Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

25.05.2010

Von den "Verbrechen der Wehrmacht" zu "Verbrechen der Wirtschaft"

Eine notwendige Erweiterung der Perspektive in der Geschichtspolitik

Dr. Ulrich Schneider

In den 90er Jahren wurde die zeitgeschichtliche Debatte in der Bundesrepublik Deutschland durch eine Ausstellung geprägt, die unter dem Titel "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" eines der ältesten Tabus in der deutschen Geschichtsdarstellung in Frage stellte, die angeblich "saubere Wehrmacht", die mit den Kriegsverbrechen, derer der deutsche Faschismus schon 1945/47 angeklagt wurde, nichts zu tun habe.

Die gesellschaftlichen Grundlagen dieses Tabus lassen sich schnell erklären: Es waren gleichermaßen die Notwendigkeit der Rehabilitierung der faschistischen Wehrmacht vor dem Hintergrund, dass man mit einem wichtigen Teil des Personals die neue Bundeswehr aufzubauen gedachte und die gesellschaftliche Integration der Millionen Angehörigen der faschistischen Wehrmacht in die "selbst-entnazifizierte" bundesdeutsche Gesellschaft. Zwar waren sich politisch Verantwortliche und die Kriegsgeneration in den 40er und 50er Jahren darüber im Klaren, dass die faschistische Wehrmacht aktiv an der Durchsetzung der imperialistischen Zielsetzung mitgewirkt hat. Auf der Basis von Verdrängung und ideologischen Hilfskonstruktionen ("Wehrmacht als Ort des Widerstandes") gelang es jedoch, im gesellschaftlichen Bewusstsein das Bild der Wehrmacht zu verändern. Dieses Angebot wurde von den ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht, vom Mannschaftsdienstgrad bis zum Generalsrang, gerne aufgenommen - insbesondere, da mit dieser historischen Rehabilitierung auch materielle Leistungen nach dem Kriegsopferentschädigungsgesetz verbunden waren.

Auf dieser Grundlage überlebte das Tabu der "sauberen Wehrmacht" bis in die 80er Jahre, bis es endlich in den Kreisen nachgeborener Historiker und Politikwissenschaftler zu einer Aufarbeitung kam, die in der oben genannten Wanderausstellung kulminierte. Und die Intensität der geschichtspolitischen Auseinandersetzung um die Ausstellung, die überraschend großen Besucherzahlen, die Aufmärsche von Militaristenverbänden und Neonazis gegen die Ausstellung, der Streit um die Autentizität der Bilder, die Vorwürfe der Fälschung und die letztliche Konsequenz der Überarbeitung machen deutlich, wie stark dieses Tabu die alltagsgeschichtliche Wahrnehmung der Gesellschaft immer noch prägte.

Nach dieser öffentlichen Auseinandersetzung, die noch durch die Goldhagen-Debatte um die Beteiligung "ganz normaler deutscher Männer" am eliminatorischen Antisemitismus verstärkt wurde, hätte man meinen können, dass es in der geschichtspolitischen Aufarbeitung der faschistischen Verbrechen keine Tabus oder "blinden Flecken" mehr geben könnte. Dem ist aber nicht so. In der Tat gibt es noch einen Tabubereich, der weniger lautstark diskutiert wird, der jedoch mindestens ebenso wichtig für das Verständnis der Etablierung und Funktionsfähigkeit faschistischer Herrschaft in Deutschland wie die Wehrmacht ist, nämlich die Rolle der Wirtschaft für die Errichtung und Etablierung der faschistischen Herrschaft und die aktive Beteiligung von Wirtschaftsführern und Unternehmen an der Umsetzung der faschistischen Politik in allen ihren Schattierungen, als Stichwortgeber faschistischer Kriegsplanungen, als Akteuere und insbesondere als Profiteuere.

Es kann hier nicht der Platz und die Aufgabe sein, die Rolle der Wirtschaft im Faschismus im Einzelnen nachzuzeichnen. Dies findet sich in den Dokumentationen, Beiträgen und Aufsätzen dieses Bandes. Doch es sei auch an dieser Stelle darauf verwiesen, dass ohne die massive Unterstützung der Großindustrie (das populärste Beispiel ist sicherlich Fritz Thyssen "I paid Hitler"), der preußischen Großgrundbesitzer und der Großbanken der Weg der NSDAP und der faschistischen Banden zur Machtübernahme und die Etablierung der politischen Herrschaft nicht möglich gewesen wäre. Die politische Unterstützung durch Denkschriften und andere Formen der Einflussnahme auf die Politik, die finanzielle Unterstützung durch die Großspenden u.a. dem Kohlepfennig der rheinischen Schwerindustrie und die gesellschaftliche Unterstützung durch gemeinsame Auftritte in der Harzburger Front und bei anderen Gelegenheiten, waren eine zentrale Voraussetzung zur Durchsetzung der NSDAP als Instrument der faschistischen "Krisenlösung".

