21.03.2013 Kapitalisierte
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Referat vorgetragen von Ulrich Sander
bei der VVN-BdA in Recklinghausen 19.3.13 Zur
Präsentation unseres Buches „Von Arisierung bis
Zwangsarbeit
- Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933-1945“
haben
wir folgende Ausführungen vorgelegt. Es ging um kapitalisierte
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ihre
Entstehung - 80 Jahre nach 1933. Wir stellen hiermit das Referat
für die politische Bildungsarbeit o.ä. zur
Verfügung.
Quelle zu diesem Referat: „Zeitung gegen den Krieg“
(März 2013) und „Rundbrief“ zum
Rechtsextremismus,
Ende 2012, Autor Siegfried Ransch, Hg. von der Partei Die
Linke. Mitveranstalter waren „Die Linke“
und die DKP. Referat
bei der VVN-BdA in Recklinghausen 19.3.13 Zur
Präsentation unseres Buches „Von Arisierung bis
Zwangsarbeit
- Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933-1945“ Kapitalisierte
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Zur Vorgeschichte: In
den aktuellen Rückblicken auf 1933 wird die Durchsetzung des
faschistische Regimes als „Machtergreifung“
dargestellt und
weitgehend mit einer Verblendung der Wählerinnen und
Wähler
und teilweise noch mit einer gewissen Naivität der
bürgerlichen Politiker „erklärt“.
In jedem Fall
bleiben Konzerne und Banken völlig außen vor. Im
nachfolgenden einige klassische Erklärungsmuster für
den Sieg
der NSDAP und einige Antworten. Erste Behauptung: Adolf
Hitler und die NSDAP sind im Wesentlichen im Rahmen der
bürgerlichen Demokratie und durch Wahlen
an die Macht gelangt. Antwort:
Richtig ist, dass die NSDAP spektakuläre Wahlerfolge erzielen
konnte. Der für die Öffentlichkeit und die darauf
einsetzende
„Gefolgschaftsbildung“ wohl
größte Erfolg war
die Reichstagswahl im September 1930, als die bisherige
2,6-Prozent-Partei NSDAP ihren Stimmenanteil schlagartig auf 14,3
Prozent steigern konnte. Dieser spektakuläre Wahlsieg war in
erheblichem Maß der Weltwirtschaftskrise, die Ende 1929
ausbrach,
und dem Hochschnellen der Arbeitslosenzahlen geschuldet. In
den
nächsten zweieinhalb Jahren konnte die NSDAP ihre Wahlerfolge
auf
Ebene der Reichstagswahlen – teilweise parallel mit dem
Anstieg
der Massenerwerbslosigkeit – auf bis zu 37 Prozent
steigern. Ab
Sommer 1932 zeichneten sich jedoch auch Grenzen für diesen
Aufstieg ab. Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 erreichte die NSDAP
mit 37,3% der Stimmen ihr bis dahin bestes Ergebnis. Es sollte auch das
Beste in freien Wahlen bleiben. Die SPD erreichte 21,6%, die KPD 14,3%.
Bereits am 6. November 1932 musste ein neuer Reichstag gewählt
werden. Die NSDAP erlitt deutliche
Verluste; ihr Stimmenanteil
sank von 37,3 auf 33,1%. Die KPD legte zu (auf 16,9%). In der Folge gab
es mehrere Wahlen auf Länder- und kommunaler Ebene mit
teilweise
massiven Verlusten der NSDAP (so in Sachsen am 13.11. 1932 und in
Thüringen am 4.12. 1932). Dass die
NSDAP also allein durch
Wahlen oder vor allem durch Wahlen an die Macht gelangt wäre,
ist
nicht haltbar. Als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, lag der
Stimmenanteil seiner Partei bei knapp einem Drittel. Eine Lehre
für heute sollte sein: Eine kleine faschistische Partei kann
schlagartig in Wahlen zulegen und damit zum Ausgangspunkt einer
Umgruppierung der bürgerlichen Kräfte
werden. Zweite
Behauptung: Die Praxis und Politik der KPD trug
wesentlich dazu bei, dass die NSDAP sich durchsetzen konnte.
Dadurch habe es kein Zusammengehen der Linken
gegeben. Antwort:
Ohne Zweifel gab es eine ultralinke Politik der KPD, aber auch starke
antifaschistische Einheitsfrontbemühungen. Unter anderem ging die
Führung der Kommunistischen Internationale in Moskau, die die
KPD-Politik maßgeblich bestimmte, davon aus, dass Hitler eine
vorübergehende Erscheinung sei und dass auch die SPD („der
Sozialfaschismus“) ein Hauptfeind sei. Allerdings, und das taucht
in der aktuellen Berichterstattung kaum auf, war die KPD-Politik eine
Art Spiegelbild zur SPD-Politik, die ebenfalls die Nazis
unterschätzte. Die SPD bekämpfte ihrerseits massiv die
KPD. Anstelle einer breiten Einheitsfront der Arbeiterparteien ging die
SPD Bündnisse mit der Rechten ein. Bei der Wahl des
Reichspräsidenten im März und April 1932 unterstützte
die SPD den weit rechts stehenden bisherigen Reichspräsidenten
Hindenburg (der dann Ende Januar 1933 das entscheidende Ja zur
Ernennung Hitlers als Reichskanzler gab). SPD und KPD stellten keinen
Einheitskandidaten (die KPD schickte Thälmann ins Rennen, der im 2. Wahlgang mit 10,2% ein eher mittelmäßiges Ergebnis erzielte). Für die NSDAP kandidierte Hitler (36,8%). Hindenburg wurde mit 53% gewählt. Der
Mann, der maßgeblich für den Militarismus des Ersten
Weltkriegs stand, konnte damit faktisch mit Hilfe der SPD seine
Position im Amt verteidigen. In den entscheidenden nächsten 14
Monaten sollte sich diese fatale Kombination von Sektierertum (KPD) und
Anbiederung (SPD) fortsetzen. Dabei hatten SPD und KPD addiert bei der
letzten freien Reichstagswahl mehr Stimmen als die NSDAP (37,3%
gegenüber 33,1 %). Selbst nach der Ernennung Hitlers zum
Reichskanzler und nach den ersten Terrormaßnahmen der
NSDAP-Regierung blieben die SPD und die SPD-nahen Gewerkschaften auf
dem Kurs der Anbiederung. Zum 1. Mai 1933 als „Tag der
Arbeit“ riefen die faschistische NSDAP und der Gewerkschaftsbund
ADGB gemeinsam auf. Der Dank: Am 2. Mai wurden die ADGB-Häuser von
SA und SS besetzt und die Gewerkschaften offiziell aufgelöst.
