Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

18.01.2012

I.G.-Farben-Fabriken in vielen Städten

Zum Beispiel Degussa in Marl

Von Ulrich Sander

Neben Leverkusen birgt auch Marl eine Stätte der IG Farben-Verbrechen. Auf dem Gelände des heutigen Chemieparks Marl befanden sich die Chemischen Werke Hüls, die zu 74 Prozent der I.G.Farben gehörte. Die Firma bestand von 1938 bis 1998 und wurde dann von der Firma Infracor, ein Tochterunternehmen der Evonik Degussa, übernommen. Degussa wiederum war lange Zeit eng mit der I.G.Farben verbunden. Degussa wurde ab 1999 über Zwischenstaionen bei VEBA, Ruhrkohle AG u.a. zum Teil der neuen Fa. Evonik Degussa mit Sitzin Essen und Produktionsstätten u.a. in Marl. Auch dort streben Antiofa-Gruppen an, dass an die mörderische Geschichte von Degussa mit Mahntafeln erinnert wird.

Antwortend auf die Sammelklagen in den USA von Hinterbliebenen des Holocaust Ende der 1990er Jahre gegen Banken, Industriebetriebe und Versicherungen, hat die betroffene Fa. Degussa zur Entschuldigung auf ihre seinerzeitige "Einbindung des Unternehmens in das totalitäre nationalsozialistische Wirtschaftssystem" hingewiesen. Nicht freiwillig habe man an Raub, Sklavenarbeit und Mordbeihilfe Unsummen verdient, sondern unter Zwang.

Mit "Einbindung" wollen Manager wie die von Degussa eine Fessel ins Spiel bringen, mit der ihren Vorgängern angeblich von den Nazis die Hände gebunden waren. Opferorganisationen stellten dazu fest:

Dazu haben zu viele Teile der ökonomischen und anderen Eliten die Partei Hitlers ergriffen und das Verhängnis befördert, als daß man sie mit solchen Ausreden davonkommen lassen sollte. Für die Aktionäre der IG Farben und der mit ihr verbundenen Degussa sowie die meisten Großbanken und Großindustrien war dieses Verhältnis schon seit 1933 höchst profitabel, während es verhängnisvoll war für Millionen Opfer von Krieg und Holocaust.

Mit der Sprachschöpfung vom "nationalsozialistischen Wirtschaftssystem" kann nicht die Tatsache geleugnet werden, daß es sich beim NS-Regime um eine besonders barbarische Stufe des marktwirtschaftlichen Systems handelt, zu der der Kapitalismus fähig ist. Vor Militärs und Industriellen formulierte es Göring im Juli 1938 so: "Wenn wir den Kampf gewinnen, dann ist Deutschland die erste Macht der Welt, dann gehört Deutschland der Markt der Welt."

In den Sammelklagen gegen Degussa und die IG Farben i. A. (in Abwicklung, so hieß der I.G.-Rest nach 1945) sowie gegen die I.G.- Farben-Nachfolger-Firmen Bayer, Hoechst und BASF kulminiert gewissermaßen die Anklage gegen die Verbrecher aus der deutschen Wirtschaft von 1933 bis 1945: hier geht es um Massenmord und schwerste Kriegsverbrechen. Auch Degussa hat von "normaler" Sklavenarbeit profitiert.

Degussa hat sich, so heißt es in einer Klage, "arisierten" Besitz angeeignet. Sie hat gemeinsam mit der IG Farben die Firma Degesch, jene Gesellschaft für "Schädlingsbekämpfung", unterhalten, die das Gas Zyklon B für den millionenfachen Mord lieferte und mittels dieser Mordbeihilfe viele Millionen verdiente. Sie hat als "Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt" das Gold geschieden, auch "Bruchgold" aus den Mündern der - laut Behördenpost - "Abgänge der Konzentrationslager", um es, zu Goldbarren verarbeitet, an die Banken weiterzuliefern. Degussa hat auch - so 1943 in ihren chemischen Werken in Gleiwitz - Häftlinge ausgebeutet, die, nachdem sie arbeitsunfähig waren, nach Auschwitz ins Gas geschickt wurden. Sie hat eigene Firmen-KZs unterhalten, und wer nicht mehr mitkam, mußte sterben, wie die TV-Sendung "Angeklagt: Die Deutsche Wirtschaft" im Dezember 1998 berichtete. Der Degussa-Konzern profitierte wie kaum ein anderer von den Naziverbrechen.

Wer Ende der 90er Jahre dazu die Degussa-Verlautbarungen liest, der kommt zu dem Schluß, die Degussa-Herren hätten nichts von diesem Teil der 125jährigen Firmen-Geschichte gewußt. Sie konnten keine rassistischen Handlungen ihres Konzerns erkennen, sondern schildern "normale" geschäftliche Tätigkeiten. Der "Einbindung des Unternehmens in das totalitäre nationalsozialistische Wirtschaftssystem" bewußt, kann sich das kollektive Firmengedächtnis nicht auf Einzelheiten besinnen. Dazu wurde ein Forschungsauftrag an in- und ausländische Historiker vergeben.

