Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

18.11.2011

Bertelsmann in der Nazizeit

Der Verleger der Vernichtungskrieger

Der 1835 gegründete Gütersloher Verlag C. Bertelsmann wurde zunächst vor allem mit evangelischen Gesangbüchern, Noten, Erbauungsschriften und theologischen Zeitschriften bekannt. Bis 1935 machte Bertelsmann auf diesen Gebieten etwa die Hälfte seines Umsatzes [S. Friedländer u.a.: Bertelsmann im Dritten Reich. München 2002 (Bertelsmann), S. 264]. Im 1934 aufbrechenden Kirchen­kampf sympathisierte der Verleger Heinrich Mohn (1885-1955) mit der westfälischen Bekenntnissynode, Diese bekämpfte den Versuch des Reichsbischofs Ludwig Müller und der so genannten Deutschen Christen, die evangelische Kirche schon frühzeitig auf den Führerkult, die aggressiven Ziele und brutalen Mittel der Nazis festzulegen [Dazu ausführlich ebenda, S. 173-240]. Es war vor allem das antichristliche »Neu-Heidentum« des Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg, das die konservativen evangelischen Kreise zunächst auf Distanz zur Nazi-Ideologie bleiben ließ. Bei Bertelsmann erschienen 1934 diverse Schriften von Theologen, die sich zur Bekennenden Kirche zählten. Diesen Umstand nutzte der Verlag nach dem Krieg aus, um sich gegenüber der britischen Besatzungsmacht als Hort des Widerstandes gegen die Nazis darzustellen. Noch 1998 bemühte der Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff bei einer Veranstaltung in New York diese geschichtsklitternde Selbststilisierung [Ebenda, S. 9]. Die scharfe öffentliche Kritik an Middelhoffs Behauptung führte dazu, dass der Bertelsmann-Vorstand Ende 1998 den amerikanischen Historiker Saul Friedländer bat, den Vorsitz einer Historischen Kommission »zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich« zu übernehmen. Die Ergebnisse der Kommission bilden die Grundlage dieses Beitrags.

Vorbereiter und Verherrlicher des Krieges

Jahrzehntelang beruhte die vom Bertelsmann-Konzern gepflegte Herkunftslegende auf zwei Behauptungen: Bertelsmann sei bis 1945 ein kleiner, von den Nazis drangsalierter Verlag für evangelische Literatur gewesen, und erst der Verleger Reinhard Mohn (1921-2009) habe daraus in der Nachkriegszeit einen Großkonzern aufgebaut. Doch in Wahrheit war Bertelsmann schon während des II. Weltkriegs einer der größten deutschen Verlage, und dieser bestritt sogar schon ein Jahr vor Kriegsausbruch 65% seines Druckvolumens mit Kriegsliteratur, und weitere 7% mit der Jugendserie »Spannende Geschichten«, die ebenfalls hauptsächlich aus Soldatengeschichten bestand [Ebenda, S. 265].

Der erste militaristische Bestseller von Bertelsmann war das Buch »Flieger am Feind«, herausgegeben von Werner von Langsdorff, das am 1. August 1934 groß präsentiert wurde. Der  Sammelband enthielt 71 angeblich authentische Berichte deutscher Luftwaffensoldaten aus dem I. Weltkrieg, darunter Hermann Göring. Auf dem Einband tönte der Herausgeber: »Das also waren die Männer todesbereiter Pflichterfüllung, die Frontkameraden in Ernst und Fröhlichkeit. Heute lenken sie die Geschicke der Nation, höchstes Vorbild unserer Jugend… Den alten Frontkämpfern jeder Waffe und den jungen Kämpfern des Dritten Reiches dieses Buch zur Mahnung: Nicht müde werden! Luftfahrt ist not!« Der HJ-Führer Baldur von Schirach erklärte das Buch im November 1934 begeistert zum »Weihnachtsbuch der Hitlerjugend« [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 250 ff]. Es eröffnete die überaus erfolgreiche Serie militaristischer Bücher im Bertelsmann-Sortiment, die dem wegen seiner Sympathien für die Bekennende Kirche in Verdacht geratenen Verlag auch als Absicherung gegenüber dem Naziregime und seiner Aufrüstungs- und Kriegspolitik diente.