Hitlers „Friedensrede“ vom 17. Mai 1933 im Reichstag wurde
– außer von der NSDAP und den rechten Parteien – auch
von der SPD gebilligt. Der Dank: Am 26. Juni folgte das Verbot der SPD. Peter Gingold schrieb: „1933
wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront
geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es
(…) nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung,
was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber
heute haben wir alle diese Erfahrung. Heute muss jeder wissen, was
Faschismus bedeutet. Für alle zukünftigen Generationen gibt
es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht
verhindern.“ (Peter Gingold in seinen Lebenserinnerungen,
Seite 28/29) Dritte
Behauptung: Die Parteien der Mitte wurden zwischen
den Extremen von rechts und links zerrieben. Antwort:
Richtig ist, dass die Parteien der Mitte, vor allem das Zentrum, an
Bedeutung verloren (Zentrum in der November-1932-Reichstagswahl:
11,9%). Doch die Politiker dieser „Parteien der
Mitte“
verschwanden nicht. Vielmehr berieben sie eine Annäherung an
die
NSDAP – so Reichskanzler Franz von Papen (bis Juni 1932
Zentrum),
der bereits im Frühjahr 1932 den Nazis eine gemeinsame
Regierung
anbot. Die Parteien der Mitte wählten die Top-Faschisten in
ihre
Ämter – so bereits am 30. August 1932 Hermann
Göring
als Reichstagspräsidenten. Und:
Diese
„demokratischen“ Parteien der Mitte stimmten am 23.
März 1933 sogar dem
„Ermächtigungsgesetz“ zu. Mit
diesem wurde faktisch die bürgerliche Demokratie in
Deutschland
auf „legalem Weg“ ausgehebelt; dem
„Reichskanzler“ Adolf Hitler diktatorische
Vollmachten
übergeben. Vierte Behauptung: Die
Machtergreifung spielte sich ausschließlich auf
politischem Gebiet ab. Die Vertreter von Konzernen und
Banken wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Antwort:
Die NSDAP wurde auch in der Zeit vor September 1930, als sie eine
2-Prozent-„Splitterpartei“ war, von
führenden
Industriellen unterstützt (u.a. von Kirdorf und
Thyssen).
Nach dem Wahlerfolg vom September 1930 gab es bei den Bankern und
Konzern-Bossen eine förmliche Welle der Sympathie für
die
Nazis. Unter anderem wurde der ehemalige Reichsbankpräsident
Hjalmar Schacht Top-Berater der NSDAP; er organisierte
Millionen-Reichsmark-Spenden aus dem deutschen Big Business. Ein gutes
Jahr vor der „Macht-Ergreifung“ am 27.1.1932 wurde
Hitler
in den „Düsseldorfer Industrieclub“
eingeladen, in dem
die führenden deutschen Konzern- und Bankenchefs locker
organisiert waren. Er hielt dort eine Rede, in der er
die
Beseitigung des parlamentarischen Systems als Voraussetzung
für
die Überwindung der Wirtschaftskrise darstellte. Die
große
Mehrheit der Top-Leute der Wirtschaft nahm die Rede zustimmend auf. In
den ersten vier Wochen 1933, die der „Machtergreifung direkt
vorangingen, gab es dann mehr als ein Dutzend geheime Treffen zwischen
Hitler und anderen NSDAP-Führen mit fast allen wichtigen
Vertretern der deutschen Wirtschaft. Das
wohl wichtigste
fand am 4. Januar 1933 in Köln zwischen Hitler, von Papen und
dem
Bankier von Schröder in Köln statt. (Über
ein anderes
solches Treffen in Dortmund siehe den Kasten). Nun wurde auch ein breit
angelegtes Finanzierungskonsortium für die NSDAP unter
Führung von Top-Bankern und Industriellen gebildet (und u.a.
in
der ersten Januarwoche eine Million Reichsmark (heute wohl
das
15-fache in Euro), die die Industriellen gespendet hatte, an die SS als
Wahlkampfhilfe und für Zwecke der Bewaffnung
überwiesen. Bilanz: Hitlers
„Machtergreifung“ kennt vier Ursachen: 1.
