13.09.2012 Keppler
half Hitler an die Macht - Das deutsche Großkapital,
der „Keppler-Kreis“ und die NSDAP Eine unentbehrliche
Vorgeschichte des 30. Januar 1933 Wilhelm Keppler (*
14. Dezember 1882 in Heidelberg; † 13. Juni 1960 in
Friedrichshafen) studierte Maschinenbau und schloss sich den Corps
Frisia Karlsruhe und Baltica Danzig an. Ab 1921 war er einer von zwei
Direktoren und Mitinhaber der Odin-Werke zur Produktion von
Fotogelatine. Am 1. April 1932 wird er auf Anregung Hitlers
Gründer eines Unterstützerkreises für die
NSDAP aus Männern der Wirtschaft, des sogenannten
„Studienkreis für Wirtschaftsfragen“ oder
Keppler-Kreis. Der NSDAP war er im Jahre 1927 beigetreten
(Mitglieds-Nr. 62.424), später wird er SS-Mitglied und bringt
es zum Staatssekretär – und Angeklagten in
Nürnberg. Im März 1928 organisierte er eine Rede
Hitlers vor 650 Industriellen in Heidelberg, zu der er 800 Einladungen
verschickte. Ziel des Kreises war es, den
ökonomisch unerfahrenen Hitler in Wirtschaftsfragen zu beraten
und den Aufstieg der NSDAP zu fördern. Historisch bedeutsam
wurde die Vereinigung, als Keppler und der Bankier Kurt Freiherr von
Schröder den Kontakt zwischen Hitler und Franz von Papen
herstellten, der schließlich am 30. Januar 1933 zur
Machtübergabe an die Nationalsozialisten führen
sollte. In dieser Zeit, Anfang der 30er Jahre, wirkte Keppler u.a. in
Köln und arbeitete in der NSDAP-Gauleitung mit Robert Ley, dem
seinerzeitigen Gauleiter zusammen. Dr. Reiner
Zilkenat (Berlin) stellte in seiner im Juli 2012 entstandenen Arbeit
den Keppler-Kreis in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen,
die er für die Spurensuche „Verbrechen der
Wirtschaft an Rhein und Ruhr“ zur Verfügung stellte. Ihr Titel: Das deutsche
Großkapital, der „Keppler-Kreis“ und die
NSDAP: Eine
unentbehrliche Vorgeschichte des 30. Januar 1933 [Eine stark
gekürzte Version dieses Beitrages erschien in der
„jungen welt“, 18.5.2012, S. 10f.] Die
Legenden-Bildungen zu den Ursachen der Machtübergabe an die
NSDAP begannen bereits am 30. Januar 1933. Die deutschen
Faschisten selbst sprachen von „nationaler
Revolution“ und
„Machtübernahme“; sie proklamierten die
Schaffung einer klassenübergreifenden
„Volksgemeinschaft“. Bürgerliche
Autoren haben diese terminologischen Verschleierungs-Manöver
der Nazis übernommen, zu denen auch die Selbstbezeichnung der
deutschen Faschisten als „Nationalsozialisten“ und
die Bezeichnung für die Ereignisse um den 30. Januar 1933 als
Macht„ergreifung“ gehören. Sie sind
hierzulande Allgemeingut in den Schulbüchern und den
herrschenden Medien sowie in den am meisten verbreiteten Darstellungen
zur Geschichte des Faschismus. Allerdings: Zeigen nicht auch linke
Autorinnen und Autoren, einschließlich des Verfassers dieser
Zeilen, gelegentlich manche Unbefangenheit beim Gebrauch von Begriffen,
die von den deutschen Faschisten absichtsvoll zur Tarnung ihrer
politischen Ziele und zur Irreführung des Publikums
konstruiert worden waren? Derartige Praktiken dienen
seit mittlerweile achtzig Jahren einem einzigen Ziel: Ein genetischer
Zusammenhang zwischen der Entstehung und dem Wachstum der Nazi-Bewegung
einerseits und der herrschenden bürgerlich-kapitalistischen
Gesellschaftsordnung andererseits sowie die aktive
Unterstützung der Faschisten durch einflussreiche Kreise des
Großkapitals dürfen um keinen Preis in das
Geschichtsbewusstsein breiter Bevölkerungskreise eindringen;
sie müssen auch im akademischen Betrieb unerwünschte,
ja beschwiegene Themen bleiben. Die berühmte Formulierung Max
Horkheimers: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte
auch vom Faschismus schweigen“ [Max Horkheimer: Die Juden und
Europa, in: Zeitschrift für Sozialforschung, Bd. VIII, 1939,
H. 1-2, Reprint München 1970, S. 115f.], sei durch empirische
Forschung gegenstandslos geworden, so heißt es in einer weit
verbreiteten „Geschichte des Nationalsozialismus“,
gedacht für den akademischen Unterricht. [Siehe Michael Wildt:
Geschichte des Nationalsozialismus, Göttingen 2008, S. 9.
Ebenda werden die zu dieser Thematik publizierten Ergebnisse der
DDR-Geschichtswissenschaft ebenso unterschiedslos wie ignorant als
„in der Tat wissenschaftlich nicht viel wert“
disqualifiziert. Einige dieser „wertlosen“
Publikationen werden wir in den Anmerkungen dieses Beitrages
aufführen.] Die politischen Motive
derartiger Geschichtsmanipulationen hat einst der US-amerikanische
Historiker Henry A. Turner mit folgenden Worten definiert:
„Entspricht die weit verbreitete Ansicht, dass der Faschismus
ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist
dieses System kaum zu verteidigen. Ist diese Meinung jedoch falsch,
dann ist es auch die Voraussetzung, auf der die Einstellung vieler
Menschen zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung beruht. Die Frage
gehört zu denen, über die eine Einigung geboten ist,
wenn die Menschheit zu einem friedlicheren Neben- und Miteinanderleben
kommen soll.“ [Henry A. Turner: Faschismus und Kapitalismus
in Deutschland. Studien zum Verhältnis zwischen
Nationalsozialismus und Wirtschaft, Göttingen 1972, S.7.] Diesen
Einschätzungen ist durchaus zuzustimmen. Deshalb ist es am
Vorabend des 80. Jahrestages der Machtübergabe an die
deutschen Faschisten von immenser politischer Relevanz, sich mit dem
30. Januar 1933 und seiner Vorgeschichte zu befassen. Dies
erscheint um so notwendiger, als die Beziehungen zwischen der
faschistischen Bewegung und wichtigen Repräsentanten des
deutschen Großkapitals in der Zeit der Weimarer Republik seit
der „Abwicklung“ der Historikerinnen und Historiker
aus der DDR [Siehe zu dieser Thematik den Beitrag des US-amerikanischen
Historikers Mitchell G. Ash: Geschichtswissenschaft, Geschichtskultur
und der ostdeutsche Historikerstreit, in: Geschichte und Gesellschaft,
24. Jg., 1998, H. 2, S. 283ff., wo es u.a. heißt:
„…,dass der zwischen 1989 und 1994 erfolgte
Stellenabbau in den neuen Ländern allein im Hochschulbereich
mehr als zweimal größer war, als die beiden
Entlassungswellen von 1933 und 1945 zusammengenommen.“ (S.
287)], der pauschalen Verunglimpfung bzw. dem Verschweigen ihrer
einschlägigen Forschungsergebnisse und seit dem
Paradigmenwechsel innerhalb der westdeutschen Historiographie von der
Sozialgeschichte zur „weithin entpolitisierten
Forschungsrichtung einer unverdächtigen, häufig
harmlosen und braven, nichtoppositionellen Kulturgeschichte“
[Manfred Gailus: Was macht eigentlich die historische Protestforschung?
Rückblicke, Resümee, Perspektiven, in:
Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen.
Forschungen und Forschungsberichte, Nr. 34/2005. S. 141.], eine
bestenfalls randständige Thematik darstellen. Inzwischen haben
mehrere Generationen von Studierenden der Geschichtswissenschaft die
Universitäten verlassen, ohne mit dieser überaus
wichtigen Frage konfrontiert worden zu sein. [Anders verhält
es sich mit der Rolle großer Konzerne und Banken im
Faschismus an der Macht. Hier existieren mittlerweile – was
nicht zur Thematik dieses Artikels gehört – Studien
u.a. über die damalige Politik der Dresdner Bank, der
Deutschen Bank, des Allianz-Konzerns und des Verlagshauses Bertelsmann.
In einleitenden Kapiteln wird allerdings z.T. auch das jeweilige
Verhältnis dieser Unternehmen zur NSDAP vor 1933 angesprochen,
zumeist in exkulpatorischer Weise.] Ist dies mit der immer wieder
lauthals erhobenen Forderung nach „Pluralismus“ in
den Sozial- und Geisteswissenschaften – Theorien, Methoden
und Themen betreffend – in Einklang zu bringen? Geradezu
paradigmatisch erscheinen uns in diesem Zusammenhang die beiden
während einer wissenschaftlichen Tagung in Jena im Dezember
2009 gehaltenen Vorträge zu angeblichen Auffassungen der
DDR-Geschichtswissenschaft über das Verhältnis des
deutschen Monopolkapitals zum Faschismus an der Macht. [Siehe
Unternehmen im Nationalsozialismus. Zur Historisierung einer
Forschungskonjunktur, hrsg. v. Norbert Frei u. Tim Schanetzky,
Göttingen 2010. Darin finden sich folgende Beiträge
zur Thematik: Carola Sachse: Revisited: Primat der Politik, Primat der
Ökonomie, S. 48ff. (ein eher feuilletonistischer Beitrag mit
autobiographisch Einsprengseln über das Auffinden alter
Zeitschriften-Jahrgänge in heimischen Bücherregalen)
u. Jörg Osterloh: Die Monopole und ihre Herren. Marxistische
Interpretationen, S. 36ff. (eine sehr mutig formulierte
Überschrift, wie sich nach der Lektüre dieses
Vortragstextes herausstellt).] Abgesehen davon, dass in Jena noch
einige Historiker leben, die zu dieser Thematik zahlreiche
Publikationen vorgelegt haben und einen wissenschaftlichen Disput
sicherlich nicht gescheut hätten, verengen die Autoren den
Blick seltsamer Weise auf einen summarischen Überblick zur
Betriebsgeschichtsschreibung in der DDR sowie auf die nunmehr
über vierzig Jahre zurückliegende Kontroverse
zwischen Timothy W. Mason, Dietrich Eichholtz, Kurt Gossweiler und
Eberhard Czichon zur Frage des Primats der Ökonomie oder der
Politik im Faschismus an der Macht, die seinerzeit in den Spalten der
Westberliner Zeitschrift „Argument“
geführt und breit rezipiert wurde. [Siehe die Zusammenstellung
dieser Beiträge in: Argument-Studienhefte, Heft 6, Berlin
1978.] Die einschlägigen Publikationen aus den siebziger und
achtziger Jahren, z.B. von Joachim Petzold, Manfred
Weißbecker, Wolfgang Schumann, Gerhart Hass, Kurt
Pätzold, Wolfgang Ruge, Lotte Zumpe, Kurt Gossweiler, Werner
Röhr, Wolfgang Schlicker und Jürgen John –
um nur sie an dieser Stelle zu nennen – werden nicht in den
Blick genommen. Die Studien in den „Jenaer Beiträgen
zur Parteiengeschichte“ – sie hätten sich
vielleicht noch in den Beständen der
Universitätsbibliothek der Alma Mater Jenensis auffinden
lassen – , dem vierbändigen „Lexikon zur
Geschichte der bürgerlichen Parteien“ sowie die vor
allem in der „Zeitschrift für
Geschichtswissenschaft“, im „Jahrbuch für
Geschichte“ und im „Bulletin des
„Arbeitskreises ‚Zweiter
Weltkrieg’“ an der Akademie der Wissenschaften
publizierten Ergebnisse der seinerzeit auch international beachteten
Jenaer Colloquien zur Geschichte des Faschismus werden ebenfalls keiner
Erwähnung für würdig befunden. Aus
alledem folgt für uns, dass es an der Zeit ist, daran zu
erinnern, welchen Anteil deutsche Konzernlenker daran hatten, damit aus
dem „Trommler“ Adolf Hitler der
„Führer“ des verbrecherischsten aller
Regime werden konnte. Hitler
und die NSDAP – Lange Zeit kein Thema für das
Großkapital? Schon lange, bevor die NSDAP
eine wähler- und mitgliederstarke Partei wurde, galten ihr und
ihrem selbst ernannten „Führer“ Adolf
Hitler das Interesse nicht nur mittelständischer Unternehmer,
wie z.B. des Berliner Klavierproduzenten Carl Bechstein oder der
Münchner Verleger Julius Lehmann und Hugo Bruckmann, sondern
auch einflussreicher Herren aus den Vorstandsetagen deutscher Konzerne.
[Siehe Kurt Gossweiler: Kapital, Reichswehr und NSDAP 1919-1924, 2.,
durchgesehene Aufl., Berlin 1984, S. 339ff. u. 558ff; Helmuth Auerbach:
Hitlers politische Lehrjahre und die Münchner Gesellschaft
1919-1923. Versuch einer Bilanz anhand der neueren Forschung, in:
Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 25. Jg., 1977, H. 1,
S.1 ff., bes. S. 31f.] Hinter verschlossenen Türen wurde
Hitler immer wieder die Gelegenheit geboten, seine politischen
Ansichten und Ziele unverblümt auszuplaudern – ohne
die lästige Rücksichtnahme auf die ansonsten in der
Öffentlichkeit verkündeten Phrasen über
einen angeblich angestrebten „nationalen
Sozialismus“. Meilensteine derartiger Auftritte bildeten
seine Rede vor dem renommierten „Hamburger Nationalklub von
1919“ am 28. Februar 1926 [Dieser Club wurde geleitet von Max
v. Schinckel, dem Direktor der Filiale der Deutschen Bank in Hamburg,
die weitgehend das Überseegeschäft des schon damals
bedeutendsten Kreditinstituts Deutschlands managte. Schinckel war
außerdem der von 1910 bis 1933 amtierende
Aufsichtsratsvorsitzende der größten deutschen
Reederei, der Hamburg-Amerika Paketfahrt AG (HAPAG) sowie Mitglied des
Engeren Ausschusses
(„Aufsichtsratspräsidium“) des
Aufsichtsrates bei der Gelsenkirchener Bergswerks AG. Siehe Vossische
Zeitung, Nr. 353, 27.7.1933 sowie die vom 16.3.1933 datierte
Ausarbeitung der Volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben
über die Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat der
HAPAG: Bundesarchiv Berlin (im Folgenden: BArch), R 8128/2187, unfol.]
und mehrere Ansprachen vor Großkapitalisten und Managern an
Rhein und Ruhr im gleichen und im darauf folgenden Jahr. [Siehe Kurt
Gossweiler: Hitler und das Kapital 1925-1928, in: derselbe:
Aufsätze zum Faschismus. Mit einem Vorwort von Rolf Richter,
2., durchgesehene Aufl., Berlin 1988, S. 486ff.] Hier
bejubelten die anwesenden Herrschaften regelmäßig
die von Hitler artikulierten politischen Auffassungen, bei denen es im
Kern stets um die Notwendigkeit einer Vernichtung der Organisationen
der Arbeiterbewegung, die Zerstörung der
bürgerlich-parlamentarischen Demokratie und um die
zielstrebige politische, ideologische und materielle Vorbereitung eines
zweiten „Griffs nach der Weltmacht“ durch den
deutschen Imperialismus ging. In einem Brief vom
30. März 1927 an Walter Hewel, Teilnehmer des gescheiterten
„Hitler-Ludendorff-Putsches“ am 9. November 1923 in
München, schildert Rudolf Hess, der Sekretär Hitlers
und später sein Stellvertreter innerhalb der NSDAP, welche
Wirkung der Nazi-„Führer“ bei den
Zuhörern im Ruhrgebiet erzielen konnte: „Wie in
Hamburg, so war auch hier die Stimmung erst ziemlich kühl,
ablehnend, teils saß man mit spöttischem
Lächeln dem Volkstribunen gegenüber. Ich hatte
große Freude daran, beobachten zu können, wie sich
die Herren allmählich umstellten, wobei man ihnen ihr
innerliches Sträuben anmerkte. Zum Schluss wurde geklatscht,
wie diese Herren wohl selten klatschten.“ [Zitiert nach
ebenda, S. 500.] Wiederum an Hewel adressiert, heißt es
rückblickend in einem Schreiben vom 8. Dezember 1928:
„Jedes Mal sprach er (Hitler-R.Z.) auch in Essen vor einem
geladenen Kreis von Wirtschaftlern, Wissenschaftlern usw. in einer
denen gemäßen Weise. Immer
größere Säle mussten auch für
diese Veranstaltungen genommen werden. Zum Schluss nahmen die Spitzen
der Wirtschaft teil…Stets restlose Zustimmung, und ein
Beifall, wie man ihn bei diesen Kreisen nicht gewohnt ist.“
[Zitiert nach ebenda.] Aus
Hitlers Rede am 28. Februar 1926 vor dem „Hamburger
Nationalklub von 1919“: „Die
Aufgabe meiner Bewegung ist sehr eng umschrieben: die
Zertrümmerung und Vernichtung der marxistischen
Weltanschauung. Ich muss eins herausgreifen: die Zertrümmerung
und Vernichtung, das ist etwas wesentlich anderes als das, was die
bürgerlichen Parteien als Ziel vor den Augen haben. Den
bürgerlichen Parteien schwebt als Ziel nicht die Vernichtung
vor, sondern nur ein Wahlsieg. (…) Das wäre anders,
wenn man prinzipiell kämpfen sollte. Einer bleibt dann am
Boden liegen, entweder der Marxismus rottet uns aus oder wir rotten ihn
aus bis zur letzten Spur. Diese Formel würde
naturgemäß eines Tages eine Macht bringen, die
allein regiert, so, wie in Italien heute eine Weltanschauung, eine
Macht regiert, die den anderen rücksichtslos das Genick
zermalmt und zerbricht und kein Hehl daraus macht, dass der Kampf erst
an dem Tag beendet ist, an dem der andere restlos erledigt
ist...(…)Wenn man begriffen hat, dass die Schicksalsfrage
darin besteht, dass der Marxismus gebrochen wird, dann muss auch jedes
Mittel recht sein, das zum Erfolg führen kann. Das ist das
erste: eine Bewegung, die das durchführen will, muss sich an
die breite Masse wenden, an die Masse, mit der der Marxismus selbst
kämpft. Eine solche Bewegung kann sich nur an die Mannesfaust
wenden, die weiß, man kann Gift nur durch Gegengift
brechen.(…) So muss eine Bewegung,…die zum Kampf
ausholen will, sich selbst der Masse bedienen…Diese breite,
sture Masse, die vernarrt, verbohrt, für den Marxismus
kämpft, ist die einzige Waffe für die Bewegung, die
den Marxismus brechen will. Mit nichts anderem würden wir
dieser Weltpest Herr werden. (…) Wenn eine Bewegung aber an
die breite Masse appellieren will,…tritt das große
Recht in Erscheinung, dass dann jedes Mittel zu verantworten ist, das
zum Ziele führt. (Bravo!) .“ Werner Jochmann: Im Kampf um die
Macht. Hitlers Rede vor dem Hamburger Nationalklub von 1919, Frankfurt
a.M. 1960, S. 102f., 104, 106. Hervorhebungen von mir – R.Z.
Auch in: Hitler. Reden – Schriften – Anordnungen.
Februar 1925 bis Januar 1933, Bd. I, hrsg. u. kommentiert v. Clemens
Vollnhals, München u.a. 1992, S. 318f., 319f., 320, 321. Die
von Hitler in seinen Reden propagierten Anschauungen – sie
waren weitgehend identisch mit den Grundelementen seiner Ansprache vor
dem „Hamburger Nationalklub“ –
waren durchaus kompatibel mit nicht wenigen Vorstellungen
einflussreicher Exponenten des Monopolkapitals, aber auch mit
grundsätzlichen Zielstellungen ihrer beiden wichtigsten
Interessenverbände, des Reichsverbandes der Deutschen
Industrie (RDI) und der Vereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände, die in entsprechenden Denkschriften wie
auch in nicht-öffentlichen Erklärungen
gegenüber den Reichsregierungen [Siehe für die Zeit
der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise das aussagekräftige
Material in: Politik und Wirtschaft in der Krise 1930-1932. Quellen zur
Ära Brüning, bearb. v. Ilse Maurer u. Udo Wengst
unter Mitwirkung v. Jürgen Heideking, Düsseldorf
1980, 2 Teile.] abgegeben worden waren. Dabei war
die im Dezember 1929 vom RDI publizierte programmatische Denkschrift
mit dem dramatisch klingenden Titel „Aufstieg oder
Niedergang?“ von herausragender Bedeutung. [Siehe Aufstieg
oder Niedergang? Deutsche Wirtschafts- und Finanzreform 1929. Eine
Denkschrift des Präsidiums des Reichsverbandes der Deutschen
Industrie, Berlin 1929 (Veröffentlichungen des RDI, Nr. 49).
Ähnlich: Die Reform der Sozialversicherung – eine
Schicksalsfrage des deutschen Volkes. Vorschläge der
Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Berlin 1930
sowie: Abänderungsvorschläge der Vereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände zur Schlichtungsordnung, Berlin,
im April 1929 (Exemplar in: BArch, R 8034 II/4208, Bl. 178ff.). Zur
Vorbereitung und Bedeutung der Denkschrift des RDI sowie zur bereits an
der Jahreswende 1928/29 begonnenen Kapitaloffensive siehe Reiner
Zilkenat: „Der Feind steht links!“ Kapitaloffensive
gegen Demokratie und Arbeiterbewegung 1929, in: Rundbrief, H.
3-4/2009, S. 26ff.] Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen eines
rigiden Sozialabbaus bei gleichzeitiger drastischer Senkung der Steuern
und Abgaben für die Unternehmen, wobei die Gewerbesteuer
vollständig abgeschafft werden sollte, sowie die mit dem
Begriff einer „Verwaltungsvereinfachung“
propagierten Maßnahmen eines nachhaltigen Demokratieabbaus,
konnten letztlich nur mit Hilfe eines autoritären Regimes und
nach der politischen Ausschaltung der Gewerkschaften und
Arbeiterparteien durchgesetzt werden. [Unverständlich ist,
dass Reinhard Neebe behauptet, die in dieser Denkschrift
vorgeschlagenen Maßnahmen, seien „durchaus
innerhalb des politischen Systems von Weimar durchzusetzen“
gewesen. Reinhard Neebe: Konflikt und Kooperation 1930-1933:
Anmerkungen zum Verhältnis von Kapital und Arbeit in der
Weltwirtschaftskrise, in: Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat.
Zum Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik in der
Industriegesellschaft, hrsg. v. Werner Abelshauser, Stuttgart 1987, S.
229. Hervorhebung v. Verf. Dies ist um so weniger zutreffend, als die
Kommentierungen dieser Denkschrift während der Tagung des
Reichsverbandes der Deutschen Industrie im Dezember 1929 in Berlin
durch führende Industrielle und in der
„unternehmerfreundlichen“ Presse (u.a. Deutsche
Allgemeine Zeitung, Berliner Börsen-Zeitung) an Deutlichkeit
wenig zu wünschen übrig ließen.
