Leben Thyssens noch eine herausragende Rolle einnehmen sollte.

Die Novemberrevolution mit ihren sozialen und demokratischen Errungenschaften, und vor allem die Massen an sozialistischen Arbeitern und Soldaten, die proletarische Macht auf der Straße, waren für Fritz Thyssen der Ausbund des gesellschaftlichen Verfalls, der sich spätestens seit der "Friedensresolution" angekündigt hatte. Eine der zentralen Quellen zum politischen Denken Thyssens stellt die Niederschrift seiner Gespräche mit dem US-amerikanischen Journalisten Emery Reeves dar, die sie 1940 in Frankreich führten. Das von Thyssen Reeves in die Feder diktierte Buch wurde von Reeves ein Jahr später unter dem Titel "I paid Hitler" veröffentlicht. Auch wenn der Text einige historische Fehler enthält, Fritz Thyssen das Buch nie autorisierte, sich davon distanzierte und sogar eine deutsche Übersetzung verhindern konnte, "deckt sich seine im französischen Exil diktierte Philippika weitgehend mit späteren Aussagen" , so der Thyssen-Biograph Eglau. Die Erfahrungen in der Novemberrevolution jedenfalls sollen, so Thyssen in "I paid Hitler", zu seiner Aufgeschlossenheit gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie geführt haben. Zum 1921 von rechtsextremen Freikorps ermordeten Zentrumspolitiker Erzberger äußerte Thyssen, dass jener nach dem Krieg jeden Sinn für nationalen Stolz verloren habe.

Der politische Einfluss der antidemokratischen DNVP, für die Fritz Thyssen ab 1924 im Rat der Stadt Mülheim (Ruhr) saß, wuchs bis Mitte der 1920er Jahre stetig. Sie war strikt republikfeindlich, neben dem schon genannten Hugenberg dürften Alfred von Tirpitz und Wolfgang Kapp die bekanntesten Mitglieder gewesen sein. Tirpitz wurde als Großadmiral der kaiserlichen Kriegsflotte durch seine Forderung nach dem "uneingeschränkten U-Boot-Krieg" gegen England bekannt. Nach der Friedensresolution des Reichstags 1917 gründete er mit dem Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp die Deutsche Vaterlandspartei, die nur ein Jahr später die DNVP mitbegründen sollte. Kapp versuchte - allgemein bekannt - im März 1920 gemeinsam mit dem General Walther Freiherr von Lüttwitz gegen die Reichsregierung zu putschen, einen Staatsstreich also, der von der DNVP unterstützt wurde und dank des gemeinsamen Vorgehens von Gewerkschaften und Arbeiterparteien nach wenigen Tagen scheiterte. Dem Wachstum der DNVP tat dies jedoch keinen Abbruch. Im Jahr 1919 zählte die Partei rund 350.000 Mitglieder, 1923 dann etwa 950.000. Bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung im Januar 1919 erlangte die DNVP 10,3 Prozent der Stimmen, bei den beiden Reichstagswahlen des Jahres 1924 19,5 beziehungsweise 20,5 Prozent.

