07.10.2011 Blick
in die Geschichte Oberhausen:
Fragwürdiger
Umgang mit Geschichte in der Gedenkhalle (Ein Beitrag von Otto Marx, Fritz
Meinicke und Ramin Rene Sarrafi) Nach der Eröffnung der neu
gestalteten Oberhausener Gedenkhalle gab es nicht nur Zustimmung. Es
gab und gibt es durchaus berechtigte Kritik, wie sie vor allem von
Seiten der VVN-BdA geäußert wird. Die Gedenkhalle diente nie einem
Selbstzweck, ihre Ausstellung war stets der allgemeinen und politischen
Meinungsbildung verpflichtet und somit Gegenstand der
Geschichtspolitik. In der Ausstellung wurden die Schuldigen
für die faschistische Diktatur benannt, der Opfer gedacht und
die Frauen, Männer und Jugendlichen gewürdigt, die
sich in Widerstandsbewegungen dem NS-Regime entgegengestellt hatten. Nach der Umgestaltung der Gedenkhalle
haben nicht nur Mitglieder der VVN-BdA , sondern auch andere an der
Geschichte unserer Stadt interessierte Bürgerinnen und
Bürger, inklusive der Verfasser dieses Schreibens feststellen
müssen, dass Teile der früheren Ausstellung, die
wesentlich zum Grundverständnis für die historischen
Zusammenhänge beitragen, nicht übernommen worden sind. Aus der Gedenkhalle
verschwunden: Paul Reusch Der
nun nicht mehr in der Ausstellung erwähnte Paul Reusch
gehörte als Generaldirektor der Oberhausener
Gutehoffnungshütte (GHH) und Mitglied mehrerer
Vorstände und Aufsichtsräte der rheinischen
Schwerindustrie zu jenen einflussreichen Kreisen der
Großindustrie, die gemeinsam mit den Feinden der Weimarer
Republik aus Staat, Militär und Justiz die
Machtübertragung an Hitler durch Hindenburg erst
möglich gemacht hatten. Die
führenden Köpfe der Schwerindustrie standen dem
parlamentarischen System der Weimarer Republik ebenso ablehnend
gegenüber wie die nicht entmachteten Monarchisten. Paul Reusch
gehörte zu den antirepublikanischen
Wirtschaftsfunktionären, die eine Präsidialdiktatur
anstrebten Ihre Interessen deckten sich zunächst mit
denen der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und der Deutschen
Volkspartei (DVP), deren rechtem Flügel Paul Reusch
angehörte. Da es diesen Parteien an Durchsetzungskraft fehlte,
wandten sie sich schließlich der NSDAP zu. Das
Großkapital strebte nach politischen Zuständen, die
ihren Profitinteressen am meisten zusagten. Paul Reusch gründete im Januar
1928 die Ruhrlade. Es handelte sich hierbei um ein geheimes Gremium, in
dem fast alle Unternehmer der Schwerindustrie des Ruhrgebietes
vertreten waren. Der zweite Teil des Namens, Lade, erinnert an den so
genannten Ladestock, ein Begriff aus dem Bergbau. Mit diesem Werkzeug
schob der Sprengmeister den Sprengstoff in die vorbereiteten
Bohrlöcher. Die
Ruhrlade war also gewissermaßen ein Programm zur Sprengung
der parlamentarischen Demokratie. Die Mitglieder dieses exklusiven
Zirkels mit dem harmlos klingenden Namen trafen sich in der Regel
monatlich, um ihre wirtschaftlichen und politischen Strategien zu
bereden. Sie spendeten jährlich bis zu 1,5 Millionen
Reichsmark für die rechten Parteien. Über die Frage, welche Parteien
für sie am nützlichsten waren, gab es anfangs keine
einheitliche Meinung. Fritz Thyssen unterstützte die NSDAP
bereits seit 1923. Paul Reuschs skeptische Einstellung zu den Nazis
wegen ihrer vermeintlich „sozialistischen“ Parolen
änderte sich, als der Sozial- und Demokratieabbau gegen Ende
der Weimarer Republik immer mehr auf den Widerstand der
Beschäftigten und Arbeitslosen stieß. Ab 1931 spendete die Ruhrlade massiv an
die NSDAP. Im Februar 1932 traf sich Paul Reusch mit Adolf Hitler und
Heinrich Himmler in der Zentrale des GHH-Konzerns. Er gab Hitler die