Ähnlich wie Neebe wird auch in der ausführlichen
Analyse von „Aufstieg oder Niedergang“ bei Michael
Grübler: Die Spitzenverbände der Wirtschaft und das
erste Kabinett Brüning. Vom Ende der Großen
Koalition 1929/30 bis zum Vorabend der Bankenkrise 1931. Eine
Quellenstudie, Düsseldorf 1982, S. 55., die Sprengkraft der
hier niedergelegten Forderungen für das politische und soziale
System der Weimarer Republik und die ihnen immanente Perspektive eines
autoritären Regimes verkannt. Siehe zur RDI-Tagung im
September 1929 in Düsseldorf, auf der die Publikation einer
grundlegenden Denkschrift zur Wirtschafts- und Finanzpolitik
beschlossen und mit geharnischten Reden führender
Industrieller vorbereitet wurde: Mitgliederversammlung des
Reichsverbandes der Deutschen Industrie vom 20. und 21. September 1929
in Düsseldorf, Berlin 1929 (Veröffentlichungen des
RDI, Nr. 48). Siehe auch: Vorwärts, Nr. 440, 22.9.1929:
„Abgesteckte Kampfziele. Zur Unternehmertagung in
Düsseldorf“; ebenda, Nr. 455, 28.9.1929:
„Vor schweren Kämpfen. Das Großkapital
rüstet zum Angriff“. Zur Dezember-Tagung des RDI,
auf der die Denkschrift präsentiert wurde, siehe
Vorwärts, Nr. 583, 23.12.1929: „Die Tagung der
Unternehmer“.] Derartige Vorschläge
bestätigten: Das Verhältnis der
deutschen Monopolbourgeoisie zur Weimarer Republik war vornehmlich
taktischer Natur. Die in der Novemberrevolution und danach von der
Arbeiterklasse erkämpften politischen und sozialen
Errungenschaften wurden von ihnen nur solange anerkannt, wie sie dazu
beitrugen, in der Zeit der revolutionären Nachkriegskrise die
kapitalistischen Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse
stabilisieren zu helfen. So schnell als möglich wollten sie
z.B. den Acht-Stunden-Arbeitstag, die Anerkennung der Gewerkschaften
als gleichberechtigte Tarifpartner, die Verbindlichkeit der
abgeschlossenen Tarifverträge, den Rechtsanspruch auf
Arbeitslosengeld für Erwerbslose, die Möglichkeiten
des Staates, als Schlichter in ergebnislos geführte
Tarifverhandlungen einzugreifen
(„Zwangsschlichtung“), die Ausbreitung des
kommunalen Wohnungsbaus, die Etablierung eines öffentlichen
Sektors in der Volkswirtschaft und das Betriebsrätegesetz
wieder außer Kraft setzen, mithin das gesamte System der
staatlichen Sozialpolitik bis zur Unkenntlichkeit reduzieren und es auf
den Stand vor der Revolution von 1918/19
zurückführen. [Siehe hierzu Michael Schneider:
Unternehmer und Demokratie. Die freien Gewerkschaften in der
unternehmerischen Ideologie der Jahre 1918 bis 1933, Bonn u. Bad
Godesberg 1975. Siehe auch die folgenden Studien von Jürgen
John: Verbandspolitik und Rechtsentwicklung 1922-1926. Zur politischen
Rolle der Spitzenverbände des deutschen Monopolkapitals in der
Weimarer Republik, in: Jahrbuch für Geschichte, Bd. 24, 1981,
S. 127ff.; Die Faschismus-„Kritik“ in der
Zeitschrift „Der Arbeitgeber“. Zur Politik der
Spitzenverbände der deutschen Monopolbourgeoisie 1923/24-1932,
in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (im Folgenden:
ZfG), 30. Jg., 1982, H. 12, S. 1072ff.; Industrieverbände und
Politik. Entwicklungstendenzen im kapitalistischen Deutschland bis
1933, in: ZfG, 34. Jg., 1986, H. 11, S. 976ff.; Ernst v. Borsigs
„Betrachtungen“ zur Sozialpolitik 1927, in: ZfG,
37. Jg., 1989, H. 12, S. 1083ff.] Vor allem: Sollte endlich der
Zeitpunkt herangereift sein, um den im eigenen Kontor praktizierten
„Herr-im-Hause“-Standpunkt kompromisslos auf den
Staat übertragen zu können, so galt es, zielgerichtet
zu handeln. Als politischer Bündnispartner spielte die
faschistische Partei mangels Massenanhang dabei zunächst nur
eine untergeordnete Rolle. Doch
seit dem 14. September 1930, nachdem bei den Wahlen zum Reichstag die
zuvor unbedeutende NSDAP zur zweitstärksten Partei nach der
SPD avanciert war [Siehe Reiner Zilkenat: „Eine schwarze
Stunde für Deutschland!“ Die NSDAP und die
Reichstagswahlen vom 14. September 1930, in: Rundbrief, Heft 3-4/2010,
S.60ff.], und angesichts einer sich verschärfenden
ökonomischen und gesellschaftlichen Krisis bisher nicht
gekannten Ausmaßes, wurde für die Vertreter des
Großkapitals die Frage akut: „Wie halten
wir’s mit der NSDAP“? Emil Kirdorf als Protektor der
NSDAP Allerdings ist bei der Beantwortung dieser
Fragestellung die zutreffende Aussage Gerald D. Feldmans zu beachten,
dass es, „bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen,
für die Wirtschaft nicht opportun war, enge Beziehungen zu
ihnen in aller Offenheit zu pflegen. Nur ein paar Einzelgänger
wie Fritz Thyssen und Emil Kirdorf machten sich nichts daraus, sich
öffentlich mit der NSDAP zu identifizieren.“ [Gerald
D. Feldmann: Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft
1933-1945, München 2001, S. 78. Hervorhebung von mir-R.Z.] Tatsächlich
gehörten die beiden genannten Exponenten der
rheinisch-westfälischen Schwerindustrie zu den
Nazi-Propagandisten der ersten Stunde. [Die in diesem Beitrag
angeführten Funktionen von Großindustriellen,
Managern und Bankiers, die den Faschismus unterstützten, habe
ich folgenden zeitgenössischen Veröffentlichungen
entnommen: Handbuch der deutschen Wirtschaft 1927, hrsg. v.
Alfons Nobel, Berlin u. Leipzig 1927; Deutscher
Wirtschaftsführer. Lebensgänge deutscher
Wirtschafts-Persönlichkeiten, bearb. v. Georg Wenzel, Hamburg
u.a. 1929; Handbuch der deutschen Gesellschaft. Das Handbuch der
Persönlichkeiten in Wort und Bild, Berlin 1931, 2 Bde.;
Degeners Wer ist’s? , verschiedene Jahrgänge.
Außerdem: Neue Deutsche Biografie, diverse Bände;
Hermann Weiß, Hrsg.: Biographisches
Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 2002. Herangezogen wurden
auch zeitgenössische Zeitungs- und Zeitschriftenartikel,
Protokolle von Verbandstagungen sowie Unterlagen in den Akten der IG
Farben und der Berliner Handelsgesellschaft, die im Bundesarchiv
Berlin-Lichterfelde verwahrt werden. Angaben aus der
Sekundärliteratur wurden in der Regel nicht
übernommen; bei sich widersprechenden Angaben, die nicht
zweifelsfrei überprüft werden konnten, werden die
angeblich ausgeübten Funktionen nicht genannt. Worum es geht,
sind möglichst präzise Angaben über die
jeweiligen Funktionen im Jahre 1932, dem Jahr der Konstituierung des
Keppler-Kreises und der Überreichung der Industriellen-Eingabe
an Hindenburg.] Der 1847 geborene Kirdorf galt als
der „große, alte Mann“ an Rhein und Ruhr.
[Siehe Henry A. Turner: Faschismus und Kapitalismus in Deutschland, S.
60ff., der allerdings die bedeutsame Rolle Kirdorfs, Adolf Hitler und
seine Partei in den Kreisen der Mächtigen von Rhein und Ruhr
„gesellschaftsfähig“ zu machen, sehr stark
relativiert. Dagegen wird die große
Autorität und der Einfluss Kirdorfs unter den
Großindustriellen im rheinisch-westfälischen
Industriegebiet angemessen bewertet bei Kurt Gossweiler, Hitler und das
Kapital 1925-1928, S. 479f., 483f., 486ff., bes. 492ff.] Von
1893 bis 1926 amtierte er als Generaldirektor des
größten Bergbau-Unternehmens in Deutschland, der
Gelsenkirchener Bergwerks-AG; bis 1927 gehörte er
überdies dem Vorstand der Siemens-und-Halske-Werke an. Bereits
in der wilhelminischen Ära unterstützte er mit
großem finanziellem Aufwand verschiedene reaktionäre
Organisationen und Publikationsorgane, vor allem den Alldeutschen
Verband. [Siehe Johannes Leicht: Heinrich Claß 1868-1953. Die
politische Biographie eines Alldeutschen, Paderborn 2012, S. 116f..
173f., 212f., 216f., 230f., u. 248f.] Dessen „Bamberger
Erklärung“ vom Januar 1919, in der die Verantwortung
Kaiser Wilhelms II., der militärischen, politischen und
wirtschaftlichen Eliten des Deutschen Reiches an der Entfesselung des
Ersten Weltkrieges sowie an der erlittenen Niederlage vehement
geleugnet und eine offene Kampfansage an die in der Novemberrevolution
wirkenden sozialistischen und anderen demokratischen Kräfte
formuliert worden war, hatte er als Mitglied der
fünfköpfigen Hauptleitung des Verbandes mit
unterzeichnet. [Siehe BArch, R 8048/256, Bl. 71ff.] Auch
in den Jahren seines Ruhestandes genoss Kirdorf große
Autorität und behielt beträchtlichen Einfluss unter
den Monopolherren der Schwerindustrie, zumal er weiterhin
Aufsichtsrats-Mandate u.a. bei den Vereinigten Stahlwerken, den
Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (RWE) und
der Großbank Disconto-Gesellschaft ausübte.
„Seiner“ Gelsenkirchener Bergwerks-AG blieb er als
Mitglied des Aufsichtsratspräsidiums auch fernerhin verbunden.
Im Juli 1927 schloss er sich im Ergebnis eines
viereinhalbstündigen Gesprächs mit Hitler der NSDAP
an (Mitglieds-Nummer 71032) [Siehe Rheinisch-Westfälische
Zeitung, Nr. 377, 28.7.1935: „Begegnung mit Adolf Hitler.
Eine Unterredung mit Emil Kirdorf“ u. Thomas Trumpp: Zur
Finanzierung der NSDAP durch die deutsche Großindustrie.
Versuch einer Bilanz, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht,
32. Jg., 1981, H. 4, S. 226. Das Gespräch Hitlers mit Kirdorf
fand am 4. Juli 1927 in der Villa von Elsa Bruckmann statt, der Ehefrau
des wohlhabenden Münchner Verlegers Hugo Bruckmann.] und
spendierte der faschistischen Partei als
„Eintrittsgebühr“ 100.000 Mark. Noch im
gleichen Monat organisierte Kirdorf in seinem Haus ein exklusives
Treffen Hitlers mit anderen führenden Industriellen. Bereits
ein Jahr später verließ er jedoch wieder die NSDAP.
Für bürgerliche Historiker wird dies stets als Beleg
für seine schnell vollzogene „Entfremdung“
von der Nazipartei angeführt, geradezu paradigmatisch
für das Verhältnis Großindustrieller zur
NSDAP. [Siehe Henry A. Turner: Die Großunternehmer und der
Aufstieg Hitlers, Berlin 1985, S. 416.] Die Fakten vermitteln jedoch
ein anderes Bild, denn die Motive für seinen Parteiaustritt
waren keineswegs grundsätzlicher Natur. In
einer persönlichen Stellungnahme über seine
Beziehungen zur Nazipartei formulierte er, dass die NSDAP „im
Revier eine Richtung einschlug, gegen die ich mich wenden
musste“. Für Hitler empfinde er jedoch weiterhin
„warme Freundschaft und Hochschätzung“
[Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 397, 23.8.1930: „Eine
Erklärung Kirdorfs“. Der spätere
Nazi-Journalist August Heinrichsbauer, der über exzellente
Verbindungen zu den Mächtigen an Rhein und Ruhr
verfügte und in deren Auftrag einen Pressedienst
(„Rheinisch-Westfälische
Wirtschaftskorrespondenz“) herausgab und redigierte sowie
regelmäßig als Autor in der von der Vereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände herausgegebenen
Zeitschrift „Der Arbeitgeber“ hervortrat,
würdigte auf der Titelseite der „Berliner
Börsen-Zeitung“ Kirdorfs
„Verdienste“ anlässlich seines 80.
Geburtstages: „Einem Großen zu Ehren! Emil Kirdorf
zum 80. Geburtstag“, in: Berliner Börsen-Zeitung,
Nr. 165, 8.4.1927. Hier hieß es u.a. in unfreiwilliger Komik:
„Weder geldlicher Gewinn noch Hang zum Beherrschen sind
für das Lebenswerk Kirdorfs ausschlaggebend gewesen, sondern
die reineren Tugenden der pflichtbewussten Tat, des freudigen Schaffens
an der Wirtschaft…Sozial-reaktionär ist Kirdorf nie
gewesen.“ Er sei vielmehr der
„Repräsentant des vollendetsten
Arbeitertypus“.]. Warum ist es wichtig, an diese Episode zu
erinnern? Zum einen bezog sich das, was hier als die
„Richtung“ der NSDAP „im
Revier“ umschrieben wird, auf die in der Parteipropaganda
stark akzentuierte antikapitalistische Phraseologie, die besonders dem
Ziel diente, den beiden Arbeiterparteien möglichst viele
Anhänger und Wähler abspenstig zu machen. Die NSDAP
im Ruhrgebiet hatte durch entsprechende propagandistische
Aktivitäten, die Hitler in ihrer zugespitzten Form nicht
billigte und die schließlich zu einer personellen und
organisatorischen Neustrukturierung der Parteiarbeit an Rhein und Ruhr
geführt hatte [Siehe Kurt Pätzold u. Manfred
Weißbecker: Geschichte der NSDAP 1920-1945, Köln
1981, S. 88ff.], tiefes Misstrauen, ja offene Ablehnung bei den Herren
der Schwerindustrie verursacht. Vor allem die Publikation von
„14 Thesen der Deutschen Revolution“ im Juli 1929
sorgte für großes Aufsehen. Die 8. These
formulierte, man verwerfe „individuelle Wirtschaftssysteme
des Kapitalismus, dessen Sturz die Voraussetzung zum Gelingen der
Deutschen Revolution ist.“ [Zitiert nach dem Quellenanhang
bei Reinhard Kühnl: Die nationalsozialistische Linke,
Meisenheim am Glan 1966, S. 289.] Kirdorf und
andere Industrielle befürchteten, dass hier eine
Büchse der Pandora geöffnet wurde. Niemand konnte
sich dafür verbürgen, dass diese lauthals
postulierten Ziele eines Kampfes gegen „den“
Kapitalismus sich nicht nur gegen das „raffende
jüdische Kapital“ und die
„Plutokraten“, sondern am Ende gegen sie selbst,
das „schaffende deutsche Kapital“, wie es in der
faschistischen Terminologie hieß, richten könnten.
Kirdorf blieb der NSDAP allerdings eng
verbunden, auch wenn er jetzt innerhalb der vom Medien-Mogul Alfred
Hugenberg geführten Deutschnationalen Volkspartei (DNVP)
agierte. So war er u.a. Gast auf dem Parteitag der NSDAP im August 1929
in Nürnberg, wo Hitler ihn persönlich bat, auf der
Ehrentribüne Platz zu nehmen, spendierte den Nazis weiterhin
bedeutende Summen aus eigener Tasche, vermittelte Hitler streng
vertrauliche Treffen mit anderen Großindustriellen von Rhein
und Ruhr und wurde folgerichtig im „Dritten Reich“
der Faschisten mit dem Goldenen Parteiabzeichen sowie der Anwesenheit
von Hitler und Goebbels bei den Feierlichkeiten zu seinem 90.
Geburtstag im April 1937 geehrt. Fritz Thyssen –
„Der gewaltigste unter den Machthabern des
Ruhrgebietes“ als Finanzier der NSDAP Fritz
Thyssen zählte wie Kirdorf zu den mächtigsten
Exponenten der Schwerindustrie an Rhein und Ruhr. Er sei „als
Vorsitzender des Aufsichtsrates der Vereinigten Stahlwerke AG mit einem
Aktienkapital von 800 Millionen Mark der gewaltigste und auch der
schärfste unter den Machthabern des Ruhrgebietes“
[Vorwärts, Nr. 537, 13.11.1928.], urteilte der
sozialdemokratische „Vorwärts“. Vieles
sprach für die Richtigkeit dieser Annahme. Seit
der Bildung der Vereinigten Stahlwerke AG im Jahre 1926, des nach der
United States Steel Corporation zweitgrößten
schwerindustriellen Konzerns weltweit, amtierte er als Vorsitzender des
Aufsichtsrates. Daneben war er stellvertretender
Aufsichtsratsvorsitzender der zum Flick-Imperium gehörenden
Mitteldeutschen Stahlwerke AG. Weitere Aufsichtsratsmandate nahm er z.
B. bei der Gelsenkirchener Bergwerks AG, den Siemens-Schuckert-Werken,
bei den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken,
bei der Bremer Vulcan Schiffbau- und Maschinenfabrik und bei der UfA
wahr. Außerdem war er Mitglied des Zentralausschusses der
Deutschen Reichsbank sowie des Präsidiums des RDI und der
Ruhrlade. Dabei handelte es sich um einen im Januar 1928
gegründeten, im Verborgenen wirkenden Kreis von wenigen
Großindustriellen des Ruhrgebietes, die für
bürgerliche Parteien, einschließlich der NSDAP,
finanzielle Mittel für die Organisierung von
Wahlkämpfen, aber auch für die Herausgabe von
„industrie-freundlichen“ Zeitungen, darunter die
renommierte „Deutsche Allgemeine Zeitung“ sowie den
exklusiven „Berliner Herrenklub“, bereit stellten.
[Siehe Henry A. Turner: Faschismus und Kapitalismus in Deutschland, S.
114ff.; Gustav Luntowski: Hitler und die Herren an der Ruhr.
Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich, Frankfurt a.M. u.a.
2000, S. 15ff., 37ff., 51f. u. 59. Siehe auch Wolfgang Ruge: Die
„Deutsche Allgemeine Zeitung“ und die
Brüning-Regierung. Zur Rolle der Großbourgeoisie bei
der Vorbereitung des Faschismus, in: ZfG, 16. Jg., 1968, H. 1, S.
19ff.] Offenbar wurden hier auch die Vorgehensweisen bei
Tarifauseinandersetzungen in der rheinisch-westfälischen
Schwerindustrie koordiniert. [Siehe z.B. Bundesarchiv –
Zwischenarchiv Hoppegarten – R 13 I/403, Bl. 44: Aufzeichnung
des Geschäftsführers des Vereins Deutscher Eisen- und
Stahlindustrieller und Reichstagsabgeordneten der DNVP, Dr. Jakob W.
Reichert, vom 3. Dezember 1930 (Handschriftlicher Vermerk Reicherts:
„Nicht für die Presse“), wo es um die in
der Ruhrlade abgesprochene Strategie der Industriellen
anlässlich des Ruhrbergarbeiterstreiks an der Jahreswende
1930/31 ging.] Wie Reinhard Neebe schreibt,
handelte es sich hier um „das
‚Geheimkabinett’ der Schwerindustrie in der
Weimarer Republik“, um die „Clearing-Stelle der
westlichen Kohle- und Eisenindustrie“. [Siehe Reinhard Neebe:
Großindustrie, Staat und NSDAP 1930-1933. Paul Silverberg und
der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer
Republik, Göttingen 1981, S. 21 u. 88.] Ihre Tagungen spielten
sich im Verborgenen ab, auf den Landsitzen der beteiligten
Großindustriellen, teilweise auf dem Jagschloss
Blühmbach in der Nähe von Salzburg, das Gustav Krupp
von Bohlen und Halbach aus dem Nachlass des im Juli 1914 ermordeten
österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand erworben hatte.
Insgesamt gehörten nicht mehr als zwölf
Persönlichkeiten zu diesem illustren Gremium; außer
Thyssen und Krupp waren es unter anderem Paul Reusch, Albert
Vögler, Fritz Springorum und Paul Silverberg, von denen noch
die Rede sein wird. Thyssen hatte bereits 1923, im
Jahr des Hitler-Ludendorff-Putsches in München, die
Bekanntschaft Hitlers gemacht. Im Mai 1930 stellte er ihm 100.000 Mark
zur Verfügung. Damit wurde der Ankauf einer
repräsentativen Immobilie in München
ermöglicht, um hier das „Braune Haus“ als
Parteizentrale der Nazipartei einzurichten. Nach den
Tagebuch-Aufzeichnungen von Otto Wagener, einem Wirtschaftsberater und
engem Vertrauten Hitlers, war Thyssen überdies „der
Hauptfinanzier Görings“ [Hitler aus
nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten (Otto
Wagener) 1929-1932, hrsg. v. Henry A. Turner, Frankfurt a. M. u.a.
1978, S. 441. Ebenda, S. 390, vermerkt Wagener, dass
Göring, der einen sehr aufwendigen Lebenswandel pflegte,
„von der Ruhrindustrie“ monatlich 3.000 Reichsmark
zur Verfügung gestellt worden seien. Siehe auch Gustav
Luntowski: Hitler und die Herren an der Ruhr, S. 48ff.], den er
vorzugsweise „meinen Freund Hauptmann
Göring“ nannte. Die entsprechenden finanziellen
Transaktionen spielten sich offensichtlich recht unspektakulär
ab. Einmal erhielt Göring von Thyssen Bargeld im Restaurant
eines seiner Hüttenwerke ausgehändigt, ein anderes
Mal entnahm der spätere „Reichsmarschall“
mit Hilfe eines Zweitschlüssels eine
größere Summe aus einem Bankschließfach
des Ruhrmagnaten. [Siehe Thomas Trumpp: Zur Finanzierung der NSDAP, S.
229.] Thyssen pflegte „forsch“
aufzutreten und aus seinen extrem reaktionären
Überzeugungen kein Geheimnis zu machen. [Goebbels notierte
über Thyssen am 18. Januar 1932 in sein Tagebuch:
„Er ist der Schneidigste. Und er hat mich sehr gerne. Hat
einen klaren Kopf.“ Die Tagebücher von Joseph
Goebbels. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte hrsg. v.
Elke Fröhlich, Teil I, Bd. II/2, bearb. v. Angela Hermann,
München 2004, S. 198.] Großes Aufsehen erregte
dieser Ruhr-Magnat, als er am 27. November 1930 bei einer Tagung des
Hauptausschusses des RDI den anwesenden Reichskanzler Heinrich
Brüning (Zentrum) frontal angriff. Der sensationelle
Wahlerfolg der NSDAP lag erst zwei Monate zurück:
„Die politische Führung, die wir bisher hatten, war
keine glückliche. Man kann sich nicht wundern, wenn angesichts
dieser Tatsache eine Bewegung im Reiche entsteht, wie sie sich bei den
letzten Wahlen gezeigt hat. Ich möchte nur wünschen,
Herr Reichskanzler, dass es Ihnen gelingt, die Bewegung aller
nationalen Kreise hinter sich zu ziehen; denn ich glaube, dass erst
dann Sie vollen Erfolg mit Ihren Absichten haben werden.“
[Zitiert nach: Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP
1930-1933, S. 86. Zur zeitgenössischen Berichterstattung
über diesen Vorfall siehe: Der Tag, Nr. 284, 28.11.1930 sowie
Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 561, 28.11.1930. Bei dieser Tagung war
auch Hans Luther zugegen, der Präsident der Deutschen
Reichsbank.] Neben ablehnendem
„Zischen“ vermerkt das Protokoll auch Beifall
für diese Ausführungen Thyssens, die eine
unverzügliche Regierungsbeteiligung der NSDAP beinhalteten.
Doch die Zeit schien dafür noch nicht reif zu sein. Denn der
RDI und viele Großindustrielle unterstützten zu
jener Zeit noch Heinrich Brüning (Zentrum), der mit Hilfe von
Notverordnungen des Reichspräsidenten gemäß
Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung regierte und insgeheim
anstrebte, die Monarchie mit einem der Enkel Wilhelms II. als neuem
„Deutschen Kaiser“ zu restitituieren. [Siehe
Heinrich Brüning: Memoiren 1918-1934 (Taschenbuchausgabe),
München 1972, Bd. 2, u.a. S. 442, 479f., 542f. u. 551.] Er
schien in der Phase der sich zuspitzenden ökonomischen Krise
der geeignete Mann zu sein, um die Teilhabe des Reichstages, der
Parteien und Gewerkschaften am politischen Entscheidungsprozess
entscheidend zurückzudrängen und den Weg in ein
autoritäres Regime zu öffnen. Wirtschaftspolitische
Dissonanzen Die Zeit arbeitete jedoch für
die NSDAP. Denn der Wahlerfolg der Faschisten bei den Reichstagswahlen
am 14. September 1930 blieb keine Ausnahme. Im Gegenteil: Die Nazis
erzielten bei den Landtags- und Kommunalwahlen seit 1929/30
herausragende Ergebnisse, so dass sie mittlerweile in
Thüringen (Januar 1930 bis April 1931) und Braunschweig
(September 1931 bis Januar 1933) Regierungsverantwortung trugen.
Zugleich wurde die NSDAP zu einer mitgliederstarken Massenpartei. Ihre
paramilitärischen „Sturmabteilungen“ (SA)
wuchsen zu einer wahren Bürgerkriegsarmee heran, die vor allem
die Arbeiterorganisationen mit gewaltsamen Aktionen provozierte. In den
proletarischen Quartieren der Großstädte, nicht
zuletzt in Berlin, wo Gauleiter Goebbels öffentlich das Ziel
proklamiert hatte, „der Reichshauptstadt den Charakter einer
roten Metroole zu nehmen“ [Der Angriff, Nr. 1, 2.1.1932:
„Die zweite Angriffswelle“.], entfachten sie den
blutig betriebenen „Kampf um die Straße“.
[Siehe hierzu Detlev Schmiechen-Ackermann: Nationalsozialismus und
Arbeitermilieus. Der nationalsozialistische Angriff auf die
proletarischen Wohnquartiere und die Reaktion in den sozialistischen
Vereinen, Bonn 1998; Sven Reichardt: Faschistische Kampfbünde.
Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der
deutschen SA, Köln u.a. 2002, 2., durchgesehene Aufl., 2009;
Oliver Reschke: Der Kampf der Nationalsozialisten um den roten
Friedrichshain (1925-1933), Berlin 2004; derselbe: Der Kampf um die
Macht in einem Berliner Arbeiterbezirk. Nationalsozialisten am
Prenzlauer Berg 1925-1933, Berlin 2008; Reiner Zilkenat: Die SA
– Bürgerkriegsarmee und Massenorganisation des
deutschen Faschismus, in: Rundbrief, H. 4/2004, S. 29ff. Zum
Gesamtzusammenhang politisch motivierter Gewalt in der
Spätphase der Weimarer Republik siehe Dirk Blasius: Weimars
Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930 – 1933,
Göttingen 2005 u.ö.] Anders gesagt: Die SA
demonstrierte mit ihren gewalttätigen, vor Morden nicht
zurückschreckenden Aktionen, dass Hitler es durchaus ernst
gemeint hatte, als er in seiner oben zitierten Rede im
„Hamburger Nationalklub“ davon gesprochen hatte,
„den Marxismus bis zur letzten Spur auszurotten“. Spätestens
seit den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 und den sich daran
anschließenden weiteren Wahlerfolgen sowie dem sich
steigerndem Zustrom zu den unterschiedlichen Gliederungen der
Nazi-Bewegung wurde unübersehbar, dass es sich bei der NSDAP
und ihren „Vorfeldorganisationen“ nicht um
kurzlebige Phänomene handelte. Die Haltung
großindustrieller Kreise zur faschistischen Partei bedurfte
somit – wie schon gesagt – dringend einer
Klärung. Dabei existierten vornehmlich drei bedeutsame
Probleme. „Die
Sozialisten verlassen die NSDAP!“ (Otto Strasser) Erstes
Problem: Für Irritationen sorgte die bereits oben
angesprochene antikapitalistische Propaganda der faschistischen Partei.