Der bis dahin lediglich als Sohn wahrgenommene Fritz Thyssen erschien auf der politischen Bühne der Weimarer Republik im Jahr 1923, als er als Sprecher der Bergwerksbesitzer weitere Reparationszahlungen an die französischen Besatzer verweigerte und zum passiven Widerstand gegen die Besatzer aufrief. Nach dem Friedensvertrag von Versailles war das Deutsche Reich zu Reparationszahlungen an die Siegermächte verpflichtet. Um den Druck auf die Einhaltung der Reparationen zu erhöhen besetzten französisches und belgisches Militär 1921 Düsseldorf und Duisburg. Damit konnten zum einen die Ausfuhren aus dem Duisburger Hafen kontrolliert werden, zum anderen bestand die Drohung der vollständigen Besatzung des Ruhrgebiets. Nachdem das Reich den Reparationsforderungen immer weniger nachkam besetzten die Truppen zum Jahresbeginn 1923 vollends das Ruhrgebiet, um so Zugriff auf die dortige Kohle- und Koksproduktion zu erlangen. Die Reichsregierung rief zum passiven Widerstand auf, der "Ruhrkampf" entflammte. Fritz Thyssen selbst wurde aufgrund seiner Weigerung von einem französischen Militärgericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Reichsregierung übernahm während des "Ruhrkampfes" die Bezahlung von rund zwei Millionen Beschäftigten im besetzten Gebiet, um so deren passiven Widerstand zu unterstützen, eine Maßnahme die aufgrund ihrer inflationären Wirkung nicht lange durchgehalten werden konnte. Im September 1923 rief Gustav Stresemann, seit August des Jahres Reichskanzler, dazu auf, den passiven Widerstand zu beenden. Die Entscheidung zur Einstellung des "Ruhrkampfes" traf auf die schärfste Kritik Fritz Thyssens. Thyssen suchte den Kontakt zu General Erich Ludendorff, übergab diesem in München eine Geldspende von 100.000 Goldmark und forderte die rechtsextremen Kampfverbände und faschistischen Gruppieren zum militärischen Eingreifen im Ruhrgebiet auf. Nur wenige Tage vor dem gescheiterten Putsch Hitlers und Ludendorffs am 9. November in München traf Thyssen auch erstmalig Adolf Hitler. Hitler soll damals einen militärischen Kampf im Ruhrgebiet abgelehnt haben, da er als Resultat lediglich eine Stärkung der ihm abgrundtief verhassten Weimarer Republik annahm.

Ob Thyssen nun im Vorfeld von dem Putschversuch am 9. November 1923 Kenntnis hatte, diesen befürwortete, oder ihn mit seiner Geldspende gar unterstützen wollte, ist historisch nicht belegt, aber in gewisser Sicht auch unerheblich. Die Spende von 100.000 Goldmark ging an einen nationalistischen, völkischen und die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges zu revidieren suchenden rechtsextremen Kreis. Man erinnere sich, General Ludendorff war ab August 1916 Erster Generalquartiermeister, der Stellvertreter Hindenburgs, damit eigentlicher Kopf der Dritten Obersten Heeresleitung und regierte in einer Form Militärdiktatur über das Deutsche Reich. Ludendorff war bis wenige Tage vor dem Zusammenbruch fanatischer Anhänger eines "Siegfriedens". Schon die Rückkehr des Reiches zu einem "Status quo ante bellum", einem Deutschen Reich in den Grenzen vom Juli 1914, stellte für Ludendorff eine verheerende Niederlage dar, die Deutschland in die politische Bedeutungslosigkeit geführt hätte. In einer plötzlichen Hundertachtziggradwendung sprach sich Ludendorff am 29. September 1918 für ein Waffenstillstandsangebot an den US-Präsidenten Wilson und die Parlamentarisierung der Reichsverfassung aus. Das eindeutige politische Ziel war die Überantwortung der militärischen Kapitulation an die demokratischen Parteien. Anstatt nun Ludendorff, Hindenburg oder den Konteradmiral der kaiserlichen Flotte von Trotha unter Waffengewalt zu zwingen, sich mit einer Weißen Fahne der Entete zu ergeben, stellten sich Sozialdemokratie, Zentrum und Demokraten dieser Verantwortung. Damit waren die Rahmendaten der schon seit rund anderthalb Jahren diskutierten Dolchstoßlegende geschaffen.