Die kapitalistische Krise, 2. die katastrophalen Fehler der
Arbeiterbewegung (KPD, SPD und ADGB), 3.
die Bereitschaft, der bürgerlichen demokratischen Parteien,
gegebenenfalls die NSDAP als „kleineres
Übel“ zu
unterstützen und die Demokratie zu zerstören und 4.
die Unterstützung der NSDAP durch die führenden
Vertreter der deutschen Banken und –Konzerne. Der
letztgenannte Faktor war der wichtigste. Damit gab es in diesem Sinn
keine „Machtergreifung“ Hitlers, sondern das durch
das
Großkapital – und auch durch große Teile
des
Militärs - organisierte Einsetzen einer
faschistischen
Diktatur zur Durchsetzung der wirtschaftlichen und politischen
Interessen von Banken und Konzernen sowie von
Rüstungsprofiteuren. Und noch eine Behauptung: Die
deutsche Industrie und die deutschen Banken sind geschwächt aus
Krieg und Faschismus hervorgegangen, denn es hat gegen sie
Enteignungsmaßnahmen und hohe Entschädigungsforderungen
gegeben. Antwort:
Forderungen nach Enteignung hatten kaum Wirkung, Zerstörungen und
Demontagen waren bald überwunden. Bernt Engelmann fasste die
Situation in dem Buchtitel zusammen: „Das Reich zerfiel, die
Reichen blieben“. Otto Köhler schrieb:
"Tatsächlich gehörte Westdeutschland, das mit seiner
schnellen Währungsreform die kleinen Sparer enteignete und den
Besitz von Sachwerten und Produktionsmitteln unangetastet ließ,
wirtschaftlich zu den Gewinnern des Zweiten Weltkrieges. Die Sachwerte
und Produktionsmittel waren zuvor aus ganz Europa
zusammengeplündert worden - (und zudem waren 15 Millionen
Sklavenarbeiter hierhergeholt worden, die unentgeltlich schuften
mussten.) Der deutsche Wohlstand nach 1945 und Ludwig Erhards
vermeintliches Wirtschaftswunder beruhen auf dem durch den deutschen
Angriffskrieg verlorenen Wohlstand der Völker Europas." (Otto
Köhler in Ossietzky 1/13.) Andere Wissenschaftler haben
schon lange festgestellt: Wir stehen als Nutznießer alle in
der Schuld der Opfer der deutschen NS-Wirtschaft, der
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Der Ökonom und Historiker
Prof. Dietrich Eichholz schrieb: »Die westdeutsche Industrie ist
gestärkt aus dem Krieg hervorgegangen; sie hat nicht den Krieg,
wohl aber am Krieg gewonnen. Ihr Anlagevermögen war bei Kriegsende
erheblich höher als bei Kriegsbeginn, selbst unter Anrechnung der
Zerstörungen und Demontagen. Heute zählen die deutschen
Großkonzerne zu den mächtigsten der Welt. Ihre Gewinne haben
eine außerordentliche Höhe erreicht. Ihre heutige
Machtstellung ist zum Teil aus den Kriegsprofiten erwachsen: Dazu hat
auch die Zwangsarbeit beigetragen. [1] Auch der Freiburger Prof.
Ulrich Herbert, Verfasser mehrerer Veröffentlichungen zum Thema
Sklavenarbeit in der NS-Zeit, hat auf die Frage: Wie begründet ist
der Verdacht, unser Reichtum beruhe auch auf der Ausplünderung von
Zwangsarbeitern? dies geantwortet: »Im Sommer 1944 war jede
dritte bis vierte Arbeitskraft in der Industrie ein Zwangsarbeiter.
Schon Ende 1941 gab es auf dem freien Arbeitsmarkt keine Deutschen
mehr, nur noch Ausländer. Diese Größenordnungen sind
der Öffentlichkeit nicht klar. Es gibt Analysen, die zeigen, dass
ein erheblicher Teil unseres Wirtschaftswunders auf der Entwicklung in
diesen Kriegsjahren beruht, auf der Ausbeutung Europas und der
Zwangsarbeiter (…).« Diese wurden nicht
entschädigt. VVN-BdA
Kreisv. Dortmund Postf. 321 44388 Dortmund An: Bezirksvertretung
Stadtbezirk Innenstadt-Ost Bezirksbürgermeister
Udo Dammer und Herrn Thomas Renzel
(Bezirksverwaltung) Südwall 2-4 44122 Dortmund Dortmund, 24.01.2013 Sehr geehrter Herr
Bezirksbürgermeister, (…) die
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten,
Kreisvereinigung Dortmund, stellt hiermit den Antrag, an der Ecke
Hainallee/ Eintrachtstraße (Grundstück der ehem.
Villa
Springorum) in Dortmund Innenstadt-Ost eine Mahntafel zur Erinnerung an
die Tagung der Ruhrlade vom 7. Januar 1933 anzubringen. Dies sollte im
Rahmen der Erinnerung an den 80. Jahrestag der
Machtübertragung an
Hitler und die NSDAP geschehen. Dies ist der von uns bei einer
öffentlichen Mahnwache am 7.1.2013 vor geschlagene Text: „Hier
an der Ecke Eintrachtstraße/Hainallee stand die Villa
Springorum.
Darin trafen sich am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und
führende
Ruhrindustrielle der ‚Ruhrlade’, um über
die
Machtübertragung an Hitler weiter zu beraten. Sie erfolgte am
30.Januar 1933, und viele Ruhrindustrielle unterstützten sie.