Innerhalb der NSDAP wurden relevante Teile der SA,
vor allem aber die Gebrüder Otto und Gregor Strasser, als
Exponenten derartiger Stimmungen, als Anführer eines so
genannten linken Flügels der Partei identifiziert. [Siehe
Reinhard Kühnl: Die nationalsozialistische Linke, S. 248ff. u.
292ff sowie Markus März: Nationale Sozialisten in der NSDAP.
Strukturen, Ideologie, Publizistik und Biographien des
national-sozialistischen Strasser-Kreises von der AG Nordwest bis zum
Kampf-Verlag 1925-1930, Graz 2010, S. 332ff.] Otto Strasser hatte
allerdings bereits im Juli 1930 mit der Parole „Die
Sozialisten verlassen die NSDAP“ der Partei den
Rücken gekehrt [Siehe Der Nationale Sozialist, Folge 110,
3.7.1930: Otto Strasser: „Die Sozialisten verlassen die
NSDAP“.] und die „Kampfgemeinschaft
Revolutionärer Nationalsozialisten“
gegründet, die aber keinerlei relevanten politischen Einfluss
gewinnen konnte. [Siehe Kurt Pätzold und Manfred
Weißbecker: Adolf Hitler. Eine politische Biographie, Leipzig
1999, S. 163ff.; Kurt Gossweiler: Die Strasser-Legende.
Auseinandersetzung mit einem Kapitel des deutschen Faschismus, Berlin
1994, bes. S. 18ff. Siehe auch die Materialien zu den
„Revolutionären Nationalsozialisten“ um
Otto Strasser in: BArch, R 8034 II/8692 u. R 1501/126071a, darunter
auch seine Schrift „Ministersessel oder Revolution? Eine
wahrheitsgemäße Darstellung meiner Trennung von der
NSDAP“, Berlin o.J. (1930).] Sein Bruder
Gregor, der für das vom Reichswehrminister bzw. Reichskanzler
Kurt von Schleicher Ende 1932 avisierte
„Querfront“-Bündnis [Siehe Axel Schildt:
Militärdiktatur mit Massenbasis? Die Querfrontkonzeption der
Reichswehrführung am Ende der Weimarer Republik, Frankfurt
a.M. u. New York 1981; Hans Mommsen: Aufstieg und Untergang der
Republik von Weimar, 2. Ausgabe, München 2001, S. 593ff.],
bestehend aus der Reichswehr, den Führungen des Allgemeinen
Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und der Christlichen
Gewerkschaften sowie dem „linken Flügel“
der NSDAP, vielleicht angereichert durch das katholische Zentrum und
die fast zur Bedeutungslosigkeit herabgesunkene Deutsche Volkspartei,
große Sympathien entwickelt hatte, blieb jedoch Mitglied der
faschistischen Partei. Als
„Reichsorganisationsleiter“ der NSDAP und
wirtschaftspolitischer Sprecher im Reichstag war er einer ihrer
einflussreichsten Funktionäre, ja er galt nach Hitler als die
„Nummer zwei“, potenziell geeignet, dem
„Führer“ seinen Rang streitig machen zu
können. Mehrfach trat er öffentlich für
groß angelegte, vom Staat finanzierte
Arbeitsbeschaffungs-Programme zur Überwindung der
kapitalistischen Weltwirtschaftskrise ein. [Siehe Verhandlungen des
Reichstags, Bd. 446, 62. Sitzung, 10.5.1932, S. 2510ff., wo er zum
Entsetzen der industriellen Helfershelfer der NSDAP „die
große antikapitalistische Sehnsucht“ beschwor,
„die heute vielleicht schon 95 Prozent unseres Volkes bewusst
und unbewusst erfasst hat“ (S. 2511), ferner die
Führung des ADGB für ihre
Arbeitsbeschaffungsvorschläge ausdrücklich lobte, ja
ihnen sogar ein kaum verhülltes Angebot zur Zusammenarbeit
unterbreitete (S. 2512) sowie für eine staatliche Kontrolle
des Lebensmittelmarktes plädierte (S. 2517). Darüber
hinaus steigerte er sich zu der Aussage, dass man bei
„Arbeitsbeschaffungsplänen einen Begriff ganz und
gar außer Kraft setzen muss, den Begriff der kapitalistischen
Rentabilitätsberechnungen. Es darf nicht danach gefragt
werden, wie viel von dieser Arbeit dem Geldgeber an Zinsen wieder in
die Kasse zurückfließt“ (S. 2519).
Auszüge aus Strassers Rede und aus der Replik Rudolf
Hilferdings (SPD) finden sich im obigen
„Zitatkasten“. Siehe auch Strassers bei
Industriellen auf Ablehnung stoßende Rede vom 20. Oktober
1932, die wiederum Vorschläge für staatliche
Initiativen und Kontrollmöglichkeiten bei der
Bekämpfung der Wirtschaftskrise enthielt: Das wirtschaftliche
Aufbauprogramm der NSDAP. Eine Rede Gregor Strassers. Gehalten vor
15.000 nationalsozialistischen Betriebszellenmitgliedern am 20. Oktober
1932 im Berliner Sportpalast, Berlin 1932 (Exemplar in:
BArch, R 1501/126133).] Die Nähe zu zeitgleich
entwickelten Vorstellungen des ADGB war unübersehbar und von
Strasser bewusst thematisiert worden. [Siehe Michael Schneider: Das
Arbeitsbeschaffungsprogramm des ADGB. Zur gewerkschaftlichen Politik in
der Endphase der Weimarer Republik, Bonn u. Bad Godesberg 1975;
derselbe; Arbeitsbeschaffung. Die Vorstellung von Freien Gewerkschaften
und SPD zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise, in:
Sozialdemokratische Arbeiterbewegung und Weimarer Republik. Materialien
zur gesellschaftlichen Entwicklung 1927-1933, hrsg. v. Wolfgang
Luthardt, Frankfurt a. M. 1978, 1. Bd., S. 220ff.] Derartige
Anschauungen mussten bei großindustriellen
Interessenvertretern auf scharfe Ablehnung stoßen, ging es
ihnen Ende 1932 doch gerade darum, den Einfluss des Reichstages und der
Gewerkschaften auf den politischen Entscheidungsprozess
möglichst dauerhaft auszuschalten und die Rolle des Staates
bei der Überwindung der ökonomischen Krisis auf ein
Minimum zu begrenzen. Aus
der Rede von Gregor Strasser (NSDAP) im Reichstag am 10. Mai 1932: „Wenn der
Verteilungsapparat des weltwirtschaftlichen Systems von heute es nicht
versteht, den Ertragsreichtum der Natur richtig zu verteilen, dann ist
dieses System falsch und muss geändert werden um des Volkes
wegen. Das Volk protestiert gegen eine Wirtschaftsordnung, die nur in Geld, Profit,
Dividende denkt, und die vergessen hat, in Arbeit und Leistung zu
denken. Interessant und wertvoll an dieser Entwicklung ist die
große antikapitalistische Sehnsucht…, die durch
unser Volk geht, die heute vielleicht schon 95 Prozent bewusst und
unbewusst erfasst hat. Diese antikapitalistische Sehnsucht
ist nicht im Geringsten eine Ablehnung des aus Arbeit und Sparsinn
entstandenen sittlich berechtigten Eigentums. Sie hat insbesondere nichts zu
tun mit den sinnlosen und destruktiven Tendenzen der Internationale.
Sie ist vielmehr der Protest
des Volkes gegen eine entartete Wirtschaft, und sie
verlangt vom Staat, dass er, um das eigene Lebensrecht zu sichern, mit
den Dämonen Gold, Weltwirtschaft, Materialismus, mit dem
Denken in Ausfuhrstatistik…bricht und ehrliches Auskommen
für ehrlich geleistete Arbeit wiederherzustellen in der Lage
ist. (Lebhafte Zustimmung bei den Nationalsozialisten.) Diese
große antikapitalistische Sehnsucht ist ein Beweis
dafür, dass wir vor einer ganz großen, vor einer
grandiosen Zeitenwende stehen: die Überwindung des
Liberalismus und das Aufkommen eines neuen Denkens und einer neuen
Einstellung zum Staat. (…)“ Verhandlungen des Reichstags,
Band 446, 62. Sitzung, 10. Mai 1932, S. 2511. Aus der Entgegnung von Rudolf
Hilferding (SPD) am 11. Mai 1932: „Meine Herren
Nationalsozialisten, ich habe die Empfindung: wenn Sie so sehr gegen
den Liberalismus losziehen, so handelt es sich bei Ihnen nicht um das,
worum es sich bei uns handelt. Wir
sind Feinde des ökonomischen Liberalismus, wir wollen dieses
System der kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft beseitigen; aber wir
sind keine Feinde dessen, was seinerzeit der Liberalismus in der
Glanzzeit des Bürgertums geistig geschaffen hat. (Sehr wahr!
bei den Sozialdemokraten.) Ich fürchte, wenn Sie
gegen den ‚Liberalismus’ sprechen, dann sprechen
Sie zugleich gegen die persönliche Freiheit und die
persönliche Selbstbestimmung, dann sprechen Sie gegen die
Gewissensfreiheit. Wenn Sie gegen den ökonomischen
Liberalismus sprechen, dann glauben Sie, zugleich wieder alles das
vernichten zu können, was an den geistigen Errungenschaften
der Menschheit in den letzten zwei Jahrhunderten wertvoll
ist.(…) Ich möchte doch einmal
fragen, ob die Rede, die Herr Strasser hier in der
Öffentlichkeit vor dem deutschen Volke gehalten hat, im
Wortlaut oder wenigstens im Sinn mit der übereinstimmt, die
Herr Hitler im Industrieklub in Düsseldorf
(am 26. Januar 1932-R.Z.) gehalten hat. (Sehr
gut! bei den Sozialdemokraten.) Ich weiß nicht, was Herr
Hitler dort gesagt hat. Aber eines wissen wir. Als Herr Hitler
geschlossen hatte, erhob sich Herr Fritz Thyssen, der Sohn eines
bedeutenden Vaters und der Erbe eines bedeutenden Vermögens,
der Mann, der sich nach den Zuständen vor dem Kriege, die uns
von Deutschnationalen so gepriesen werden, zurücksehnt, wo die
Gewerkschaften nicht verhandlungsfähig waren, wo jeder
Großindustrielle an Ruhr und Rhein Herr im eigenen Hause war,
Herr Thyssen,
der in Amerika Reden hält, dass das ganze deutsche
Unglück von der Sozialpolitik, von der
Arbeitslosenversicherung, von den Sozialbeiträgen kommt
– das war der
Mann, der nach der Rede ‚Heil Hitler’ gerufen hat
(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.) Deswegen glaube ich: Zwischen dem, was Herr Strasser
öffentlich sagt, und dem, was Herr Hitler im Geheimen den
Industriellen sagt, wird der Unterschied ebenso groß sein,
wie der Unterschied zwischen einem Lohnarbeiter und Herrn Thyssen, dem
Aufsichtsratsvorsitzenden des größten deutschen
Montanunternehmens. (Lebhafte Zustimmung bei den
Sozialdemokraten.)“ Verhandlungen
des Reichstags, Bd. 446, 63. Sitzung, 11.5.1932, S. 2634f. u.
2637f. Nach Schleichers Vorstellungen, dessen
wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Pläne mit denen
Strassers im Wesentlichen kompatibel waren, hätte dieser,
nicht Hitler, als Vizekanzler in ein von ihm geführtes
Kabinett eintreten können, dem zugleich prominente Exponenten
der Gewerkschaften angehören sollten. Alles das ließ
das Misstrauen vieler Großindustrieller in die politische
Verlässlichkeit der faschistischen Partei nicht ruhen. Zwar
hatten Adolf Hitler, Hermann Göring, Heinrich Himmler und
andere maßgebliche NS-Führer stets glaubhaft
versichert, dass sie nicht daran dächten, die kapitalistische
Gesellschaftsordnung anzutasten und wirtschaftspolitische Experimente
gemeinsam mit General von Schleicher, der Gewerkschaftsführung
oder anderen politischen Kräften anzustreben. Die
pseudo-sozialistische Demagogie sollte nur dazu dienen,
„Eroberungen“ innerhalb der Arbeiterklasse und in
den verelendeten Kreisen des Mittelstandes zu realisieren. Doch wie
sicher konnte man sein, dass sie weiterhin die Richtlinien der Politik
innerhalb der NSDAP bestimmen würden? Wer konnte garantieren,
dass der bei Partei- und SA-Mitgliedern, aber auch bei manchen
führenden Kadern der faschistischen Bewegung subjektiv
empfundene Antikapitalismus – unabhängig davon, wie
diffus er sich zu artikulieren pflegte – innerhalb der
faschistischen Bewegung nicht eines Tages dominant werden
könnte? Exportorientierung,
ausländische Kapitalinvestitionen und die Haltung deutscher
Konzerne zur NSDAP Zweitens Problem: Es galt
für die Führung der NSDAP, unterschiedliche
ökonomische Interessen unter den deutschen
Großindustriellen ins Kalkül zu ziehen, die sich auf
ihre Abhängigkeit vom Export bezogen, die vor allem, aber
nicht nur bei den Metall- und Elektrokonzernen stark
ausgeprägt waren. In diesem Zusammenhang ist zu
berücksichtigen, dass einige große Konzerne aus
diesen Branchen noch in der ersten Phase der kapitalistischen
Weltwirtschaftskrise bedeutende Exporterlöse und
Auftragseingänge aus dem Ausland zu realisieren vermochten und
dadurch ihre betriebswirtschaftliche Lage zeitweilig stabilisieren
konnten. Exemplarisch seien folgende Sachverhalte genannt: Im
gesamten Maschinenbau stieg bei gleichzeitigem Rückgang der
wertmäßigen Ausfuhr von 1928 bis 1933 (1,12 zu 0,53
Mrd. Reichsmark) der Anteil des Exports von 30,2 auf 34,6 Prozent.
Speziell bei Werkzeugmaschinen wurden 1933 75,9 Prozent der
produzierten Erzeugnisse exportiert, bei Textilmaschinen 54,2, bei
Druckmaschinen 47,9 und bei Landmaschinen 19 Prozent. [Siehe
Bundesarchiv – Zwischenarchiv Hoppegarten – R
13/III 14, unfol. und ebenda, R 13/XIII 1947, Bl. 18.] Die
Bergmann-Elektrizitätswerke sowie Orenstein und Koppel, nach
Siemens, AEG und Borsig die größten Werke der
Metall- und Elektroindustrie in Berlin, vermeldeten im
Frühjahr 1930 eine „Belebung des
Auslandsgeschäftes“ bzw. eine Erhöhung des
Anteils exportierter Erzeugnisse auf 60 Prozent. [Siehe
Vorwärts, Nr. 163, 6.4.1930:
„Bergmann-Abschluss“; ebenda, Nr. 179, 16.4.1930:
„Konjunktur bei Bergmann. Das Auslandsgeschäft
belebt sich wieder.“; ebenda, Nr. 220, 13.5.1930:
„Orenstein hamstert Reserven“.] Die
AEG vermochten während des Geschäftsjahres 1929/30
ihre Exporte im Vergleich zum Vorjahr um 8 Prozent zu steigern, so dass
mittlerweile beinahe 40 Prozent ihrer Produkte ausgeführt
wurden. [Siehe Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 55, 3.2.1931:
„AEG 1929/39“.] Aber auch
Unternehmen der Schwerindustrie hingen in ähnlicher Weise von
der Ausfuhr ab. So war es z.B. bemerkenswert, dass die im Eigentum der
Familie Haniel befindliche Gutehoffnungshütte AG in Oberhausen
„1931/32 volle 50 Millionen Mark Auslandsumsatz nach 58 im
Vorjahr erzielte, den Auslandsumsatz also viel besser als ihren
inländischen verteidigte. 1931/32 verhielt sich bei Oberhausen
der Auslandsumsatz zum Inlandsumsatz wie 54 zu 46.“ [Berliner
Börsen-Courier, Nr. 534, 14.11.1932: „Belohnte
Anstrengung bei GHH“.] Das Beispiel
Gutehoffnungshütte belegt: Exportabhängigkeiten auf
die Metall- und Elektroindustrie reduzieren zu wollen, ginge an den
Realitäten vorbei. Auch Teile der Schwerindustrie waren nicht
minder von einer stetigen Ausfuhr ihrer Produkte abhängig.
[Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang folgende Passage aus
dem Geschäftsbericht der Gutehoffnungshütte
für das Geschäftsjahr 1927/28, in dem der
Zusammenhang zwischen Sozialabbau bzw. dem Heraushalten des Staates aus
der Gestaltung der Volkswirtschaft im Innern und internationaler
Wettbewerbsfähigkeit hergestellt wird : „Es ist
dringend zu wünschen, dass der Staat sich weiterer Eingriffe
in die Wirtschaft enthält. Reich, Länder und Kommunen
sollten es vielmehr als ihre erste Aufgabe ansehen, dem Vorgehen der
ausländischen Wettbewerbsländer folgend, im eigenen
Interesse unsere schwer um ihr Dasein kämpfenden deutschen
Schlüsselindustrien auf jede Weise zu stützen und zu
fördern, mit dem einzigen Ziel, ihnen ihre
Wettbewerbsfähigkeit auf dem Auslandsmarkte wieder hu
verschaffen. Wir
können nur arbeiten und leben, wenn wir zu gewinnbringenden
Preisen ausreichend exportieren.“
Zitiert in: Bergwerks-Zeitung, Nr. 270, 16.11.1928: „Der
Bericht der GHH“. Hervorhebungen von mir-R.Z.] Ferner
vollzogen sich ausgerechnet im Jahre 1930, dem Jahr des
großen Wahlerfolges der NSDAP, noch engere Verflechtungen
zwischen großen deutschen Elektrokonzernen und
US-amerikanischen Investoren. In Berlin, dem damals wichtigsten
Standort der Metall- und Elektroindustrie in Europa, kaufte sich die
International Telephone and Telegraph Co. (ITT) bei der Telefonfabrik
AG vorm. Berliner ein [Siehe Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 68,
10.2.1930: „Amerikaner übernehmen Telephon
Berliner“.] , einem renommierten Hersteller von
automatisierten Telefonanlagen. Bei der
Standard-Elektrizitäts-Gesellschaft konnte ITT siebzig Prozent
des Aktienkapitals von der niederländischen Philipps-Gruppe
erwerben. [Siehe Vorwärts, Nr. 212, 8.5.1930:
„Lorenz AG deutsch-amerikanisch“; ebenda,
Nr. 284, 22.6.1930: „Großes Geschäft bei
Lorenz“; „Neue Elektroindustrie –
Konzentrationsvorgänge“, in: Metallarbeiter-Zeitung,
Nr. 24, 14.6.1930, Wochenbeilage für die Mitglieder der
Verwaltungsstelle Berlin des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes, S.
1f.; ebenda, Nr. 30, 26.7.1930, S. 1f.: „Der Aufbau
der International Telephone and Telegraph Company“.] Es kam
hinzu, dass für den Siemens-Konzern das Bankhaus Dillon, Read
and Co. [Dieses Bankhaus verfügte in Berlin über eine
Dependance in der Friedrich-Wilhelm-Straße 11.] eine
14-Millionen-Dollar-Anleihe an der New Yorker Börse mit einer
Laufzeit von eintausend (in Worten: eintausend) Jahren auflegte, die
eine Verzinsung von mindestens sechs Prozent per anno vorsah.
Größter Abnehmer dieser Anleihe war interessanter
Weise die General Electric Company, der weltweit
größte Konkurrent des Hauses Siemens, an deren
Spitze Owen D. Young wirkte. Bei ihm handelte es sich um den ehemaligen
Vorsitzenden des Komitees zur Neuregelung deutscher Reparationen, das
den nach ihm benannten „Young-Plan“ ausgearbeitet
hatte. Insgesamt wurden mit dieser Anleihe, deren für
festverzinsliche Wertpapiere vollkommen ungewöhnlicher
Ausgabekurs bei fast 250 Prozent lag, dem Siemens-Konzern ca. 150
Millionen Reichsmark neues Kapital zur Verfügung gestellt.
[Siehe zu den überaus komplizierten Charakteristika dieser
Anleihe den mehrseitigen Verkaufsprospekt der Siemens-und-Halske-AG,
in: Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 436, 18.9.1930 sowie Wilfried
Feldenkirchen: Siemens 1918-1945, München u. Zürich
1995, S. 393ff. Siehe auch Wochenbeilage für die Mitglieder
der Verwaltungsstelle Berlin des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes,
in: Metallarbeiter-Zeitung, Nr. 8, 22.2.1930, S. 1: „Siemens,
General Electric und die Folgen“ und Berliner Tageblatt, Nr.
517, 1.11.1930: „Siemens-Debentures und die
Dividendenfrage“.] Auch bei der AEG war
General Electric aktiv. Hier erfolgten 1929 und 1930 die
Übernahme von Stammaktien, deren Nennwert insgesamt 30
Millionen Reichsmark betrug, zu einem Kurswert von 200 Prozent.
Dafür wurden dem US-amerikanischen Unternehmen fünf
Aufsichtsratssitze eingeräumt. Einer der
Aufsichtsräte war übrigens Owen D. Young. [Siehe
Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 33, 21.1.1930; „AEG 9
Prozent“ sowie Kurt Gossweiler:
Großbanken-Industriemonopole-Staat. Ökonomie und
Politik des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland
1914-1932, Berlin 1971, S. 330f.] 1931 erfolgte durch die AEG und
General Electric die Gründung einer gemeinsamen
Verkaufsgesellschaft und die Beteiligung an einer Firma für
elektrotechnische Produkte in Spanien. [Siehe Deutsche Allgemeine
Zeitung, Nr. 474, 14.10.1931: „Gemeinschaftsgründung
der AEG in Spanien“.] Weiterhin erwarb General Electric auch
die Aktienmajorität beim Berliner Elektrounternehmen Mix
& Genest, das unter den Schirm der deutschen GEC-Holding
Standard Elektrik geholt wurde. [Siehe Berliner
Börsen-Zeitung, Nr. 53, 1.2.1930: „Die AEG im Jahre
1929/30“.] Alle diese Aktivitäten
führten zu wütenden Reaktionen bei Carl-Friedrich v.
Siemens, der seinem deutschen Hauptkonkurrenten in aller
Öffentlichkeit nichts weniger als den
„Ausverkauf“ deutscher Interessen und die
Organisierung einer „Überfremdung“ der
deutschen Elektroindustrie vorwarf; ein ungewöhnliches
Verhalten, das ein anhaltendes Echo in den Medien und nicht minder
scharfe Reaktionen des AEG-Vorstandes unter der Leitung seines
Vorsitzenden Hermann Bücher auslöste, der ebenso wie
Siemens dem Präsidium des Reichsverbandes der Industrie
angehörte und einer der engsten Vertrauten Heinrich
Brünings war. [Siehe die ausführliche Dokumentation
des entsprechenden Presse-Echos in: BArch, R 8128/2068, Bl. 169ff.] Angesichts
derartiger Aktivitäten des US-amerikanischen Kapitals war es
verständlich, dass die Wahlerfolge der NSDAP und die dadurch
immer instabiler werdende innenpolitische Lage in Deutschland,
zeitweilig zu großen Irritationen bei den führenden
Repräsentanten der Industrie und der Banken in den Vereinigten
Staaten, aber auch in anderen Ländern führten. So
verlor die Reichsbank nach dem erdrutschartigen Wahlsieg der Nazis vom
14. September 1930 innerhalb weniger Tage Devisen und Gold in der
Größenordnung mehrerer Hundert Millionen Reichsmark.
[Siehe BArch, R 3101/631, Bl. 328ff.: Wochenübersichten der
Deutschen Reichsbank für das Reichswirtschaftsministerium, die
Aktiva und Passiva der Reichsbank betreffend. Zwischen dem 1.7. und dem
15.10.1930 reduzierte sich der Bestand an Gold und Devisen
wertmäßig von 2,62 auf 2,18 Milliarden bzw. von 459
auf 174 Millionen Reichsmark.] Auch danach war die Verunsicherung vor
allem US-amerikanischer Investoren, angesichts der scheinbar
unaufhaltsamen Erfolge der Nazis, mit Händen zu greifen. Dies
galt um so mehr, als an der Wall Street seit Mitte der zwanziger Jahre
zahlreiche Anleihen für deutsche Unternehmen, darunter auch im
Auftrag von schwerindustriellen Konzernen wie den Vereinigten
Stahlwerken [So hatten z.B. die Vereinigten Stahlwerke im Juni 1926
sowie im Juli und im August 1927 über das Bankhaus Dillon,
Read u. Co. Anleihen in Höhe von insgesamt 64,225 Millionen
US-Dollar platziert. Dafür waren an die
Anleihe-Gläubiger jährlich etwa 4 Millionen US-Dollar
an Zinsen zu bezahlen. Siehe hierzu Harald Wixforth: Banken und
Schwerindustrie in der Weimarer Republik, Köln u.a. 1995, S.