Zusicherung, dass die zum GHH-Konzern gehörenden drei
süddeutschen Zeitungen sich im Wahlkampf der NSDAP
gegenüber „wohlwollend neutral“ verhalten
würden [Es handelt sich um Münchner Neueste
Nachrichten, Fränkischer Kurier und Schwäbischer
Merkur.]. Am 19. März kamen Reusch und die beiden
NSDAP-Führer ein weiteres Mal zu einem zweistündigen
Gespräch zusammen, wie Professor Johannes Bähr, der
im Auftrage des MAN-Konzerns auch die Geschichte der GHH schrieb,
berichtete. In diesem Gespräch äußerte
Reusch seinen Unmut darüber, dass Hitler und Hindenburg bei
den Reichspräsidentenwahlen gegeneinander kandidierten; das
sei, so Reusch, nicht im Interesse der nationalen Sache. Im
Übrigen solle Hitler seine sozialistischen Parolen aus dem
Wahlprogramm streichen. Reusch
beteiligte sich nach seiner Besprechung mit Hitler an der Finanzierung
einer Arbeitsstelle, die Hjalmar Schacht gegründet hatte, um
Hitler „wirtschaftspolitisch zu beraten“ [Johannes
Bähr: „Die MAN“ 265]. Am 7. Januar 1933
traf sich von Papen [Franz von Papen Offizier im Kaiserreich. Nach dem
I. Weltkrieg in der Zentrumspartei, 1932 ausgetreten, 1932
Reichskanzler und 1933 bis 1934 Vizekanzler im Kabinett Hitler. Papen
gehörte zu den 24 im Nürnberger Prozess gegen die
Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen
Militärgerichtshof angeklagten Personen. In einem
anschließenden Spruchkammerverfahren wurde er zu acht Jahren
Arbeitslager verurteilt. Bald darauf vorzeitig entlassen.] in Dortmund
mit fünf führenden Ruhrindustriellen, darunter auch
Paul Reusch. Angeblich ging es um die Beteiligung Hitlers an der
Regierung unter der Führung von Papens. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler von
Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Der
Historiker Johannes Bähr schrieb über Paul Reusch,
dieser habe mit seinen maßlosen Attacken gegen die Weimarer
Demokratie dazu beigetragen, dem Nationalsozialismus den Weg an die
Macht zu ebnen. Im
Frühsommer 1932 verfasste Paul Reusch Richtlinien für
die Haltung der zum GHH-Konzern gehörenden Münchner
Neueste Nachrichten, worin er dazu aufrief, „den Marxismus und
wesensfremde Kultureinflüsse jeglicher Art zu
bekämpfen“. Weiter heißt es
in dem Papier: „Das
demokratisch-parlamentarische System von Weimar ist die letzte Wurzel
vieler Übel. Es ist als für Deutschland ungeeignet
abzulehnen (…) Koalitionen mit den Sozialdemokraten sind
grundsätzlich abzulehnen, mit den Nationalsozialisten
grundsätzlich zu fördern“.
Für den Bereich der Außenpolitik finden sich u.a.
folgende Anmerkungen: „Die
vornehmste Aufgabe des Blattes ist die Frage des nationalen Gedankens. Die
Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden Deutschen in einem
großdeutschen Reich … ist zu erstreben. Die
Kriegsschuldlüge als Grundlage des Versailler Vertrages ist
fortlaufend zu bekämpfen. Über die Notwendigkeit
einer Revision der Ostgrenzen (Korridorfrage) ist
planmäßige Aufklärung zu leisten.“
[Kurt Koszyk, Paul Reusch und die „Münchner Neuesten
Nachrichten“, Zum Problem Industrie und Presse in der
Endphase der Weimarer Republik in VfZ 1/1972, S. 90 ff (Durchschrift im
Hist. Archiv d. GHH 4001012007/6)] Die
Reichstagswahlen vom 5. März 1933 Einen Tag nachdem Hitler zum
Reichskanzler ernannt worden war, löste
Reichspräsident Hindenburg den Reichstag auf, und es wurden
Neuwahlen für den 5. März anberaumt. Die NSDAP
erhoffte sich jetzt die absolute Mehrheit. Vor der Inszenierung dieses
Schmierentheaters trafen sich von Papen und Hitler am 4. Januar 1933 im
Kölner Haus des Bankiers Kurt Freiherr von Schröder.