Vialon half als Mann Adenauers und Hitlers

55 Jahre nachdem der Leiter des Finanzabteilung des Reichskommissars für die besetzten Ostgebiete, Dr. Karl Friedrich Vialon, den Erlaß des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes durchsetzte, "daß sämtliche Wertgegenstände aus jüdischem Besitz an den zuständigen Reichskommissar abzuliefern sind; er nimmt die Goldmünzen von der Ablieferungspflicht nicht aus", wovon Degussa profitierte, - da geben die Degussa-Herren sich ahnungslos und rufen nach Historikern. Doch soviel ist auch ohne neue Forschungen bekannt:

Leute wie Vialon sorgten lange Zeit dafür, daß Degussa Gold bekam und nach 1945 unbehelligt blieb, denn Vialon war Berater des Bundeskanzlers geworden und Staatssekretär in der Bundesregierung. 1942 begann das ganz große Degussa-Geschäft, als das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt an den Reichsführer SS Heinrich Himmler schrieb: "Ich bitte um Bestätigung, daß das künftig aus den normalen Abgängen der K.L. anfallende Bruchgold an die Reichsbank gegen Anerkennung abgeliefert werden darf" - und dann gelangte es zu Degussa und den Banken.

In einem Schreiben vom 31. Oktober 1940 an den Oberbürgermeister von Lodz/Litzmannstadt schrieb Degussa: "Leider sind wir bis heute ohne Ihre Rückäußerung zu unserem Angebot vom 10.10., die Verwendung von Gold- und Silberwaren aus jüdischem Besitz stammend, geblieben." Die Sache wurde geregelt. Nach Veröffentlichungen des Münchener Instituts für Zeitgeschichte konnte die Degussa befriedigt werden. Allein im April 1943 wurden aus dem Ghetto von Lodz eineinhalb Tonnen Bruchsilber und -gold "aus jüdischem Besitz stammend" geliefert. Eine ehemalige Degussa-Mitarbeiterin schilderte im Fernsehen, wie die Zahngoldstücke bei der Degussa ankamen: noch mit Blut und Zähnen daran. Mindestens 866 kg KZ-Gold im heutigen Wert von 8,2 Euro gingen durch die Bücher von Degussa; noch heute weisen die Scheidebücher von damals die Eintragungen über das "Judengold" kurz: "Jd." aus.

Die Zyklon-B-Hersteller waren auch wieder da

Was die Degussa- und IG-Farben-Aktivitäten bei Tötungen mittels Zyklon-B-Giftgas anbelangt, so war vor wie nach 1945 Prof. Carl Wurster die einflußreiche helfende Hand. Wurster war vor 1945 einer der leitenden Männer der IG Farben und der Degesch mbH., die Degussa und I.G. gemeinsam betrieben; wie wir heute wissen. Dabei war Degussa federführend. Nach 1945 wurde Wurster nur kurz als Angeklagter im IG-Farben-Prozeß behelligt, um dann BASF-Vorsitzender und Degussa-Aufsichtsratsmitglied zu werden, ferner Mitglied in vielen Wirtschaftsgremien, so in Aufsichtsräten der Deutschen Bank und mancher Degussa-Tochter.

Herr Wurster wurde 1948 im IG Farben-Prozeß nicht verurteilt, nicht einmal zu einer jener lächerlichen Strafen, wie sie dreizehn seiner Kollegen erhielten. Aber was in der Anklageschrift und der Urteilsbegründung von 1948 detailliert belegt und in dem Buch des Chefermittlers Joseph Borkin "Die unheilige Allianz der I.G. Farben" (Büchergilde Gutenberg 1979) geschildert wird, das ist so faktenreich und fundiert, daß es unmöglich ist, nicht empört zu sein über die späteren Degussa-Ausflüchte - Ankündigung der Erforschung der Firmengeschichte - und über Degussas "Verständnislosigkeit" hinsichtlich der Maßnahmen der Kläger. Pro 4 kg Zyklon B rechnete man mit 1000 Toten. Auch Hermann Schlosser (damals Degussa-Chef und nach 1945 wieder Degussa-Vorstandsmitglied) und Gerhard Peter (damals Degussa-Geschäftsführer) wußten Bescheid.

Was muß noch geschehen, bis die Degussa-Herren "Verständnis" zeigen? Vermutlich wird das nie der Fall sein. Wie lange wollen sie "forschen" lassen? Etwa so lange, bis auch die letzten Unterlagen über Zahngold und andere Wertsachen, die Juden in KZs geraubt worden waren, aus dem Bundesarchiv verschwunden sind, wie dies (laut afp vom 28.7.1998) in den sechziger und siebziger Jahren mit vielen Unterlagen geschehen ist?

Für die deutschen Konzerne mit globalen Interessen tat die Bundesregierung, was sie kann. Außenminister Joseph Fischer (Bündnisgrüne) ließ einem Gericht in den USA mitteilen, daß die Degussa "gezwungen" worden sei, das geraubte Zahngold der ermordeten Juden zu schmelzen, denn sie sei die einzige Firma, die dazu in der Lage gewesen sei.

Zahlreiche Dokumente belegen zwar, daß die Degussa, die "Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt", hinter dem Raubgold her war wie der Teufel hinter der armen Seele. Das sollten die Regierenden nicht gewußt haben, die den Persilschein für Degussa ausstellen ließen? Die Freundschaft der IG Farben, der Degussa, der deutschen Banken und Industriellen mit der SS, organisiert im Freundeskreis SS, wurde immer weiter auf neue Regierende übertragen - mit Erfolg: Degussa wurde von weiteren juristischen Nachstellungen in den USA befreit.