Sie
profitierten von Krieg, Zwangsarbeit und
Antisemitismus.“ |
Zu unserem Buch: Es
war Ende 2007, Anfang 2008, als die nordrhein-westfälische
„Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund
der
Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) eine Rallye
„Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933
bis
1945“ auf den Weg brachte. Der gewählte Zeitpunkt
des Starts
der Rallye war der mahnenden Erinnerung an die 75 Jahre zuvor
– nunmehr 80 Jahre zuvor - erfolgte Machtübertragung
an
Hitler und die NSDAP geschuldet. Inhalt und Ziel der langfristig
angelegten Aktion: Vor Ort geschichtsbewusst leben, in Verpflichtung
gegenüber den Opfern an die aus Industrie und Banken
mächtigen Täter der Verbrechen erinnern, die Spur der
Täter durch Inschriften sichtbar machen, zum Nachdenken
über
die Wurzeln von Nazismus und imperialistischem Krieg anregen,
für
Demokratie und Frieden eintreten. Heute kommt noch –
angesichts
der Krise seit 2008 – das Problem hinzu: Welche Krisenauswege
wählte das Kapital damals und heute? Antifa-
und Jugendgruppen,
Schülerinnen und Schüler wurden aufgerufen, vor Ort
Informationen über Täter und ihre Spuren zu sammeln
und mit
Hilfe der VVN-BdA zu veröffentlichen. Die
erste Aktion fand
am 4. Januar 2008 in Köln am Stadtwaldgürtel 35
statt. Dort
hatten sich vor 75 Jahren Banker, Konservative und Nazis unter
Führung Adolf Hitlers getroffen, um die
Machtübertragung an
Hitler vorzubereiten. Ein Schild erinnert an Täter und Tatort:
„Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von
Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz
von
Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen
Nationalsozialisten
und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden
die
Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar
1933
gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende
Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder
unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des
Nationalsozialismus
und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen
Wirtschaft an die SS.“ Vier Jahre
nach Beginn dieser
„Rallye“ der nordrhein-westfälischen
VVN-BdA, im
Frühjahr 2012, erschien im PapyRossa Verlag ein Buch zu
unserer
Aktion, „Von Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der
Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“, herausgegeben
von
Ulrich Sander. Für uns als die Autoren
könnte ein
abgewandelter Satz von Arnold Schönberg gelten. Der Komponist
und
Lehrer für Komposition leitet seine
„Harmonielehre“
mit dem Satz ein: „Dieses Buch lernte ich von meinen
Schülern.“ Wir lernten unser Buch in
antifaschistischen
Aktionen in Nordrhein-Westfalen und in Recherchen an der Basis. Bis
zum Herbst 2011 beteiligten sich Gruppen in 25 Städten des
Bundeslandes an der „Rallye“. Wir füllen
mit unserem
Buch eine Lücke und holen von der Fachwissenschaft
Versäumtes
nach. Die Darstellungen von Leistungen der beteiligten Menschen am Buch
wurde von einigen Rezensenten stark betont, was uns freut: Die
Mühen von Laien, sich Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft
anzueignen, um so die eigenen Recherchen und Aktionen zu fundieren; ihr
Mut, in der Heimatgemeinde die Wahrheit über die
mächtigen
Täter zu verbreiten; ihre Beharrlichkeit, die Spur der
Täter
sichtbar zu machen; ihr Engagement gegen Kriegsrüstung und
Krieg,
gegen faschistische Gruppen und für Demokratie und
Frieden.
Hervorzuheben ist die Broschüre aus Herten, die Leistung von
Hans
Heinrich Holland und seiner Freunde, die sich auch im Buch
widerspiegeln. Neben der „Vorbemerkung des
Herausgebers“
und einer Einleitung „Von ‚Verbrechen der
Wehrmacht’
zu ‚Verbrechen der Wirtschaft’ - eine notwendige
Erweiterung der Perspektive in der Geschichtspolitik“ (Ulrich
Schneider) ist das Buch in 21 Kapitel gegliedert, die von insgesamt elf
Autoren stammen. Allein 14 Kapitel haben Ulrich Sander und den
unvergessenen Manfred Demmer + zum Autor bzw. Rechercheur. Von
Wissenschaftlern, d.h. Gastautoren, stammen drei Kapitel: Manfred
Weißbecker „Die große Koalition der
Rechten: Die
Harzburger Front“; Thomas Kuczynski
„Rückschau auf die
Zwangsarbeiterentschädigung – Kein Schlussstrich!
Wirtschaftswunder als Resultat der Kriegswirtschaft“; Kurt
Pätzold „Faschismus an der Macht und
Kapitalismus“. Das
Buch schließt an Stelle eines Nachwortes mit einem
„Brief
an Thomas Gottschalk. Nach dem Urteil von Den Haag - Zur Verweigerung
jeder Entschädigung für NS-Opfer in Griechenland und
Italien.“ (Ulrich Sander)
Die Rallye
„Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933
bis
1945“ findet in einer gegenüber dem Zeitraum von
1945 bis
1992 grundlegend veränderten welthistorischen und
innenpolitischen
Situation statt. Die heutige Auseinandersetzung mit den Verbrechen des
deutschen Kapitals, insbesondere des Konzernkapitals aus Banken, Kohle,
Stahl, Chemie und Staatskapital eingeschlossen, bezieht ihre
Berechtigung - aus den Schulden
gegenüber den Zwangsarbeitern und
KZ-Häftlingen,
- aus den von
Hitler übernommenen und nie bezahlten Staatsschulden
gegenüber Griechenland, # aus fälligen
Entschädigungen
für Opfer und deren Hinterbliebene des Naziterrors, etwa in
Italien und Griechenland;
- sie bezieht
ihre Berechtigung aus der
Notwendigkeit, alle noch vorhandenen Quellen zu erschließen,
damit eine möglichst umfassende Darstellung der Geschichte des
deutschen Faschismus zwischen 1933 und 1945 gegeben werden
kann;
- sie bezieht ihre Berechtigung aus
der Notwendigkeit, insbesondere
jungen Menschen Basiswissen für demokratische und also auch
antifaschistische Haltungen zu vermitteln, in einem Land, in dem
faschistische Banden serienweise morden und aktive Demokraten
systematisch terrorisiert werden, die faschistoide NPD staatlich
gefördert wird.