Diese Fakten waren bereits 1933 bekannt. Die berühmte Fotomontage von John Heartfield "Der Sinn des Hitlergrußes" aus der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung brachte dieses Verhältnis optisch auf den Punkt. In der antifaschistischen Agitation zum Ende der Weimarer Republik wurde diese Abhängigkeit angeprangert, ohne schon über die historischen Dokumente zu verfügen, die seit der Befreiung von Faschismus und Krieg im Mai 1945 vorlagen.

Aus diesem Grunde war es 1945 auch völlig unstrittig, dass bei der politischen Ausschaltung der Verantwortlichen für die faschistischen Verbrechen und deren juristischen Verfolgung die Wirtschaft und ihre Repräsentanten im gleichen Atemzug mit Vertretern des Militärs oder anderer gesellschaftlicher Eliten genannt wurden.

Ein deutlicher Beleg für diese Einschätzung sind die OMGUS-Akten von 1947. OMGUS (Office of Military Government for Germany (U.S.) ersetzte ab dem 29. September 1945 das US Group Control Council (USGCC) der amerikanischen Armee, welches bereits im August 1944 in London geschaffen worden war. Zu den Aufgaben der OMGUS-Mitarbeiter gehörte die Entnazifizierung und die Beschaffung detaillierter Informationen über die Verstrickungen der deutschen Wirtschaft in die Nazi-Herrschaft.

Drei große Untersuchungsberichte wurden vorgelegt: "Ermittlungen gegen die Deutsche Bank", "Ermittlungen gegen die Dresdner Bank" und "Ermittlungen gegen die I.G. Farbenindustrie AG". Diese umfangreichen Dokumentationen (auch "OMGUS-Akten" genannt) belegten deren Einbindung in das faschistische Regime und dienten bei den Nürnberger Prozessen als Beweismaterial insbesondere gegen den IG Farben - Konzern.

Material war also hinreichend vorhanden, mit dem die Rolle und Verantwortung von Industrie und Wirtschaftsführern nachgewiesen werden konnte. Folgerichtig wurden in den ersten Wochen alliierter Besatzungszeit verschiedene Wehrwirtschaftsführer und andere Verantwortliche von Rüstungsbetrieben und Banken durch die Besatzungsmacht verhaftet und in Internierungslager verbracht. Sie sollten greifbar sein, wenn die politische und juristische Aufarbeitung der faschistischen Massenverbrechen beginnen würde.

Doch mit dem politischen Wechsel in den USA und dem anschließenden Wandel der west-alliierten Besatzungspolitik unter General Lucius D. Clay veränderte sich auch der Umgang mit Unternehmern und Wirtschaftsführern in den Internierungslagern. Nur diejenigen, die in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen - Nachfolgeprozessen angeklagt werden sollten, blieben interniert. Viele andere wurden "auf Ehrenwort" entlassen oder als "unverzichtbare Fachleute" wieder in ihre ehemalige Funktion eingesetzt - sehr zum Leidwesen der Beschäftigten in den betreffenden Konzernen, von denen sich viele einen Neuanfang ohne die ehemaligen Kapitalisten vorgestellt hatten.

Trotz dieser Rahmenbedingungen fanden die Prozesse gegen Vertreter der Wirtschaft in Nürnberg noch statt. Im April 1947 begann der Flick-Prozess (Fall V), im August 1947 der IG-Farben-Prozess (Fall VI) und im Dezember 1947 als Fall X der Krupp-Prozess.

Die Anklagepunkte waren im Kern vergleichbar, wenngleich die jeweilige Beteiligung an den Verbrechen unterschiedlich war. Es ging um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Zwangsarbeit und Deportation zur Sklavenarbeit, um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Plünderung in besetzten Gebieten, um die Mitgliedschaft in Himmlers Freundeskreis und die Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen (NSDAP, SS etc.).