Fritz Thyssen, dies muss man sich immer wieder verdeutlichen, hat sich von Beginn der Weimarer Republik an in einem militant-antidemokratischen, putschistischen, nationalistisch-völkischen und antisemitischen Milieu bewegt. Ob er selbst Antisemit war oder in Detailfragen nicht mit der DNVP übereinstimmte, ist für die politische und historische Beurteilung nur von nachrangiger Bedeutung. Das zentrale politische Ziel bestand in der Ausmerzung der Ergebnisse der Novemberrevolution, und hier muss man sich vor Augen halten, dass es dabei nicht "nur" um die Bekämpfung des "Sozialismus" oder die Abwehr einer "bolschewistischen Gefahr" ging, sondern um bürgerliche Grundrechte. Mit der Revolution 1918 wurde das preußische Dreiklassenwahlrecht abgeschafft und die Frauen erhielten reichsweit erstmals das Wahlrecht, die Gewerkschaften wurden als legale Verhandlungspartner akzeptiert, die Betriebsvertretungen erhielten mit dem Betriebsrätegesetz 1920 erstmals - wenn auch stark eingeschränkte - Mitbestimmungsrechte, und die Novemberrevolution führte den 8-Stunden-Tag ein. All dies galt es aus Thyssens Sicht zu revidieren.

Erst 1926, mit dem Tod seines Vaters, stieg Fritz Thyssen dann auch ökonomisch aus dessen Schatten auf. Er wurde Aufsichtsratsvorsitzender der im selben Jahr aus einer Fusion der Thyssen-Gruppe mit anderen Stahlkonzernen entstandenen Vereinigten Stahlwerke (Vestag), der in den 1930er Jahren mit zeitweise 250.000 Beschäftigten Europas größter Stahlkonzern wurde und für rund 40 Prozent der deutschen Eisenproduktion verantwortlich zeichnete. Vorstandsvorsitzender der Vestag wurde Albert Vögler, Mitglied der "Ruhrlade" und gleichfalls ein früher Sympathisant und Unterstützer der NSDAP. Auch wenn Fritz Thyssen selbst oder die Vereinigten Stahlwerke die Faschisten finanziell unterstützten, stellten diese Geldmittel keine Bedingung für den rasanten Aufstieg der NSDAP ab Ende der 1920er Jahre dar. Die Höhe der von Thyssen an die NSDAP geleisteten Spenden ist historisch nicht exakt belegt. In "I paid Hitler" äußerte Thyssen, er habe der NSDAP alles in allem eine Million Mark zur Verfügung gestellt. Im Entnazifizierungsverfahren gegen ihn im Jahr 1948 gestand er jedoch nur eine Summe zwischen 200.000 und 300.000 Mark zu, die er zudem in erheblichem Maße für Görings private Aufwendungen zur Verfügung gestellt haben will. Belegt sind zunächst mehrere "private" Geldspenden an Hermann Göring in einer Gesamtsumme zwischen 50.000 und 150.000 Mark. Zudem besorgte Fritz Thyssen nachweislich der NSDAP 1931 einen Kredit in Höhe von 300.000 Mark zur Finanzierung ihres neuen Parteigebäudes in München, wovon er, nachdem die NSDAP diesen Kredit nicht tilgen konnte, für 200.000 Mark selbst einstehen musste. Auch wenn man die Geldspenden von einigen Hundertausend Mark der "Ruhrlade" an die NSDAP seit 1928 hinzurechnet, ist die weitgehende Eigenfinanzierung der NSDAP aus Mitgliedsbeiträgen, Mitgliederspenden und Spenden kleiner und mittelständischer Unternehmen heute belegt. Eine Großspende der Industrie erhielt die NSDAP erstmals für den Wahlkampf 1933, nachdem Hitler schon zum Reichskanzler ernannt worden war. Als Ergebnis des Geheimtreffens Hitlers mit 27 Industriellen am 20. Februar 1933, unter ihnen der Vestag-Vorstandsvorsitzende Vögler, erhielt die NSDAP eine Wahlkampfspende von nahezu drei Millionen Mark. Die Ruhrbarone waren bis zu diesem Zeitpunkt in ihrer Haltung durchaus gepalten, ein beträchtlicher Teil der Industriellen setzte noch auf die DNVP, die Deutsche Volkspartei (DVP) oder den zwischenzeitlichen Reichskanzler Franz von Papen , eine Minderheit wie die "Thyssen-Gruppe" dagegen schon frühzeitig auf Hitler. Die politischen Optionen der Ruhrbarone zu Beginn der 1930er Jahre waren fast durchweg autoritär und antiparlamentarisch. Nur die Frage einer Sammlung des rechten bürgerlichen Lagers unter Ausschluss der Faschisten oder aber das Eingehen eines Bündnisses mit der NSDAP teilte das industrielle Lager. Die Geldspenden an die NSDAP waren also bei den einen zunächst Teil einer Umarmungs- und Einbindungsstrategie, bei anderen dagegen schon Bestandteil der offenen Unterstützung.

