24.03.2013 »Die
Diktatur, hinter der sich diese Menschen zu verschanzen suchten, war
ihre eigene Schöpfung« Das Geheimtreffen vom 20.
Februar 1933 Zur Entlastung des
Großkapitals wird heute gern angeführt: Die
Industrielleneingabe von 1932 an Reichspräsident Hindenburg
zugunsten Hitlers sei ohne Wirkung geblieben, erst nach dem 30. Januar
1933 seien die Industriellen auf die Gegebenheiten eingeschwenkt,
vorher hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert.
Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie
für einzelne Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige
Finanztöpfe bereit. Der 20. Februar 1933 war dann der Tag des
entscheidenden (Geheim-)Treffens. Der
Nürnberger Prozess 1945/1946 beurteilte die Rolle der
angeklagten Großindustriellen: »Die
Diktatur, hinter der sich diese Menschen zu verschanzen suchten, war
ihre eigene Schöpfung. Von dem Wunsche getrieben, sich selbst
eine Machtstellung zu schaffen, haben sie das System aufgebaut, von dem
sie ihre Befehle empfingen. Der Fortbestand dieses Systems
hängt von ihrer dauernden Unterstützung
ab.« [Internationales Militärtribunal (IMT), Bd.
XIX, S. 515, zit. Nach Norbert Podewin (Hg.): Braunbuch, Kriegs- und
Naziverbrecher in der Bundesrepublik und Berlin (West), Reprint der
Ausgabe 1968, S. 27 Hitler war kein Zufall der
Geschichte. Er kam auch nicht aus dem Gully, wie das einmal der
Chefredakteur einer westdeutschen Zeitung schrieb. Nicht erst seit 1933
interessierten sich große Konzerne für Hitler. Sie
versprachen sich von seiner Nazipartei die Verwirklichung ihrer
Pläne für eine Neuordnung Europas und lukrative
Rüstungsgeschäfte. Einige
Historiker legen Wert auf die Feststellung, dass maßgebende
Kreise der Großindustrie wie etwa Krupp die Hitlerpartei
relativ spät unterstützten. Sie berufen sich dabei
auf den Amerikaner H. A. Turner jr. Dabei verkennen sie aber, dass die
Faschisierung zu jenem Zeitpunkt noch nicht ausgereift war. Darum
hielten die Industriellen sich verschiedene Varianten offen. Die
anfängliche Zurückhaltung ist also keinesfalls als
Gegnerschaft zum Faschismus auszulegen. Krupp von Bohlen und Halbach
z.B. war Monarchist und zweifelte zunächst an der Kompetenz
des Gefreiten des Ersten Weltkrieges, und er war verunsichert wegen der
antikapitalistischen Demagogie der NSDAP. Als aber die Entwicklung
geklärt war, hat Krupp mit der »Adolf-Hitler-Spende
der deutschen Wirtschaft« sofort die Initiative für
die Hitler-Finanzierung ergriffen. Es profitierten auch die, die
zunächst auf die Reichswehr oder die Deutschnationale
Volkspartei (DNVP) des ehemaligen Krupp-Direktors Hugenberg setzten.
* Der Weg zum 30. Januar und 20.
Februar Zur Entlastung des Großkapitals
wird heute gern angeführt: Die Industrielleneingabe von 1932
an Reichspräsident Hindenburg zugunsten Hitlers sei ohne
Wirkung geblieben, erst nach dem 30. Januar 1933 seien die
Industriellen auf die Gegebenheiten eingeschwenkt, vorher
hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert.
Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie
für einzelne Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige
Finanztöpfe bereit. Von der Eingabe an
Hindenburg veröffentlichte Prof. Gustav Luntowski in einer
Ausstellung des Dortmunder Stadtarchivs ein Begleitschreiben, mit dem
die Herren Albert Vögler, Paul Reusch und Fritz Springorum
unter dem Eingangsstempeldatum des Büros des
Reichspräsidenten vom 22.11.1932 mitteilen, dass sie
»voll und ganz auf dem Boden der Eingabe stehen«.