Und
die Erinnerung an die Verbrechen der
Wirtschaftsmächtigen 1933 bis 1945 ist unerlässlich,
weil
Deutschland wieder an Kriegen beteiligt ist, weil deutsche
Rüstungsindustrie wieder Kriegsindustrie ist, weil
imperialistische Kriege unweigerlich Kriegsverbrechen hervorbringen
– all das verlangt Widerstand. Ulrich
Schneider zeigt einige
Momente des Wandels historischer Auseinandersetzungen mit dem
faschistisch verfilzten deutschen Monopolkapital auf. Er erinnert an
die umfangreichen Untersuchungsberichte des „Office of
Military
for Germany (U.S.)“, kurz OMGUS, aus dem Jahre 1947:
„Ermittlungen gegen die Deutsche Bank“,
„Ermittlungen
gegen die Dresdner Bank“ und „Ermittlungen gegen
I.G.
Farbenindustrie AG“, sowie an die im selben Jahr begonnenen
Nürnberger Prozesse gegen führende
Wirtschaftsvertreter:
Flick-Prozess (Fall V), I.G.-Farben-Prozess (Fall VI) und Krupp-Prozess
(Fall X). Eingebettet zunächst allein in die Geschichte
Westdeutschlands – von der gescheiterten grundlegenden
Abrechnung
mit den ökonomischen Wurzeln von Welteroberungskrieg und
Faschismus, über Restaurierung und Neuentwicklung deutscher
Konzerne während des „Kalten Krieges“ bis
hin für
die Zeit des neuen deutschen Staates – hebt Schneider
Veröffentlichungen zur Rolle der deutschen Wirtschaft hervor,
so
das 1974 veröffentlichte Werk von George W.F. Hallgarten und
Joachim Radkau: „Deutsche Industrie und Politik Von Bismarck
bis
heute“. Die „Deutsche Bank“ heulte auf
und setzte
durch, dass einige Seiten geschwärzt wurden. Auch in der
„Anti-Festschrift“ von F.C. Delius zum
125jährigen
Jubiläum des Siemens-Konzerns mussten nach langem Rechtsstreit
Stellen geschwärzt werden. Ulrich Schneider widerfuhr, dass
ein
I.G.-Farben Nachfolger, die Behringwerke AG Marburg, juristische
Konsequenzen androhte, als er Dokumente über deren Beteiligung
an
verbrecherischen Menschenversuchen im KZ Buchenwald
veröffentlichte. In den 80er Jahren habe es eine immer
größere Zahl von Veröffentlichungen
kritischer
Historiker über die Rolle von Unternehmen und Unternehmern im
Faschismus gegeben. Insbesondere Otto Köhler trat mit
zahlreichen
Publikationen hervor, so 1986 das Buch „… und
heute die
ganze Welt. Die Geschichte der I.G. Farben und ihrer
Väter“.
Von einem Nachfolgekonzern beauftragt legte Gottfried Plumpe 1990 das
Werk „Die I.G. Farbenindustrie AG – Wirtschaft,
Technik und
Politik 1904-1945“ im Jahre 1990 vor. Schneider
hebt die
fundamentale Bedeutung der Ausstellung „Vernichtungskrieg
–
Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ für die
zeitgeschichtlichen Debatten der 90er Jahre hervor. Der Mythos von der
„sauberen“ Wehrmacht war öffentlich
widerlegt. Die
heftigen Auseinandersetzungen sind in Erinnerung geblieben. Und auch
hier ging es um die Vergangenheit im Hinblick auf die
zukünftige
Entwicklung Deutschlands. Schneider
konstatiert einen
Aufschwung kritischer Unternehmensgeschichtsschreibung ab Mitte der
90er Jahre. Hierzu gehören Hans Mommsen, Manfred Grieger:
„Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten
Reich“,
Düsseldorf 1996, Rolf Surmann, Dieter Schröder (Hg.):
„Der lange Schatten der NS-Diktatur, Texte zur Debatte um
Raubgold und Entschädigung“,
Hamburg/Münster 199,
Ulrike Winkler (Hg.): „Stiften gehen, NS-Zwangsarbeit und
Entschädigungsdebatte“, Köln 2000,
Klaus-Dietmar Henke
(Hg.): „Die Dresdner Bank im Dritten Reich, in vier
Teilbänden von Johannes Bähr, Dieter Ziegler, Harald
Wixforth
und Klaus-Dieter Henke“, München 2008. Die
von
Schneider genannten Entwicklungen in der Geschichtsschreibung
gehören zu den Voraussetzungen der Aktionen
„Verbrechen der
Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“. Wir, die
VVN-BdA,
stützen uns vorurteilslos auf alle wesentlichen Ergebnisse der
Geschichtsforschung in beiden deutschen Staaten sowie
ausländischer Forscher, soweit sie in deutscher
Übersetzung
vorliegen. Meisterhaft gelungen ist die
historische Miniatur von
Manfred Weißbecker „Die große Koalition
der Rechten:
Die Harzburger Front“. Es ist Sommer 1931, eine Welle von
Bankrotterklärungen großer Banken rollt. Von
Hugenberg
(Deutschnationale Volkspartei) bis Hitler sind sich alle Rechten einig,
Hindenburg in Richtung eines autoritären politisch Systems zu
drängen, den Kompromiss mit SPD und Gewerkschaften
zu
beenden, die Weimarer Verfassung aufzugeben und Reichskanzler Heinrich
Brüning abzulösen. Weißbecker zitiert aus
einem Brief
einer Gruppe prominenter Industrieller an Brüning:
„Man muss
der Wirtschaft die Fesseln abnehmen und ihr das Wirtschaften nach den
ewig gültigen ökonomischen Gesetzen wieder freigeben,
damit
sie ihre Kräfte entfalten kann.“ Und in der
Entschließung der „Harzburger Front“
heißt es:
„Nur der starke nationale Staat kann das Leistungsprinzip in
jeder Form verwirklichen und die zur Herbeiführung einer
wahren
Volksgemeinschaft notwendigen sozialen Maßnahmen
durchführen… Wir verlangen von den Volksgenossen
Pflichterfüllung und Opfer.“ Man
liest es und denkt sich seinen Teil angesichts der jüngsten
Entwicklungen. In
den Kapiteln, die direkt den Aktionen der Gruppen in Städten
und
Gemeinden gewidmet sind, erscheinen geschichtsbedingt häufig
dieselben Banken und Konzerne, immer wieder Namen wie Fritz Thyssen
(Duisburg, Mühlheim, Gelsenkirchen), Fritz Springorum (Hoesch
AG,
Dortmund u.a.), Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), H.J. Abs
(Deutsche Bank), Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke
–
Vestag), Friedrich Flick (verurteilter Kriegsverbrecher), Emil Kirdorf
(Dortmund, Gelsenkirchen) usw. So gibt es unvermeidlich
Überschneidungen und Wiederholungen, - der Leserin und dem
Leser
wird einige Geduld abverlangt. Andererseits erhalten sie durch diese
Art von Systematik des Buches einen originären Einblick in die
Selbstdarstellungen der Gruppen. Einige der
Darstellungen seien herausgehoben. Es
war ein Vorschlag von Jupp Angenfort, am
„Industrie-Club“
in Düsseldorf eine Mahntafel anzubringen. Hitler sprach dort
im
Januar 1932 vor etwa 800 Industriellen. Eingeladen hatte der
Präsident des Industrie-Clubs, der Chemie-Industrielle Jost
Henkel. Henkel und Fritz Thyssen begrüßten Hitler.