Die Dimension der Verbrechen fassten im Falle von Flick die Ankläger mit den Worten zusammen, dass "Zwangsarbeiter und die Kriegsgefangenen in den Ruhrbergwerken des Flick-Konzerns unter schrecklichen Bedingungen ausgebeutet wurden und dass Krankheit und Tod in ungeheurem Ausmaß die Folgen dieser Bedingungen waren. Auch ist es offensichtlich, dass in allen Betrieben des Flick-Konzerns besonders schlechte Bedingungen herrschten; in vielen Fällen waren die Unterkünfte elend, die Arbeitszeit übermäßig lang; Angst und Freiheitsentziehung, körperliche Leiden und Krankheit, Misshandlungen aller Art, darunter Auspeitschungen, waren an der Tagesordnung." (Der Fall V, zitiert nach http://de.wikipedia.org/wiki/Flick-Prozess). Dennoch wurden nur drei der sechs Angeklagten verurteilt, Friedrich Flick selber zu sieben Jahren Haft, von denen er nur wenige Jahre verbüßte.

Im IG Farben-Prozess saßen 23 Angeklagte vor Gericht, unter ihnen als Hauptangeklagter Carl Krauch, der Aufsichtsratsvorsitzende der IG Farben und gleichzeitig Hermann Görings direkter Berater und der führende Mann der gesamten chemischen Industrie war. Görings Vier-Jahres-Plan zur wirtschaftlichen Vorbereitung des Krieges war zu 75 Prozent ein Farben-Projekt. IG-Farben entwickelte seine eigenen Pläne für die Annektion der chemischen Industrie in den von Deutschland zu überfallenden Ländern, und zwar gleichzeitig mit den militärischen Plänen, und setzte sie sofort in Aktion, nachdem die einzelnen Eroberungen abgeschlossen waren. Die Beratung der IG Farben mit den militärischen und politischen Führern überstiegen bei weitem das Gebiet der technischen Angelegenheiten und waren äußerst aggressiv und in jeder Beziehung auf Krieg gerichtet. Selbst bezogen auf das Vernichtungslager Auschwitz sprach der Aufsichtsrat von einer "segensreichen Freundschaft mit der SS".

Trotz einer erdrückenden Fülle von Dokumenten und Zeugenaussagen kam es in diesem Prozess nach einer Mehrheitsentscheidung zu Urteilen, die - wie ein zeitgenössischer Beobachter formulierte - "einen Hühnerdieb erfreut" hätten. In neun von zwölf Anklagepunkten wurden alle Angeklagten - mit teilweise abenteuerlichen Begründungen - freigesprochen. Einzig wegen der "Verwendung und vorschriftswidrige Behandlung von ausländischen Zwangsarbeitern und Häftlingen aus Konzentrationslagern im 'Buna-Werk Auschwitz' und in der 'Fürstengrube'" und für "'Raub und Plünderung' in Polen, Norwegen und in den Fällen 'Francolor', 'Schiltigheim' und 'Farbwerke Mühlhausen'" wurden im Juli 1948 Haftstrafen ausgesprochen. Der politische Wille war offensichtlich, die Verantwortlichen des IG Farben-Konzerns von ihrer Verantwortung zu entlasten.

Die Tatsache, dass die meisten von ihnen in den 50er Jahren in der Bundesrepublik wieder an den Schaltstellen der chemischen Industrie saßen, macht deutlich, wie weit hier politische und Kapitalinteressen bereits eine "unheilige Allianz" gegen die historische Wahrheit eingegangen sind.

Etwas weniger Glück hatte Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, dem gleichzeitig der Prozess gemacht wurde. Sechs der Angeklagten wurden für schuldig befunden, sich an Raub und Plünderung fremder Vermögenswerte beteiligt zu haben. Alle bis auf den Angeklagten Karl Pfirsch wurden wegen der Beteiligung am Zwangsarbeiterprogramm mit Zehntausenden von Ostarbeitern verurteilt. Auch der enge Zusammenhang zwischen Vernichtungspolitik und KZ - Häftlingseinsatz in einem nahe Auschwitz gelegenen Werk wurde von den Richtern benannt: "Millionen von Gefangenen wurden in KZs zusammengetrieben und dann in Fabriken und Gruben oder auch auf raschere Weise in Gaskammern in den Tod getrieben". Krupp selber wurde zu 12 Jahren Haft und zur Einziehung seines gesamten Vermögens verurteilt.