Der unmittelbare Kontakt zwischen Fritz Thyssen und Hitler soll nach dem gescheiterten Putsch 1923 für einige Jahre eingeschlafen sein, die Verbindung hielt Thyssen jedoch über Hermann Göring aufrecht, mit dem auch freundschaftlich verbunden war. 1929 stellte sich Fritz Thyssen dann schließlich für Öffentlichkeit unübersehbar auf die Seite der NSDAP. An der Seite von Hugenberg, der seit 1928 Vorsitzender der DNVP war, wurde er Mitglied des so genannten "Reichsausschusses für das deutsche Volksbegehren", das einen Volksentscheid gegen den "Young-Plan", den letzten Reparations-Plan betreffend der Zahlungsverpflichtungen des Deutschen Reiches an die Sieger des Weltkrieges, initiieren wollte. Der Young-Plan war, was die Höhe der Zahlungsverpflichtungen und dem Ergebnis, das Reichsbahn und Reichsbank fortan nicht mehr unter ausländischer Kontrolle stehen sollten, moderat, was die Modalitäten betraf, nämlich eine Laufzeit bis zum Jahr 1988, sollte er das Deutsche Reich dagegen auf Jahrzehnte binden. In ihrem Volksbegehren "gegen die Versklavung des deutschen Volkes (Freiheitsgesetz)" forderte ein Bündnis aus DNVP, NSDAP, dem Stahlhelm/Bund der Frontsoldaten - dem paramilitärischen Arm der DNVP mit rund 500.000 Mitgliedern - und dem Alldeutschen Verband das Verbot der Ratifizierung bei Zuchthausstrafe. Das Quorum für einen Volksentscheid konnte der "Reichsausschuss" noch erfüllen, der Volksentscheid selbst fiel dagegen durch. Allerdings konnte dieses reaktionäre Bündnis im Volksbegehren vom Oktober 1929 4,1 Millionen Wähler (10 Prozent der Stimmberechtigten) und im zwei Monate später stattfindenden Volksentscheid dann sogar 5,8 Millionen Wähler mobilisieren (13,8 Prozent der Stimmberechtigten). Auch wenn der Volksentscheid scheiterte, konnte die NSDAP durch ihr Engagement die Lufthoheit über die nationalistische und extreme Rechte gewinnen und schuf damit die Voraussetzung für die kommenden Wahlerfolge. Bei den Wahlen zum Reichstag im Mai 1928 erhielt die NSDAP lediglich 2,8 Prozent der Stimmen, im September 1930, nach der Auflösung des Reichstags durch Hindenburg, wurde sie mit 18,3 Prozent hinter der Sozialdemokratie zweitstärkste Partei. Thyssen blieb fortan bei seiner offensiven Position. So griff er den Reichskanzler des ersten der drei Präsidialkabinette, Heinrich Brüning, der im April 1930 eine Regierung aus Vertretern vom Zentrum, der DVP, DNVP, der DDP und der Wirtschaftspartei gebildet hatte, für dessen Tolerierung durch die Sozialdemokratie an. Unverblümt forderte Thyssen Brüning auf, die NSDAP mit in die Regierung einzubeziehen. Im Sommer 1931 wiederholte Thyssen diese Aufforderung in der Zeitschrift der Stahlindustriellen "Stahl und Eisen", Brüning solle nun den Weg frei machen für eine Regierung der "nationalen Volksgemeinschaft". Am 1. Juni 1931 schließlich wurde Fritz Thyssen auch Mitglied der NSDAP. Kurz darauf, im Oktober 1931, beteiligte sich Fritz Thyssen, wiederum an der Seite Hugenbergs, an der Gründung der "Harzburger Front". Dieses Bündnis stellte quasi die Fortsetzung des "Reichsausschusses" dar, jedoch erweitert um den ehemaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht.