Durch Otto Köhlers Recherche wissen wir von den gegenseitigen
Hilfen von IG Farben und NSDAP im Sommer 1932, und Luntowski benennt
einen wichtigen Deal aus dem Bereich der Schwerindustrie. Als Friedrich
Flick – kein Mitglied der »Ruhrlade«
– seine wertlos gewordenen Gelsenbergaktien weit
überteuert an das Reich verkaufte und die Ruhrlade darin eine
Bevorzugung Flicks durch die Regierung Brüning und ein
Stück »Sozialisierung« sah, da konnte
Flick auf die Zustimmung Görings und dann auch Hitlers
verweisen, weil sonst ein deutsches Werk unter Umständen in
polnische Hände geraten wäre. Es
wird bei Luntowski erkennbar, dass die Harzburger Front vom Oktober
1931, bestehend aus Nazis und Nationalisten aller Schattierungen, von
Reusch und Co. begeistert aufgenommen wurde und die Rede des
Reichsbankpräsidenten a.D. Hjalmar Schacht
(»Möge der nationale Sturmwind, der durch
Deutschland geht, nicht ermatten«) auch die Rede der
Ruhrindustriellen war. Die
Ruhrlade vor dem 20. Februar 1933 Auf die
»nationalsozialistischen Wirtschaftsideen« mit all
ihrer antikapitalistischen Demagogie mussten sie jedoch noch mit
»Vernunft« Einfluss nehmen. Reusch, Schacht und
Vögler vereinbarten 1932, »erprobte
Herren« einzustellen und zu bezahlen, um die
Wirtschaftspolitik der Nazis »zu formen«. Dabei
wussten die drei Herren nicht, dass Hitler bereits ein Jahr zuvor den
badischen Chemiefabrikanten Wilhelm Keppler und dessen
zahlungskräftige Freunde gewonnen hatte, ihre
»wirtschaftspolitischen Anschauungen« auf die NSDAP
wirken zu lassen. »Sie sollten zur Verfügung der
Partei stehen, ›wenn wir zur Macht
kommen‹.« Und sie standen alle zur
Verfügung: 1932 beim Treffen im Düsseldorfer
Industrieklub, am 4. Januar 1933 beim Bankier von Schröder in
Köln und dann am 20.
Februar 1933 in Berlin. Bereits im Dezember 1932 war in
einem vertraulichen Bericht aus dem »Verein zur Wahrung der
gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und
Westfalen« (Langnamverein) konstatiert worden,
»dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers,
gleichgültig unter welchen Umständen,
wünscht«. [Gustav Luntowski, Hitler und die Herren
an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten
Reich, Frankfurt am Main/Bern, 2000, S. 80] Das
wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm der
»Ruhrlade« schrie geradezu nach einem Mann wie
Hitler: Tarifverträge allenfalls im Betrieb, also nicht
überbetrieblich, Beschränkung aller sozialen
Ausgaben, Verringerung der Arbeitslosenunterstützung und
»Kampf mit den Gewerkschaften mit aller
Schärfe«, so Paul Reusch
(Gutehoffnungshütte), der zusammen mit Albert Vögler
(Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher wirkte. Reusch wies im Jahre
1932 als Mitbesitzer die »Münchner Neusten
Nachrichten« an, hinter dem NSDAP-Organ
»Völkischer Beobachter« nicht sehr
zurückzustehen, und erklärte namens des
Aufsichtsrates die Pflege des »nationalen
Gedankens« zur »vornehmsten Aufgabe des
Blattes«. Seine Weisungen enthielten »die damals in
konservativen Kreisen allgemein vertretenen Positionen« - so
Luntowski -, als da waren: »Ein
›großdeutsches Reich‹ (Zusammenfassung
aller geschlossen siedelnden Deutschen und Anschluss
Deutsch-Österreichs), Bekämpfung des
›Systems von Versailles‹ und der
›Kriegsschuldlüge‹, Wiederherstellung
der deutschen Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen (Korridorfrage),
Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar,
schärfste Bekämpfung des Marxismus, Unantastbarkeit
des Privateigentums usf.«. * Zur Rolle der IG Farben Aus
einem Referat des viel zu früh verstorbene Manfred Demmer: Die
I.G. Farbenindustrie AG, kurz I.G. Farben, war das seinerzeit
größte Chemieunternehmen der Welt mit Sitz in
Frankfurt am Main, das 1926 aus einer Vielzahl von Chemieunternehmen
gebildet wurde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die I.G.