493ff. Weitere Emissionen von Unternehmens-Anleihen schwerindustrieller
deutscher Firmen an der Wallstreet waren mit Hilfe US-amerikanischer
Banken u.a. für die Gelsenkirchener Bergwerks AG, die
Friedrich Krupp AG, die August-Thyssen-Hütte, die Harpener
Bergbau AG und die Gutehoffnungshütte organisiert worden.],
von Banken [So hatten sich z.B. am New Yorker Kapitalmarkt die Deutsche
Bank im September 1927 mit 25 Millionen Dollar und die Commerzbank im
Oktober des gleichen Jahres mit 20 Millionen Dollar frischen Kapitals
versorgt.] sowie öffentlichen Körperschaften
emittiert worden waren [Siehe Robert Kuczynski: Wallstreet und die
deutschen Anleihen. Bankierprofite und Publikumsverluste, Berlin 1933,
wo auf den S. 12ff. eine Auflistung aller deutschen Anleihen, die an
der New Yorker Börse gehandelt wurden,
einschließlich Höhe des aufgenommenen Kapitals, Name
der konsortialführenden Bank, Laufzeit und Höhe des
Zinssatzes, erfolgt.], auf deren Rückzahlung und die
jährlich fälligen Zinszahlungen die vornehmlich
US-amerikanischen Investoren selbstverständlich
größten Wert legten. Eine Reichsregierung mit der
Beteiligung der NSDAP schien ihnen jedoch ein großes Risiko
für die Zuverlässigkeit des Kapitaldienstes
darzustellen. Doch diesen Stimmungslagen wurde von prominenter Seite
entgegengewirkt. Der Delegierte der
Aufsichtsräte der Siemens-Schuckert- und der
Siemens-und-Halske-Werke [Die damalige Funktion des Delegierten eines
Aufsichtsrates ist nach heutigem Aktienrecht nicht zulässig.
Sie bedeutete, dass diese Person nicht nur den Vorstand zu
kontrollieren, sondern selbst geschäftsführende
Kompetenzen zuerkannt bekommen hatte.], Carl-Friedrich von Siemens,
zugleich Präsidiums- bzw. Senatsmitglied des RDI,
Aufsichtsratsmitglied der Vereinigten Stahlwerke AG, hatte sich deshalb
bemüht, am 27. Oktober 1931 in New York, anlässlich
eines ihm zu Ehren gegebenen Essens, beruhigend auf seine
US-amerikanischen Gastgeber von der General Electric Company
einzuwirken. Er hob hervor, dass die Nazis ihr „Ziel durch
gesetzliche Maßnahmen, d.h. durch den Stimmzettel
verwirklichen“ wollten. Er bescheinigte ihnen ferner
„Selbstlosigkeit“, und dass bei ihnen
„hohe nationale Ideale“ anzutreffen seien. Die
„Wurzel der Hitlerschen Bewegung“, so fuhr von
Siemens fort, „ist der Kampf gegen den Sozialismus, d.h.
gegen den Marxismus“. Am Ende seiner Ausführungen
formulierte er dann in dankenswerter Offenheit: „Eines
möchte ich noch betonen: wenn die große Mehrzahl
nicht nur der deutschen Geschäftsleute, sondern auch der
Angehörigen aller gebildeten Klassen, viele von Hitlers
Methoden verurteilen, so betrachten sie doch das Hitlertum als das
kleinere Übel gegenüber dem Kommunismus.“
[Carl F. v. Siemens: Die gegenwärtige Lage Deutschlands. Rede,
gehalten auf dem Essen der General Electric Company am 27. Oktober 1931
in New York o.O.u.J. (ein hektographiertes Exemplar fand sich in:
Zentrales Staatsarchiv der DDR Potsdam, Büro des
Reichspräsidenten, Nr. 296. Zitate: S. 5 u. 7f. Hervorhebung
von mir-R.Z. Die Rede ist auszugsweise abgedruckt in: Dokumente zur
deutschen Geschichte 1929-1933, hrsg. v. Wolfgang Ruge u. Wolfgang
Schumann, Berlin 1975, S. 44f.] Eine bemerkenswerte
Stimme, angesichts des allgegenwärtigen Terrors der SA, in
wachsendem Maße auch gegenüber Juden [Siehe Dirk
Walter: Antisemitische Kriminalität und Gewalt.
Judenfeindschaft in der Weimarer Republik, Bonn 1999, S. 200ff.;
Cornelia Hecht: Deutsche Juden und Antisemitismus in der Weimarer
Republik, Bonn 2003, S. 187ff.; Reiner Zilkenat: Der
„Kurfürstendamm-Krawall“ am 12. September
1931. Vorgeschichte, Ablauf und Folgen einer antisemitischen
Gewaltaktion, in: Rundbrief, H. 2/2011, S. 42ff.], angesichts der von
den Faschisten offen angedrohten Willkürmaßnahmen in
einem zu errichtenden „Dritten Reich“. [Siehe z.B.
Goebbels’ Aussage während einer Massenversammlung im
November 1930 im Berliner Sportpalast: „Es ist gefragt
worden: Werden Köpfe rollen? Und unsere Antwort lautet:
Jawohl. Sie werden einmal ganz verfassungsmäßig und
legal rollen.(…)Die Abrechnung wird durch einen ganz legalen
Staatsgerichtshof erfolgen.“ Der Angriff, Nr. 100,
22.11.1930: „Freiheitssturm im Sportpalast.“ Der
von Januar 1930 bis April 1931 in Thüringen regierende
Nazi-Innenminister Wilhelm Frick erklärte auf einer Kundgebung
in Wuppertal am 29. September 1931: „Wir Nationalsozialisten
werden, falls wir die Macht haben, innerhalb 24 Stunden mit dem roten
Mordgesindel aufräumen.“ Völkischer
Beobachter, Nr. 275, 2.10.1931.] Die Nazipartei
bemühte sich ihrerseits nach Kräften,
ausländischen Unternehmen zu versichern, dass ihre
Investitionen in einem von ihnen geführten „Dritten
Reich“ absolut sicher wären. So berichtete der
US-amerikanische Journalist Hubert R. Knickerbocker in seinem viel
gelesen Buch „Kommt Europa wieder hoch?“
Beruhigendes von seiner im Sommer 1932 geführten Unterhaltung
mit Gregor Strasser: „Wir erkennen das Privateigentum an. Wir
erkennen die private Initiative an…Wir sind gegen die
Verstaatlichung der Industrie. Wir sind gegen die Verstaatlichung des
Handels.“ So der Originalton des mit antikapitalistischen
Tiraden ansonsten nicht geizenden Strasser. Knickerbocker
folgerte durchaus zutreffend, „dass der Kapitalismus von den
Nationalsozialisten nichts zu fürchten hat.“ Nach
seinem Gespräch mit Strasser sei „von der
offiziellen Version (des Programms der NSDAP-R.Z.) nicht viel
übrig geblieben. Der nationalsozialistische Radikalismus hat
in direktem Verhältnis zur Annäherung der Partei an
die Möglichkeit einer Verantwortungsübernahme
abgenommen.“ [H. R. Knickerbocker: Kommt Europa wieder hoch?
Berlin 1932, S. 205 u. 214.] Doch ungeachtet
solcher Aussagen galt: Solange Hitler nicht die Dissonanzen in den
wirtschaftpolitischen Aussagen seiner Partei zweifelsfrei und
endgültig ausräumen konnte, blieb die Skepsis vor
allem exportorientierter deutscher Unternehmen sowie
ausländischer Geschäftspartner und Investoren weiter
bestehen. Sie wurde durch das immer wieder in der Parteipresse und
durch Parlamentsredner proklamierte Ziel einer faschistischen
Wirtschaftspolitik, weitgehende wirtschaftliche Autarkie realisieren zu
wollen, noch gesteigert. [Kritisch befasste sich immer wieder
Reichsbankpräsident Hans Luther, ganz im Sinne der
exportorientierten Industrie, mit den Autarkie-Forderungen der
Nazipartei, die übrigens von seinem Amtsvorgänger
Hjalmar Schacht weitgehend geteilt wurden. Am 5. Oktober 1932
führte er vor dem Hauptausschuss des Deutschen Industrie- und
Handelstages aus: „Wir können nur bestehen, wenn wir
wieder einen relativ freien Warenverkehr haben. Wir können als
deutsches Volk ohne einen starken Export einfach nicht existieren
(Zurufe: Sehr richtig!)“ In dieser Rede trat Luther
folgerichtig auch für den Abbau der Zölle und gegen
Kontingentierungen im internationalen Handelsverkehr ein. Er hob
hervor, dass nach seiner Auffassung gerade die gegenseitige Abschottung
der Volkswirtschaften eine der Krisenursachen sei. Siehe BArch, R
2501/7028, Bl. 2 u. 4. Gegen Luthers Anschauungen polemisierte der
„Völkische Beobachter“ in mehreren
Leitartikeln. Siehe u.a. Völkischer Beobachter, Nr. 233,
20.8.1932: Dr. Herbert Albrecht: „Nationalsozialismus und
Autarkie“ u. ebenda, Nr. 264, 20.9.1932: Dr. Rudolf Albert:
„Nationale Wirtschaft oder Weltwirtschaft?“.] Regierungsbeteiligung nur mit
Hitler als Reichskanzler Drittes Problem:
Für alle anderen politischen Kräfte war in Rechnung
zu stellen, dass die faschistische Partei, die seit den
Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 die mit Abstand stärkste
parlamentarische Kraft im Reich darstellte [Die NSDAP erreichte bei den
Wahlen zum Reichstag 37,4 Prozent der Stimmen und stellte mit 230
Abgeordneten die mit Abstand stärkste Fraktion. Auf die SPD
entfielen 21,6, auf die KPD 14,5 Prozent der Stimmen und 133 bzw. 89
Mandate.], sowie in den beiden wichtigsten Ländern
Preußen und Bayern seit den Landtagswahlen vom 24. April des
gleichen Jahres jeweils mehr Mandate erringen konnte als die beiden
Arbeiterparteien zusammen genommen [Bei den Wahlen zum
Preußischen Landtag erreichte die NSDAP 162 Mandate, die SPD
und die KPD entsandten 94 bzw. 57 Abgeordnete. Bei den am gleichen Tag
in Bayern durchgeführten Landtagswahlen gewannen die NSDAP 43,
die SPD 20 und die KPD 8 Sitze.], den Posten des Reichskanzlers
für Adolf Hitler beanspruchte. [Siehe Hitler aus
nächster Nähe, S. 474ff.] Schon
im Vorfeld der Reichstagswahlen vom September 1930 hatte Goebbels
hierzu selbstbewusst im „Angriff“ formuliert:
„Wir gehören zu jener Sorte von Menschen, die, wenn
man ihnen den kleinen Finger gibt, bald die ganze Hand
haben.“ [Der Angriff, Nr. 50, 22.6.1930: Joseph Goebbels:
„Regierungsbeteiligung“.] Als
„Juniorpartner“ in ein Kabinett einzutreten und mit
dem Amt eines Vizekanzlers abgefunden zu werden, war für die
NSDAP und die meisten ihrer Mitglieder und Anhänger zwei Jahre
später erst recht undenkbar, auch wenn diese
Regierungskonstellation von einigen Vertretern großer
Konzerne favorisiert wurde. Aber Hitler war keine Marionette in den
Händen der Herren Kirdorf, Thyssen und Co., sondern stellte
angesichts des rapide wachsenden Massenanhangs seiner faschistischen
Partei selbstbewusst Bedingungen für den Eintritt in eine von
ihm geführte Reichsregierung. Dabei schreckten er vor verbalen
und die SA auch vor physischen Angriffen gegen potenzielle
Bündnispartner wie die Deutschnationale Volkspartei und den
„Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“
keineswegs zurück. [Siehe die Rede von Goebbels
während der Versammlung des Landesverbandes Potsdam II der
DNVP am 19.10.1932, wo er u.a. ausführte, dass die NSDAP als
„Weltanschauungspartei“ einen
„Anspruch auf Totalität“ erhebe und dass
es das „Verdienst Hitlers“ sei, „Menschen
in der NSDAP organisiert zu haben, die nie zu einer
bürgerlichen Partei gegangen“ wären,
„weil eine bürgerliche Partei in ihrem Auftreten,
ihrem ganzen Stil dem inneren Empfinden dieser Menschen diametral
entgegengesetzt ist.“ Der Monarchismus der Deutschnationalen
könne „nicht ernst genommen werden“. Als
Goebbels von der Versammlungsleitung das Wort entzogen bekommt, endet
die Veranstaltung in der Neuköllner „Neuen
Welt“ im Chaos! BArch, R 8005/60, Bl. 98, 102f. u.
100. Zu den oft gewalttätigen Auseinandersetzungen
zwischen der NSDAP/SA und dem Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten siehe
die Materialien in: BArch, R 1501/126059, 126065, 126183, Bl. 32ff.]
Spätestens seit den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932, wenn
nicht schon seit der Tagung der Harzburger Front am 10. und 11. Oktober
1931 [Siehe Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte
Republik 1918-1933, Bonn 2010, S. 447f.], war unübersehbar,
dass die NSDAP ihren Führungsanspruch innerhalb der
politischen Rechten kompromisslos geltend machte. Was
war in dieser Situation zu tun? Um die wirtschaftspolitischen
Forderungen der Partei mit den Vorstellungen des Großkapitals
in Einklang zu bringen sowie Hitler und die faschistische Partei
für den Einzug in die Reichskanzlei vorzubereiten, wurde
schließlich ein Kreis prominenter Industrieller und Bankiers
aus der Taufe gehoben, die Hitler in diesen Fragen kompetent
„beraten“ sollten. Joseph Goebbels: Goldene Worte
für einen Diktator und für solche, die es werden
wollen 1. Zu einer
Diktatur gehört dreierlei: ein Mann, eine Idee und eine
Gefolgschaft, die bereit ist, für Mann und Idee zu leben und,
wenn nötig, zu sterben. Fehlt der Mann, dann ist es schlimm,
fehlt die Idee, dann ist es unmöglich, fehlt aber die
Gefolgschaft, dann ist die Diktatur nur ein schlechter Witz. 2. Eine Diktatur kann zur Not
zwar gegen das Parlament, aber niemals gegen das Volk regieren. 3. Auf Bajonetten lässt
sich schlecht sitzen. 4.
Erste Aufgabe des Diktators ist: das, was er will, populär zu
machen und den Willen der Nation mit seinem eigenem Willen in
Übereinstimmung zu bringen. 5. Höchste Pflicht des
Diktators ist die soziale Gerechtigkeit. Hat das Volk das
Gefühl, dass die Diktatur nur die Repräsentanz einer
dünnen Oberschicht ist, die mit ihm eigentlich gar nichts zu
tun hat, dann wird es den Diktator als feindlich und hassenswert
empfinden und ihn über kurzem zum Sturz bringen. 6. Diktaturen werden dann ein
Volk retten, wenn sie bessere Wege weisen als die von ihnen
bekämpften Regierungsformen, und wenn ihre Macht in breiten
Volksschichten so verankert ist, dass sie sich niemals auf die
bewaffnete Gewalt zu stützen brauchen, sondern ihren Schutz
vielmehr immer in ihren Gefolgschaften finden. 7. Es wird nicht vom Diktator
verlangt, dass er sich dem Willen der Mehrheit füge. Aber er
muss die Fähigkeit besitzen, sich den Willen des Volkes
gefügig zu machen…(…) 9. Diktaturen müssen aus
eigenem geistigen Vorrat leben
können…(…)“ Der Angriff, Nr. 173, 1.9.1932 Wilhelm Keppler betritt die
politische Bühne Im Mai 1927 wird ein
mittelständischer Industrieller Mitglied der NSDAP: Wilhelm
Keppler. Fünf Jahre zuvor hatte er in Eberbach am Neckar
gemeinsam mit dem weltweit agierenden US-amerikanischen Eastman
Kodak-Konzern die Chemischen Werke Odin GmbH gegründet, die
sich auf die Herstellung von Fotogelatine spezialisierten. Keppler
pflegte freundschaftliche Beziehungen zu Robert Ley, Gauleiter der
faschistischen Partei in Rheinland-Süd, dem späteren
„Führer“ der „Deutschen
Arbeitsfront“, sowie intensiven geschäftlichen
Umgang mit dem Kölner Privatbankier Kurt Freiherr von
Schröder. Keppler und Adolf Hitler hatten
seit ihrem ersten Zusammentreffen kurz nach dem Parteieintritt des
Chemieindustriellen immer wieder miteinander kommuniziert. Auch
Heinrich Himmler zählte früh zu den bevorzugten
Kontaktpersonen Kepplers aus der faschistischen Parteiführung.
Als im Dezember 1931 die Frage zu beantworten war, wer künftig
als offizieller Wirtschaftsberater Hitlers fungieren solle, fiel die
Wahl auf Wilhelm Keppler. Hitler übertrug
ihm vor allem die Aufgabe, möglichst rasch mit der
Konstituierung eines aus prominenten Wirtschaftsführern
bestehenden Gremiums zu beginnen, das für die NSDAP und deren
„Führer“ nicht nur wirtschaftspolitische
Expertisen ausarbeiten, sondern auch innerhalb der
Großindustrie für die Machtübergabe an die
Nazipartei Stimmung machen sollte. [Nach der Meinung Otto Wageners
konnten die Auffassungen Kepplers „eher als
wirtschaftsreaktionär als den sozialistischen Notwendigkeiten
entgegenkommend oder sie überhaupt erkennend bezeichnet
werden“. Hitler aus nächster Nähe, S. 442.]
Bemerkenswerter Weise gab Hitler Wilhelm Keppler den Ratschlag mit auf
den Weg, dass er sich um die Theorien des „Braunen
Hauses“ nicht zu kümmern brauche, er mithin freie
Hand bei seiner Tätigkeit als Leiter des nach ihm benannten
Kreises von Industriellen und Bankiers sowie als sein
Wirtschaftsberater habe. [Siehe Dirk Stegmann: Zum Verhältnis
von Großindustrie und Nationalsozialismus 1930-1933. Ein
Beitrag zur Vorgeschichte der sog. Machtergreifung, in: Archiv
für Sozialgeschichte, Bd. XIII, 1973, S. 426f.]
Außerdem galt es, die wirtschaftspolitischen Kompetenzen
innerhalb der NSDAP neu zu ordnen. Keppler schaffte es, die Vorgaben
Hitlers zu erfüllen. Allerdings musste er sich
zunächst eines „Konkurrenzunternehmens“
erwehren. Hjalmar Schacht, von 1923 bis 1930
Präsident der Deutschen Reichsbank, zuvor tätig als
Vorstandsmitglied der Dresdner Bank bzw. der Darmstädter und
Nationalbank, Ende 1923 zum Reichswährungskommissar berufen,
hatte sich Hitler in einem vertraulichen Schreiben vom 12. April 1932
erfolgreich angedient, unter seiner Leitung eine
„Arbeitsstelle“ einzurichten, da sich
„bei gemeinsamer Arbeit eine völlige
Übereinstimmung zwischen den Grundanschauungen des
Nationalsozialismus und der Möglichkeit privater Wirtschaft
erzielen lässt.“ [Zitiert nach ebenda, S. 450.]
Schachts Arbeitsstelle, für deren Finanzierung bereits Gelder
von potenten Herren der Großindustrie eingesammelt worden
waren [Siehe ebenda, S. 425f. Zu den Finanziers der
„Arbeitsstelle Schacht“, die ihre
Räumlichkeiten am Schöneberger Ufer 39 in Berlin
bezog, gehörten Schacht, Thyssen und Vögler sowie
Paul Reusch, Vorstandsvorsitzender der Gutehoffnungshütte in
Oberhausen und Präsidiumsmitglied des RDI, sowie Fritz
Springorum, Vorstandsvorsitzender der Hoesch AG. Insgesamt waren 27.000
RM zur Verfügung gestellt worden.], und Kepplers
Industriellen-Kreis beendeten nach Hitlers Intervention rasch ihr
Konkurrenzverhältnis, so dass am Ende offenbar der
Keppler-Kreis der maßgebliche Ort darstellte, an dem das
wirtschaftspolitische Handeln der NSDAP koordiniert wurde. [Siehe
Gustav Luntowski: Hitler und die Herren an der Ruhr, S. 75ff.] Hjalmar
Schacht war Hitler zum ersten Mal am 5. Januar 1931 in der
pompösen Wohnung Hermann Görings in der Badenschen
Straße 7 in Berlin-Schöneberg begegnet, wo man sich
„zwanglos“, gemeinsam mit Fritz Thyssen, Joseph
Goebbels und deren Ehefrauen, zum Essen eingefunden hatte. [Siehe
Christopher Kopper: Zwischen Marktwirtschaft und Dirigismus.
Bankenpolitik im „Dritten Reich“ 1933-1939, Bonn
1995, S. 24f.] Der ehemalige Reichsbankpräsident zeigte sich
vom „Führer“ der faschistischen Partei
stark beeindruckt und zählte seitdem zu ihren aktiven
Förderern. Am 12. Oktober 1931 sorgte Schacht während
der „Harzburger Tagung“ der faschistischen und
extrem-reaktionären Organisationen und
Persönlichkeiten – darunter die NSDAP mit Hitler an
der Spitze, der Stahlhelm mit seinen
„Bundesführern“ Franz Seldte und Theodor
Duesterberg, der DNVP-Vorsitzende Alfred Hugenberg, einige
Hohenzollern-Prinzen und mehrere ehemalige hohe Generäle
– für großes Aufsehen, da er in einer
aggressiven Ansprache die Regierung Brüning
ungewöhnlich scharf attackierte und die bevorstehende
Zahlungsunfähigkeit Deutschland infolge einer vollkommen
verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik prognostizierte. [Siehe
ebenda, S. 26f. Schachts Rede ist abgedruckt in: Ursachen und Folgen.
Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 zur staatlichen Neuordnung
Deutschlands in der Gegenwart, hrsg. v. Herbert Michaelis u. Ernst
Schraepler, 8. Bd., Berlin o.J., S. 367ff.] Diese Ansprache wirkte vor
allem im Ausland wie ein Paukenschlag und schürte das
Misstrauen der Gläubiger hinsichtlich der Bonität des
deutschen Staates. Seitdem galt Hjalmar Schacht als potenzieller
Finanzminister in einem Kabinett Hitler oder als designierter
Reichsbankpräsident nach einer Berufung Hitlers zum
Reichskanzler. Wer
konnte zur Mitarbeit im „Keppler-Kreis“ gewonnen
werden? Genannt sei August Rosterg, Generaldirektor
des Deutschen Kalisyndikates und der Wintershall AG, die bei Merkers in
Thüringen das größte Kalibergwerk der Welt
bewirtschaftete. Wes Geistes Kind dieser Großindustrielle
war, demonstrierte er in einem Beitrag für die
„Deutsche Bergwerks-Zeitung“, als er seiner Meinung
Ausdruck gab, „die Hälfte aller Kranken sind
Simulanten“ [Deutsche Bergwerks-Zeitung, Nr. 105, 5.5.1929:
„Drehpunkte der deutschen Wirtschaftspolitik“.], so
dass drastische Kürzungen der Ausgaben für die
Sozialversicherungen gerechtfertigt seien. Ein
weiteres Mitglied des „Keppler-Kreises“ war Ewald
Hecker, Sohn des Geschäftsinhabers der Großbank
Disconto-Gesellschaft. [Siehe die biographische Skizze von Arnim Plett:
Ein Mann (in) seiner Zeit – Ewald Hecker, Vorsitzender des
Aufsichtsrats der Ilseder Hütte (1929-1945), in:
Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 86,
2005, S. 109ff.] Dieser außerordentlich umtriebige
Industrielle mit einer abenteuerlich anmutenden Vita, ein Duzfreund des
vom 1. Juni bis zum 17. November 1932 amtierenden Reichskanzlers Franz
von Papen, hatte ursprünglich Karriere als Zivilbeamter in der
kaiserlichen Kolonialverwaltung im Fernen Osten und als
Generalstabsoffizier gemacht. [Siehe BArch (ehem. BDC), SSO, Hecker,
Ewald, 14.10.1879.] Von 1914 bis 1916 war er so genannter Delegierter
des Deutschen Roten Kreuzes in den USA, anschließend
Stabsoffizier im Range eines Majors in der Armee des Osmanischen
Reiches. Hier tat er sich in u.a. in Kämpfen mit britischen
Einheiten in Palästina hervor, wofür er hoch
dekoriert wurde.. 1918/19 diente er als deutscher
Bevollmächtigter im Entente-Hauptquartier in Konstantinopel. Seit
1923 amtierte er zunächst als Mitglied des Vorstandes, dann
als Vorsitzender und Delegierter des Aufsichtsrates der Ilseder
Hütte AG in Niedersachsen. [Zu den wichtigsten Kunden, die mit
Erzen der Ilseder Hütte beliefert wurden, zählten im
rheinisch-westfälischen Industrierevier u.a. die
Gelsenkirchener Bergwerks AG, die Gutehoffnungshütte, die
Hoesch AG und die Kruppwerke. Siehe Bundesarchiv –
Zwischenarchiv Hoppegarten – R 13 I/284, Bl. 168f. Die der
Ilseder Hütte gehörenden Gruben bargen nach dem Ende
des Ersten Weltkrieges etwa 300 Millionen Tonnen Eisenerze. Siehe
ebenda, Bl. 20.] Zugleich war er als Präsident der Industrie-
und Handelskammer zu Hannover tätig und gehörte als
stellvertretender Vorsitzender dem Aufsichtsrat der Commerzbank an. A
propos Commerzbank. Mit Friedrich Reinhart, Vorstandsmitglied dieses
Kreditinstituts, und Franz Heinrich Witthoefft, Vorsitzender des
Aufsichtsrates, war diese Großbank höchst prominent
im „Keppler-Kreis“ repräsentiert. Dass
Witthoefft darüber hinaus Senator der Freien und Hansestadt
Hamburg (von 1928 bis 1931), Vizepräsident des Deutschen
Industrie- und Handelstages, Vorsitzender seines
Außenhandelsausschusses, Mitglied der Aufsichtsräte
bei der Deutschen Werft in Hamburg und der C. Lorenz AG in Berlin
(später: SEL-Standard Electric Lorenz) sowie Inhaber der
weltweit engagierten Hamburger Übersee-Handelsfirma Arnold
Otto Meyer war, die in China, Südafrika und Lateinamerika
insgesamt sechzehn Dependancen des insolventen Stinnes-Konzerns
übernommen hatte, diente als weitere Empfehlung für
die Zugehörigkeit zum „Keppler-Kreis“. Friedrich
Reinhart von der Commerzbank zeichnete sich vor allem darin aus, dass
er von Reichskanzler Heinrich Brüning als
„Sachverständiger“ der Reichsregierung
während der Bankenkrise im Sommer 1931 berufen worden war. In
dieser Eigenschaft hatte er auch an Kabinettssitzungen und
vertraulichen Gesprächsrunden teilgenommen. Er galt deshalb
als intimer Kenner wirtschafts-, finanz- und außenpolitischer
Planungen der Reichsregierungen. [Siehe Akten der Reichskanzlei. Die
Kabinett Brüning I und II, bearb. v. Tilman Koops, Boppard am
Rhein 1982, Bd. 2, u.a. S. 1329, 1331, 1333, 1342, 1480 (Anm. 7), 1555,
1585, 1606 u. 1619; Bd. 3, S. 1841ff. Reinhart trat hier u.a. gegen die
Verordnung von „Bankfeiertagen“, die Konstituierung
einer eigenständigen Bankenaufsicht und die Neuorganisation
des deutschen Bankenwesens auf.] Zudem war er seit 1925 Mitglied des
„Engeren Beirates“ der Deutschen Reichsbank und
Inhaber zahlreicher Aufsichtsrats-Mandate, zeitweilig waren es mehr als
dreißig. In seinen Memoiren behauptet Heinrich
Brüning, dass Friedrich Reinhart „Einfluss im Hause
des Reichspräsidenten“ [Heinrich Brüning:
Memoiren 1918-1934, Bd. 1., S. 411. Ebenda, Bd. 2, S. 483, teilt
Brüning seine zutreffende Beobachtung mit, dass Reinhart dem
DNVP-Vorsitzenden „Hugenberg und den Nazis
persönlich sehr nahestand“. Ebenda, S. 670, nennt er
ihn sogar einen „Bewunderer von Hitler“.]
ausgeübt habe. Damit umschreibt er die damals ebenso beliebte
wie erfolgversprechende Methode, über Paul von Hindenburgs
Sohn, den Oberst der Reichswehr Oskar von Hindenburg, dessen Vater
für die eigenen politischen Anschauungen und Projekte zu
gewinnen. Aber auch die beiden anderen
Großbanken waren mit von der Partie. Für die
Dresdner Bank arbeitete Emil Meyer [Zu seiner Biographie siehe
Christopher Kopper: Bankiers unterm Hakenkreuz, Hamburg 2005, S. 83ff.