Anwesend
war auch der Düsseldorfer OB, Dr. Lehr, später bei
Adenauer
Innenminister. Hitler legte sein volles Programm dar, von
„Ausrottung des Marxismus“ bis „Eroberung
von
Lebensraum“ im Osten. Die Industriellen spendeten Beifall.
Angenfort meinte, die Mahntafel am Ort (jetzt Seitenflügel
eines
Steigenberger Hotels) sollte den Text tragen: „1932
– Hier
bekam Hitler von der Industrie Beifall und Geld. Hier wurden die
Weichen zum Krieg gestellt.“ Das
14. Kapitel, von Gisela
Blomberg (VVN-BdA Düsseldorf) verfasst, trägt die
Überschrift: „Henkel immer dabei – und mit
ihm die
Wehrwirtschaftsführer von Düsseldorf.“
Antifaschisten
führten immer wieder Mahngänge zu
Düsseldorfer
Stätten von Hitlers Wirtschaftsführern durch. So zum
Carsch-Haus (Heinrich-Heine-Allee 49), - den jüdischen
Eigentümern wurde das Eigentum abgepresst. Heute
gehört das
Nachfolge-Kaufhaus zur Kaufhof AG. Zu ihr gehört auch die
ehemalige Kaufhaus Tietz AG. Das jüdische Eigentum wurde
geraubt,
die Familie Tietz vertrieben. Als die Kaufhof AG 2009 ihr
100jähriges Jubiläum feierte, hieß es im
Magazin der
IHK Düsseldorf lapidar: „Die Nationalsozialisten
enteigneten, die Familie Tietz emigrierte ins Ausland und wurde
später entschädigt.“ Dann
ist da der
Henkel-Konzern, Düsseldorf-Holthausen. Hugo Henkel wurde 1933
Mitglied der NSDAP, sein Werk NS-Musterbetrieb. Er stellte in
Düsseldorf und Genthin auf Kriegsproduktion um und machte
sprunghaft Profite. Hugo Henkels Sohn Jost, seit 1938
Geschäftsführer, wurde zum
Wehrwirtschaftsführer
ernannt. Von 1940 bis 1945 beutete Henkel in Düsseldorf
ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus. Viele
Menschen in Düsseldorf haben die Zwangsarbeit bei Henkel und
anderswo nicht überlebt. Ein sowjetischer Zwangsarbeiter wurde
von
der betrieblichen Wachmannschaft erschossen und zwei Zwangsarbeiter
starben am Verzehr von Chemikalien. Der Name „Hugo
Henkel“
stand neben den Namen von 41 weiteren Industriellen auf der
Kriegsverbrecherliste eines Sonderausschusses des US-Senats. Doch 1947
wurden Hugo und Jost Henkel „entnazifiziert“. Der
Konzern
stieg zu seiner heutigen Größe als international
operierendes Unternehmen auf. Wie viele der deutschen Bürger,
die
heute Produkte von Henkel kaufen, werden von der Rolle der Henkel-Werke
im Nazireich etwas wissen und daran denken können? Wir wissen
es
nicht, aber es werden beschämend Wenige sein. Da
gab es den
Mannesmann-Konzern, von der Deutschen Bank beherrscht. Die nahtlosen
Stahlrohre der Mannesmann-Röhrenwerke wurden für
Pipelines
und bei Rheinmetall für Artilleriegeschosse verwendet. Wilhelm
Zangen (1891-1971) war ab 1935 alleiniger Vorstandsvorsitzender und
Generaldirektor. Gemeinsam mit der Deutschen Bank wurden alle
jüdischen Vorstandsmitglieder vertrieben. Viele Fabriken, die
jüdische Eigentümer hatten, wurden geraubt und dem
Konzern
einverleibt. Zangen wurde Wehrwirtschaftsführer und
Vorsitzender
der „Reichsgruppe Industrie“, ein
„Organisationszentrum für die Kriegsplanung der
deutschen
Großindustrie“ (Daniela Kahn). 1942 berief der
Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Albert Speer,
Zangen
in den „Rüstungsrat“. Mannesmann lieferte
die
Stahlflaschen für das tödliche Kohlenmonoxydgas der
I.G.
Farben, das u.a. in der Mordstätte Grafeneck innerhalb der
T4-Aktion („Euthanasie“) zum Einsatz kam.
Mannesmann
expandierte: Niederlassungen in Frankreich, in Prag, Bulgarien,
Serbien, Rumänien, Polen und in der Sowjetunion (Taganrog).