1935 stellte der Verlag seine Jugendhefteserie »Spannende Geschichten« auf den militaristischen Zeitgeist des Naziregimes um. Titel wie »Deutsche Helden zur See«, »Flieger am Feind« (eine Auskopplung aus dem Langsdorff-Buch), »Deutsche Tanks fahren in die Hölle«, »Torpedoboote vor!«, »Sturzkampfflieger über Warschau und Modlin«, »Bomben gegen England« trieben die Auflagen in die Höhe: von 0,7 Mio. 1937 über 1,6 Mio. 1938; 2,7 Mio. 1939 auf 6,8 Mio. im Spitzenjahr 1940 [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 253 f].

Im Oktober 1936 versuchte Heinrich Mohn zunächst vergeblich, den völkischen Egozentriker und Bestseller-Autor Hans Grimm (1875-1959) als Autor für eine Kolonialgeschichte im Rahmen der »Spannenden Geschichten« zu gewinnen [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 257]. 1938 erhörte Grimm, der zu der Zeit bei Goebbels etwas in Ungnade gefallen war, Mohns Werben und veröffentlichte bei Bertelsmann seinen nationalistischen und rassistischen Essay »Englische Rede. Wie ich den Engländer sehe«. Darin schmeichelte er den englischen Aristokraten und Kolonialisten und versuchte, bei ihnen Verständnis für das deutsche Weltmachtstreben zu wecken. Die »hochwertigen«, »nordischen« Führer Englands und Deutschlands sollten nach Grimm gemeinsam gegen die »Vermassung« kämpfen [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 400]. 1944 veröffentlichte Bertelsmann noch kurz vor seiner Schließung eine Sonderausgabe von Grimms Bestseller-Roman »Volk ohne Raum« für die Mitarbeiter der Organisation Todt [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 399].

Publizistische Kriegsgewinnler

Im September 1939 sprang der Bertelsmann-Verlag sofort auf die Konjunktur des Polenkrieges auf und veröffentlichte schon zwei Wochen nach Kriegsausbruch ein rasch zusammengehauenes Heft »Flieger über Polen« in der Reihe »Spannende Geschichten«. Da der Verlag aus Zeitgründen sogar die militärische Vorzensur umgangen hatte, versuchte die Militärkontrolle, es aus dem Verkehr zu ziehen, doch Bertelsmann druckte und vertrieb rasch 175.000 Exemplare. Diesen Eingriff gab der Verlag 1946 gegenüber der britischen Besatzungsmacht als Beispiel für Repressionen an, die man durch die Nazis erlitten habe [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 259 f].

Im Oktober rief Alfred Rosenberg die Verlage auf, Bücher für Frontbüchereien und Lazarette zu spenden. Damit rannte er beim Bertelsmann-Cheforganisator Johannes Banzhaf offene Türen ein, denn der hatte angeblich schon im September vorgeschlagen, billige »Feldausgaben« von Verlagstiteln mit Kartoneinband herauszubringen. Noch im Herbst erschienen die ersten davon, später »Feldpostausgaben« genannt, zum Preis von 1,50 RM, später 1,20 RM, auf Wunsch versandfertig mit Karton geliefert und von der Feldpost kostenlos befördert. Dank ausreichender Papier- und Pappevorräte konnte Bertelsmann sofort produzieren. Anders als die Konkurrenten Eher, Kohlhammer und Münchener Buchverlag hatte Bertelsmann auch genügend geeignete Titel für diesen Zweck [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 409 f]. Bertelsmann produzierte zunächst 40 Titel als gebundene Volks- und als kartonierte Feldausgaben mit insgesamt 9,7 Mio. Exemplaren (davon 6,6 Mio. als Feldausgaben). Die höchsten Auflagen erreichten die Witzhefte von Johannes Banzhaf, die Heimatromane von Gustav Schröer und die Abenteuerromane von Paul Ettighoffer [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 415 ff]. Der Umsatz des Bertelsmann-Verlags stieg dadurch von 3,1 Mio. RM 1939 auf 5,1 Mio. RM 1940 und 8 Mio. RM 1941. Ab 1942 ging er wegen des Papiermangels wieder zurück [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 413]. Der Gewinn stieg bis 1941 auf 3,25 Mio. RM – das Dreißigfache des Standes von 1933 [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 426].