Die weiteren Aktivitäten wie die Einladung Hitlers in den Düsseldorfer Industrieclub am 27. Januar 1932 auf Initiative Thyssen sind bekannt. Gleichfalls seine Unterschrift unter die Industrielleneingabe an den Reichspräsidenten Hindenburg vom November 1933, in der die Unterzeichner gemeinsam mit "Eurer Exzellenz" die "Notwendigkeit einer vom parlamentarischen Parteiwesen unabhängigen Regierung" bejahten und die "Übertragung der verantwortlichen Leitung eines mit den besten sachlichen und persönlichen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts an den Führer der größten nationalen Gruppe" forderten. Die spezifischen politischen Vorstellungen Thyssens kamen hingegen in der von ihm initiierten Gründung des "Instituts für Ständewesen" Anfang Mai 1933 zum Ausdruck. Auch wenn man sicherlich nicht davon ausgehen kann, dass sich Fritz Thyssen intensiv in die autoritär-ständische Ideenwelt des Institutsleiters Walter Heinrich eingelesen hatte, kamen mit der Institutsgründung und der Besetzung der Positionen dort die ureigensten gesellschaftspolitischen Vorstellungen Thyssens zum Ausdruck.

Der Institutsleiter Heinrich war ein Schüler Othmar Spanns, promovierte bei diesem 1925, wurde 1927 dessen Assistent, und erhielt 1933 an der Wiener Schule für Welthandel einen Lehrstuhl. Der in Böhmen geborene Heinrich war zudem 1929 und 1930 "Generalsekretär der Bundesführung" des Österreichischen Heimatschutzes, und er war der Verfasser des so genannten Korneuburger Eids vom Mai 1930, mit dem Teile der österreichischen Heimatwehren ein offenes Bekenntnis zum faschistoiden, klerikalen Ständestaat ablegten: "Wir wollen Österreich von Grund aus erneuern! Wir wollen den Volksstaat der Heimatwehren. [...] Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat! [...] Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und die liberal-kapitalistische Wirtschaftsgestaltung. [...]Der Staat ist die Verkörperung des Volksganzen, seine Macht und Führung wacht darüber, dass die Stände in die Notwendigkeiten der Volksgemeinschaft eingeordnet bleiben." Zu beachten ist hier die Orientierung auf einen autoritären, aber nach Ständen gegliederten Staat, eine Orientierung, die wir im deutschen Faschismus nicht vorfinden.