Auch deutsche Antifaschisten zogen, soweit sie unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung des politischen Neuanfangs nehmen konnten, Konsequenzen, die der politischen Verantwortung der Wirtschaft und Banken für die Verbrechen des deutschen Faschismus Rechnung trugen. Die "Beseitigung des Nazismus mit seinen Wurzeln" hieß in Hessen beispielsweise, den Artikel 41 in die Landesverfassung aufzunehmen, der die Sozialisierung der Schlüsselindustrie und die staatliche Verantwortung für Banken, Versicherungen und Energiewirtschaft beinhaltete. Diese Forderungen wurden von CDU, SPD und KPD gemeinsam getragen, war man sich doch gemeinsam der Verantwortung der Großindustrie und Großbanken für die Errichtung und das Funktionieren der faschistischen Herrschaft bewusst.

Doch bereits Ende der 40er Jahre war auch diese Gemeinsamkeit der politischen Erkenntnis der Verantwortung der Wirtschaft vorbei. Der Hintergrund dieser Entwicklung war in der beginnenden Restaurationspolitik in den Westzonen zu finden. Kalter Krieg, Ost-West-Konflikt und Spaltungspolitik hatten natürlich auch Auswirkungen auf das öffentliche Geschichtsbild über den Faschismus, seine Verbrechen, die Förderer und Nutznießer. Als es darum ging, die Bundesrepublik antikommunistisch auszurichten, da waren natürlich alle gesellschaftlichen Gruppen, auch die, die durch die Beteiligung an faschistischen Verbrechen diskreditiert schienen, wieder Verbündete.

Wirtschaftsführer des IG Farben-Konzerns wirkten mit bei der "Zerschlagung" der alten Strukturen, der Geschäftsführer der Flick-Gruppe verhandelte mit den Alliierten, dass entscheidende Geschäftsbereiche nicht aus der Hand gegeben werden mussten und Krupp wurde durch Entscheidung des amerikanischen Hohen Kommissars für Deutschland John J. McCloy am 31. Januar 1951 begnadigt und vorzeitig aus der Haft entlassen. 1953 erhielt er zudem mit dem sogenannten "Mehlemer Vertrag" sein gesamtes Vermögen - unter geringen Auflagen - zurück. Damit wurde ein deutlich sichtbares Zeichen gesetzt, dass das Thema "Entnazifizierung der Wirtschaft" politisch von der Tagesordnung verschwunden war. Die Tatsache, dass solche Mittäter, wie der Nazi-Wirtschaftsminister und Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht nicht nur zum "Mitläufer" degradiert wurde, sondern selbst noch Ansprüche erhob, als "Verfolgter des Naziregimes" zu gelten, verdeutlicht die Absurdität der geschichtspolitischen Entwicklung.

Insbesondere in der Zeit des "Wirtschaftswunders" gab es geschichtspolitisch keine Veranlassung, an die Verantwortung der Großindustrie für die Verbrechen des deutschen Faschismus zu erinnern. Erst die beginnende Auseinandersetzung mit der verdrängten faschistischen Vergangenheit Ende der 60er Jahren durch die Studentenbewegung und außerparlamentarische Opposition brachte das Thema wieder auf die Tagesordnung.

In einer Debatte der marxistischen Zeitschrift "Argument" Ende der 60er Jahre über "Primat der Politik oder Primat der Ökonomie" wurde zum ersten Mal wieder ausführlich über die wirtschaftliche Dimension der faschistischen Vernichtungspolitik diskutiert. Damit war die Rolle der Unternehmen als Teil des faschistischen Systems selber zum Gegenstand geworden.

Einfluss auf die Debatte hatte auch das 1974 veröffentlichte Grundlagenwerk von George W. F. Hallgarten und Joachim Radkau "Deutsche Industrie und Politik von Bismarck bis heute". Die Deutsche Bank setzte 1976 nach Hallgartens Tod beim Verlag durch, dass einige Passagen des Werkes über die Rolle der Deutschen Bank im Vorfeld des zweiten Weltkrieges sowie über die Rolle von Hermann Josef Abs beim Abkommen von 1952 ("Wiedergutmachung" für Israel) geschwärzt werden mussten. Auch anderen Autoren, die die Verantwortung von Industriellen und Großbetrieben für faschistische Verbrechen anprangerten, mussten damit rechnen, dass die juristische Keule geschwungen wurde. Der Schriftsteller F.C.Delius wurde in einem langjährigen Rechtsstreit gezwungen, in seinem Buch "Unsere Siemens-Welt", das als "Anti-Festschrift" zum 125jährigen Siemens-Jubiläum erschien, Schwärzungen vorzunehmen. Der Verfasser selber konnte erleben, dass der IG Farben-Nachfolger Behringwerke AG Marburg juristische Konsequenzen androhte, als er Dokumenten über deren Beteiligung an Menschenversuchen im KZ Buchenwald veröffentlichte. Insbesondere die Kritik an persönlich an Verbrechen beteiligten Repräsentanten der Großindustrie, wie Friedrich Flick, Hermann Josef Abs, Hanns Martin Schleyer führte einerseits zu juristischen Auseinandersetzungen, andererseits aber auch zu einer größeren Sensibilität der Öffentlichkeit für die Rolle der Industrie und der Großbanken im Faschismus.