Nazipropaganda und blutrünstige Mordverherrlichung

1938 veröffentlichte Bertelsmann eine Neuauflage der autobiographischen Kampfschrift »Rebellen um Ehre« des Faschisten Herbert Volck (1894-1944). In blutrünstigen Szenen schildert Volck die Massaker der Freikorps an Kommunisten und Sozialisten 1923 in Thüringen: »Wie eine riesige, sausende Sense schneidet das MG des Gefreiten Heiland [!] blutige Menschengarben aus den geballten Haufen. Heiland holt in wundervoll präzisem Punktfeuer die Schlittenpferde der Roten herunter… Ein grandioses Bild technischen Kampfes. Unbeweglich, atemlos sehen wir dem faszinierenden Kugeltanz … zu.« [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 278 f; Martin Wellmann: Buchnotiz zu Grimm, Englische Rede, 2003. http://www.polunbi.de/bibliothek/1938-grimm-rede.html] Anhand ähnlicher Beispiele entwickelte der Psychologe Erich Fromm später seine Theorie des nekrophilen Charakters, in dem sich die Vorliebe für Leichen oder für das Töten von Menschen mit der Vergöttlichung technischer Geräte vermischt.

1941 druckte Bertelsmann den zehn Jahre zuvor erschienenen historischen Roman »Das harte Geschlecht« des Faschisten Will Vesper (1882-1962) als gekürzte Feldausgabe. Darin geht es um die gewaltsame Christiani­sierung Islands. Im Vorwort schlug Vesper den völkisch-schicksalhaften Bogen vom frühen Mittelalter zum Zweiten Weltkrieg: »Das Blut strömt, ein unverzichtbarer Strom, von den ältesten Zeiten zu uns her. Und so leben in den fernsten Geschlechtern der Väter auch schon wir, und in uns leben heute und gegenwärtig sie, von denen wir stammen, deren Blut in uns fließt… … wir sind nur wie das Flussbett, durch das der ewige Blutstrom dahinbraust, von den Vätern zu unseren Kindern und Enkeln bis in die fernste Zukunft.« [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 401] Sogar der Rezensent des »Völkischen Beobachters« stolperte 1931 über Vespers Blutflut und charakterisierte das Werk als »blutsatt durchtränkten Nordlandroman« [Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt am Main 2007, S. 630].

1943 folgte Will Vespers faschistische Reiseerzählung »Im Flug durch Spanien«, die zuvor als Vorabdruck im »Völkischen Beobachter« erschienen war. Vesper zog dort zahlreiche Parallelen zwischen dem Franco-Faschismus in Spanien und dem Nazi-Faschismus in Deutschland, zum Beispiel den Kampf gegen den gemeinsamen Feind Frankreich. Neben Volcks Roman »Rebellen um Ehre« und Hans Hoelschers Roman »Zwischen Weichsel und Wolga« war dies wahrscheinlich das hemmungsloseste Nazi-Propagandawerk, das Bertelsmann veröffentlicht hat [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 402]. Deutlich populärer allerdings waren Werke wie Kurt Ziesels faschistische Erzählung »Die Prima greift ein«, die im gleichen Jahr erschien. Sie erzählt die Geschichte einer Gymnasialklasse, die in den frühen 1930er Jahren heldenhaft ihren Lehrer verteidigte, als dieser wegen seiner Nazipropaganda im Unterricht Schwierigkeiten mit den Behörden bekam.

Besonders obszön in einem so dezidiert christlichen Verlag wie Bertelsmann waren Bücher, die versuchten, christliche Heilsbotschaften unmittelbar mit der Herrschafts- und Kriegspropaganda der Nazis zu verknüpfen. Im Herbst 1940 erschien Fritz Otto Buschs Buch »Narvik. Vom Heldenkampf deutscher Zerstörer« über die Eroberung der norwegischen Hafenstadt Narvik durch die deutsche Marine. Großadmiral Ernst Raeder verfasste ein Geleitwort. Busch verherrlichte die Marinesoldaten als »eine verschworene Gemeinschaft auf Leben und Tod…, eine Kampfgemeinschaft, wie wir sie aus den alten Sagen kennen«. An den Anfang seines Buches setzte er den Bericht über einen Gottesdienst zum »Heldengedenktag«, den der Marinedekan auf Wunsch des Commodore Bonte vor dem Auslaufen der Flotte abgehalten hatte. Der Pfarrer hatte in seiner Predigt versucht, die Soldaten mit einem Märchen über die Ankunft König Friedrichs II. von Preußen im Himmel zu motivieren. Diese Mischung aus Glauben an den »Führer« und Glauben an Gott machte das Buch zum Bestseller. Im Mai 1941 verbot die Schweiz das Buch. Die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums (PPK) nahm im gleichen Monat Anstoß an der Gottesdienst-Szene. Raeder empörte sich über diese Einmischung, doch PPK-Chef Philipp Bouhler erreichte, dass Reichsleiter Martin Bormann den Fall Hitler vorlegte. Hitler schloss sich den Bedenken gegen die bizarre Gottesdienst-Szene an. Der Verlag nahm das Buch nach dem 605. Tausend aus dem Programm, hatte bis dahin aber über 650.000 RM damit erlöst [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 435-40].