Der Theoretiker des Ständestaates, Othmar Spann, auf den sich die Mitarbeiter des Düsseldorfer Instituts im Wesentlichen beriefen, machte aus seiner strikten Ablehnung parlamentarischer Demokratie nie einen Hehl. Diese sei, so Spann in seinem 1921 erstmalig veröffentlichten "wahren Staat" die "Herrschaft der Mittleren, Schlechteren, der den Schwächsten zu sich herauf, den Stärkeren herabzieht. Sofern dabei durchgängig die große Menge die Höheren herabzieht und beherrscht, in der großen Menge jedoch abermals der Abschaum zur Herrschaft drängt, drängt Gleichheit zuletzt gar auf Herrschaft des Lumpenproletariats hin." Die ordnungspolitischen Vorstellungen Spanns sahen vor, "dass jeder niedere Stand geistig vom jeweils höheren geführt wird", also die "Unterordnung des Niederen unter das Höhere". In seiner "Übersicht der Stände nach ihren geistigen Grundlagen" unterschied Spann fünf Schichten. Ersten die "Handarbeiter", zweitens die "höheren Arbeiter, zerfallend in Kunstwerker und darstellende Geistesarbeiter", drittens die "Wirtschaftsführer, die in wirtschaftlich-organisatorischer Hinsicht selbständig, schöpferisch wirken", viertens die "Staatsführer, schöpferisch in sittlich-organisatorischer Hinsicht" (unter denen im Übrigen noch eine Sondergruppe existiert, nämlich die "höheren selbständig wirkenden Krieger und Priester") und fünftens schließlich die "Weisen oder der schöpferisch höhere Lehrstand". Schon aus den wenigen Worten wird nicht nur die zutiefst autoritär und antidemokratische Denkweise Spanns und seines Schülers Heinrich deutlich, es sticht vor allem eine romantisierende Schwülstigkeit hervor, ein Zurück zu den vermeintlich ideellen ständischen Wurzeln des Volksganzen, und eine ideologische Verbindung zum Katholizismus. Auch wenn der deutsche Faschismus die Volksgemeinschaft beschwor, fehlte ihm dieser Romantizismus. Das Selbstverständnis der Nationalsozialisten war das einer modernen Bewegung, die zwar ein Zurück zu germanischen Wurzeln suchte, sich aber als revolutionär und nicht reaktionär, als vorwärts und nicht rückwärts gerichtet verstand.

Die Motivation und das Interesse Thyssens an den ständischen Vorstellungen dürften aus seiner katholischen Herkunft und seiner nach wie vor monarchistischen Haltung zu erklären sein. Der autoritäre Katholizismus und der deutsche Faschismus vertrugen sich jedoch nur begrenzt. Schon früh hatte das "Institut für Ständewesen" zahlreiche Feinde innerhalb der NSDAP, 1936 wurde es schließlich aufgelöst und eine Reihe seiner Mitarbeiter durch die Nazis verfolgt. Kurz zuvor hatte noch Paul Karrenbrock, Mitarbeiter des Instituts und enger Vertrauter Thyssens, gegen die Rassentheorie Alfred Rosenberg polemisiert. Walter Heinrich beispielsweise verlor nach dem Anschluss Österreichs 1938 seinen Lehrstuhl in Wien, und 1940/41 wurde er sogar für anderthalb Jahre in "Schutzhaft" genommen, unter anderem im KZ Dachau.

Zunächst begann Fritz Thyssen aber noch eine politische Karriere unter den Nationalsozialisten. Im Juli 1933 wurde er von Göring zum Mitglied des Preußischen Staatsrates ernannt, der jedoch schon wenige Monate später aufgelöst wurde. Im November 1933 wurde Thyssen dann für die NSDAP Mitglied des Reichstages, darüberhinaus wurde er Mitglied in der Akademie für deutsches Recht, des Generalrats der Wirtschaft und des Sachverständigenrats für Bevölkerungs- und Rassenpolitik beim Reichsinnenministerium. Ab Mitte der 1930er Jahre, spätestens mit der Auflösung des "Instituts für Ständewesen" geriet Thyssen jedoch in Konflikt mit den Nationalsozialisten. Der US-Diplomat William E. Dodd notierte in seinem Tagebuch am 25. Oktober 1936, dass Thyssen in Köln in einer Unterredung mit nicht genannten Personen gesagt haben soll, ihm mache "die gegenwärtige Lage […] Sorgen" und "ein zweiter 30. Juni sei notig, um das Regime Hitlers zu retten", womit die Ermordung Röhms und anderer SA-Führer gemeint war. Fritz Thyssen befürchtete, so Dodd, "der radikale Flügel der Nazipartei könne kommunistische Tendenzen entwickeln. Er verurteilte jedoch heftig die Verfolgung von Katholiken und Protestanten, die seit zwei Jahren im Gange ist. Wie ich vermute", so Dodd, " möchte er die Entlassung Goebbels', Rosenbergs, Darrés und der Führer der Arbeitsfront durchsetzen." Im Spruchverfahren gegen Thyssen 1948 wurde zudem bestätigt, dass Thyssen General Hans Günther von Kluge, der am Angriff auf Polen, Frankreich und die Sowjetunion beteiligt war, angesichts des drohenden Weltkrieges die Wehrmacht zum Vorgehen gegen Hitler aufgefordert haben soll. Einen Tag nach Kriegsbeginn, am 2. September 1939, flüchtete Thyssen mit seiner Frau zunächst in die Schweiz. Im Oktober 1939 richtete Thyssen einen Brief an Göring, dass er nur unter der Bedingung nach Deutschland zurückkehre, wenn "die deutsche Öffentlichkeit darüber aufgeklärt wird, dass ich als Reichstagsabgeordneter gegen den Krieg gestimmt habe". Thyssen wurde daraufhin enteignet und ausgebürgert. Während des Einmarsches der Wehrmacht in Frankreich hielt sich Thyssen im Süden des Landes auf, wurde Ende 1940 schließlich verhaftet und ausgeliefert. Bis zum Kriegsende saß Fritz Thyssen dann in verschiedenen Gefängnissen und Konzentrationslagern, zuletzt in Dachau.