Eine immer größeren Zahl von Veröffentlichungen kritischer Historiker über die Rolle von Unternehmen und Unternehmern im Faschismus, bei denen insbesondere Otto Köhler mit zahlreichen profunden Veröffentlichungen für Ärgernissen sorgte, stand eine zunehmende Abwehrhaltung der Betriebe selber diesen Themen gegenüber. Betriebsarchive blieben für unabhängige Historiker verschlossen. Teilweise beauftragten Unternehmen ihnen genehme Historiker (die dann später oftmals mit gutdotierten Posten als "Hausarchivar" belohnt wurden) eine entsprechende Hausgeschichte zu verfassen. Exemplarisch kann dies an zwei Veröffentlichungen zur IG Farben - Geschichte nachgezeichnet werden. 1986 legte Otto Köhler mit dem Buch "... und heute die ganze Welt. Die Geschichte der IG Farben und ihrer Väter." (Hamburg - Zürich 1986) eine kritische Unternehmensgeschichte vor, in der ausgehend von den Dokumenten des IG-Farben-Prozesses (Fall VI) die Rolle des Konzerns im Faschismus nachgezeichnet wurde. Vier Jahre später antwortete der Konzernnachfolger mit dem Buch von Gottfried Plumpe: "Die I.G. Farbenindustrie AG - Wirtschaft, Technik und Politik 1904-1945." (Berlin 1990). Plumpe durfte sich darin im Sinne des Konzerns auch über "die politische Rolle der I.G. in der Geschichte, über die noch immer viele Mythen und Legenden existieren", auslassen, so der Klappentext des Buches.

Es war in dieser Hinsicht schon eine Ausnahme - und insbesondere dem politischen Einfluss der Gewerkschaft IG Metall und ihrer Vertrauensleute im Konzern geschuldet, dass der Volkswagen-Konzern Ende der 80er Jahre Hans Mommsen damit beauftragte, die Rolle des Konzerns und der Familie Piech im Faschismus kritisch zu untersuchen. Die Dokumentation wurde 1996 veröffentlicht, wobei jedoch der damalige Vorstandschef Ferdinand Piëch wenig Interesse für dieses Werk aufbrachte, wie Hans Mommsen im Nachhinein beklagte. (Mommsen Hans/ Grieger Manfred, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996)

Einen tatsächlichen Aufschwung kritischer Unternehmensgeschichtsschreibung unter Einbeziehung der NS-Zeit erlebte man Mitte der 90er Jahre im Zusammenhang mit der öffentlichen Debatte um die Zwangsarbeiterentschädigung. Die durch Sammelklagen juristisch unterfütterten Forderungen nach Entschädigung ehemaliger Sklavenarbeiter nicht allein aus den Rüstungsunternehmen brachten das Thema "Rolle der Wirtschaft und der einzelnen Unternehmen im Faschismus" erneut auf die Tagesordnung.