Im Nürnberger I.G.-Farben-Prozess von 1947 gab
Schröder eine eidesstattliche Erklärung ab, in der es
heißt: „Die
allgemeinen Bestrebungen der
Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken
Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen, der eine
Regierung bilden würde, die lange Zeit an der Macht bleiben
würde. Als die NSDAP am 6. November 1932 einen ersten
Rückschlag erlitt und somit also ihren Höhepunkt
überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch
die deutsche Wirtschaft besonders dringend. Ein gemeinsames Interesse
der Wirtschaft bestand in der Angst vor dem Bolschewismus und der
Hoffnung, dass die Nationalsozialisten – einmal an der Macht
– eine beständige politische und wirtschaftliche
Grundlage in Deutschland herstellen würden.“
[Zitiert bei Eberhard Czichon: Wer verhalf Hitler zur Macht?.
Köln 1967, S. 78 f.] Dass
die NSDAP bei den Novemberwahlen einen Rückschlag
erlitten hatte, zeigte sich auch bei den Oberhausener Wahlergebnissen
(siehe Tabellen 1 und 2 im Vergleich). Der
Naziterror in Oberhausen vor den Wahlen vom 5. März 1933 In den Erläuterungen zur neuen
Ausstellung heißt es, die Wahlen seien unter dem Vorzeichen
des Terrors abgehalten worden. Zu dieser durchaus richtigen Aussage
gibt es jedoch lediglich einen Verweis auf das Schicksal von Hermann
Albertz, der gegen Ende des Krieges Opfer der faschistischen
Gewaltherrschaft wurde. Diese
verkürzte und vereinfachte Darstellung des
nationalsozialistischen Terrors in Oberhausen wird dem Gedenken an die
Opfer indes nicht gerecht. Bereits
unmittelbar nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 marschierten SA
–Trupps durch Oberhausener Arbeiterviertel und provozierten
die Bewohner, so z.B. in der Siedlung Klosterhardt und in der
Dunkelschlagkolonie. Am 5. Februar überfielen Nazis
Antifaschisten vor dem „Volksheim“ in der
Marktstraße. Heinrich Irgl wurde hierbei durch einen
Lungensteckschuss lebensgefährlich verletzt, zwei weitere
Menschen wurden durch Messerstiche verwundet. Mitte Februar wurde dann der Oberhausener
Polizeipräsident Weyer, ein Mitglied der Zentrumspartei,
abgesetzt. Durch die Notverordnungen des Reichspräsidenten
Hindenburg vom 4. und 28. Februar 1933 und die Ernennung von SA und SS
zur Hilfspolizei (22. Feb.) waren dem faschistischen Terror keine
Schranken mehr gesetzt. Am
24. Februar wurden Gewerkschaftern und Sozialdemokraten auf
offener Straße ihre Abzeichen von den Revers gerissen. Am 26.
Februar verhinderten SA und SS, unterstützt von der Polizei,
eine SPD-Veranstaltung in Sterkrade. Am Sterkrader Bahnhof wurde am
gleichen Tag die Milchhalle des Kommunisten Jupp Kathage
verwüstet. Unmittelbar
nach dem von den Nazis inszenierten Reichstagsbrand vom 27. Februar
1933 erfolgten auch in Oberhausen die ersten Massenverhaftungen. Mehr
als 200 Kommunisten wurden in „Schutzhaft“
genommen. Da das Polizeigefängnis zu klein war, internierte
man die willkürlich Verhafteten in der Turnhalle des
Realgymnasiums, dem heutigen
Elsa-Brändström-Gymnasium. In der Nacht vom 5. zum 6.
März wurden die beiden Kommunisten Konrad Klaas und Leo de
Longueville von SA-Schergen auf dem Schulhof ermordet. Der Wahlkampf war geprägt durch
Einschüchterung, terroristische Gewalttaten und brutale
Übergriffe, insbesondere auf Mitglieder von KPD und SPD.