Farben wegen der Verstrickungen mit dem NS-Regime aufgelöst.
Dazu wurde die I.G. Farben wieder in eigenständige Firmen
zerschlagen und der verbleibende Rest als Rechtsnachfolgerin in I.G.
Farbenindustrie AG i. A. (I.G. Farben i.A; das i. A. steht für
»in Abwicklung«) umbenannt. Trotz einer Insolvenz
Ende des Jahres 2003 sind die Aktien der I.G. Farben i.A. auch im Jahr
2008 noch börsennotiert. Die Farbenfabrik Fried. Bayer,
Leverkusen, deren Generaldirektor Carl Duisberg entscheidenden Anteil
an der Gründung und der Expansionspolitik der I.G. hatte,
fungierte als Hauptsitz der Betriebsgemeinschaft Niederrhein der I.G.
Farben. 1926 war in Leuna mit der Herstellung von synthetischem Benzin
begonnen worden. Es bestand die Gefahr, dass dies eine der
größten Fehlinvestitionen werden würde,
weil die Herstellungskosten immer höher waren als bei dem
durch Erdöldestillation gewonnenen Benzin. Deshalb suchte im
Sommer 1932 der I.G.-Direktor Heinrich Bütefisch den Kontakt
zu den Nazis. Es kam zu einem Treffen mit Adolf Hitler in
München. Hitler, der einige Monate zuvor im Industrieclub in
Düsseldorf die Herren der Banken und der Industrie mit seinem
Programm der Vernichtung der Arbeiterbewegung und des Strebens
»nach Raum im Osten« begeistert hatte, machte ihm
klar, dass er deutschen Treibstoff für ein politisch
unabhängiges Deutschland und seine Kriegspläne
für zwingend notwendig erachtete. Für Carl Bosch,
Vorstandsvorsitzender der I.G., waren dies
»vernünftige Ansichten«, die 1932 mit der
höchsten Einzelspende der deutschen Industrie in Höhe
von 400.000 Reichsmark für den Wahlkampf der Nazis honoriert
wurden. Auf der I.G.-Farben-Generalversammlung Anfang Dezember 1932
stimmten die I.G.-Bosse dem Programm der
»Agrarkartellierung« zu, einem Interessenkompromiss
von Industrie und Großagrariern. Auch
dieser Entschluss des damals größten Konzerns
Europas bereitete den Weg zur NS-Diktatur. Bei einem geheimen Treffen
von Industriellen am 20.
Februar 1933, eine Woche vor dem von den Nazis
inszenierten Reichstagsbrand, der den brutalen, offenen Terror gegen
die Arbeiterbewegung und kritische bürgerliche Demokraten
einläutete, wurden insgesamt drei Millionen Reichsmark der
NSDAP zur Verfügung gestellt, 400.000 Reichsmark stammten von
den I.G. Farben. Als Dank schloss die »Regierung der
nationalen Konzentration« mit der I.G. Farben einen Vertrag
über Absatz und Mindestpreisgarantie für 350.000
Tonnen synthetisches Benzin und bewahrte so das Unternehmen vor
insgesamt 300 Millionen Reichsmark Verlust. Nahezu
alle Direktoren der I.G. waren Mitglieder der Nazi-Partei. Die enge
Beziehung zwischen Nazistaat und I.G. wurde auch in der Person des
Aufsichtsratsvorsitzenden Carl Krauch deutlich, dem Direktor der
rüstungswirtschaftlichen Kommandozentrale und
Bevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen
Produktion. Die Aufsichtsratsmitglieder der I.G. nannten sich im
internen Kreis »Der Rat der Götter«.