Bis
Ende 1944 waren über 8 000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene
bei
Mannesmann eingesetzt. Auch Zangen gelang die
„Entnazifizierung“. Von 1948 bis 1957
gehörte er zum
Aufsichtsrat bei Mannesmann. 1958 erhielt er die
Ehrendoktorwürde
der Universität Münster, 1965 bekam er das
Bundesverdienstkreuz mit Stern. Zangen log eiskalt in seinen
Erinnerungen: er habe keiner Partei angehört und traute den
Nazis
nicht. „Ich … blieb unpolitisch bei meiner
Arbeit.“
(W. Zangen, Aus meinem Leben, Düsseldorf 1968) In Wahrheit war
Zangen bereits 1927 Mitglied der NSDAP und der SS. Der britische
Historiker Adam Tooze (Ökonomie der Zerstörung,
München
2007) nennt Zangen „einen der habgierigsten Profiteure des
nationalsozialistischen Regimes“. Insgesamt
waren in
Düsseldorf über 35 000 Zwangsarbeiter und Tausende
Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge beschäftigt,
insbesondere in
der Rüstungsindustrie, darunter bei Rheinmetall. 1944 waren in
Düsseldorf 27 Prozent aller Erwerbstätigen
Zwangsarbeiter. Im
Zusammenhang mit Rheinmetall, Düsseldorf,
Ulmenstraße 125,
erinnern wir an die lange Geschichte dieser Rüstungsfirma:
Eine
der größten Waffenhersteller im Kaiserreich; im
Nazireich
produzierte Rheinmetall-Borsig Maschinengewehre,
Panzerabwehrgeschütze, Minenwerfer, Feld- und
Flugabwehrkanonen,
Eisenbahngeschütze. Das Unternehmen ging in das staatliche
Unternehmen Reichswerke Hermann Göring ein.
Rheinmetall
liegt gegenwärtig mit fast drei Milliarden US-Dollar
Jahresumsatz
etwa an 30. Stelle in der Weltrangliste der
Rüstungsproduzenten.
Die Waffenproduktion von Rheinmetall, darunter die Leopardpanzer,
trägt massiv dazu bei, dass Deutschland
drittgrößter
Waffenexporteur der Welt ist. Und demnächst winkt
ein neuer
Großauftrag: Rheinmetall soll die deutschen Kampfdrohnen
herstellen, mit denen die Bundeswehr ausgerüstet werden soll. Aus
aktuellem Anlass haben Kriegsgegner Proteste unter der Losung
„War starts here“ gegen das
Gefechtsübungszentrum Heer
(amtliche Abkürzung: GefÜbZH) in der
Colbitz-Letzlinger
Heide, das Bestandteil des Gefechtsübungszentrums
(GÜZ) auf
dem Truppenübungsplatz Altmark ist, gestartet. Gemeinden,
Bundeswehr und Polizei haben nun weiträumig einen Bann
über
das Gebiet gelegt, um die Proteste zu verhindern. Nach den Ereignissen
von Heiligendamm ein weitere eklatanter Fall von
Zivil-Militärischer-Zusammenarbeit. Das
Gefechtsübungszentrum
wird von der Rheinmetall Dienstleistungszentrum Altmark GmbH (RDA)
gemeinsam mit der Bundeswehr betrieben. Jetzt soll für 100
Millionen Euro eine große Übungsstadt fürs
Militär
entstehen. Wenn von Kriegsproduktion im
Stahlbereich die Rede ist,
wurde ein Rezensent an ein Foto-Epigramm aus der
„Kriegsfibel“ von Bertolt Brecht erinnert. Auf dem
Foto
sind zwei Stapel Stahlplatten, Seile und Ketten eines Transportkrans
sowie vier Arbeiter zu sehen. Das Epigramm:
„Was
macht ihr, Brüder?“ – „Einen
Eisenwagen.“ „Und was aus diesen
Platten dicht daneben?“ „Geschosse, die durch
Eisenwände schlagen.“ „Und warum all das,
Brüder?“ – „Um zu
leben.“ Die
VVN-BdA beantragte Mitte 2010 in einem Brief an den Rat der Stadt
Essen, an der Geschäftsstelle der FDP in Essen eine Mahntafel
anzubringen. Ein Dr. Ernst Achenbach (1909-1991) war
Geschäftsführer der „Adolf-Hitler-Spende
der deutschen
Wirtschaft“ – was die Hinterbliebenen abstreiten -
und ganz
gewiss Mitwirkender an den Deportationen französischer Juden
in
Mordstätten des deutschen Faschismus. Nach 1945 hatte er
führende Funktionen in der FDP, war Landtags- und
Bundestagsabgeordneter. Mit den SS-Tätern aus Himmlers
Reichssicherheitshauptamt baute Achenbach nach 1945 in Essen einen Filz
auf, um Verbrechern gegen die Menschlichkeit der Bestrafung zu
entziehen. Im Frühjahr 2011 lehnte
der Stadtrat von
Essen den Antrag der VVN-BdA ab. Doch diese ließ nicht
locker. Es
wurden viele Dokumente beigebracht – auch mit
Unterstützung
von Beate und Serge Klarsfeld – die die Schuld von Ernst
Achenbach bewiesen. Antifaschisten veranstalten weiterhin
Mahnkundgebungen vor der FDP-Geschäftsstelle in Essen. Thomas
Kuczynski fasst in seiner „Rückschau auf die
Zwangsarbeiterentschädigung – Kein Schlussstrich!
Wirtschaftswunder als Resultat de Kriegswirtschaft“ einige
Ergebnisse seines im Zusammenhang mit der Debatte um die
Entschädigung der Zwangsarbeiter vorgelegten Gutachtens
zusammen.