Führende kommunistische und sozialdemokratische
Funktionäre sowie regimekritische Intellektuelle und
Schriftsteller wie Carl von Ossietzky, Erich Mühsam, Egon
Erwin Kisch oder Ludwig Renn wurden verhaftet. Trotz der
unzähligen Fälle physischer Gewalt und einer
beispiellosen Lügen- und Verleumdungskampagne gelang es der
NSDAP nicht, die erhoffte absolute Mehrheit zu erreichen, weder im
Reich noch in Oberhausen (siehe Tabelle 3). Die Wahlergebnisse werden in der
Ausstellung zwar erwähnt, aber leider nicht gezeigt, und man
fragt sich, warum solche im historischen Kontext nicht ganz unwichtigen
Fakten in der neuen Gedenkhalle keinen Platz finden. Der Widerstand gegen die
Nationalsozialisten in Oberhausen war parteiübergreifend Der Widerstand gegen das NS-Regime begann
mit der Machtübergabe an Hitler. Trotz umfangreicher
Verfolgungen und Verhaftungen mit vielen Opfern konnte er nicht
völlig unterdrückt werden. In der neu gestaltenden Ausstellung
werden einzelne Widerstandskämpfer, ihr Wirken und
ihre Verfolgung durch die NS-Diktatur vorgestellt. Ihre
Lebensgeschichten sollen die Besucher der Ausstellung zum Nachdenken
und zur Würdigung der vorgestellten Personen anregen. Dabei
werden diese als Individualisten charakterisiert, die sich im Kampf
gegen den Faschismus geopfert haben. Dass ihre Handlungen
überwiegend im Rahmen gemeinschaftlicher Aktionen von
Widerstandgruppen und -organisationen erfolgten, bleibt
weitgehend im Dunklen. Dies widerspricht den tatsächlichen
Verhältnissen der damaligen Zeit und bedient den momentanen
Zeitgeist der Individualisierung gesellschaftlicher
Verhältnisse. Dagegen
zeichnete sich der Widerstand gegen die Naziherrschaft in Oberhausen
dadurch aus, dass Antifaschisten über Partei- und
Religionsgrenzen hinweg zusammenwirkten. So erstattete die Politische Inspektion
des Kriminalkommissariats am 9. November 1934 Anzeige gegen den
Kommunisten Georg Saur, den Sozialdemokraten Karl Schlegel und den
Gewerkschaftssekretär und Sozialdemokraten Heinrich Jochem.
Sie wurden beschuldigt, im Sinne der Einheitsfront eine Zusammenarbeit
herbeizuführen, „um
dadurch in verstärktem
Maße die Reichsregierung bekämpfen zu
können“. Von
herausragender Bedeutung war der Widerstand aus der Arbeiterjugend. So
gab es im Heizungskeller des St.-Josef-Krankenhauses eine illegale
Druckerei. Die Bundeszentrale für polische Bildung schrieb bei
der Vorstellung der alten Oberhausener Gedenkhalle: „Die
jugendlichen Kommunisten
druckten hier Flugblätter gegen die Nationalsozialisten.
(…) Im November 1934 wurden 19 Jugendliche, die mit dem
Heizungskeller in Verbindung gebracht wurden, verhaftet und zu
langjährigen Haftstrafen verurteilt. Sechs wurden in das
Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht, zwei kehrten nicht mehr
lebend zurück.“ Jugendliche
der Sturmscharen in der katholischen Jugend um Kaplan Rossaint
verbreiteten Flugschriften gegen den Nationalsozialismus und
organisierten Solidarität mit verfolgten Jungkommunisten. Über Bedeutung und Leistung von
Frauen im Widerstand ist in der umgestalteten Ausstellung kaum etwas zu
erfahren. Lediglich in der Datenbank der Opfer am Ende der Ausstellung
finden sich einige Informationen zu diesem Thema. Die Rüstungswirtschaft
und das
Führerprinzip in den Betrieben - Die GHH und Paul
Reusch Um die
Eroberungspläne der Nazis realisieren zu können,
wurde die Rüstungsproduktion angekurbelt. Ein
„reibungsloser“ Produktionsablauf in den Betrieben
war angesagt, darin waren sich die NS-Führer und die
Konzernherren einig. Bereits
wenige Monate nach der Machtergreifung wurden die Gewerkschaften
zerschlagen, viele ihrer Funktionäre in den
Gewerkschaftsbüros und in den Betrieben verfolgt, verhaftet,
ermordet. Die Unternehmer wurden zu Betriebsführern bzw. zu
Wehrwirtschaftsführern ernannt, während die
Belegschaften zu Gefolgschaften erniedrigt wurden. Die GHH mit ihren ca. 20
Tochtergesellschaften, darunter MAN und Deutsche Werft, war eines der
wichtigsten Rüstungsunternehmen der Naziherrschaft. Ohne die
GHH wäre der brutale Krieg in Europa nicht möglich
gewesen, denn der Konzern lieferte nicht nur Kohle und Stahl, wie
Professor Johannes Bähr schrieb. Die Tochterunternehmen
produzierten Panzer und U-Boot-Motoren. Die Kriegsmarine finanzierte
eine zusätzliche MAN-Motorenfabrik in Hamburg. Selbst in den
USA wurden MAN-Schiffsmotoren in Lizenz hergestellt, mit