Papier- und Personalmangel in den letzten Kriegsjahren

Mitte 1942 setzte eine strenge Rationierung der Rohstoffe in Deutschland ein, so auch von Papier. Dadurch gerieten die Buchverlage in Schwierigkeiten, auch C. Bertelsmann [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 409]. Im Juni wies das Reichspropagandaministerium einigen Verlagen, darunter Bertelsmann, zusätzliche Papierkontigente für »Feldpostausgaben« zu, deren Titel vom Ministerium ausgewählt wurden [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 411]. Im Zuge dieser Aktion startete der Bertelsmann-Verlag die »Kleine Feldpost-Reihe«; sie erreichte bis 1944 87 Titel mit insgesamt 5,2 Mio. Büchlein. Ab Ende 1942 erschienen die »Feldposthefte« mit insgesamt 73 Titeln und über 7 Mio. Exemplaren. Insgesamt lieferte Bertelsmann 1939-44 mindestens 19 Mio. Exemplare als Wehrmachtsausgaben aus [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 417, 419]. Damit lag Bertelsmann vor dem Hausverlag der Nazis, dem Münchener Eher Verlag (14 Mio.), vor Kohlhammer und Bibliographischem Institut (je 10 Mio.) an der Spitze [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 423].

Im April 1943 verfügten Goebbels und die Reichsschrifttumskammer die Schließung zahlreicher meist kleinerer Verlage. Betroffen war auch der Rufer-Verlag, theologisches Standbein von Bertelsmann. Auch eine Schließung des kompletten Bertelsmann-Verlags stand in Berlin zur Debatte. Will Vesper verteidigte seinen Verlag »als Nationalsozialist« in einem Brief an Staatssekretär Gutterer mit drei Argumenten: Bertelsmann sei der am besten organisierte Verlag, den er kenne; Bertelsmann habe als erster Verlag schon im September 1939 die Feldzüge der Wehrmacht mit Feldausgaben unterstützt; und gerade die christlich-protestantische Tradition des Verlages sei ein wichtiger Integrationsfaktor für das Naziregime [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 479 ff].

Im Januar 1944 wurde Johannes Banzhaf, Organisationsleiter des Bertelsmann-Verlags, unter dem Verdacht der Papierschieberei festgenommen. Die Polizei ermittelte gegen Heinrich Mohn wegen des Verdachts auf »Kriegswirtschaftsverbrechen« und nahm den Manager Fritz Wixforth in Untersuchungshaft. Ein Geschäftspartner Banzhafs wurde im Mai 1944 sogar zum Tode verurteilt. Das Verfahren gegen Banzhaf u.a. allerdings verlief später im Sande [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 492-500, 511 f]. Im August kam dann das vorläufige Ende: Die Reichsschrifttumskammer schloss rund 1900 Verlage, 6100 Buchhandlungen und 910 Leihbüchereien. Darunter war auch der Verlag C. Bertelsmann [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 500 f].

Der Gütersloher Verleger Heinrich Mohn blieb seinem Lieblingsfaschisten Hans Grimm auch nach Kriegsende verbunden. Als Thomas Mann im Mai 1945 einen Aufruf »Über die deutsche Schuld« veröffentlicht hatte, waren viele deutsche Intellektuelle erneut empört über den »Vaterlandsverrat« des Emigranten. Mohn ermunterte im August ausgerechnet Hans Grimm, eine Erwiderung auf Thomas Manns kluge und gewissenhafte Worte zu schreiben [Bertelsmann im Dritten Reich, S. 543]. So waren sie, die Unbelehrbaren.

Toni Kalverbenden, November 2011