Es sei inzwischen weitgehend anerkannt, dass die Zahl der
während
des Krieges im „Großdeutschen Reich“ zur
Zwangsarbeit
verpflichteten Menschen etwa 15 Millionen betrug. Die
Gesamtentschädigung – nur vorbehaltener Lohn
–
hätte 180 Milliarden D-Mark betragen. Gezahlt wurden lediglich
etwas mehr als 8 Milliarden. Die Firma Daimler-Benz, der alle Daten
bekannt waren, hätte 1999 für eine reguläre
Entschädigung knapp 16 000 D-Mark pro Zwangsarbeitskraft
zahlen
müssen, insgesamt über 1,2 Milliarden D-Mark.
Kuczynski
kritisiert völlig zu Recht, dass die außerhalb der
Industrie
eingesetzten Zwangsarbeitskräfte nur in
Ausnahmefällen
entschädigt werden. 1938 waren knapp 70 000 Polen in der
deutschen
Wirtschaft tätig, Ende September 1940 waren allein in der
deutschen Landwirtschaft rund 470000 „Zivilpolen aus dem
Generalgouvernement und den neuen Ostgebieten“ eingesetzt.
Später stieg die Zahl auf etwa 1,2 Millionen an. Als
Kommentar zu den tatsächlich gezahlten
Entschädigungen
zitiert der Autor einen Überlebenden: Es sei das
„Letzte an
Beleidigung“ gewesen. Als letzte
Begründung (von
insgesamt sechs dargelegten) für die viel zu geringen
Entschädigungen heißt es bei Thomas Kuczynski:
„
… das ist ein besonders bedrückendes Kapitel in
dieser
Geschichte – das Verhalten der Masse der deutschen
Bevölkerung. Die deutschen Konzerne und ihre Regierung
hätten
niemals mit einer solchen Unverfrorenheit vorgehen können,
wenn
eine Bevölkerungsmehrheit dieses Landes erklärt
hätte:
Schluss jetzt mit würdelosen Gezerre auf Kosten der Opfer, die
verdammte Industrie soll endlich zahlen. Aber es war nur eine
verschwindende Minderheit, die so dachte und es auch
sagte.“ Zum
Schluss sei auf Überlegungen von Kurt Pätzold zum
Begriff
„Faschismus“ – mehr als ein
Definitionsstreit –
hingewiesen. Wenn heute das Wort „Faschismus“ und
somit
auch eine Definition des Begriffes „Faschismus“ mit
Bezug
auf Deutschland in geschichtlichen Unterweisungen an Schulen und
Hochschulen kaum benutzt wird, so werde eine jahrzehntelange
wissenschaftliche und publizistische Denkweise verschwiegen. Keine
Definition des Faschismus habe eine weitere Verbreitung und zugleich
vielstimmigen Widerspruch erfahren wie die während der XIII.
Tagung des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale im
November/Dezember 1933 vorgelegte. Der Verfasser ist unbekannt. Da
Dimitroff diesen Begriff vom „Faschismus“ 1935 im
Bericht
an den VII. Komintern-Weltkongress (August 1935) verwandte, wurde
später irrtümlich oft von einer
„Dimitroff-Formel
gesprochen. Inhaltliche Einwände
gründen darauf,
dass das Wort „Faschismus“ für
verschiedene Aspekte
des Faschismus verwendet wird, etwa für Ideologie oder
für
die politische Bewegung oder für eine Staatsform. Die
Komintern-Definition war bestimmt, eine verständliche und
politisch mobilisierende, falsche Frontstellungen vermeidende
Orientierung zu geben. Die äußerste
Verkürzung barg das
Risiko von Missverständnissen. Besonders wichtig: Die
Erfahrungen
mit dem Faschismus waren 1933 minimal, im Vergleich mit denen von 1945
und später. Pätzold verweist zwar auf den auch
später
begründbaren Kern der Definition, die auch eine
Differenzierung
innerhalb des Finanzkapitals enthält. Und er erklärt
weiter,
was die Bestimmungen „der reaktionärsten,
chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des
Finanzkapitals“ konkret bedeutet hat. So kommt er zu dem
Ergebnis, dass ein „beträchtliches Quantum an
Vorurteilen
dazu gehöre“, der Definition von 1933 Erkenntnis-
und
Wahrheitswert abzusprechen. Und zugleich stellt er fest, dass die
Erfahrungen bis 1945 zwar keinen „Widerruf“ der
Definition,
wohl aber eine Überprüfung und Ergänzung
dieser
Definition erfordert hätten, insbesondere hinsichtlich der
Massengefolgschaft, der Rolle der Ideologie (besonders Rassismus und
Antisemitismus), hinsichtlich der Genozide an Juden, an Sinti und Roma
und der Massenmorde an anderen riesigen Menschengruppen
während
des Krieges. Als materialistische, empirische Forscher waren die
Fachhistoriker der DDR selbstverständlich über diese
Definition hinausgegangen, wovon viele ihrer Publikationen zeugen. Dass
dennoch keine weiterführende Definition des Faschismus
entwickelt
wurde, sei auch der kritischen Bewahrung dessen, was 1933 geleistet
worden ist, abträglich gewesen. Ihre
Nutzung sei
ausdrücklich empfohlen. Dort sind Texte, Arbeitshilfen,
Planung
von Projekten, Literaturquellen, Listen der Unternehmen, die der
Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft beitraten und von
Unternehmen, die das nicht taten, aktuelle Termine und Links zu
weiteren Internetadressen. Quelle
zu diesem Referat: „Zeitung gegen den Krieg“
(März
2013) und „Rundbrief“ zum Rechtsextremismus, Ende
2012,
Autor Siegfried Ransch, Hg. von der Partei Die Linke |