denen die USA ihre Kriegsschiffe ausrüsteten. Auch an der
Produktion von Hitlers „Wunderwaffe“ V1 war die
GHH beteiligt. Auf dem Höhepunkt der Kriegproduktion
beutete der GHH-Konzern 31 500 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
aus, darunter viele KZ-Häftlinge. In ihren Oberhausener
Betrieben waren es 11 000 Zwangsarbeiterin-nen und Zwangsarbeiter. Die
Profite flossen reichlich. Doch
nicht alles verlief für Reusch zufriedenstellend, denn
Kapitalismus ohne Konkurrenz gibt es nicht, neue Akteure mischten sich
ein. Es gab nicht nur Vorteile, sondern auch Behinderungen. Durch
staatsmonopolistische Eingriffe zu Gunsten der
Rüstungswirtschaft und der Reichswerke
„Hermann-Göring“ verlor die GHH ihr
Monopol über Erzminen bei Salzgitter und in
Süddeutschland. Das war ärgerlich für den
Machtmenschen Reusch. Andauernde Querelen um Machtanteile und der
ungünstige Kriegsverlauf reizten ihn zu
Wutausbrüchen. 1942 schließlich gab er seine
Vorstands- und Aufsichtsratsposten auf. Dies wirkte sich indes
günstig für ihn aus bei seinem
Entnazifizierungsverfahren nach 1945. Nachdem
Reusch seine Funktionen aufgegeben hatte, zog er sich auf sein
schwäbisches Landgut zurück und gründete den
sogenannten Reusch-Kreis. Dieser bestand aus Industriellen und
Großagrariern und man diskutierte dort über den
Kriegsverlauf und neue Strategien. Der Gestapo war bekannt, dass Carl
Goerdeler, der dem konservativen, zivilen Widerstand
angehörte, öfters in diesem Kreis seine Vorstellungen
vortrug. Im November 1943 sprach er in Anwesenheit von Paul Reusch von
der Notwendigkeit, Hitler von der Führung zu beseitigen, um zu
einer Verständigung mit „den Angelsachsen“
gegen die „Russen“ zu kommen. Nach dem Scheitern des Attentats vom 20.
Juli 1944 wurde Goerdeler verhaftet, vom Volksgerichtshof zum
Tode verurteilt und am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee
hingerichtet. Paul Reusch wurde hingegen nicht verfolgt, offensichtlich
verfügte er noch über einen starken Rückhalt
im NS-Regime. Andere wurden für viel weniger gnadenlos
verfolgt. Josef Weidenauer, ein Arbeiter bei der GHH Sterkrade wurde am
Arbeitsplatz wegen übler Nachrede gegen Führer und
Militär, sowie kommunistischer Propaganda verhaftet. Vom
Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, wurde er am 14. August 1944 in
Berlin-Plötzensee hingerichtet. Keine Wirkung ohne Ursachen Die neue Ausstellung beginnt mit der
Errichtung der Naziherrschaft 1933 und endet mit der Kapitulation 1945.
Die politischen und materiellen Grundlagen für den
Faschismus finden allerdings keinerlei Erwähnung,
und was vordem noch in Wort und Bild dargestellt wurde, ist
verschwunden. Wer waren die Wirtschaftsführer, die Hitler zur
Macht verholfen hatten und die Kriegswirtschaft organisierten? Nach der Befreiung vom Faschismus gab es
kaum eine gesellschaftliche Organisation, die in ihrer
Programmatik nicht die Verantwortung der Großindustrie
aufgenommen hatte. Das galt insbesondere für SPD, KPD und die
Gewerkschaften. Selbst die CDU setzte sich in ihrem „Ahlener
Programm“ von 1947 kritisch mit dem kapitalistischen
Wirtschaftssystem auseinander. [Der Zonenausschuss der CDU für
die britische Zone beschloss in seiner Tagung vom 1. bis 3. Februar
1947 in Ahlen eine programmatische Erklärung (Auszug):
“Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen
und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht
geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Zusammenbruch als Folge einer
verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus
erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen
Neuordnung kann nicht mehr als das kapitalistische Gewinn- und
Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch
eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine
Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der
Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen
Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und
äußeren Frieden sichert“.] US-amerikanische Militärgerichte
verurteilten bei den Nürnberger Nachfolgeprozessen
Industrielle wie Krupp und die Chefs der I.G. Farben als
Kriegsverbrecher. Die
Anklagepunkte waren unter anderem: „Verbrechen
gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit durch Plünderung und Raub…,
Versklavung der Zivilbevölkerung in … besetzten
Gebieten, Versklavung von Konzentrationslagerinsassen,
…Folterung und Ermordung versklavter Menschen.