Angestoßen durch die Forderungen nach Entschädigung und den Vorschlag, einen Fond einzurichten, in den Unternehmen und Staat einzahlen, um die Ansprüche kollektiv abzudecken, begannen sich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, Geschichtswerkstätten, Historiker von Regionalarchiven, universitäre Forschungsgruppen und die kapitalnahe "Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V." (GUG) aktiv mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern in verschiedenen Branchen und Unternehmensteilen zu beschäftigen. Es würde den Rahmen diese Zusammenfassung sprengen, die öffentliche Debatte um Zwangsarbeit und Entschädigung hier auch nur ansatzweise nachzeichnen zu wollen. (Neben zahlreichen weiteren Veröffentlichungen geben folgende Titel einen guten Überblick über die Auseinandersetzung und die politischen Folgen: Ulrike Winkler (Hg.) Stiften gehen, NS - Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte, PapyRossa-Verlag, Köln 2000, Rolf Surmann/ Dieter Schröder (Hg.), der lange Schatten der NS-Diktatur, Texte zur Debatte um Raubgold und Entschädigung, UNRAST Verlag, Hamburg/ Münster 1999) Das Ergebnis dieser Initiativen war eine große Zahl von zumeist regionalen Studien zur Zwangsarbeit und Dokumentationen, die das persönliche Schicksal von Frauen und Männern, die als Sklavenarbeiter im Deutschen Reich eingesetzt waren, anschaulich belegten. Begegnungen mit Überlebenden und damit Zeitzeugen dieser Verbrechen fanden ihren öffentlichen Niederschlag. Damit wuchs auf der einen Seite die gesellschaftliche Erkenntnis, dass Sklavenarbeit, d.h. die Ausplünderung von KZ-Häftlingen, Deportationen zur Zwangsarbeit und die Ausbeutung von angeworbenen ausländischen Arbeitskräften ein Massenphänomen der deutschen Wirtschaft war, dem sich so gut wie kein Unternehmen entzogen hatte. Ende 1999 wurde im "Neuen Deutschland" und in anderen Publikationen eine Liste von 2500 deutschen Unternehmen veröffentlicht, in denen Zwangsarbeiter eingesetzt waren. Es gab nicht einen Fall, in dem ein Unternehmen gerichtlich versucht hätte, die Nennung auf dieser Liste infrage zu stellen, so dass davon auszugehen ist, dass diese Auflistung korrekt ist.

Auf der anderen Seite begannen die Unternehmen selber, ihre Firmengeschichte aufzubereiten und eine "Sprachregelung" bezüglich des Zwangsarbeitereinsatzes und anderer Formen der Eingebundenheit in die faschistischen Massenverbrechen zu suchen. Einzelne Unternehmen versuchten an die öffentliche Resonanz des Films "Schindlers Liste" anknüpfend darauf hinzuweisen, dass es die Zwangsarbeiter in ihrem Unternehmen doch gar nicht so schlecht gehabt hätten. Hans Mommsen beschrieb die Bereitschaft, sich mit der Geschichte zu beschäftigen, in einem Interview im Dezember 2007 so: "Es gehörte allmählich zum guten Ton, dass ein Unternehmen dies tat." ("Akten waren vernichtet", Interview mit der Süddeutschen Zeitung 19.12.2007) Jedoch geschah dies in vielen Fällen erst auf öffentlichen Druck und es bedeutete nicht, dass tatsächlich Verantwortung für die Verbrechen übernommen oder die Beteiligung eingestanden wurde.

Exemplarisch steht dafür der Fall der Dresdner Bank. In einer Fernsehdokumentation des Hessischen Rundfunks aus dem Jahre 1997 von Dagmar Christmann und Thomas Rautenberg wurden einer breiten Öffentlichkeit konkrete Hinweise auf die tiefbraune Vergangenheit des Unternehmens vorgestellt, von reichlich juristischen Querelen begleitet. Offiziell erklärte die Bank, das entsprechende Material sei verbrannt. Tatsächlich befanden sich die belastenden Akten weggeschlossen in einem Hinterhaus in Berlin Kreuzberg.

Durch den öffentlichen Druck, den diese Veröffentlichung ausgelöst hatte, sah sich der Vorstand der Bank jedoch gezwungen, eine eigene Aufarbeitung vorzunehmen. Man beauftragte vier Unternehmenshistoriker, gewährte ihnen Einsicht in mittlerweile in Frankfurt katalogisierte Bestände und erhielt 2006 eine Auswertung von 2374 Seiten, die ergab, wie aktiv die Dresdner Bank Teil des verbrecherischen NS-Systems wurde. Insbesondere die engen wirtschaftlichen Beziehungen zur SS verband diese Bank mit den Massenverbrechen des Faschismus. Sie trieb jüdische Firmen gezielt in den Konkurs und verdiente daran gut. Unter Tarnnamen wie "Deutsche Ansiedlungsgesellschaft" oder "Ahnenerbe" wurden die Geschäfte der SS abgewickelt. Sie war als Großaktionär einer Baufirma an der Errichtung des Vernichtungslagers Auschwitz beteiligt und nicht zuletzt profitierte die Dresdner Bank von den europäischen Raubzügen der Nazis. (Henke, Klaus-Dieter (Hg.): Die Dresdner Bank im Dritten Reich, in vier Teilbänden von Johannes Bähr, Dieter Ziegler, Harald Wixforth und Klaus-Dietmar Henke, R. Oldenbourg Verlag 2006, 2374 S.)