Im Entnazifizierungserfahren gegen ihn, 1948, wurde er als Minderbelasteter eingestuft, zu einer Zahlung von 15 Prozent seines Vermögens in Deutschland verpflichtet, und galt, nachdem der Spruch rechtsgültig war, nur noch als Mitläufer. Ende des Jahres zog Thyssen nach Argentinien, wo er 1951 verstarb. Die Einstufung Thyssens als Mitläufer des Naziregimes war eine Farce, wenn auch übliche Praxis der Spruchkammern gegenüber benötigten Wirtschaftsführern, Bürokraten oder Militärs. Im Jahr 1948 kam die beginnende Auseinandersetzung mit der Sowjetunion hinzu, die zu einem rapide abnehmenden Interesse an einer Bestrafung der für Faschismus, Krieg und Ermordung Verantwortlichen. Thyssen befand sich zwar mehrere Jahre in "Schutzhaft" und war in diesem Sinne sicher auch Opfer, vor allem ist er aber innerreaktionären Konflikten zum Opfer gefallen, Konflikten um die konkrete Ausgestaltung der Diktatur. So wie oftmals "Revolutionen ihre Kinder fressen", finden wir dies auch bei Diktaturen.

Literatur

Bihl, Wolfdieter (Hrsg.): Deutsche Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges. Darmstadt 1991.

Dodd, William E.: Diplomat auf heißem Boden. Tagebuch des USA-Botschafters William E. Dodd in Berlin 1933 - 1938, hrsg. von Willam E. Dodd jr. und Martha Dodd, 7. Aufl., Berlin 1972.

Eglau, Hans Otto: Fritz Thyssen. Hitlers Gönner und Geisel, Berlin 2003.

Gustav Luntowski: Hitler und die Herren an der Ruhr - Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich, Frankfurt am Main 2000.

Reger, Erik: Union der festen Hand. Roman einer Entwicklung, Berlin 1931 (zuletzt aufgelegt im Essener Klartext-Verlag, 2007).

Spann, Othmar: Der wahre Staat. Vorlesungen über Abbruch und Neubau der Gesellschaft, Jena 1931.

Turner, Henry Ashby: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Berlin 1985.

Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4. Vom Beginn des ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten. 1914-1949, (1. durchg. Aufl. der brosch. Studienausgabe), München 2008.

Wessel, Horst A.: Thyssen & Co. Mülheim an der Ruhr. Die Geschichte einer Familie und ihrer Unternehmung, Stuttgart 1991.

Wiltschegg, Walter: Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung? Wien 1985.

(1) Dieser Artikel stellte den Beitrag des VVN Kreisverbandes Duisburg für den Sammelband dar.

(2) Zitiert nach Eglau (2003, S. 96). Auf weitere Verweise im Text wird auf Grund der Lesbarkeit verzichtet. Die verwendete Literatur ist am Ende des Aufsatzes angegeben.