…“ Trotz
relativ milder Urteile (es gab auch viele Freisprüche) kamen
die meisten der Verurteilten auf Drängen der
Adenauer–Regierung nach kurzer Zeit wieder frei. Wie reibungslos der Übergang vom
Kriegsverbrecher zum hochkarätigen
Wirtschaftsfunktionär der frühen BRD vonstatten ging,
läßt sich am Beispiel von Heinrich
Bütefisch aufzeigen: Bütefisch,
Vorstandsmitglied des Technischen Ausschusses der I.G. Farben,
Wehrwirtschaftsführer, NSDAP-Mitglied, Mitglied im
Freundeskreis Reichsführer SS, war ab1941 Leiter der
Treibstoffproduktion der I.G. Farben-Fabrik in Auschwitz-Monowitz und
dort verantwortlich für die brutale Behandlung der
Zwangsarbeiter. Bütefisch
wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, aber bereits 1951 vorzeitig aus
der Haft entlassen. Danach machte er schnell wieder Karriere und war
Aufsichtsratsmitglied bei verschiedenen Firmen u.a. bei der
Oberhausener Ruhrchemie AG. Die
Verantwortung der Großindustrie für die
faschistische Diktatur wird immer wieder geleugnet, bestenfalls wird
das NS-Herrschaftssystem als Ergebnis von Aktionen wild gewordener
Kleinbürger dargestellt. Es
sei an dieser Stelle an den Philosophen Max Horkheimer erinnert, der
bereits 1939 aussprach, was heute offenbar unmöglich
scheint: "Wer aber vom
Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom
Faschismus schweigen". Tabelle
1: Reichstagswahlergebnisse
vom 31. Juli 1932 in Oberhausen Parteien | Stimmen | Prozente | ZENTRUM | 31 837 | 31,8 | NSDAP | 25 031 | 25,0 | KPD | 23 565 | 23,4 | SPD | 10 215 | 10,2 | DNVP | 5 830 | 5,8 | DVP | 1 339 | 1,3 | Übrige | | |
Tabelle
2: Reichstagswahlergebnisse
vom 6. Nov.1932 in Oberhausen
Parteien | Stimmen | Prozente | ZENTRUM | 29 999 | 31,0 | NSDAP | 20 478 | 21,4 | KPD | 24 323 | 25,0 | SPD | 10 000 | 10,3 | DNVP | 7 159 | 7,4 | DVP | 1 848 | 1,9 | Übrige | 3 780 | |
Tabelle
3: Reichstagswahlergebnisse vom 5.
März 1933 in Oberhausen Parteien | Stimmen | Prozente | ZENTRUM |
34 168 | 31,2 | NSDAP | 34 019 | 31,1 | KPD | 18 376 | 16,7 | SPD | 10 541 | 9,6 | Schwarzweißrot (Vordem
DNVP) | 7
812 | 7,1 | Übrige | 2 894 | 4, 3 |
Hier sind die Richtlinien des
Großindustriellen und Mitbesitzers der Münchner
Neuesten Nachrichten (MNN) Paul Reusch, für die Ausrichtung
der MNN: (Die MNN war eine der
Auflagenstärksten Zeitungen in der Weimarer Republik, Paul
Reuch war Gründer der Ruhrlade, eine Vereinigung der 12
größten Ruhrindustriellen) Zitat: R i c h t l i n i e n für die Haltung der
Münchener Neuesten Nachrichten auf politischem,
wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet (IL Fassung
unseres Entwurfs) I.
Politik Bei der Politik - im weitesten Wortsinne
gefaßt - liegt die letzte Entscheidung über das
Schicksal eines Volkes. Die Politik hat auch unser wirtschaftliches
Elend zum maßgeblichen Teil verschuldet. Mindestens ist sie
für die lange Dauer der Krise verantwortlich zu machen. Dieser
Primat der Politik gilt unbedingt. Mit seiner Anerkennung ist die
Gewichtsverteilung zwischen Politik und Wirtschaft im Rahmen der
Zeitung grundsätzlich gegeben. A. Außenpolitik 1.
Die vornehmste Aufgabe
des Blattes ist die Frage des nationalen Gedankens. Die
Belange des Deutschen Reiches und des deutschen Volkes stehen
über den Parteien 2. Die Zusammenfassung aller
geschlossen siedelnden Deutschen in einem großdeutschen Reich
der Zukunft ist zu erstreben. Die Verbreitung und Festigungdieses
großdeutschen Gedankens im deutschen Volk ist eine der
wichtigsten nationalen Erziehungsaufgaben der Zeitung. Insbesondere ist
das Recht auf den Zusammenschluß mit Österreich klar
zu verfechten. 3.