Meyer war ein Vetter Wilhelm Kepplers.], Syndikus der
Genossenschaftsabteilung, im „Keppler-Kreis“ mit.
Die Deutsche Bank bevorzugte den direkten Zugang zu Adolf Hitler,
anstatt einen Beauftragten in dieses Gemium zu entsenden. Emil
Georg von Stauß [Zu seiner Biographie siehe ebenda, S.
135ff., wo der Autor einen recht schonenden Umgang mit dem damaligen
Chef des größten deutschen Finanzinstituts pflegt.
Siehe auch Hans Pohl, Stephanie Habeth u. Beate Brüninghaus:
Die Daimler-Benz AG in den Jahren 1933 bis 1945. Eine Dokumentation,
2., durchgesehene Aufl., Stuttgart 1987, S. 42ff.; Harald Wixforth:
Emil Georg von Stauß (1877-1942), in: Deutsche Bankiers im
20. Jahrhundert, hrsg. v. Hans Pohl, Wiesbaden 2008, S. 403ff.],
Vorstandsvorsitzender in Deutschlands wichtigstem Finanzinstitut und
Vorsitzender der Aufsichtsräte bei Daimler-Benz und BMW, bei
der Deutschen Lufthansa und den Bergmann-Elektrizitätswerken,
viele Jahre lang Koordinator der von der Deutschen Bank weltweit
praktizierten Geschäfte mit dem Erdöl,
Mitbegründer der Mitteleuropäischen Schlaf- und
Speisewagen AG (Mitropa), Mitglied des Zentralausschusses der Deutschen
Reichsbank, ging in Hitlers Berliner Domizil, dem mitten im
Regierungsviertel am Wilhelmplatz gelegenen Hotel
„Kaiserhof“, ein und aus. Im
September 1930 für die Deutsche Volks-Partei in den Reichstag
gewählt, hatte er im gleichen Jahr über Hermann
Göring, den er als Lobbyisten für die
luftfahrtpolitischen Aktivitäten von Lufthansa gewinnen
konnte, erste Kontakte zur faschistischen Partei hergestellt. Bald war
er einer ihrer größten Förderer, der immer
wieder seine exklusive Dahlemer Villa in der Cecilienallee 14-16 zur
Verfügung stellte, um Hitler, Goebbels, Göring und
andere Nazi-Größen mit Bankiers, Industriellen und
anderen Mitgliedern der „Berliner Gesellschaft“
bekanntzumachen. Aus den Tagebüchern von Joseph Goebbels und
von Hitlers langjährigem Wirtschaftsberater Otto Wagener
erfahren wir, dass neben Gesprächen in Hitlers Suite im
zweiten Stockwerk des Berliner Nobelhotels immer wieder verschwiegene
Bootsfahrten auf dem Wannsee mit der Motoryacht des Deutschbankers
stattfanden. [Siehe Hitler aus nächster Nähe, S.
455ff. sowie Die Tagebücher des Joseph Goebbels. Im Auftrag
des Instituts für Zeitgeschichte hrsg. v. Elke
Fröhlich, Teil I, Bd. 2/II, Juli 1931 – September
1932, bearb. v. Angela Hermann, Berlin 2004, z. B. S. 246 (20.3.1932);
S. 342 (16.8.1932); S. 343 (18.8.1932); S. 345 (22.8.1932); S. 363
(13.9.1932).] Wahrscheinlich dürften diese Ausflüge
nicht allein der Erholung gedient haben. 1931 ließ der
Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank der NSDAP zweimal über
Hermann Göring private Spenden übermitteln, die der
„Essener National-Zeitung“, einer Gazette der
Faschisten, zugute kommen sollten. [Siehe Christopher Kopper: Zwischen
Marktwirtschaft und Dirigismus, S. 28.] Stauß
hatte seine berufliche Karriere und seinen sozialen Aufstieg vor allem
der Heirat mit der Tochter des Admirals Georg Alexander von
Müller zu verdanken, einem der einflussreichsten Ratgeber
Kaiser Wilhelms II. und Chef seines Marine-Kabinetts. [Siehe Walter
Görlitz, Hrsg., Regierte der Kaiser?
Kriegstagebücher, Aufzeichnungen und Briefe des Chefs des
Marine-Kabinetts Admiral Georg Alexander von Müller 1914-1918,
Göttingen 1959; Der Kaiser…Aufzeichnungen des Chefs
des Marinekabinetts Admiral Georg Alexander von Müller
über die Ära Wilhelms II., hrsg. v. Walter
Görlitz, Göttingen 1965.] Über seine Frau
verfügte er über Verbindungen zu nach wie vor
einflussreichen adligen Kreisen. Auch der
Vorstandsvorsitzende des Allianz-Versicherungskonzerns, Dr. Kurt
Schmitt, zugleich Vorstandsmitglied des RDI, Aufsichtsratsmitglied u.a.
bei der Münchner Rückversicherungs-AG, der
Bayerischen Vereinsbank, der Hermes Kreditversicherungs-AG und
stellvertretender Vorsitzender des Reichsverbandes der
Privatversicherer, schätzte Gespräche mit Hitler
unter vier Augen im Hotel „Kaiserhof“, das der
damaligen Zentralverwaltung der Allianz in der Taubenstraße
1-2 benachbart lag. Als bekennender Antisemit [Siehe hierzu Gerald D.
Feldman: Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft
1933-1945, S. 87f.] verstand er sich offenbar prächtig mit dem
„Führer“ der faschistischen Partei, der
ihn später, am 29. Juni 1933, zum Reichswirtschaftsminister
ernannte. In Anwendung des Werbe-Slogans dieses
größten deutschen Assekuranz-Konzerns:
„Hoffentlich Allianzversichert, wenn der Räuber
‚Geld her!’ schreit“, versprach Kurt
Schmitt Hitler bei einer ihrer Zusammenkünfte im Hotel
„Kaiserhof“ im Jahre 1931, der NSDAP im Falle eines
„Linksputsches“ einen Betrag in Höhe von
fünf Millionen Reichsmark zur Verfügung zu stellen.
Um die Ernsthaftigkeit dieses Angebotes zu unterstreichen war Schmitt
in Begleitung seines Aufsichtsratsvorsitzenden August von Finck
erschienen, zugleich Teilhaber des Bankhauses Merck, Finck und Co.
sowie Aufsichtsratmitglied u.a. bei der Hermes Kreditversicherungs-AG.
Kommentar Hitlers gegenüber Otto Wagener: „Da
erkennt man erst, was die Großwirtschaft für eine
Macht besitzt. Denn diese Millionen sind Macht. Und wenn sie diese
Millionen uns zur Verfügung stellen, dann können sie
sie nicht gleichzeitig einer anderen Partei oder Organisation zur
Verfügung stellen. Also gegen sie uns ihre Macht!“
[Hitler aus nächster Nähe, S. 373. Hervorhebung im
Original-R.Z. Bei diesem Treffen im Hotel
„Kaiserhof“ war neben Dr. Schmitz und August von
Finck übrigens auch Hjalmar Schacht anwesend.] Die
Industriellen-Familie Quandt, Großaktionäre bei
Daimler-Benz, den Mauserwerken AG und bei Varta, war geradezu ein
unentbehrlicher Bestandteil von Hitlers Entourage im
„Kaiserhof“. Häufig gab es
Gespräche, Ausflüge und gemeinsame Essen. [Siehe
ebenda, u.a. S. 373, 375ff. u. 392ff.] Das freundschaftliche
Verhältnis zwischen den Quandts und Adolf Hitler wurde noch
dadurch enger geknüpft, dass Joseph Goebbels am 19. Dezember
1931 Magda Quandt ehelichte. [Siehe ebenda, S. 395f.] Jetzt
zählte diese Großindustriellen-Familie
gewissermaßen zur „Verwandtschaft“ des
faschistischen „Führers“. Eines Tages
meldete sich Harald Quandt, gerade zehn Jahre alt, in Uniform und mit
umgeschnalltem Dolch bei Hitler mit den Worten: „Der
jüngste Hitler-Junge Deutschlands meldet sich bei seinem
Führer!“ [Ebenda, S.374.] Am Rande bemerkt: Herbert
Quandt war in der Bundesrepublik einer der wirtschaftlich und politisch
einflussreichsten Industriellen. Seine Erben, die etwa die
Hälfte des Aktienkapitals der Bayerischen Motorenwerke und
weitere bedeutende Industriebeteilungen halten (u.a. Altana, Varta),
sind es bis zum heutigen Tag. Doch zurück zum
„Keppler-Kreis“. Mit von der
Partie waren außerdem die schon erwähnten Bankiers
Hjalmar Schacht und Kurt Freiherr von Schröder, Mitinhaber des
Bankhauses J. H. Stein, verwandtschaftlich der im Investment-Banking
engagierten Londoner Schroeder-Bank verbunden, der als einer der
eifrigsten Freunde und Förderer Hitlers und der faschistischen
Bewegung galt. Schröder hatte übrigens, wie auch die
späteren Reichskanzler Franz von Papen und Kurt von
Schleicher, während des Ersten Weltkrieges zeitweilig als
Offizier im Großen Generalstab gedient. Seine
geschäftliche und gesellschaftliche Reputation beruhte nicht
zuletzt darauf, verschwägert mit Kurt von Schnitzler zu sein.
Von Schnitzler amtierte seit 1926, nachdem er zwei Jahre lang dem
Vorstand der Hoechst AG angehört hatte, als Vorstandsmitglied
der IG Farben, des damals größten Chemiekonzerns
weltweit. Zu den weiteren Mitgliedern des
„Keppler-Kreises“ zählte Rudolf Bingel,
Vorstandsmitglied der Siemens-Schuckert-Werke AG, verantwortlich
für die Konzern-Bereiche Industrie und Schiffbau. Auch Emil
Helfferich, Bruder des während des Ersten Weltkrieges
zeitweilig amtierenden Vizekanzlers und Staatssekretär des
Innern, Karl Helfferich, Aufsichtsratsvorsitzender der
Deutsch-Amerikanischen Petroleum Gesellschaft (D.A.P.G.), war mit von
der Partie. Besser bekannt unter dem Namen „ESSO“,
handelte es sich hier um eine hundertprozentige Tochter des weltweit
größten Mineralölkonterns, der Standard Oil
of New Jersey Company, dessen Eigentümer die Familie
Rockefeller war. In Deutschland betrug nach einer Analyse der
Volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben vom April 1932
„ihr Anteil am deutschen Geschäft bei Benzin 30
Prozent, bei Gasöl 25 Prozent und bei Bunkeröl 65
Prozent“. [BArch, R 2128/2204, unfol.: Ausarbeitung
„US-amerikanische Erdölinteressen in
Deutschland“, 9.4.1932, 6 Seiten, hier: S. 1 u. 4f. Der
Börsenwert des Unternehmens wurde in der ebenfalls von der
Volkswirtschaftlichen Abteilung der IG Farben formulierten Ausarbeitung
„Kapitalbeteiligung der Standard Oil an D.A.P.G.“
mit 65 Millionen Reichsmark angegeben. Siehe ebenda, Bl. 125.] Ferner
heißt es hier, dass sich zu Beginn der dreißiger
Jahre 75 Prozent der deutschen
Erdölraffinationskapazität und 40 Prozent aller
Zapfstellen im Besitz der D.A.P.G. befänden, wofür
86,6 Millionen Reichsmark investiert worden seien. Helfferich war
außerdem Gründer und langjähriger
Geschäftsführer des vor allem in Asien aktiven
Pflanzungskonzerns Straits and Sunda Syndicate. Auch
Otto Steinbrinck, Vorstandsmitglied der zum Flick-Konzern
gehörenden Mitteldeutschen Stahlwerke AG, in den zwanziger
Jahren als Leiter seines Büros „die rechte
Hand“ Friedrich Flicks, und Mitglied des Verwaltungsrates der
Deutschen Reichsbahn, stieß zum
„Keppler-Kreis“. Zu guter letzt
durften Fritz Thyssen und Albert Vögler, Vorstandsvorsitzender
der Vereinigten Stahlwerke AG, Präsidiumsmitglied des RDI,
Mitglied des Hauptvorstandes des Vereins Deutscher Eisen- und
Stahlindustrieller und der Ruhrlade, Aufsichtsratsvorsitzender der
Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke, der
Gelsenkirchener Bergwerks AG sowie der Ruhrgas AG,
Aufsichtsratsmitglied u.a. der Siemens-und- Halske- und der
Siemens-Schuckert-Werke, der größten deutschen
Reederei, der Hamburg-Amerika-Paketfahrt AG (HAPAG), der Bayerischen
Vereinsbank, der Deutschen Maschinenbau AG (Demag) und der Nordstern
Lebensversicherungs AG, in dieser Runde nicht fehlen. Vögler
hatte bereits am 26. März 1926, also in der Zeit der relativen
Stabilisierung des Kapitalismus in der Weimarer Republik, in einer
Aufsehen erregenden Rede, die er in Berlin während der Tagung
des Reichsverbandes der Deutschen Industrie hielt, einen rhetorischen
Generalangriff gegen das „Weimarer System“
geführt. Er trug u.a. vor: „Es
geht zurzeit eine wirtschaftsfeindliche Welle über die
Lande.(…)Die Staatsmänner und Regierungen sollen
nicht den falschen Ehrgeiz haben, wirtschaftliche Aufgaben zu
lösen. Sie sollten sich begnügen, das zu erledigen,
was ihnen obliegt, die Autorität im Lande aufrecht zu
erhalten. Für Zucht und Ordnung sorgen, Leib und Leben und
Eigentum schützen und sichern.(…)Wir hoffen, dass
jene Periode sozialistisch infizierter Wirtschafts- und Staatspolitik
(in der Zeit der Novemberrevolution und danach-R.Z.) endgültig
vorbei ist.(…)Der Staat muss alles daran setzen, die private
Wirtschaftsform zu schützen und zu fördern. Er muss
sie wieder zum ehernen Bestand seiner Wirtschaftspolitik
machen.“ [Tagung der Deutschen Industrie in Berlin am 26. und
27. März 1924 (V. ordentliche Mitgliederversammlung des
Reichsverbandes der Deutschen Industrie und der Vereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände), Berlin 1924, S. 33, 35, 36 u.
38.] Ganze sieben Jahre musste sich Vögler
gedulden, bis diese Wünsche ausnahmslos Realität
werden konnten. Schließlich stieß
auch Gottfried Graf von Bismarck zum Keppler-Kreis, ein Enkel des
„eisernen Kanzlers“. Bismarck bewirtschaftete
Ländereien in der Uckermark, hatte aber in den zwanziger
Jahren leitende Funktionen bei der HAPAG und in der
Geschäftsstelle des RDI in Berlin bekleidet. Wirtschaftspolitische
Neuausrichtung der NSDAP Der
„Keppler-Krei“s kam am 20. Juni 1932 im Hotel
„Kaiserhof“ zu einem Treffen mit Adolf Hitler
zusammen. Einmal mehr redete der „Führer“
der NSDAP in kleinem Kreis Klartext. Er wolle im vom ihm angestrebten
„Dritten Reich“ die Organisationen der
Arbeiterbewegung endgültig zerschlagen, die
bürgerlichen Parteien verbieten, so dass in Deutschland
künftighin nur die NSDAP existieren werde, und mit
groß angelegten Rüstungen beginnen. Wie sich Keppler
im September 1946 in einer eidesstattlichen Erklärung
für das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal
erinnerte, erhob niemand aus dem „Keppler-Kreis“
irgendwelche Einwände gegen diese Zielvorstellungen. Im
Gegenteil. Man drückte die „Besorgnis aus, dass es
ihm nicht gelingen werde, diese hervorragenden Ideen in die Tat
umzusetzen.“ [Zitiert nach: Ulrike Hörster-Philipps:
Wer war Hitler wirklich? Großkapital und Faschismus
1918-1945. Dokumente, Köln 1978, S.137.] Der
„Keppler-Kreis“ erreichte vor allem, dass wichtige
wirtschaftspolitische Erklärungen vorab Hitler vorgelegt
werden mussten und damit letztlich der Kontrolle Wilhelm Kepplers
unterlagen. Die Parteizentrale in München wurde nach und nach
derart umorganisiert, dass leitende Mitarbeiter, deren
wirtschaftspolitische Ansichten nicht vollständig den
Vorstellungen der Großindustriellen entsprachen, kalt
gestellt wurden. [Siehe hierzu u.a die folgenden, besonders
informativen Presseartikel: Berliner Tageblatt, Nr. 583, 9.12.1932:
„Konflikt Hitler-Strasser“; Vorwärts, Nr.
579, 9.12.1932: „Krach in der Hitler-Partei“;
Berliner Tageblatt, Nr. 584, 9.12.1932: „Die
Führerkrise in der NSDAP“; Frankfurter Zeitung, Nr.
921, 10.12.1932: „Der Konflikt in der NSDAP“;
Berliner Tageblatt, Nr. 585, 10.12.1932: „Die
Palastrevolution gegen Hitler“; ebenda, Nr. 588, 12.12.1932:
„Mann über Bord“ u. ebenda, Nr. 596,
16.12.1932: „Hitlers Hausmacht“.] Das
betraf vor allem Gregor Strasser, der endgültig im Dezember
1932 seinen politischen Einfluss verlor und von allen
Parteiämtern zurücktrat, aber auch Gottfried Feder,
den Autor des Parteiprogramms von 1920 [Siehe Gottfried Feder: Das
Programm der N.S.D.A.P. und seine weltanschaulichen Grundgedanken,
41.-50. Aufl., München 1931, bes. S. 28ff. (zur
„Brechung der Zinsknechtschaft“), S.35f.
(wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Grundsätze); 45ff.
(ausführliche Erläuterungen zu den wirtschafts-,
finanz- und sozialpolitischen Zielen der Nazipartei). An mehreren
Stellen dieses vor antisemitischen Tiraden nur so strotzenden Textes
ist unterschiedslos z.B. von
„dem“ Bankkapital (S. 45ff.) und
„den“ Warenhäusern (S. 47f.) die Rede.]
sowie Hitlers langjährigen Wirtschaftsberater Otto Wagener,
der eine Neuorganisation des Staates und der Volkswirtschaft nach
ständischen Modellen, aber auch die Verstaatlichung des
Bankwesens favorisierte. [Siehe Hitler aus nächster
Nähe, S. 217 u. zu seiner Abberufung, die er als Bitte um
seine Entlassung schildert, ebenda, S. 475ff. Siehe auch Christopher
Kopper: Zwischen Marktwirtschaft und Dirigismus. Bankenpolitik im
„Dritten Reich“ 1933-1939, Bonn 1995, S. 21f.] Seit
Dezember 1932 führte Walther Funk, der ehemalige Chefredakteur
der „Berliner Börsen-Zeitung“, hier die
Geschäfte eines Leiters der Kommission für
Wirtschaftspolitik. Bereits im Juni des gleichen Jahres war er von
Hitler „für das Gesamtgebiet der Wirtschaft dem
Reichsorganisationsleiter“, also Gregor Strasser,
„als Berater zur Seite gestellt“ [Der Angriff, Nr.
125, 16.6.1932: „Anordnungen der Reichsleitung der
NSDAP“. Zur Entmachtung von Gregor Strasser und Gottfried
Feder siehe die ausführliche Darstellung bei Avraham Barkai:
Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Ideologie, Theorie,
Politik 1933-1945, Frankfurt a.M. 1988, S. 34ff.; Joachim
Petzold: Die Demagogie des Hitlerfaschismus. Die politische Funktion
der Naziideologie auf dem Wege zur faschistischen Diktatur, Berlin
1982, S. 364ff. Siehe auch Dirk Stegmann: Zum Verhältnis von
Großindustrie und Nationalsozialismus 1930-1933, S. 429ff.]
worden. Wie Christopher Kopper schreibt, bildete Walther Funk
„innerhalb der NSDAP als zunehmend stärkeres
ideologisches und personelles Gegengewicht gegen die programmatische
und organisatorische Dominanz Strassers“. Er habe
„durch seinen Einfluss auf Hitler zu einem Kurswechsel der
Parteiführung auf eine großunternehmensfreundlichere
Linie“ [Christopher Kopper: Zwischen Marktwirtschaft und
Dirigismus, S. 29.] beigetragen. Funk hatte sich
bei den Herren der Großindustrie und der Banken mit seinen
„schwungvoll“ formulierten Leitartikeln einen Namen
gemacht, in denen er gleichermaßen einen nachhaltigen
Demokratie- wie den massiven Sozialabbau propagierte, aber auch, wenn
es nötig schien, die Führung der NSDAP ermahnte, den
antikapitalistischen Phrasen nur eine propagandistische Funktion
zuzuweisen. [Einige seiner wichtigsten Leitartikel waren:
„Deutschlands wirtschaftliche und soziale
Erneuerung“, in: Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 207,
5.5.1929, wo es u.a. hieß: „Der neuzeitliche,
sozial gebundene Kapitalismus will auch nur verdienen, um der
Allgemeinheit zu dienen.(…)Der Gesunde zahlt heute
für den Kranken, der Starke für den Schwachen, der
Fleißige für den Faulen…So entsteht
geradezu eine Rentenhysterie im deutschen Volk.“
– „Heraus aus dem
Wirtschaftselend!“, in: ebenda, Nr. 511, 1.11.1929, wo Funk
u.a. ausführte: „Die Stunde des deutschen
Bürgertums ist gekommen. Wird der Zeitpunkt für ein
entschiedenes Handeln verpasst, so wird er vielleicht nicht
wiederkehren, denn starke, antibürgerliche Strömungen
sind in Deutschland lebendig. (…)Deutschland hat sich
kapitalistisch schwer versündigt, und das Vertrauen des
Kapitals wird erst wieder einkehren, wenn es die Sicherheit hat, dass
es in Deutschland Schutz findet und dass es in der deutschen Wirtschaft
rentabel arbeiten kann.(…)Wer die Gesundung der deutschen
Wirtschaft, wer heraus aus dem Wirtschaftselend will, muss hinein in
die bürgerliche, in die kapitalistische
Einheitsfront.“ – „Der Weg zur
wirtschaftlichen und finanziellen Gesundung und Befreiung in
Deutschland und in der Weltwirtschaft“, in: ebenda, Nr. 95,
26.2.1930. Hier rechtfertigte er die Kapitalflucht aus Deutschland
gegenüber daran laut gewordener Kritik mit folgenden
Formulierungen: „Und wenn heute das deutsche Kapital ins
Ausland flüchtet und dort bei 4%iger Verzinsung Anlage sucht,
während in Deutschland 8-, 10- und mehrprozentige
Verzinsungsmöglichkeiten vorhanden sind, so muss man diesen
Leuten immer wieder sagen, dass auch sie einem Trugschluss zum Opfer
fallen, denn wenn unsere erstklassigen Anlagen in Deutschland nicht
mehr sicher sind, dann ist auch das Leben in Deutschland nicht mehr
sicher!“ – „Wirtschaft und
Politik. Was die Wirtschaft von der neuen Regierung verlangen
muss“, in: ebenda, Nr. 153, 1.4.1930. Hier wirbt Funk offen
für die Einführung diktatorischer
Verhältnisse: „Die wirtschaftlichen Probleme in
Deutschland sind so schwierig, und von so schicksalhafter Bedeutung,
dass sie nur von einer starken, durch Parteirücksichten nicht
gehemmten Regierungsgewalt und nur ganz systematisch und rigoros von
einer zentralen Macht- und Kraftstelle aus gelöst werden
können.“ – „Der Kampf
um Deutschlands wirtschaftliche und soziale Erneuerung“, in:
ebenda, Nr. 555, 28.11.1930. Funk ergreift in diesem Leitartikel
– wenn auch verklausuliert – die Partei Hitlers und
der NSDAP. Er schreibt u.a.: „Wir denken und handeln in
Deutschland heute im allgemeinen nur noch in Gremien, Kollegien,
Organisationen und Parteien. Es darf aber in Deutschland nur eine
Organisation geben, nämlich den sozialen Staat mit frei
schaffenden, sich selbst und der Gesamtheit voll verantwortlichen
Volksgenossen, und es darf nur eine Partei in Deutschland geben,
nämlich die Partei der nationalen Freiheit und
Würde.(…)Dem Manne, der das Ziel der deutschen
Befreiung klar aufzeigt und unnachsichtig verfolgt, und der mit dem
Willen zur Tat auch den Willen zur Macht verbindet, wird das Volk
über die Parteien hinweg Gefolgschaft leisten. Möge
dem deutschen Volke dieser Führer erstehen, ehe es zu
spät ist.“ Die Inhalte dieser und vieler anderer,
ähnlich argumentierender Leitartikel qualifizierten Funk zum
Leiter aller Wirtschaftsabteilungen der
National-„sozialistischen“ Deutschen
„Arbeiter“partei!] Wie Manfred Asendorf
schreibt, wurde Funk „von der Ruhrindustrie in die Umgebung
Hitlers geschleust, um dem Parteiführer gleichsam die
schwerindustriellen Korsettstangen einzuziehen“. [Manfred
Asendorf: Hamburger Nationalklub, Keppler-Kreis, Arbeitsstelle Schacht
und der Aufstieg Hitlers, in: 1999. Zeitschrift für
Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 2. Jg., 1987, H. 3, S.
