Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

01.11.2010

»Denkwürdiges Datum«

Vor 75 Jahren hielt Adolf Hitler in Düsseldorf eine programmatische Rede vor 600 führenden Vertretern des Industrie- und Bankkapitals. Sie wurde beifällig aufgenommen

Von Kurt Pätzold 

Dani Levy, der Regisseur des Hitler-Klamauks, der gegenwärtig hierzulande in Kinos zu sehen ist, hat in einem Interview sich erinnert, daß ihm dereinst von dem Mann und seinen Beziehungen zur Wirtschaft gesprochen wurde. Daran, so war seinen Worten zu entnehmen, entsann er sich wie an eine Einladung auf einen geistigen Abweg.

Seit langem schon gilt im Geschichtsbewußtsein hierzulande die Erörterung der Beziehungen zwischen der deutschen Bourgeoisie, namentlich der großen Herren der Banken und der Industrie, zur Hitlerpartei und zur faschistischen Diktatur als ein zu vernachlässigendes Thema. Eine Marotte der Marxisten. Es wurde weitgehend verdrängt von der Aufhellung des Verhaltens der Volksmassen zum Naziregime. Auch damit ist die Forschung nicht zu einem Ende gekommen. Doch bleibt es dabei, daß der NSDAP-Führer nicht durch ein Volksvotum in die Reichskanzlei gelangte, sondern durch eine Intrige. In ihr haben Mächtige der deutschen Wirtschaft eine entscheidende Rolle gespielt, und diese Tatsache bot 1945 kein Thema für einen Streit.

Helfer Hitler 

Einer der an der Zerschlagung der Republik führend Beteiligten, der Bankier Kurt Freiherr von Schröder, das charakterisierte die Situation, verlegte sich in Internierungshaft gegenüber den ihn vernehmenden britischen und US-amerikanischen Fahndern, die im Kölner Bankhaus einschlägige Dokumente gefunden hatten, die später dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal vorgelegt wurden, gar nicht aufs Leugnen. Er suchte den Männern zu erklären, wie er und mit ihm andere seiner Kreise auf diesen Favoriten verfielen. Das hätten Kommunisten bewirkt, deren Diktatur drohte. Und also sei zum einzig verfügbaren Mittel gegriffen worden, daß Abhilfe schaffen konnte. Müßten die Sieger aus dem mächtigsten unter den kapitalistischen Staaten das nicht verstehen? Die Version war nicht neu und nicht nachträglich erfunden. Im Oktober 1931 hatte in New York vor einem Klub der Reichen der Großindustrielle Carl Friedrich von Siemens bei einem Frühstück einen Vortrag gehalten, in dem er Hitler als Schutz vor dem Kommunismus kennzeichnete und Befürchtungen seiner Gastgeber im Hinblick auf die Politik des NSDAP-Führers zu zerstreuen trachtete.

Verstanden hatte dieses ihm bezeugte Interesse vor allem Hitler selbst. Nicht ein Putsch, das war die Lehre aus dem gescheiterten Staatsstreich vom 8./9. November 1923, würde ihn an die Staatsmacht bringen und auch nicht die Masse seiner Anhänger. Die stellten sein politisches Kapital dar, mit dem sich wuchern ließ. Denn gesucht wurde ein Ersatz für die schwindende Massenbasis der kapitalistischen Gesellschaft. Hitler bot eine an. Das bewirkte die »Neugier«, die Führer der deutschen Wirtschaft – der herausragende war der Aufsichtsratsvorsitzende der Vereinigten Stahlwerke Fritz Thyssen – bewegte, Hitler am 26. Januar 1932 in ihren exklusiven Düsseldorfer Industriellen-Club im Parkhotel zu laden, damit er ihnen seine politischen und Wirtschaftspläne entwickelte, genauer als vor seiner Gefolgschaft, die mit Phrasen vom Nationalsozialismus abgefüttert und aufgepulvert wurde.

Das bedeutete nicht, daß in der zweieinhalbstündigen Rede ein Konzept entwickelt worden wäre, das geheimgehalten werden mußte. Eine Veranstaltung mit Hunderten Teilnehmern war, anders als die voraufgegangenen und nachfolgenden Beratungen Hitlers mit einflußstarken Kapitalisten, ohnehin nicht zu verbergen. Die Zusammenkunft war zudem bereits vorher bekanntgeworden und hatte vor dem Hotel zu Protestdemonstrationen von Kommunisten und anderen Gegnern geführt, gegen die Polizei einschritt und auch mit Verhaftungen eingriff. Der Münchener Verlag der NSDAP druckte die Rede Hitlers bald, wobei er darauf vertrauen konnte, daß die Braununiformierten ohnehin zumeist nicht zu den Lesern umfangreicherer Texte zählten. Doch selbst dann hätten sie nichts entdecken können, was sie gegen ihr Idol aufgebracht haben würde. Freilich: Vom Sozialismus der Deutschen war da nicht weiter geredet worden. Doch davon, daß die Demokratie, und d.h. die republikanische Staatsform, weg und ein anderer Staat her müsse, der »Marxismus« auszurotten sei und Deutschland und seine Wirtschaft wieder aufsteigen sollen. Auch Formulierungen wie die vom Vorrecht der »weißen« Rasse (nicht der »germanischen« – sicher ein verbales Zugeständnis an das traditionelle Kolonialdenken seiner Zuhörer) und vom Lebensraum waren gefallen.