Selbstverständlich ist das Eintreten für die
Lebensrechte aller deutschen Volksgenossen außerhalb der
Reichsgrenzen. 4. Unter dem System von Versailles
ist der Wiederaufstieg Deutschlands nicht möglich. Solange es
besteht, muß mit aller Macht gegen dieses System
gekämpft werden. 5. Im Rahmen dieses
Kampfes gegen das Versailler System ist die Unmöglichkeit
weiterer Tributleistungen immer und immer wieder hervorzuheben. 6.
Die bisherigen deutschen Tributleistungen müssen den Lesern
immer und immer wieder eingehämmert werden. Das Streben einer
nationalen Zeitung muß dahingehen, die Versäumnisse
der Regierung auf diesem Gebiet nachzuholen. 7. Die ungeheure Bedrohung der
deutschen Zukunft durch unsere Wehrlosigkeit inmitten eines Ringes
hochgerüsteter und ständig weiter
aufrüstender Staaten ist dem Leser so klar zu machen,
daß er diese Gefahr dauernd bewußt erlebt.
Immer und immer wieder ist das deutsche Recht auf Wiederherstellung der
Wehrhoheit zu begründen. Auf die Vertragsverpflichtungen der
anderen Länder ist ständig hinzuweisen. 8.
Die Kriegsschuldlüge als Grundlage des Versailler Vertrages
ist fortlaufend zu bekämpfen. 9.
Über die Notwendigkeit einer Revision der Ostgrenzen
(Korridorfrage) ist planmäßige Aufklärung
zu leisten. 10. Der Notwendigkeit rechtzeitiger und
vollständiger Unterrichtung der Öffentlichkeit
über akut werdende außenpolitische Gefahren ist
hinreichend Rechnung zu tragen. Die zweckbewußte Behandlung
dieser Dinge ist eine wichtige Unterstützung für eine
außenpolitisch aktive Regierung. B. Innenpolitik 1.
Die MNN sind kein Parteiblatt. Daraus folgt, daß sie sich
jeder nationalen Partei gegenüber möglichst objektiv
zu verhalten haben. Jeder Verstoß irgend einer Partei gegen
die nationalen Notwendigkeiten ist scharf zu kritisieren. 2.
Der Marxismus ist auf das
Schärfste zu bekämpfen. Wenn sich
bürgerliche Parteien mit dem Marxismus über die
Bildung einer Regierung verständigen, ist es die Pflicht der
MNN, sich dieser Regierung gegenüber besonders kritisch zu
verhalten. 3. Der monarchische Gedanke ist in der
Tradition zu pflegen. Eine aktive Förderung der Monarchie ist
zur Zeit abzulehnen und darf ohne ausdrückliche Zustimmung der
Mehrheitsbesitzer in der Zeitung nicht betrieben werden. 4.
Die MNN treten ein für eine Gliederung des Reiches nach den
Prinzipien eines gesunden Föderalismus. Hierunter ist zu
verstehen: die organisch gewachsenen, lebensfähigen deutschen
Länder werden derart zum Reichsbau zusammengefügt,
daß bei ausreichender Stärke und innerer und
äußerer Geschlossenheit der Reichsgewalt ein
natürliches Eigenleben reichsfreudiger Länder
garantiert bleibt. 5. I n diesem Bereich liegt auch
die Pflege des Reichsgedankens in Bayern und die Geltendmachung der
bayerischen Bedürfnisse im Reich durch die MNN. 6.
Das demokratisch-parlamentarische System von Weimar ist die letzte
Wurzel vieler Übel. Es ist als für Deutschland
ungeeignet abzulehnen. Die MNN erstreben deshalb: a)
eine wesentliche Stärkung der Stellung des
Reichspräsidenten; b) eine
Stärkung der Reichsregierung in dem Sinne, daß der
Sturz der Regierung durch den Reichstag ganz
wesentlich erschwert wird. 7. Auch für die
einzelnen Länder ist eine Stabilisierung der Regierungsgewalt
unter gleichzeitiger Verbilligung des Regierungsapparates anzustreben. 8.
Die MNN t r e t e n ein für eine Entpolitisierung des
kommunalen Lebens. 9. Die MNN erstreben die
Beibehaltung bzw. vollständige Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums und bekämpfen die Politisierung des
Beamtentums aufs Schärfste. 10. Koalitionen mit den
Sozialdemokraten sind grundsätzlich abzulehnen, mit den
Nationalsozialisten grundsätzlich zu fördern.
Von den Nationalsozialisten ist zu fordern, daß sie sich zur
Anerkennung der staatspolitischen Notwendigkeiten bequemen und keine
übertriebenen Ansprüche stellen. II. Wirtschaft und Soziales 1.