128.] Otto Wagener attestierte Funk interessanter Weise, er sei
„kein Nationalsozialist“, sondern ebenso wie
Keppler, „von Natur aus Wirtschaftsliberalist.“
[Hitler aus nächster Nähe, S. 479.] In seiner
Vernehmung während des Nürnberger
Kriegsverbrecherprozesses antwortete Walther Funk im Übrigen
auf eine entsprechende Frage des US-amerikanischen Anklägers
wahrheitsgemäß, der „Verbindungsmann
zwischen der Nazi-Partei und den großen
Geschäftsleuten in Deutschland gewesen zu sein.“
[Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen
Militärgerichtshof in Nürnberg 14. November 1945
– 1. Oktober 1946, Bd. XIII, S. 161f.] Funk erhielt
regelmäßig 3.000 Reichmark monatlich und
größere Summen für spezielle Zwecke vom
Bergbauverein, einem einflussreichen Interessenverband der
Montanindustrie an Rhein und Ruhr, sowie von Albert Vögler und
Fritz Springorum, von dem noch die Rede sein wird, zur
Verfügung gestellt. [Siehe Gustav Luntowski: Hitler und die
Herren an der Ruhr, S. 49f.] Zu
den Beziehungen der IG Farben zur Nazipartei Der
seinerzeit größte Chemie-Konzern der Welt und das
bedeutendste Unternehmen in Deutschland waren jedoch nicht die
Vereinigten Stahlwerke oder die Siemens AG, sondern die 1925
gegründeten IG Farben. Ihr Aktienkapital betrug die
für damalige Verhältnisse unvorstellbar hohe Summe
von mehr als 1,1 Milliarden Reichsmark. Allerdings sei an dieser Stelle
erwähnt, dass die IG durch ihr Aktienpaket an den Rheinischen
Stahlwerken zu den Miteigentümern der Vereinigten Stahlwerke
AG gehörten und somit als Konzern durchaus auch
ökonomische Interessen im schwerindustriellen Sektor geltend
machten. [Siehe Harald Wixforth: Banken und Schwerindustrie in der
Weimarer Republik, Köln u.a. 1995, S. 453ff.
„Rheinstahl“ brachte allerdings nicht alle seine
Betriebe in die vereinigten Stahlwerke ein. Ihr Anteil an den
Vereinigten Stahlwerken betrug 8,5 Prozent, was einem Aktienwert von 68
Millionen Reichsmark entsprach. Insgesamt betrug der Aktienwert des
Unternehmens Ende 1927 150 Millionen Reichsmark. Siehe ebenda, S. 547.]
Gegenüber der Öffentlichkeit
demonstrierte dieser Industriegigant seine Bedeutung auch dadurch, dass
er in Frankfurt am Main von 1928 bis 1931 durch den renommierten
Architekten Hans Poelzig das damals größte
Bürohaus der Welt, einen Gebäudekomplex monumentalen
Ausmaßes, errichten ließ. Hier residierte Carl
Duisberg, von 1925 bis 1935 der Aufsichtsratsvorsitzende der IG, im
Zeitraum von 1925 bis 1931 zugleich Präsident des
Reichsverbandes der Deutschen Industrie. Während
der Tagung des RDI im September 1929, die der Vorbereitung
der weiter oben erwähnten Denkschrift „Aufstieg oder
Niedergang“ diente, ergriffen zusammen mit Duisberg auch das
mit zwei Doktortiteln ausgestattete Mitglied des Verwaltungsrates, W.
F. Kalle, und das Direktoriumsmitglied Prof. Dr. Duden, insgesamt drei
Repräsentanten des Chemie-Konzerns mit ausführlichen
Beiträgen das Wort, deren scharfmacherischen Inhalte den Tenor
der zu erarbeitenden Denkschrift bereits erahnen ließen.
„Die Überspannung des Gedankens der
Sozialversicherung“, so Kalle, „zeigt immer
deutlicher, dass das Beste in unserem Volke – der
Arbeitswille – bei manchen bereits zu erlahmen beginnt und
ein neuer Stand der Rentennutznießer großgezogen
wird.“ [Mitgliederversammlung des Reichsverbandes der
Deutschen Industrie am 20. und 21. September 1929 in
Düsseldorf, S. 45.] Duden lobte in seiner Ansprache die
„magna charta del lavoro“ des faschistischen
Italiens, die Streiks strikt untersagte, und deutete damit die Richtung
an, in die das Management der IG Farben die politische Entwicklung in
Deutschland zu beeinflussen gedachte. [Ebenda, S. 49.] Währenddessen
sang Duisberg in seinem einleitenden Referat das Hohelied des
kapitalistischen Herrschaftssystems: „Unser Wirtschaftssystem
hat sich bewährt. Das beweist der hohe Lebensstandard unseres
Volkes, das Steigen des Reallohns, das beweist der Rückgang
der Arbeitslosigkeit seit Beginn des kapitalistischen
Zeitalters.“ [Ebenda, S. 21.] Nur wenige Wochen
später begann mit dem „Schwarzen Freitag“
an der New Yorker Börse bekanntlich die
größte Wirtschaftskrise in der bisherigen Geschichte
des Kapitalismus, mit mehr als sechs Millionen offiziell registrierten
Arbeitslosen allein in Deutschland am Ende des Jahres 1932. Die
ersten ernsthaften Kontakte zwischen Repräsentanten der IG
Farben und der Führung der NSDAP datieren Mitte/Ende des
Jahres 1931, setzten also später ein als die
Unterstützung der faschistischen Partei durch Vorstands- oder
Aufsichtsratsmitglieder anderer Großunternehmen. Zwei
Anlässe waren ausschlaggebend für die Bereitschaft
des Chemiegiganten, sich mit Hitler und den Seinen an einen Tisch zu
setzen. Zum einen war die IG immer
häufiger von Nazi-Gazetten ins Visier genommen worden, die dem
Konzern bescheinigten, angeblich Bestandteil des internationalen,
jüdisch dominierten Finanzkapital zu sein. Die Namen leitender
Mitarbeiter, die jüdischer Herkunft waren, mussten als Belege
für diese abenteuerliche These dienen, die durch
antisemitische Karikaturen („IG Moloch“,
„Isidore G Farben“) noch veranschaulicht wurde.
Heinrich Gattineau, der Leiter der Abteilung für
Öffentlichkeitsarbeit im Konzern, erreichte durch eine
Intervention seines ehemaligen Doktorvaters, des mit Adolf Hitler und
Rudolf Heß gut bekannten „Geopolitikers“
Prof. Karl Haushofer, die Beendigung derartiger Angriffe. [Siehe Joseph
Borkin: Die unheilige Allianz der I.G. Farben. Eine
Interessengemeinschaft im Dritten Reich, Frankfurt a.M. u. New York
1979, S. 56.] Zum anderen war die Ursache
für die Kontaktaufnahme zwischen den IG Farben und Hitler
handfester Natur. Auf ausdrückliche Anordnung des
Vorstandsvorsitzenden Carl Bosch, er hatte übrigens 1931 den
Nobelpreis für Chemie erhalten, baten Gattineau und Heinrich
Bütefisch, Direktor der Leuna-Werke, Hitler um eine
vertrauliche Zusammenkunft, deren genauer Termin nicht mehr exakt
rekonstruiert werden kann, die aber im Oktober oder November 1932
stattgefunden haben dürfte. Worum ging es dabei? [Zum
Folgenden siehe Helmuth Tammen: Die I. G. Farbenindustrie
Aktiengesellschaft (1925-1933). Ein Chemiekonzern in der Weimarer
Republik, Berlin 1978, S. 281ff.; Fall 6. Ausgewählte
Dokumente und Urteil des IG-Farben-Prozesses, hrsg. v. Hans Radandt,
Berlin 1970, S. 22; Joseph Borkin: Die unheilige Allianz der I.G.
Farben, S. 57f. Die von Kurt Gossweiler in seinen Publikationen
geäußerten Thesen zu einer engeren Beziehung der
NSDAP zu den IG Farben über den studierten Apotheker und
späteren „Führer“ der Deutschen
Arbeitsfront, Robert Ley, sowie den Chemiker Gregor Strasser, die beide
in IG-Betrieben tätig gewesen waren, erscheint uns sehr
spekulativ und quellenmäßig nicht hinreichend belegt
zu sein.] Die Führung der IG Farben wollte
sich vergewissern, ob Hitler im Falle seiner als wahrscheinlich
erachteten Kanzlerschaft die Aktivitäten des Konzerns
finanziell unterstützen würde, synthetisches Benzin
zu produzieren. Bislang waren die Entwicklungs- und Produktionskosten
nicht annähernd kostendeckend. Hier bot
sich die künftige politische Orientierung auf die NSDAP an:
Die faschistische Partei und ihr „Führer“
propagierten in ihren Publikationen, nicht zuletzt in „Mein
Kampf“, die Notwendigkeit eines Revanchekrieges für
die im Ersten Weltkrieg erlittene Niederlage. Hierfür stellte
die Energieautarkie eine unerlässliche Voraussetzung dar. Da
Erdöl nur in geringen Mengen in Deutschland gefördert
wurde, fehlte die Voraussetzung, um einen
„modernen“ Krieg zu führen: die
kontinuierliche Verfügung über große Mengen
Benzins. An dieser Stelle, angesichts der Möglichkeiten des
Chemiekonzerns, synthetisches Benzin herzustellen,
hoffte man das Interesse Adolf Hitlers gewinnen zu können.
Anders gesagt: Die ökonomischen Interessen der IG Farben und
die Kriegspläne Hitlers könnten miteinander eine
synergetische Beziehung eingehen. Das etwa
zweieinhalbstündige Gespräch zwischen Hitler,
Gattineau und Bütefisch verlief jedenfalls für alle
Seiten mehr als nur befriedigend. In seiner Befragung
anlässlich des IG-Farben-Prozesses erinnerte sich
Bütefisch, dass der Nazi-„Führer“
folgende Gedanken geäußert habe:
„Heutzutage sei eine Wirtschaft ohne Öl undenkbar in
einem Deutschland, das politisch unabhängig bleiben wolle.
Deshalb müsse deutsches Motoröl Wirklichkeit werden,
auch wenn das große Opfer erfordere. Es sei deshalb dringend
notwendig, die Kohlehydrierung fortzusetzen.“ „Dann
scheint ja der Mann (gemeint: Hitler-R.Z.) vernünftiger als
ich gedacht habe“ [Zitiert nach Helmuth Tammen: Die I. G.
Farbenindustrie Aktiengesellschaft, S. 284.], resümierte Carl
Bosch das ihm überbrachte Ergebnis der Unterredung, bei der
sich Hitler übrigens gut informiert über die
technischen Probleme bei der Herstellung synthetischen Benzins zeigte. Dies
mag vielleicht daran gelegen haben, dass er sich von führenden
Funktionären seiner Partei, darunter dem seit August 1932 als
thüringischen Ministerpräsidenten und Innenminister
amtierenden Fritz Sauckel, über die Ergebnisse einer
Besichtigung der Leuna-Werke informiert hatte, die eigens von der
Direktion der IG Farben organisiert worden war. Wie
auch immer: Beiden Seiten war klar, dass die beabsichtigte
Hochrüstung des deutschen Faschismus und der Kurs auf einen
erneuten Angriffskrieg ohne die aktive Einbeziehung der IG Farben,
ihrer Entwicklungs- und Produktionsstätten, vor allem
für das synthetische Benzin, nicht möglich waren. Es
erscheint deshalb folgerichtig, dass die IG Farben durch ihr
Vorstandsmitglied Georg von Schnitzler bei einer Zusammenkunft
führender Industrieller im Hause Hermann Görings am
20. Februar 1933, zu der Hjalmar Schacht kurz vor den
„Wahlen“ zum Reichstag am 5. März 1933
eingeladen hatte, mit 400.000 Reichsmark den größten
finanziellen Beitrag leisteten, um den Sieg der NSDAP sicherzustellen.
[Siehe Joseph Borkin: Die unheilige Allianz der I. G. Farben, S. 59.]
Ob die IG Farben bereits im Vorfeld der Reichstagswahlen von 1930 und
1932 Spenden von Seiten des Konzerns erhalten haben, ist nicht mit
Sicherheit nachzuweisen, zumal die IG offenbar entsprechende
Zuwendungen nicht in den entsprechenden Aufstellungen ihrer
„Zentralstelle für
Spenden-Angelegenheiten“ aufgeführt hat und im
Übrigen „kleinere“ Beträge
dezentral vergeben wurden. [Siehe Helmuth Temmen: Die I. G.
Farbenindustrie Aktiengesellschaft, S. 284 u. 431f., Anm. 485.] Wenn
auch die IG Farben weder im „Keppler-Kreis“ noch
bei den Unterzeichnern der Industriellen-Eingabe an Hindenburg vom 19.
November 1932 vertreten waren, so bedeutet das keineswegs, dass sie
ernsthaft gegen eine Berufung Hitlers zum Reichskanzler gewesen
wären – trotz vieler Vorbehalte, die Carl Bosch
angesichts des Antisemitismus der Nazis nicht verschwieg, die ihm den
Zorn Hitlers aussetzten und die ihn später in das Umfeld der
Verschwörer des 20. Juli 1944 geraten ließen. [Siehe
Joseph Borkin: Die unheilige Allianz der IG Farben, S. 59.] Das
Beispiel der IG Farben belegt, dass bei der Aufdeckung von Beziehungen
der faschistischen Partei zur Monopolbourgeoisie der Blick
über den „Keppler-Kreis“ hinausgehen muss. Die
„Industriellen-Eingabe“ an Hindenburg vom November
1932 Im November 1932 schlug dann die Sternstunde
dieses Gremiums. Seine Mitglieder sowie weitere führende
Repräsentanten der deutschen Industrie- und Bankenwelt, einige
mittelständische Unternehmer, darunter der Inhaber der
Schreibwaren- und Büroartikelfirma
„Pelikan“, Fritz Beindorff, der zugleich dem
Aufsichtsrat der Deutschen Bank angehörte und von 1917 bis
1923 der Industrie- und Handelskammer zu Hannover präsidierte,
Rudolf Ventzky, Direktor der zum Konzern der
Gutehoffnungshütte [Der 1923 konstituierte
Gutehoffnungshütte Aktienverein für Bergbau und
Hüttenbetrieb Nürnberg diente der Familie Haniel als
Holding für ihre einzelnen Unternehmungen: vor allem
für die Gutehoffnungshütte AG Oberhausen, die
Maschinenfabrik Esslingen, die Deutsche Werft AG und die MAN. Siehe das
Material in: BArch, R 8128/2172.] gehörenden Maschinenfabrik
Esslingen, die vor allem Lokomotiven, Landmaschinen und
Straßenbahnen produzierte, sowie Exponenten der nach wie vor
gesellschaftlich und politisch einflussreichen
Großgrundbesitzer, unterzeichneten eine Eingabe an den
Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, in der die
Übergabe der Regierungsmacht an die faschistische Partei
gefordert wurde. Verabschiedet wurde die endgültige Fassung
der Petition in den Räumen des Direktionsgebäudes der
Commerzbank in der Behrenstraße 46/Ecke
Charlottenstraße 47 in Berlin-Mitte am Nachmittag um 15 Uhr
des 8. November 1932. Ein historisches Datum, das festgehalten zu
werden verdient! Diese Zusammenkunft fand kurz nach
der Niederlage der Nazis bei den Reichstagswahlen am 6. November statt,
als die faschistische Partei mehr als vier Prozentpunkte (33,1 zu 37,3
Prozent) und etwas mehr als 2 Millionen Wählerstimmen (11,74
zu 13,75 Millionen) sowie 34 Mandate im Vergleich zu den
Reichstagswahlen vom Juli 1932 eingebüßt hatte (196
zu 230). Es schien jetzt Eile geboten, die NSDAP an die Schalthebel der
politischen Macht gelangen zu lassen, da der Gipfelpunkt ihrer
Entwicklung überschritten zu sein schien. Auch die
ökonomische Krisis hatte inzwischen wohl ihren Scheitelpunkt
erreicht. Vor allem sorgte die Haltung der Berliner
Gauleitung der NSDAP und der gerade in Berlin überaus aktiven
„Nationalsozialistischen
Betriebszellenorganisation“ (NSBO) beim am 3. November
begonnenen Berliner Verkehrsarbeiterstreik für erneut
aufflammendes Misstrauen bei den nazi-freundlichen Industriellen und
Bankiers. Denn Gauleiter Joseph Goebbels hatte im
„Angriff“ einen Streikaufruf für die
Mitglieder und Anhänger der NSDAP publiziert ; zwar streikten
Kommunisten und Nazis nicht gemeinsam, aber parallel im weltweit
größten kommunalen Betrieb, der Berliner
Verkehrs-Gesellschaft (BVG). [Siehe Frank Deppe u. Wittich
Roßmann: Wirtschaftskrise, Gewerkschaften, Faschismus.
Dokumente zur Gewerkschaftspolitik 1929-1933, Köln 1981, S.
201ff.; Henryk Skrzypczak: „Revolutionäre“
Gewerkschaftspolitik in der Weltwirtschaftskrise – Der
Berliner Verkehrsarbeiterstreik 1932, in: Gewerkschaftliche
Monatshefte, Heft 4-5/1983, S. 264ff. Demnächst: derselbe: Der
Berliner Verkehrsarbeiterstreik im November 1932. Legenden und
Realitäten. Mit einer Einleitung von Reiner Zilkenat, Berlin
2012 (Beiheft Nr. 1 der „Mitteilungen“ des
Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der
Arbeiterbewegung e.V.).] Auch
Reichspräsident von Hindenburg war irritiert und befragte
Adolf Hitler bei einem Gespräch im
Reichspräsidenten-Palais über die dieser Entscheidung
zugrunde liegenden Motive: „Auf eine Frage des Herrn
Reichspräsidenten, warum die nationalsozialistische Bewegung
sich bei dem Berliner Verkehrsstreik beteiligt hat, erwiderte Adolf
Hitler: ‚Die
Leute sind sehr erbittert. Wenn ich meine Leute von der Beteiligung
abgehalten hätte, hätte der Streik doch
stattgefunden, aber ich hätte meine Anhänger in der
Arbeiterschaft verloren; das wäre auch kein Vorteil
für Deutschland.“ [Zitiert nach: Akten
der Reichskanzlei. Das Kabinett von Papen, bearb. v. Karl-Heinz Minuth,
Boppard am Rhein 1989, Bd. 2, Nr. 208, S. 985. Hervorhebungen
von mir R.Z.] Eine derartige Aussage, die
wahrheitsgemäß Zeugnis von der
Doppelbödigkeit der antikapitalistischen Propaganda und
sozialen Demagogie der faschistischen Partei ablegt, konnte
natürlich nicht öffentlich, sondern nur hinter fest
verschlossenen Türen formuliert werden. [Die NSDAP hatte
bereits beim Streik der 130.000 Berliner Metallarbeiter im Oktober 1930
eine ähnlich doppelbödige Strategie betrieben wie
beim BVG-Verkehrsarbeiterstreik im November 1932. Siehe Reiner
Zilkenat: Der Berliner Metallarbeiterstreik 1930 und die
Gründung des Einheitsverbandes der Metallarbeiter Berlins
(EVMB), Phil. Diss. Berlin 1989, S. 109ff.] Sie dokumentiert im
Übrigen das Dilemma der NSDAP-Führung, einerseits von
Zeit zu Zeit den Stimmungen ihrer Massenbasis nachzugeben, aber
andererseits ihre großindustriellen Protektoren nicht zu
verprellen, wenn z.B. die Beteiligung von Nazi-Arbeitern an
Arbeitskämpfen außer Kontrolle geraten sollte.
Dieser Fall wäre eingetreten, wenn gemeinsame Streikleitungen
und Aktionen mit sozialdemokratischen oder kommunistischen Kollegen,
gegen den erklärten Willen der Gauleitung, durch die
streikenden Nazis praktiziert worden wären. Konnte eine solche
Entwicklung angesichts der nicht im Voraus zu kalkulierenden Dynamik,
die groß dimensionierten Arbeitskämpfen stets
immanent ist, und angesichts der kommunistischen Streiktaktik, durch
einheitliche Kampfaktionen die der NSBO angehörenden Arbeiter
dem politischen und ideologischen Einfluss der Naziführung zu
entreißen, ausgeschlossen werden? Ohnehin
konnten zugespitzte Auseinandersetzungen innerhalb der faschistischen
Bewegung jederzeit wieder aufflammen, wie z.B. die
„Stennes-Revolte“ der Berliner SA in den Jahren
1930/31 bewiesen hatte. [Siehe derselbe: Die SA –
Bürgerkriegsarmee und Massenorganisation des deutschen
Faschismus, S. 30f.] Der Handlungsbedarf
für die Herren des „Keppler-Kreises“ war
jedenfalls zu Beginn des Novembers 1932 größer denn
je. Erarbeitet wurde der Text der Industriellen-Eingabe von Hjalmar
Schacht. Unterschrieben hatten diese Petition bzw. sich schriftlich mit
ihrem Anliegen einverstanden erklärt, ohne selbst zu
unterzeichnen, die bereits genannten Mitglieder des
„Keppler-Kreises“. Hinzu kamen mit Paul Reusch und
Fritz Springorum zwei weitere führende Repräsentanten
der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie. Reusch,
der es gerne hörte, „der Löwe von
Oberhausen“ genannt zu werden, gehörte seit 1905 dem
Vorstand der Gutehoffnungshütte AG Oberhausen an, den er
inzwischen als Vorsitzender leitete. Außerdem amtierte er als
Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Werft AG und als
stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Maschinenfabrik
Augsburg-Nürnberg (MAN). [Die Gutehoffnungshütte AG
Oberhausen gehörte zur Holding der Industriellen-Familie
Haniel, dem Gutehoffnungshütte Aktienverein für
Bergbau und Hüttenbetrieb Nürnberg. Auch die Deutsche
Werft AG und die MAN waren Unternehmen, die dieser Holding zu- und
untergeordnet waren. Siehe BArch, R 8128/2172 und die fast komplette
Sammlung der Jahresberichte der Holding sowie der
Gutehoffnungshütte in Oberhausen aus der Weimarer Republik
sowie aus der Zeit des Faschismus in: ebenda, R 8127/13263, 2
Bände. Im vierzehnköpfigen Aufsichtsrat der Holding
waren zu Beginn der dreißiger Jahre nicht weniger als sechs
Angehörige der Familie Haniel vertreten, darunter der
Aufsichtratsvorsitzende Karl Haniel und seine Stellvertreter Richard
und Kurt Berthold Haniel. Siehe Bericht des Vorstandes für das
Geschäftsjahr 1931/32, S. 5 (Exemplar in: BArch, R 8127/13263,
Bd. 2).] Weitere Aufsichtsratsmandate nahm er u.a. bei der Deutschen
Bank, der AEG, der Bayerischen Vereinsbank und bei der Philipp Holzmann
AG wahr. Die herausragende Bedeutung dieses Industriellen wird noch
durch seine Mitgliedschaft im Präsidium des RDI, in der
Ruhrlade und durch seine Funktion als Vizepräsident des
Deutschen Industrie- und Handelstages unterstrichen. Fritz
Springorum war seit 1920 Vorstandsvorsitzender der Hoesch AG. Zugleich
gehörte er dem Hauptvorstand des Vereins Deutscher Eisen- und
Stahlindustrieller, der Ruhrlade sowie dem Vorstand des RDI an. Zudem
wirkte er – als Nachfolger von Paul Reusch – seit
1930 als Vorsitzender des so genannten Langnam-Vereins (Verein zur
Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und
Westfalen), der die Interessen der Industriellen in Rheinland und
Westfalen als eine Art „Reichsverband der Deutschen Industrie
– Regionalverband an Rhein und Ruhr“ wahrzunehmen
wusste. Besonders wichtig für den
Eindruck, den die Eingabe auf Hindenburg hinterlassen sollte, waren die
Unterschriften prominenter Großagrarier aus dem Adelsstand.