Ähnlich kritische Veröffentlichungen sind in den letzten Jahren über den Flick-Konzern im Dritten Reich (Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim Christian Priemel, Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. Herausgegeben durch das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, München 2008), über die BMW-Dynastie Familie Quandt (Das Schweigen der Quandts, Film von Eric Fiedler und Barbara Siebert, 2007) und über den "Freundeskreis Reichsführer SS" als Netzwerk von Wirtschaft, SS und hoher Ministerialbürokratie (Tobias Bütow, Ein KZ in der Nachbarschaft. Das Magdeburger Außenlager der Brabag und der "Freundeskreis Himmler", Böhlau 2004) erschienen.

Damit könnte man den Eindruck erhalten, dass das Thema "Wirtschaft als Profiteure und Förderer des Faschismus" hinreichend bearbeitet sein. Dem ist jedoch mitnichten so. Abgesehen davon, dass es immer noch "weiße Flecken" der Geschichtsforschung gibt, steht insbesondere die Popularisierung der Erkenntnisse wissenschaftlicher Aufarbeitung für das allgemeine Geschichtsbild als Herausforderung auf der Tagesordnung. Die Tatsache, dass z.B. Dokumentationen über die Dresdner Bank oder Flick vom Umfang und vom Verkaufspreis nur auf Bibliotheken und einen Kreis von Spezialisten zielen, unterstreicht, dass hier noch viel Raum für antifaschistische Geschichtsaufklärung besteht.

Gerade die Auseinandersetzung mit dieser Thematik stellt in zweierlei Hinsicht die ideologischen Vorgaben staatlicher Geschichtspolitik in Frage.

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Verantwortung von Industrie und Banken für faschistische Verbrechen lässt zum Ersten die These von der Gleichheit "zweier Diktaturen" in sich zusammenfallen, zeigt sie doch die reale Dimension der Verbrechen und die gesellschaftlichen Kräfte, die an diesen Verbrechen beteiligt bzw. Nutznießer dieser Verbrechen waren. Die Beschäftigung mit den Förderern und Profiteuren des Faschismus passt nicht in das ideologische Konstrukt der "zwei deutschen Diktaturen". Die Kategorie des "Unrechtsstaates", die gleichermaßen auf NS-Zeit und DDR-Geschichte angewandt werden soll, kann die Verbrechen, derer sich Unternehmen und Banken schuldig gemacht haben, nicht erfassen. Der millionenfache Mord in den KZs, die Ausbeutung von Sklavenarbeitern und die Ausplünderung von überfallenen Ländern hat keine Entsprechung in der Geschichte des Sozialismus. Aus antifaschistischer Perspektive sind jedoch die tatsächlichen Verbrechen, die Opfer und Leidtragenden und die Täter und Nutznießer zu benennen. Und es ist zu erklären, warum ein System wie die faschistische Herrschaft in Deutschland gerade für solche Verbrechen, wie Raub von Eigentum, Zwangsarbeit und Ausplünderung überfallener Länder die ideale Grundlage darstellte. Damit wird der verbrecherische Charakter faschistischer Ideologie und Politik auch für heute erkennbar.

Zum Zweiten führt die Beschäftigung mit den Profiteuren faschistischer Verbrechen zwangsläufig zu der Frage, gegen wen bzw. was sich antifaschistische Strategie richten müsse. Antifaschistisches Handeln kann sich unter einer solchen Perspektive nicht allein gegen das provokante und menschenfeindliche Auftreten von Neonazi-Gruppen richten, sondern muss für eine Gesellschaft, in der "der Nazismus mit seinen Wurzeln vernichtet" ist, eintreten. Und die gesellschaftlichen Wurzeln faschistischer Herrschaft finden sich auch in den wirtschaftspolitischen Machtverhältnissen in diesem Land. Diese Erkenntnisse aus dem antifaschistisch demokratischen Neubeginn von 1945 haben Gültigkeit bis heute. In diesem Sinne kann die Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Wirtschaft eine wichtige Hilfestellung für antifaschistische Orientierung heute und morgen liefern.