Der Grundsatz des
Privateigentums gilt den MNN als unantastbar. Jeder Angriff gegen
diesen Grundsatz ist schärfstens abzuwehren ohne
Rücksicht, von welcher Seite er kommt. 2.
Zur Erhaltung der Lebensgrundlagen der deutschen Privatwirtschaft ist
zu fordern: a) eine wachsame, zielbewußte
und energische Wirtschaftspolitik, die den nötigen Schutz der
deutschen landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugung rechtzeitig
sicherstellt; b) sparsamste Steuer- und
Sozialpolitik, die der Tragfähigkeit der deutschen Wirtschaft
angepasst ist und konsequent die Kapitalbildung fördert. Dabei
ist auf die Erhaltung einer gesunden Landwirtschaft und eines gesunden
Mittelstands besonderes Gewicht zu legen. 3. Die
Auswüchse des Kollektivismus, wie sie sich auf allen Gebieten
des Wirtschaftslebens sowohl auf der Unternehmer- als auf der
Arbeitnehmerseite in den letzten Jahren breit gemacht haben, sind aufs
Schärfste zu bekämpfen. Die MNN treten dafür
ein, daß Lohn und Arbeitszeit in freier Vereinbarung zwischen
Unternehmer- und Arbeiterschaft nach den besonderen Erfordernissen
jedes einzelnen Betriebes geregelt werden. 4. Im
Grundsatz ist an einer gesunden, d. h. für die Wirtschaft
tragbaren sozialen Gesetzgebung festzuhalten. Es ist jedoch eine
planmäßige Einschränkung im Bereich der
öffentlichen Fürsorge anzustreben vor allem auch mit
dem Ziel, überall dort, wo es angängig ist, die Sorge
für das eigene Schicksal wieder der Selbstverantwortung des
Einzelnen zu überlassen. 5. Die MNN treten
ein für eine Stärkung des Individualismus in der
Wirtschaft und möglichste Beseitigung aller gesetzlichen
Schranken, welche die Entwicklung der Wirtschaft hemmen. 6.
Die Privatwirtschaft ist in ihrem Bestreben, sich möglichst
frei zu betätigen, zu unterstützen; sie hat sich
selbstverständlich in den Staat einzuordnen. Verfehlungen der
Privatwirtschaft wie sie gerade in der letzten Zeit in vielen
Fällen zu verzeichnen waren, sind rücksichtslos an
den Pranger zu stellen und zu ahnden. Verschärfte
Strafbestimmungen sind zu fordern. 7. Das
Verständnis für die wirtschaftlichen Notwendigkeiten
in den breiten Volksschichten zu fördern, die berechtigten
Interessen dieser Volksschichten gegenüber der Wirtschaft zu
vertreten, ist eine wichtige Aufgabe der MNN. III. Kultur 1.
Die MNN haben jede religiöse Überzeugung zu achten.
Die Bevorzugung irgend einer Religion ist abzulehnen. 2.
Die MNN haben sich des Schutzes und der Förderung aller
deutschen Kulturwerte anzunehmen. Wesensfremde Kultureinflüsse
jeglicher Art sind zu bekämpfen. Insbesondere ist
kulturbolschewistischen Erzeugnissen auf allen Gebieten der
schärfste Kampf anzusagen. 3. Die deutsche
Kultur wurzelt im Boden. Dort muß sie auch gepflegt werden.
Zum Aufgabenkreis der MNN gehört demnach neben den allgemein
deutschen besonders die Förderung aller bayerischen
Kulturbestrebungen, vor allem der großen Münchener
künstlerischen und wissenschaftlichen Tradition. 4.
Zur Aufgabe der Zeitung gehört das Eintreten für ein
System der Jugendbildung, das ganz bewußt und vordringlich
eingestellt ist auf die Erziehung der jungen Generation zu wirklichem
Volks- und Nationalbewußtsein. Schlichte
Lebensführung muß heute ein vornehmlicher Leitsatz
der Jugend sein. 5. Als unantastbar gilt das Recht
der Eltern, die religiöse Erziehung ihrer Kinder, die
Grundlage aller Charakter-Erziehung, selbst zu bestimmen. 6.
Zur Aufgabe der Förderung deutscher Kultur gehört
auch die Bekämpfung des Klassenkampfgedankens. (Durchschrift
im Hist. Archiv d. GHH 4001012007/6) Quelle: Kurt
Koszyk, Paul Reusch und die „Münchner Neuesten
Nachrichten“, Zum Problem Industrie und Presse in der
Endphase der Weimarer Republik in VfZ 1/1972, S. 90 ff |