[Zum Verhältnis von bedeutenden Exponenten des Adels,
einschließlich ehemals regierender Familien, zur
faschistischen Bewegung in Deutschland, siehe Willibald Gutsche u.
Joachim Petzold: Das Verhältnis der Hohenzollern zum
Faschismus, in: ZfG, 29. Jg., 1981, H. 10. S. 917ff.; Joachim Petzold:
Großagrarier-Bauern-NSDAP. Zu ideologischen
Auseinadersetzungen um die Agrarpolitik der faschistischen Partei 1932,
in: ebenda, ; Willibald Gutsche: Zur Rolle von Nationalismus und
Revanchismus in der Restaurationsstrategie der Hohenzollern 1919 bis
1933, in: ebenda, 34. Jg., 1986, H. 7, S. 621ff.; Kurt Gossweiler:
Junker und NSDAP 1931/32. Eine Dokumentation, in: derselbe:
Aufsätze zum Faschismus, S. 230ff.; derselbe: Junkertum und
Faschismus, in: ebenda, S. 260ff. Siehe auch Stephan Malinowski: Vom
König zum Führer. Der deutsche Adel und der
Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2010.] Hier finden wir den
schlesischen Magnaten Eberhard Graf von Kalckreuth, den
Präsidenten des Reichslandbundes (RLB), der einflussreichen
Interessenorganisation der Großagrarier, denen sich der
Reichspräsident verbunden fühlte und für
deren Anliegen er stets ein offenes Ohr hatte. Kalckreuth war zudem
Mitglied des Zentralausschusses der Deutschen Reichsbank und
Aufsichtratsvorsitzender der Deutschen Landwirtschaftsbank AG. Joachim
von Oppen-Dannenwalde, Sohn eines Generalleutnants, war
Großgrundbesitzer in der Ostprignitz, Aufsichtsratsmitglied
der Harkortschen Bergwerke und Chemischen Fabriken AG und seit 1921
Präsident der Landwirtschaftskammer Brandenburg sowie Mitglied
des Deutschen Landwirtschaftsrates. Beide Adligen hatten zudem in
preußischen Garderegimentern gedient; für den
greisen Generalfeldmarschall a. D. von Hindenburg stets ein gutes
Argument, um die Ansichten derartiger Herrschaften ernst zu nehmen. Weiterhin
hatte Robert Graf von Keyserlingk die Eingabe unterzeichnet, ein Jurist
mit langer Karriere im preußischen Staatsdienst. Unter
anderem war er als Referent im Landwirtschaftsministerium
tätig gewesen und avancierte schließlich
zum Regierungspräsidenten von Königsberg. Im
Weltkrieg hatte er zeitweilig Hindenburgs Stabschef, den General Erich
Ludendorff, bei der Lösung volks- und agrarwirtschaftlicher
Fragen beraten und als Kriegskommissar für Litauen
und die baltischen Provinzen fungiert. In der Weimarer Republik
zählte Graf Keyserlingk zu den Mitbegründern der
DNVP, wurde Mitglied des Preußischen Staatsrates und 1921 zum
Mitglied des Vorstandes landwirtschaftlicher
Arbeitgeberverbände gewählt. 1927 gehörte er
der deutschen Delegation bei der Genfer Weltwirtschaftskonferenz an.
Schließlich hatte der preußische Junker von
Rohr-Manze die Eingabe an Hindenburg unterschrieben, der Vorsitzende
des Schlesischen Landbundes. Für den
Reichspräsidenten war ebenfalls wichtig, dass einige der
Unterzeichner dem „Stahlhelm-Bund der
Frontsoldaten“ angehörten oder sich ihm verbunden
fühlten, dessen Ehrenmitglied von Hindenburg war. Mit dem
Grafen v. Kalckreuth, Fritz Springorum, Otto Steinbrinck und Dr.
Lübbert, einem mittelständischen Unternehmer der
Baubranche, der ursprünglich ausgedehnte
geschäftliche Aktivitäten in den deutschen Kolonien
Südwestafrika und Kamerun entfaltet hatte, gehörten
vier Persönlichkeiten, die der Industriellen-Eingabe ihre
Zustimmung gegeben hatten, dem Wirtschaftsrat des
„Stahlhelms“ an. [Siehe BArch, R 72/308, Bl. 19ff.
u. 219.] Paul Reusch hatte im Dezember 1931 seinen formellen Beitritt
zum „Stahlhelm“ erklärt. [Siehe Gustav
Luntowski: Hitler und die Herren an der Ruhr, S. 53.] Ohnehin
wurden mit größter Selbstverständlichkeit
führende Industrielle und Großgrundbesitzer, deren
größte Sympathien am Ende der Weimarer Republik
Hitler und der faschistischen Bewegung galten, wie z.B. Fritz Thyssen,
Albert Vögler, von Rohr-Manze, Fritz Springorum, Emil Kirdorf,
Hjalmar Schacht und Emil Georg v. Stauß, seit jeher als
Ehrengäste zu Großveranstaltungen des
„Stahlhelms“, etwa zu den
„Reichsfrontsoldatentagen“, eingeladen. [Siehe
BArch, R72/157, Bl. 96ff. Die genannten Personen gehörten zu
den Ehrengästen des 12. Reichsfrontsoldatentages des
Stahlhelms in Breslau Ende Mai/Anfang Juni 1931.] Zwar waren die
Beziehungen Hindenburgs zum „Stahlhelm“ gespannt,
seit beim 1. Wahlgang zu den Reichspräsidentenwahlen am 13.
März 1932 der 2. Bundesführer dieser
„Wehrorganisation“, Oberstleutnant a. D. Theodor
Duesterberg, wenn auch erfolglos, gegen Hindenburg ins Rennen geschickt
worden war. Dennoch blieb der greise Reichspräsident auch
fernerhin dem „Stahlhelm“ als militaristischer und
extrem reaktionärer Massenorganisation ehemaliger
Frontkämpfer eng verbunden. Eingabe von Industriellen und
Großagrariern an Reichspräsident Paul von Hindenburg
vom 19. November 1932, überreicht von Friedrich Reinhart,
Vorstandsmitglied der Commerzbank, an den Staatssekretär im
Reichspräsidialamt Otto Meissner „Hochzuverehrender
Herr Reichspräsident! Gleich Eurer
Exzellenz durchdrungen von heißer Liebe zum deutschen Volk
und Vaterland, haben die Unterzeichneten die grundsätzliche
Wandlung, die Eure Exzellenz in der Führung der
Staatsgeschäfte angebahnt haben, mit Hoffnung
begrüßt. Mit Eurer Exzellenz bejahen wir die
Notwendigkeit einer vom parlamentarischen Parteiwesen
unabhängigen Regierung, wie sie in den von Eurer Exzellenz
Gedanken eines Präsidialkabinetts zum Ausdruck kommt. Der
Ausgang der Reichstagswahl vom 6. November d. J. hat gezeigt, dass das
derzeitige Kabinett, dessen aufrechten Willen niemand im deutschen Volk
bezweifelt, für den von ihm eingeschlagenen Weg keine
ausreichende Stütze im deutschen Volk gefunden hat, dass aber
das von Eurer Exzellenz gezeigte Ziel eine volle Mehrheit im deutschen
Volk besitzt, wenn man – wie es geschehen muss –
von der staatsverneinenden Kommunistischen Partei absieht. Gegen das
bisherige parlamentarische Parteiregime sind nicht nur die
Deutschnationale Volkspartei und die ihr nahestehenden kleinen Gruppen,
sondern auch die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
grundsätzlich eingestellt und haben und haben damit das Ziel
Eurer Exzellenz bejaht. Wir halten dieses Ergebnis für
außerordentlich erfreulich und können uns nicht
vorstellen, dass die Verwirklichung dieses Zieles nunmehr an der
Beibehaltung einer unwirksamen Methode scheitern sollte. Es ist klar,
dass eine des öfteren wiederhole Reichstagsauflösung
mit sich häufenden, den Parteikampf immer mehr zuspitzenden
Neuwahlen nicht nur einer politischen, sondern auch jeder
wirtschaftlichen Beruhigung und Festigung entgegenwirken muss. Es ist
aber auch klar, dass jede Verfassungsänderung, die nicht von
breitester Volksströmung getragen ist, noch schlimmere
wirtschaftliche, politische und seelische Wirkungen auslösen
wird. Wir
erachten es deshalb für unsere Gewissenspflicht, Eure
Exzellenz ehrerbietigst zu bitten, dass zur Erreichung des von uns
allen unterstützten Zieles Eurer Exzellenz die Umgestaltung
des Reichskabinetts in einer Weise erfolgen möge, die die
größtmögliche Volkskraft hinter das
Kabinett bringt. Wir bekennen
uns frei von jeder engen parteipolitischen Einstellung. Wir erkennen in
der nationalen Bewegung, die durch unser Volk geht, den
verheißungsvollen Beginn einer Zeit, die durch
Überwindung des Klassengegensatzes die unerlässliche
Grundlage für einen Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft
erst schafft. Wir wissen, dass dieser Aufstieg noch viele Opfer
erfordert. Wir glauben, dass diese Opfer nur dann willig gebracht
werden können, wenn die größte Gruppe
dieser nationalen Bewegung führend an der Regierung beteiligt
wird. Die Übertragung der verantwortlichen Leitung des mit den
besten sachlichen und persönlichen Kräften
ausgestatteten Präsidialkabinetts an den Führer der
größten nationalen Gruppe wird die
Schwächen und Fehler, die jeder Massenbewegung notgedrungen
anhaften, ausmerzen und Millionen Menschen, die heute noch abseits
stehen, zu bejahender Kraft mitreißen. In vollem
Vertrauen zu Eurer Exzellenz Weisheit und Eurer Exzellenz
Gefühl der Volksverbundenheit begrüßen wir
Eure Exzellenz mit größter Ehrerbietung. Dr. Hjalmar
Schacht, Berlin Kurt Freiherr von
Schröder, Köln Fritz Thyssen,
Mühlheim Eberhard Graf von Kalckreuth,
Berlin Friedrich Reinhart, Berlin Kurt
Woermann, Hamburg Fritz Beindorff,
Hamburg Kurt von Eichborn, Breslau Emil
Helfferich, Hamburg Ewald Hecker,
Hannover Carl Vincent Krogmann, Hamburg Dr.
Erwin Lübbert, Berlin Erwin Merck,
Hamburg Joachim von Oppen, Dannenwalde Rudolf
Ventzky, Esslingen Franz Heinrich Witthoefft,
Hamburg August Rosterg, Berlin Robert Graf
von Keyserlingk, Cammerau von Rohr-Manze Engelbert
Beckmann, Hengstey“ BArch,
NS 20/76, Bl. 28f. Auch zitiert in: Eberhard Czichon: Wer verhalf
Hitler zur Macht? Zum Anteil der deutschen Industrie an der
Zerstörung der Weimarer Republik, 2. Aufl., Köln
1971, S. 69ff. Hervorhebungen von mir – R.Z. Aus dem Schreiben Friedrich
Reinharts an Otto Meissner vom 21. November 1932 „(…)Ich
habe den Auftrag, Ihnen, Herr Staatssekretär, namens der
Herren Dr. Albert Vögler, Dortmund, Kommerzienrat Dr.
Paul Reusch, Oberhausen, Dr. Fritz Springorum, Dortmund, zur Weitergabe
an den Herrn Reichspräsidenten mitzuteilen, dass diese Herren
grundsätzlich voll und ganz auf dem Boden der Eingabe stehen,
aber nicht zu unterzeichnen wünschen, da sie politisch nicht
hervortreten wollen. Das Originalschreiben des Herrn Vögler
mit entsprechendem Inhalt werde ich morgen vorlegen können.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung bin ich Ihr
ergebenster Friedrich Reinhart.“ Zitiert nach: Eberhard Czichon:
Wer verhalf Hitler zur Macht? S. 71f. Noch zwei
Monate sollte es dauern, bis das mit der
„Industriellen-Eingabe“ verfolgte Ziel, die
Berufung Hitlers zum Reichskanzler durch Paul von Hindenburg,
schließlich realisiert werden konnte. Bei
dem fintenreichen Intrigenspiel, in dessen Ergebnis der lange
widerstrebende Reichspräsident schließlich Hitler am
30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte, waren die Hauptrollen vor
allem Kurt von Schröder, Friedrich Reinhart, Ewald Hecker,
Oskar von Hindenburg, dem eingeheirateten Inhaber der
Henkell-Sektkellerei und späteren
Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop sowie in
besonderer Weise dem ehemaligen Reichskanzler Franz v. Papen zugewiesen
worden. [Siehe Gustav Luntowski: Hitler und die Herren an der Ruhr, S.
81ff.] Im Hintergrund wirkten die Mächtigen der
rheinisch-westfälischen Schwerindustrie. In der
Kölner Villa Kurt von Schröders und im Hause
Ribbentrops in der Lentzeallee 9 in Berlin-Dahlem wurden streng
vertrauliche Verhandlungen und Gespräche zur Installierung
Hitlers als Reichskanzler geführt. In
ihrem Ergebnis wurde das Einverständnis erzielt, Franz v.
Papen den Posten des Vizekanzlers zu übertragen, den
DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg als Reichswirtschafts- und
Ernährungsminister und Paul Freiherr v. Eltz-Rübenach
als Reichsverkehrsminister zu berufen. Der 1. Bundesführer des
„Stahlhelms“ Franz Seldte wurde
Reichsarbeitsminister. Die parteilosen Konservativen Lutz Graf Schwerin
v. Krosigk und Konstantin Freiherr von Neurath verblieben in ihren
Ämtern als Reichsfinanz- bzw. Reichsaußenminister.
Das Amt des Reichswehrministers übertrug Hindenburg dem
General Werner von Blomberg, einem glühenden Anhänger
Hitlers und seiner faschistischen Partei. Neben Hitler war mit Hermann
Göring lediglich ein weiteres Mitglied der NSDAP in das
Kabinett berufen worden – ohne Portefeuille, aber zugleich
mit dem Amt des Preußischen Innenministers versehen. Über
den genauen Hergang der Gespräche, an denen zeitweilig auch
Otto Meißner teilnahm, der Staatssekretär
Hindenburgs, existieren leider nur lückenhaft Aufzeichnungen
und Dokumente. [Siehe z.B. BArch, NS 20/76; Eberhard Czichon: Wer
verhalf Hitler zur Macht? S. 41ff. u. 64ff.; Axel Kuhn: Die Unterredung
zwischen Hitler und Papen im Haus des Barons von Schröder, in:
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 24. Jg., 1973, H. 12, S.
709ff.; Kurt Pätzold u. Manfred Weißbecker:
Geschichte der NSDAP 1920-1945, S. 197ff.; Joachim Petzold: Die
Demagogie des Hitlerfaschismus, S. 385ff.; derselbe:
Großbürgerliche Initiativen für die
Berufung Hitlers zum Reichskanzler. Zur Novemberpetition von 1932 des
Keppler-Kreises deutscher Bankiers, Großindustrieller,
Überseekaufleute und Großgrundbesitzer, in: ZfG, 31.
Jg., 1983, H. 1, S. 38ff. (hier dokumentiert der Autor einige der im
BArch, NS 20/76 aufbewahrten, sehr aussagekräftigen Dokumente
zu unserer Thematik); Manfred Asendorf: Nationalsozialismus
und Kapitalstrategien, in: 1933 – Wege zur Diktatur.
Ausstellungskatalog, (West-) Berlin 1983, S. 165ff.; derselbe:
Hamburger Nationalklub, Keppler-Kreis, Arbeitsstelle Schacht und der
Aufstieg Hitlers, S. 134ff.] Am Ende waren es wohl vor allem Franz v.
Papen und Oskar v. Hindenburg, die beim Reichspräsidenten
grünes Licht für die Übertragung der
Regierungsmacht an ein von Hitler geführtes Kabinett
bewirkten. Die Nazis hatten jetzt, frei nach
Goebbels, „den kleinen Finger“ bekommen, bald
hatten sie „die ganze Hand“ ergriffen. Zusammenfassung: Neun Thesen
zum Abschluss Erstens Der
„Keppler-Kreis“ stellte – wie Dirk
Stegmann schreibt – einen „halbwegs
repräsentativen Querschnitt durch Großindustrie,
Handel und Bankwelt“ [Dirk Stegmann: Das Verhältnis
von Großindustrie und Nationalsozialismus 1930-1933, S. 428.]
dar. Erweitert man den Blick auf die nicht zu diesem Gremium
gehörenden Industriellen, Bankiers und Großagrarier,
die aber ihre Unterschrift unter die Industriellen-Eingabe an
Hindenburg vom 19. November 1932 gesetzt oder sich mit ihr
einverstanden erklärt hatten, nimmt man auch die bei Hitler
antichambrierenden Herren Schmitz, von Finck und v. Stauß
sowie die Quandts und führende Vertreter der IG Farben hinzu,
ist dieser Aussage uneingeschränkt zuzustimmen. Die
von bürgerlichen Historikern wie z.B. Henry Ashby Turner und
Christopher Kopper [Siehe Christopher Kopper: Zwischen Marktwirtschaft
und Dirigismus, S. 33ff.] vehement vertretene These, es seien im
„Keppler-Kreis“ und unter den anderen Industriellen
und Bankiers, die Hitler und seine Partei unterstützt
hätten, bis auf wenige Ausnahmen keine führenden
Persönlichkeiten vertreten gewesen, ist schlicht absurd. Zweitens Die
Bedeutung der Mitglieder des „Keppler-Kreises“
ergab sich nicht allein wegen ihrer jeweils
geschäftsführenden Funktion in großen
Konzernen. Sie waren auch anderweitig in leitenden Stellungen
tätig – in Aufsichtsräten anderer
Unternehmen, häufig als deren Vorsitzende bzw. als Mitglieder
ihrer Präsidien; in leitenden Positionen der wichtigsten
industriellen Interessenverbände, aber auch in
öffentlichen Körperschaften. In schwierigen
wirtschafts- und finanzpolitischen Situationen, nicht zuletzt
während der Bankenkrise im Sommer 1931, wurden z.B.
Vögler, Reinhart und Springorum von Reichskanzler Heinrich
Brüning mitunter täglich als Ratgeber in Anspruch
genommen. Sie gingen in der Reichskanzlei ein und aus. Einige von ihnen
galten als ministrabel. Es handelte sich bei ihnen um
großindustrielle Multifunktionäre, die
maßgeblich an der Erarbeitung und Umsetzung der
unternehmerischen Strategie gegenüber der Reichsregierung, den
Parteien und dem Reichstag sowie der Öffentlichkeit und
anderen Verbänden, nicht zuletzt den Gewerkschaften, beteiligt
waren. Sie waren es gewohnt, erfolgreich an der Schnittstelle zwischen
Ökonomie und Politik zu handeln und dabei neben den eigenen
ökonomischen Belangen auch das Gesamtinteresse der deutschen
Monopolbourgeoisie im Auge zu behalten. Drittens Insoweit
sie selbst zeitweilig Funktionen in Parteien ausübten,
parlamentarische Mandate wahrnahmen bzw. politische Parteien
finanzierten, waren ihre diesbezüglichen Mitgliedschaften und
Aktivitäten so gut wie nie einseitig und auf Dauer
ausgerichtet, sondern von situativen Gesichtspunkten bestimmt. Diese
Gesichtspunkte hatten sich an der jeweils für angemessen
erachteten Umsetzung von ökonomischen in politische Interessen
auszurichten – und diese schienen 1932, zumal nach dem
Scheitern des Kabinetts von Papen, zu gebieten, sich jetzt auf die
faschistische Partei zu orientieren. Insofern ist es sekundär,
dass z. B. Hjalmar Schacht zu Beginn der Weimarer Republik der damals
linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei [Siehe Lothar Albertin:
Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik. Eine
vergleichende Analyse der Deutschen Demokratischen Partei und der
Deutschen Volks-Partei, Düsseldorf 1972, u.a. S. 54f. u. 95f.
(Schacht als Mitverfasser des Gründungsaufrufs der DDP vom
16.11.1918 und des Aufrufs der Partei für die anstehenden
Wahlen zur Nationalversammlung).] und Ewald Hecker [Hecker war von 1920
bis 1924 für die DVP Mitglied des Preußischen
Landtages.], Albert Vögler [Albert Vögler war
Mitglied der Nationalversammlung und wurde 1919 auch zum Schatzmeister
sowie zum Vorsitzenden der Parteiorganisation der DVP in Westfalen
gewählt. Von 1920 bis 1924 gehörte er als
Abgeordneter seiner Partei dem Reichstag an. Siehe Lothar Albertin:
Liberalismus und Demokratie am Anfang der Weimarer Republik, S. 99 u.
Gustav Luntowski: Hitler und die Herren an der Ruhr, S. 26.] sowie Emil
Georg von Stauß der Deutschen Volkspartei
angehörten. Ohnehin wurde die Parteienfinanzierung
häufig nicht von einzelnen Industriellen, sondern von
speziellen, in strikter Vertraulichkeit tagenden Gremien vorgenommen,
etwa der Ruhrlade, die in der Regel alle bürgerlichen Parteien
und die ihnen jeweils nahestehenden Gazetten mit den nötigen
finanziellen Mitteln versorgten. Die hierzu erhalten gebliebenen
Schriftstücke bedienen sich häufig eines Vokabulars,
das den eigentlichen Zweck dieser Aktivitäten dauerhaft tarnen
sollte. Aus dem
Lagebericht des Alldeutschen Verbandes vom 2. Januar 1931
(„Vertraulich!“, „Nicht für die
Presse!) „Der
wichtigste Vorgang der letzten Wochen spielt sich ohne Auffallen des
Einzelereignisses ab: die rasende Steigerung des Tempos, in dem
mittellose Massen der NSDAP zuströmen, und die gleichzeitige
Hinwendung wirtschaftlich einflussreicher Kreise zur
NSDAP.(…) Prominente
Wirtschaftler, die noch vor wenigen Monaten die Nationalsozialisten als
ein bedeutungsloses Häufchen von Utopisten und
Wirrköpfen verachteten, erblicken heute in den
Nationalsozialisten die Macht von morgen, mit der man sich rechtzeitig
gut stellen muss; zum Teil erwartet man auch von ihnen die Abwehr der
drohenden bolschewistischen Erhebung.“ BArch, R 8048/550, Bl. 1. Autor
des Lageberichts ist Dr. Alexander Graf v. Brockdorff. Hervorhebungen von mir-R.Z. Aus dem Brief des
Präsidenten des Reichslandbundes, Eberhard Graf von
Kalckreuth, an Robert Graf von Keyserlingk, Vorstandsmitglied des
Verbandes landwirtschaftlicher Arbeitgeberverbände, vom 31.
März 1932 „Augenblicklich
bekomme ich ziemlich viele Kritiken in der Richtung, …dass
unser Eintreten für Hitler eine parteipolitische Bindung
bedeute und dass es überhaupt nicht Aufgabe des Landbundes
sei, Politik zu treiben, sondern dass es unsere Aufgabe wäre,
Wirtschaftspolitik zu treiben. Ich freue mich, dass auch
Sie…zum Ausdruck bringen, dass eben doch Situationen
eintreten können…, in denen man von einem
regierenden Kabinett praktische Arbeit zur Rettung der Landwirtschaft
und der deutschen Wirtschaft auch bei größtem
Optimismus nicht mehr erwarten kann, und dass es dann nur logisch ist,
wenn man in einem solchen Falle zur rein politischen Tätigkeit
übergeht und im Rahmen der Möglichkeit sich
für die Schaffung eines neuen Kabinetts einsetzt, von dem man
praktische Arbeit in letzter Minute zur Rettung der Wirtschaft erhoffen
kann.“ BArch,
R 8034/I 27, Bl. 6. Aus
dem Brief von Fritz Thyssen an Max Schlenker vom 11. November 1932 „Der
Nationalsozialismus kennt nur einen Führer, dessen Gedankengut
das Fundament der Bewegung darstellt und der allein berufen ist,
über alle Kompromisse und Hindernisse hinweg Deutschland die
Staatsform zu geben, die nach menschlichem Ermessen allein imstande
ist, dem Umsturz und der Vernichtung der europäischen
Civilisation die Stirn zu bieten. Täuschen wir uns
darüber nicht, die Ereignisse sind zu weit vorangeschritten,
als ob es noch Möglichkeiten für Kompromisse
grundsätzlicher Art gäbe. Das wahre Gedankengut des
Nationalsozialismus in die Tat umzusetzen, vermag nur Adolf Hitler. Der
letzte Wahlkampf hat bewiesen, welchen Gefahren eine von so hochidealen
Motiven getragene Bewegung ausgesetzt ist, wenn die Erörterung
der Ziele Gemeingut einer großen Masse wird. Es ist meiner
Ansicht nach ganz unverantwortlich, dass man eine solche Bewegung
solchen Gefahrnissen aussetzt, die dadurch nur, wie es bei der
Reformation geschah, aus ihrem geraden eindeutigen Weg
herausgedrängt werden kann. Einigt man sich auf Hitler als
Kanzler – eine andere Lösung würde
für seine Anhänger untragbar sein – so
glaube ich, rein persönlich gesprochen, dass man sich
über die Ziele seiner Politik, wobei meiner Ansicht nach nur
die wirtschaftlichen einige Schwierigkeiten bieten, einigen
könnte. Hier handelt es sich darum, zu entscheiden.“ Aktennotiz von Franz Bracht,
Reichskommissar für das Land Preußen, 15. November
1932 Die
finanzielle Lage der westdeutschen Nationalsozialisten hat sich immer
mehr zugespitzt. Die SA hat praktisch seit dem Wahltage kein Geld mehr
erhalten. Im Augenblick finden interne Verhandlungen der einzelnen
Gauführer mit der Industrie statt. Man ist bereit,
für eine Unterstützung jede Zusage zu machen. In der
Hauptsache gehen diese Zusagen auf eine endgültige Festlegung,
sich an keinerlei Arbeitskämpfen oder gar Streiks etc. mehr zu
beteiligen. Für diesen Fall hofft man auf neue Geldzuwendungen
von Seiten der Gesamtindustrie, vertreten durch diejenige Gruppe, die
bisher als Treuhänder für die Zahlungen
Industrie/München auftrat.“ BArch, N 2035/2, Bl. 171.