Kein seriöses Geschichtsbuch kann heute noch das Stattfinden dieses Treffens ignorieren und über seine Inhalte hinweggehen. Also: Alles geklärt? Mitnichten. Es wird, so etwa in der verbreiteten dickleibigen Reihe »Die Deutschen und ihre Nation«, beim Verweis auf die Übereinstimmung zwischen Hitler und seiner betuchten Zuhörerschaft einzig auf den Beifall verwiesen, den der Redner mit seiner Kampfansage gegen Gewerkschaften und »Marxisten« erhielt. Wer wollte nicht verstehen, daß »Arbeitgeber« nicht Freunde der Gewerkschaften sein konnten?

Doch ist das eine beschönigende Verkürzung. Hitler offerierte den Herren die Zerschlagung der Demokratie, die Liquidierung der Republik, die Errichtung eines »autoritären« Staates. Und sie applaudierten. Das »denkwürdige Datum« – so der Pressechef der NSDAP wenig später über die Bedeutung des Treffens für den Aufstieg seiner Partei – demonstrierte, daß das Verhältnis der wirtschaftlichen Elite zur Staatsform keine Frage von Überzeugung, sondern von Tauglichkeit war. 1919 taugte die bürgerliche Demokratie als Rettungsplattform, 1932 erschien die bürgerliche Diktatur als die geeignete. Und obwohl Hitler sich zu Fragen der Außenpolitik nicht konkret äußerte, aus Rücksicht auf die momentanen Interessen der Herrschenden, denn diplomatisch wurde um die weitere Demontage des Versailler Vertrages gekuhhandelt, war den Anwesenden bekannt, daß das neue Regime auch eine neue Etappe in der Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges eröffnen sollte. 

Keine Sühne 

Jedoch 1945: Tätigkeit und Beihilfe zur Liquidierung einer demokratischen Republik war nach den Grundsätzen der Siegermächte strafrechtlich nicht zu ahnden. Es sei denn, sie wären von vornherein in verschwörerischer Absicht geschehen, auf einen Krieg Deutschlands zur Korrektur der Ergebnisse von 1918/19 hinzusteuern. Das nachzuweisen, fiel dem Gerichtshof schon für »alte Kämpfer« wie Hermann Göring nicht leicht. So kamen alle, abgesehen von mehr oder weniger langer Internierung, glimpflich davon. Der Bankier Hjalmar Schacht, aus der ersten Reihe der großbürgerlichen Steigbügelhalter Hitlers, Angeklagter im Hauptkriegsverbrecherprozeß, wurde freigesprochen. Der Bankier von Schröder erhielt von einem Bielefelder Spruchgericht 1947 eine Haftstrafe von drei Monaten und eine Geldbuße zugesprochen, um deren Höhe danach lange gefeilscht wurde. Thyssen hatte sich mit den Naziführern überworfen, floh 1939 ins Ausland, wurde in Südfrankreich verhaftet, kam, die längste Zeit unter Sonderbedingungen, in deutsche Konzentrationslager, von da in Internierungshaft der Alliierten und wurde schließlich als minderbelastet eingestuft. Und an Carl Friedrich von Siemens, der als Gast am Hudson River für Hitler als verläßlichen Mann gesprochen hatte, erinnert u. a. der Name einer Schule im Berliner Westen. Und Robert Lehr, Oberbürgermeister Düsseldorfs, Politiker der Deutschnationalen Volkspartei und Clubmitglied, der Hitler an jenem Abend begrüßt hatte, ohne daß ihm das nach 1933 gelohnt worden wäre – zeitweilig kam er in ein KZ –, wurde im Kabinett Adenauer Bundesinnenminister. 

Quellentext Das deutsche Großkapital – Hitlers Steigbügelhalter 

Am 10. Januar 1946 trug Leutnant Brady O. Bryson, Hilfsankläger für die USA, im Nürnberger Justizpalast die Anklage gegen Hjalmar Schacht, den einstigen Präsidenten der Reichsbank und Reichswirtschaftsminister in der Hitlerregierung, vor. Zuerst zitierte er aus einer Aussage Schachts während eines Verhörs am 20. Juli 1945 über dessen erstes Zusammentreffen mit Hitler Anfang 1931 im Hause Hermann Görings. »Frage: Welchen Eindruck hatten Sie am Schluß des Abends? Antwort: Ich war der Ansicht, daß Hitler ein Mann wäre, mit dem man zusammenarbeiten könnte.« Im weiteren verwies Bryson auf einen Eintrag aus dem Tagebuch von Josef Goeb­bels vom 21. November 1932: »In einer Unterredung mit Dr. Schacht stelle ich fest, daß er absolut unseren Standpunkt vertritt. Er ist einer der wenigen, die ganz konsequent zum Führer stehen.« Dann wandte sich der Ankläger an Schacht: »Frage: Was ich sagen wollte, um es kurz zu machen, haben Sie das Prestige Ihres Namens hergegeben, um Hitler zur Machtübernahme zu verhelfen? Antwort: Ich habe öffentlich bekanntgegeben, daß meiner Ansicht nach Hitler zur Macht kommen würde, und zwar zum erstenmal, wenn ich mich recht erinnere, im November 1932. Frage: Und Sie wissen, oder Sie wissen es vielleicht nicht, daß Goebbels in seinem Tagebuch mit großer Anteilnahme berichtet über ... Antwort: Ja. Frage: Die Hilfe, die Sie ihm damals gewährt haben? Antwort: Ja, ich weiß das. Frage: November 1932? Antwort: Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei und zurück. Frage: Das ist richtig, haben Sie das gelesen? Antwort: Ja. Frage: Und Sie leugnen nicht ab, daß Goebbels recht hatte? Antwort: Ich glaube, sein Eindruck war damals richtig.«

Zitate aus: Der Nürnberger Prozeß, Bd. 5, S. 139/140

Mit freundlicher Genehmigung der jungen Welt vom 27.01.2007.