Hervorhebungen von mir-R.Z. Vertrauliches
Schreiben von Dr. Scholz, Leiter eines vom Großindustriellen
Flick finanzierten Pressebüros, an Dr. Franz Bracht,
über die Mitgliederversammlung des Langnam-Vereins am 23.
November 1932 „Die
Tagung des Langnamvereins in Düsseldorf, die wohl
ursprünglich im Rahmen des Papen-Programms und zur
Stützung vorgesehen war, ergab anlässlich der
zwanglosen Unterhaltung die
überraschende Tatsache, dass fast die gesamte Industrie die
Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen
Umständen, wünscht. Während man noch vor
wenigen Wochen Papen zugejubelt hat, ist man heute der Auffassung, dass
es der größte Fehler sei, wenn Hitler, auch unter
Vorbringung ernster Gründe, nicht mit der Regierungsbildung
beauftragt würde. Dabei scheint
es sich weniger um einen Stimmungswandel zugunsten Hitlers als vielmehr
um die Auffassung zu handeln, dass um eine Regierung Hitler nicht mehr
herumzukommen ist. Unter diesen Umständen müsse man
aber den Regierungsantritt Hitlers beschleunigen, auch wenn er sich
nicht bewähre, und seine Regierung, wie Skeptiker in der
Industrie annehmen, nur wenige Wochen dauert. Allgemein aufgefallen ist noch,
dass die angekündigte Rede von Dr. Silverberg [Paul
Silverberg, aus einer jüdischen Familie stammend, war
Vizepräsident des RDI, Vorstandsmitglied der Vereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände, Mitglied der Ruhrlade,
Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender der Rheinischen
Aktiengesellschaft für Braunkohlenbergbau und
Brikettfabrikation, dem damals größten und
modernsten Braunkohleunternehmen weltweit, Aufsichtratsvorsitzender des
Rheinisch-westfälischen Kohlesyndikats und
Aufsichtratsmitglied u.a. bei den Vereinigten Stahlwerken, der
Gelsenkirchener Bergwerks AG, der Harpener Bergbau AG und bei RWE. Er
galt als Finanzier der „Deutschen
Führerbriefe“. Lange Zeit hatte er auf eine
Zusammenarbeit mit der SPD und dem ADGB auf Reichsebene
plädiert, orientierte sich aber offenbar, ungeachtet seiner
jüdischen Herkunft, Ende 1932 auf eine Regierungsbeteiligung
der Nazis um. Siehe Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und
NSDAP 1930-1933.], wie man mitteilte, wegen vorgerückter Zeit,
ausfiel. Tatsächlich wurde bereits bei Beginn der Tagung
erklärt, dass Dr. Silverberg gegen seinen Willen –
seit 14 Tagen – auf die Rednerliste gesetzt worden sei und
deshalb nicht sprechen werde. Aus diesen Gründen ist man der
Auffassung, dass Silverberg unter den augenblicklichen politischen
Verhältnissen zu vorsichtig war, das Wort zu ergreifen,
während Luther [Hans Luther, Präsident der Deutschen
Reichsbank,von Januar 1925 bis Mai 1926 Reichskanzler.] sich
sehr gut aus der Affäre gezogen hat. Beachtet wurde
schließlich noch, dass die Kandidatur Dr. Schlenkers [Max
Schlenker war Hauptgeschäftsführer des
Langnam-Vereins und der Nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher
Eisen- und Stahlindustrieller. Er gehörte der Deutschen
Volks-Partei an und war Teilnehmer an der Tagung der
„Harzburger Front“ am 11. Oktober 1931.] als
Wirtschaftsminister auf dieser Tagung von Mund zu Mund propagiert
wurde. Für die Nominierung Schlenkers traten vor allem die
mehr oder weniger offiziellen Pressevertreter und Presseorgane Dr.
Silverbergs ein.“ BArch,
N 2035/2, Bl. 164. Vertraulich, empfangen von Bracht am 26.11.1932.
Hervorhebungen von mir-R.Z. Auszugsweiser Abdruck auch in: Eberhard
Czichon: Wer verhalf Hitler zur Macht, S. 73 u. Ulrike
Hörster-Philipps: Wer war Hitler wirklich? , S. 155f. Viertens Es
sollte bedacht werden, dass für die
„Schlotbarone“ neben den ökonomischen
Interessen, die sich auf die Lage des eigenen Konzerns bzw. der eigenen
Branche bezogen, auch andere bedenkenswerte Motive existierten, um
einzelne Politiker und Parteien zu unterstützen, wobei in
unterschiedlichen Situationen auch unterschiedliche Haltungen zur NSDAP
existierten. Allerdings: Aufgrund ihrer Sozialisation, die sich in der
Regel in großbürgerlichen bzw. adligen,
konservativen Familien und Milieus vollzogen hatte, verbanden sie keine
grundsätzlichen Probleme mit dem Charakter der faschistischen
Partei und deren offen erklärten Zielen. Sie waren bereits in
der Zeit des wilhelminischen Kaiserreiches von Nationalismus,
Antisemitismus, Großmachtchauvinismus, Antidemokratismus und
militantem Antisozialismus geprägt worden. Für die
Weimarer Republik hatten sie deshalb nur Verachtung übrig. Es
zeigte sich: Hitler und der faschistischen Bewegung war in Deutschland
lange vorgearbeitet worden. [Siehe hierzu die vorzügliche
Analyse des angesichts des „cultural turns“
vollkommen zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Hamburger Historikers
Fritz Fischer: Bündnis der Eliten. Zur Kontinuität
der Machtstrukturen in Deutschland 1871-1945, Düsseldorf 1979;
derselbe: Hitler war kein Betriebsunfall. Aufsätze,
München 1992. Ebenfalls immer noch (besser: wieder) anregend
zur „Kontinuitäts-Thematik“:
Hans-Jürgen Puhle: Von der Agrarkrise zum
Präfaschismus. Thesen zum Stellenwert der agrarischen
Interessenverbände in der deutschen Politik am Ende des 19.
Jahrhunderts, Wiesbaden 1972 (Institut für
Europäische Geschichte Mainz, Vorträge Nr. 54).] Allerdings
waren die Auffassungen von Großindustriellen, Bankiers und
Großagrariern zur Regierungsfähigkeit der
faschistischen Partei, neben anhaltenden Befürchtungen
hinsichtlich der als unberechenbar eingeschätzten SA und eines
drohenden Bürgerkrieges im Falle der Machtübertragung
an die NSDAP, auch von Zweifeln an der
„Seriosität“ Adolf Hitlers gekennzeichnet,
das Amt des Reichskanzlers der größten
Wirtschaftsmacht in Europa angemessen ausfüllen zu
können. Deshalb die angestrebte
„Einrahmung“ des
„Führers“ der faschistischen Partei durch
„erprobte“ konservative Politiker und Fachleute
unter der Führung Franz von Papens. Allerdings dürfte
die Ausschaltung der Exponenten des so genannten linken
Flügels der Partei Ende 1932 viele der genannten Vorbehalte
gegenüber der NSDAP aus industriellen Kreisen abgemildert,
wenn nicht eliminiert haben. Fünftens Offenbar
hatten sich bei nicht wenigen Mitgliedern des Keppler-Kreises
– sowie bei anderen Industriellen und Bankiers in seinem
Umfeld – im Verlaufe ihrer Karrieren immer wieder die Wege
gekreuzt, existierten auch verwandtschaftliche Beziehungen,
Mitgliedschaften in exklusiven Zirkeln (u.a. Deutscher Herrenklub in
Berlin [Siehe Joachim Petzold: Konservative Theoretiker des deutschen
Faschismus. Jungkonservive Ideologen in der Weimarer Republik als
geistige Wegbereiter der faschistischen Diktatur, 2.,
überarbeitete u. ergänzte Aufl., Berlin 1982, S.
129ff. u. Yuji Ishida: Jungkonservative in der Weimarer Republik. Der
Ring-Kreis 1928-1933, Frankfurt a.M. u.a. 1988.], Ruhrlade) sowie
parallel verlaufende militärische Karrieren im wilhelminischen
Reich, vor allem in den Jahren des Ersten Weltkrieges. Um diese
speziellen Beziehungen und Netzwerke unterschiedlichster Art
auszuleuchten, deren Bedeutsamkeit gar nicht
überschätzt werden kann, sollten zukünftig
eingehende Forschungsarbeiten unternommen werden. Sechstens Die
wichtigste Trennlinie zwischen den Industriellen und Bankiers, die auf
die Konstituierung eines faschistischen Regimes in Deutschland
orientierten, bildete die Frage, ob dieser Faschismus „von
unten“ oder „von oben“, d.h. mit oder
ohne Massenbewegungen, installiert werden sollte. Während des
Jahres 1932 existierten diese unterschiedlichen Konzeptionen
längere Zeit als „Modell Papen“ [Siehe zur
politischen Konzeption Papens und der ihn stützenden
Kräfte: Ulrike Hörster-Philipps. Konservative Politik
in der Endphase der Weimarer Republik. Die Regierung Franz von Papen,
Köln 1982; Gustav Luntowski: Hitler und die Herren an der
Ruhr, S. 59f. u. 66ff.; Joachim Petzold: Franz von Papen. Ein deutsches
Verhängnis, München u. Berlin 1995; Karl-Heinz Roth:
Franz von Papen und der Faschismus, in: ZfG, 51. Jg., 2003, H. 7, S.
589ff.] und „Modell Hitler“. Das
„Modell Schleicher“, das mit dem weiter oben
skizzierten „Querfront“-Konzept auf eine faktische
Spaltung sowohl der faschistischen Bewegung als auch der
Sozialdemokratie [Siehe Frank Deppe u. Wittich Roßmann:
Wirtschaftskrise, Gewerkschaften, Faschismus, S. 237ff.; Heinrich
August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und
Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, Berlin u. Bonn 1987, S.
810ff., bes. 817ff.; Gustav Luntowski: Hitler und die Herren der Ruhr,
S. 79ff.] unter der Dominanz der Reichswehr ausgerichtet war, stellte
letztlich ein eigentümliches und, wie es sich zu Beginn des
Jahres 1933 erwies, vollkommen unrealistisches mixtum compositium
verschiedener konzeptioneller Ansätze dar, wobei ihr Urheber
nicht gänzlich Abschied von gewissen parlamentarischen
Verfahrensweisen nehmen wollte und zumindest Teile der Arbeiterbewegung
in seine Regierung zu integrieren gedachte. Derlei
Gedankengänge Kurt von Schleichers, bei Industriellen gern als
„roter General“ apostrophiert, trafen auf den
erklärten Widerstand maßgeblicher Kräfte
innerhalb der Monopolbourgeoisie. Über den
einzuschlagenden Weg in ein faschistisches Regime kam es im
Geschäftsführenden Ausschuss des Alldeutschen
Verbandes am 9. September 1932 zu einer hitzigen Debatte, in deren
Verlauf die entsprechenden Argumente in aller Deutlichkeit und in
paradigmatischer Weise ausgetauscht wurden. Der Vorsitzende Heinrich
Claß erklärte unmissverständlich:
„Man muss sich darüber klar sein, dass auch eine
nationale Massenpartei ‚Masse’ ist. Die Geschichte
aber lehrt, dass ein Volk nur glücklich sein kann, wenn es von
wenigen zu seinem Glück gezwungen wird.“ [BArch, R
8048/171, Bl. 12] Demgegenüber erklärte Hitlers
langjähriger Mitstreiter, der Verleger Julius Lehmann aus
München: „Was treibt Hitler zu seiner ganzen
Politik? Der Grundgedanke ist, aus dem deutschen Volk ein einiges Volk
von Brüdern zu machen, er will die Arbeiterschaft wieder zu
nationalem Denken erziehen. Er tut etwas, was wir seit vierzig Jahren
erstrebt haben, was uns aber nie gelungen ist.(…) Dass
Hitler es fertig gebracht hat, 13 Millionen hinter sich zu bringen, ist
eine Leistung, auf die ich mit Bewunderung blicke.“ [Ebenda,
Bl. 13.] Siebtens Die
Vorstellung, Hitler und die Seinen seien bloße Marionetten in
der Hand mächtiger Großindustrieller gewesen, ist
angesichts der anhaltenden und widersprüchlichen, von vielen
ernsten Vorbehalten geprägten Debatten innerhalb der deutschen
Großbourgeoisie über ihr Verhältnis zur
NSDAP, nicht realistisch. Es gilt nach unserer Auffassung vielmehr die
differenzierende Aussage von Wolfgang Ruge: „Das
Großkapital ist nicht in der Lage, sich einfach
Regierungschefs…zu kaufen, die die rechtlichen Grundlagen
für die profitabelsten Ausbeutungsbedingungen schaffen,
sondern muss…bestrebt sein, solche Politiker an die
Exekutivgewalt heranzuführen, die die Profitschöpfung
und den Expansionsdrang auch ideologisch, massenpolitisch und
organisatorisch abzusichern vermögen, das heißt,
imstande sind, mit hunderterlei, zum Teil auch riskanten oder
imperialistische Teilinteressen beeinträchtigenden Mitteln
beträchtliche Teile der Werktätigen zur aktiven
Unterstützung ihrer Herrschaft zu bewegen.“
[Ehrenpromotion Wolfgang Ruge, Friedrich-Schiller-Universität
Jena 1988, S. 7.] Ein gewissen
„Restrisiko“ für die Herren des
großen Kapitals blieb auch nach dem 30. Januar 1933 bestehen,
dass erst mit den Ereignissen des so genannten Röhm-Putsches
auf blutige Weise im Juni 1934 aus der Welt geschafft werden konnte.
[Siehe hierzu Kurt Gossweiler: Die Röhm-Affäre.
Hintergründe-Zusammenhänge-Auswirkungen,
Köln 1983, Neuauflage 2011; derselbe: Aufsätze zum
Faschismus, S. 131ff,] Dennoch: Hätte es ohne das aktive
Eingreifen des Keppler-Kreises und seines Umfeldes die
Übernahme der Regierung durch den deutschen Faschismus zu
Beginn des Jahres 1933 gegeben? Tatsächlich handelte
es sich bei der Installierung des Kabinetts Hitler um die
Übertragung der Macht von Seiten der alten Eliten, vor allem
in Industrie, Banken und Großlandwirtschaft, an die NSDAP. Achtens War
die Parteinahme für die Nazis nicht auch abhängig von
der Sicht auf die zukünftige Rolle, die der deutsche
Imperialismus in Europa und in der Welt einnehmen sollte? Es ging in
diesem Zusammenhang um die Frage, in welchem Zeitrahmen, in welchen
Etappen, und gegebenenfalls mit welchen Verbündeten, eine
qualitativ neue Phase der von allen bürgerlichen
Kräften geforderten „Revisionspolitik“
durchzusetzen war. Die Notwendigkeit einer forcierten
Aufrüstung und möglicherweise ein erneuter Krieg
– „nur“ gegen Polen oder auch gegen die
Westmächte? – waren im Denken weiter Teile
des Bürgertums Konstanten. Es galt, die Revanche für
1918 zu realisieren. [Siehe hierzu Wolfgang Ruge: Die
Außenpolitik der Weimarer Republik und das Problem der
europäischen Sicherheit 1925-1932, in: ZfG, 22. Jg., 1972, H.
3, S. 273ff; Michael Salewski: Zur deutschen
Sicherheitspolitik in der Spätzeit der Weimarer Republik, in:
Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 22. Jg., 1974, H. 2, S.
121ff.; Michael Geyer: Das Zweite Rüstungsprogramm
(1930-1934), in: Militärgeschichtliche Mitteilungen, Bd. 17,
1975/H. 1, S. 125ff.; Michael Salewski: Das Weimarer Revisionssyndrom,
in: aus politik und zeitgeschichte, 18.1.1980, S. 14ff.] Neben
den geschäftlichen Interessen, die eine forcierte
Aufrüstung für die deutsche Großindustrie
äußerst lukrativ erschienen ließ,
existierten auch machtpolitische und ideologische
Übereinstimmungen mit den Nazis in der Frage, dass sich in
Zukunft der „Drang nach Osten“ entfalten
müsse. Anders als dem parlamentarischen Regime, trauten die
auf den Faschismus orientierten Großindustriellen Hitler und
den Seinen am besten zu, dieses Ziel verwirklichen zu können.
Hierzu gehörte nicht zuletzt die vorab zu realisierende
„Befriedung“ an der so genannten Heimatfront, also
die präventive Ausschaltung aller potenziell oppositionellen,
auf die Vermeidung von internationalen Spannungen und Kriegen
orientierten Kräfte, zuvörderst der Arbeiterbewegung,
mit Gewalt und Terror. Es galt, die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges
zu beachten und eine Neuauflage der Novemberrevolution von vornherein
zu verhindern. Aus
dem Referat von Georgi Dimitroff – „Die Offensive
des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im
Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den
Faschismus“ – während des VII. Kongresses
der Komintern in Moskau am 2. August 1935 „Genossen,
man darf sich den Machtantritt des Faschismus nicht so glatt und
einfach vorstellen, als fasste irgendein Komitee des Finanzkapitals den
Beschluss, an dem und dem Tage die faschistische Diktatur aufzurichten.
Tatsächlich gelangt der Faschismus gewöhnlich in
gegenseitigem, zuweilen scharfem Kampf zwischen dem Faschismus und den
alten bürgerlichen Parteien oder einem bestimmten Teil dieser
Parteien zur Macht; im Kampf sogar innerhalb des faschistischen Lagers
selbst, der manchmal bis zu bewaffneten
Zusammenstößen führt, wie wir es in
Deutschland, Österreich und anderen Ländern gesehen
haben. Alles
das verringert indessen nicht die Bedeutung der Tatsache, dass vor der
Errichtung der faschistischen Diktatur die bürgerlichen
Parteien in der Regel verschiedene Etappen durchlaufen und eine Reihe
reaktionärer Maßnahmen durchführen, die den
Machtantritt des Faschismus vorbereiten und unmittelbar
fördern. Wer in diesen Vorbereitungsetappen nicht gegen die
reaktionären Maßnahmen der Bourgeoisie und gegen den
anwachsenden Faschismus kämpft, der ist nicht imstande, den
Sieg des Faschismus zu verhindern der fördert ihn
vielmehr.(…) Wo liegt die
Quelle des Einflusses des Faschismus auf die Massen? Dem
Faschismus gelingt es, die Massen zu gewinnen, weil er in demagogischer
Weise an ihre brennendsten Nöte und Bedürfnisse
appelliert. Der Faschismus entfacht nicht nur die in den Massen tief
verwurzelten Vorurteile, sondern er spekuliert auch auf die besten
Gefühle der Massen, auf ihr Gerechtigkeitsgefühl und
mitunter sogar auf ihre revolutionären Traditionen. Warum
spielen sich die deutschen Faschisten, diese Lakaien der
Großbourgeoisie und Todfeinde des Sozialismus, vor den Massen
als ‚Sozialisten’ auf, und geben ihren Machtantritt
als ‚Revolution’ aus! Weil sie bestrebt sind, den
Glauben an die Revolution, den Drang zum Sozialismus, der in den Herzen
der breiten werktätigen Massen Deutschlands lebt,
auszunutzen.“ VII.
Kongress der Kommunistischen Internationale. Gekürztes
stenographisches Protokoll, Moskau 1939, S. 127f. Neuntens Bei
alledem bleibt festzuhalten, dass die Bankiers, Industriellen und
Großgrundbesitzer, die für die Übertragung
der Regierungsmacht an die deutschen Faschisten plädierten,
offenbar keine ernsthaften Probleme mit dem beispiellosen Terror der SA
und anderer Gliederungen der NSDAP hatten, der gegen die
Arbeiterbewegung und in wachsendem Maße auch
gegenüber Juden ausgeübt wurde. Unterstützen
sie nicht gerade deshalb die Nazis, weil und nicht obwohl dieser Terror
praktiziert wurde und er Rückschlüsse auf noch
radikalere, von ihnen offensichtlich nicht unerwünschte
Verfahrensweisen in einem „Dritten Reich“ unter der
Kanzlerschaft Hitlers zuließ? [Siehe zum Antisemitismus bei
den Nazis und den dabei vorhandenen Übereinstimmungen mit
ihren konservativen Bündnispartnern Reinhard Rürup:
Das Ende der Emanzipation: Die antijüdische Politik in
Deutschland von der „Machtergreifung“ bis zum
Zweiten Weltkrieg, in: Die Juden im Nationalsozialistischen
Deutschland, hrsg. v. Arnold Paucker, Tübingen 1986, S. 100f.:
„Man darf…nicht übersehen, dass die
Aufhebung der Rechtsgleichheit und die Bekämpfung eines
angeblich zu großen und schädlichen
‚jüdischen Einflusses’ auf die deutsche
Gesellschaft von einem breiten antisemitischen Konsens der politischen
Rechten in Deutschland getragen wurde. Nicht nur die
Nationalsozialisten, sondern auch die Deutschnationalen und der
Stahlhelm sowie große Teile des national-konservativen
Beamtentums und der Kirchen waren von der Existenz einer –
antisemitisch definierten – ‚Judenfrage’
und der Notwendigkeit einer ‚Lösung’
dieser Frage überzeugt. Die Selbstverständlichkeit,
mit der die Entrechtung und soziale Ausgrenzung der Juden im Lager der
nicht-nationalsozialistischen Rechten nicht nur hingenommen, sondern
unterstützt und vorangetrieben wurde, ist angesichts der
Distanzierung von gewalttätigen ‚Exzessen’
gegen die Juden und des späteren Entsetzens über den
Völkermord bis heute allzu wenig beachtet
worden.(…)Man kann natürlich daran zweifeln, ob die
nicht-nationalsozialistische Rechte genauso radikal vorgegangen
wäre wie die Nationalsozialisten, doch gab es in der
Grundsatzentscheidung hinsichtlich des Endes der Emanzipation keinen
ernsthaften Dissens.“ Hervorhebungen von mir-R.Z.] Wie
auch immer: Letztlich belegen die Verhaltensweisen der Eliten in den
Großkonzernen und bürgerlichen Parteien, in der
protestantischen wie katholischen Kirche, an Hochschulen und
Universitäten, in der Verwaltung, im diplomatischen Dienst und
in der Justiz, in der Reichswehr und in vielen anderen
gesellschaftlichen Bereichen, wie zutreffend die Aussage von Hans
Mommsen ist: „Es wäre verfehlt, den Millionen, die
aus Verzweiflung über ihre materielle Lage, aufgrund der
Enttäuschung über die etablierten
Parteien,…Hitler vorübergehend ihre Stimme gaben,
für die Entwicklung zur faschistischen Diktatur verantwortlich
zu machen. Die NSDAP hat bei Wahlen vor der Machtergreifung niemals
mehr Wähler hinter sich zu bringen vermocht als die beiden
Linksparteien zusammen.(…) Die politische Verantwortung
für die nationalsozialistische Machtergreifung liegt
primär bei den traditionalen Eliten…“
[Hans Mommsen: Von Weimar nach Auschwitz. Zur Geschichte Deutschlands
in der Weltkriegsepoche, München 2001, S. 164. Hervorhebungen
von mir- R.Z.] Oder, wie es Fritz Fischer einst ebenso pointiert wie
hellsichtig formulierte: „Dieser Vulkan an Energie,
Willen und Leidenschaft ist…ohne die
gesellschaftlich-sozialen wie die ideellen Bedingungen Deutschlands im
Kaiserreich und in der Weimarer Republik nicht denkbar. Jedenfalls kam
Hitler nicht aus der Hölle oder vom Himmel und war kein
‚Betriebsunfall’. Er gehört, gemessen an
den Voraussetzungen, die sein Wirken und sein Auftreten
ermöglichten, wie an seiner Gedankenwelt, tief in die deutsche
Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hinein.“
[Fritz Fischer: Hitler war kein Betriebsunfall, S. 181.] Henry
A. Turner, einer der professionellen Weißwäscher des
deutschen Großkapitals, schrieb einst demgegenüber:
„Die launenhafte Fortuna stand eindeutig auf Hitlers
Seite.“ [Henry A. Turner: Hitlers Weg zur Macht. Der Januar
1933, München 1996, S.222.] Müsste es nicht
stattdessen heißen: Besonders
reaktionäre Kreise der deutschen Industrie- und Bankenwelt und
des Großgrundbesitzes bedienten sich Hitlers und der NSDAP,
um ihre ökonomischen und politischen Interessen endlich
kompromisslos in die Tat umsetzen zu können. Es
scheint an der Zeit zu sein, wenige Monate vor dem 80. Jahrestag der
Machtübergabe an die deutschen Faschisten, an die
Verantwortung derjenigen zu erinnern, ohne die Hitler und seine Partei
in Deutschland nie die Macht hätten erringen und die Welt in
den furchtbarsten aller Kriege hätten stürzen
können. Reiner Zilkenat |