Dieser nahm mit Freude zur Kenntnis, dass die I.G. zu einem der
größten Unternehmen Europas wurde (rund 200 Werke in
Deutschland, etwa 400 deutsche und 500 ausländische
Beteiligungen.) Die I.G. riss sich auch »entjudete«
(so der Düsseldorfer Nazi-Gauleiter Friedrich Karl Florian)
Betriebe, wie z.B. des vormaligen Konkurrenten Aussiger Verein unter
den Nagel. Während des von den Nazis begonnenen und von
Industrie- und Bankbossen gewollten Krieges raubte die I.G.
Farben eine Reihe von Chemiewerken in den von der deutschen Wehrmacht
überfallenen Ländern, wie die in jüdischem
Besitz befindlichen Skoda-Werke Wetzler. Von den 43 Hauptprodukten der
I.G. während des Krieges waren 28 Produkte von
»rüstungswirtschaftlicher« Bedeutung. * Krupp von Bohlen und Halbach Am
20. Februar
1933 gab es ein Treffen von Hitler und Göring in Berlin mit
der Spitze des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI).
RDI-Vorsitzender war Krupp von Bohlen und Halbach. Hitler sagte u.a.:
»Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausgehen wie
sie will ... Wenn die Wahl nicht entscheidet, muss die Entscheidung
eben auf einem anderen Wege fallen ... oder es wird ein Kampf mit
anderen Waffen geführt werden, der vielleicht
größere Opfer fordert ...« Nach dieser
offenen Darlegung seiner Putschpläne für den Fall
einer Wahlniederlage spenden die 20 geladenen Industriellen
für den Wahlkampf der Nationalsozialisten drei Mio. RM. Gustav
Krupp von Bohlen und Halbach fertigt abends eine Notiz über
die Begegnung an: »Ruhe in der inneren Politik: keine
weiteren Wahlen. ... Ermöglichung der Kapitalbildung. ...
Dementsprechend Entlastung von Steuern und öffentlichen
Lasten.« [Gustav Luntowski , a.a.O., S. 93] Die
Naziideologie enthält so gut wie keine konzeptionellen
Gedanken, die nicht schon vorher in konservativen und deutschnationalen
Ideologien der bürgerlichen Rechtsparteien enthalten gewesen
wären. Rassismus, Antisemitismus, Antikommunismus gab es schon
vorher. Mit Rosenbergs »Neuordnung des Ostraumes«
und Hitlers »Lebensraum im Osten« sollte ein
uralter Traum der Herrschenden in Deutschland verwirklicht werden. Dazu
gehörte unbedingt die Vernichtung von Millionen
»Untermenschen« durch die
»Herrenrasse«. Ob
Kaiser-Wilhelm-Monarchie oder Hitler-Diktatur, die Krupps waren
Förderer und Nutznießer und mitverantwortlich am
Massenmord in zwei Weltkriegen. Inzwischen sind vielen Deutschen die
Begriffe »Holocaust« und
»Auschwitz« vertraut. Aber Auschwitz war nur durch
Krieg möglich, d. h. der Weg nach Auschwitz musste erst durch
die Naziwehrmacht mit Kruppschen Waffen bereitet werden, damit der
Großkonzern seine Zünder-Fabrik von
Häftlingen bauen und mit »Vernichtung durch
Arbeit« bedienen konnte. * Hugo Stinnes Am
20. Februar
1933 nahm Hugo Stinnes teil – auch als Vorstandsmitglied des
Reichsverbandes der Deutschen Industrie – am Geheimtreffen
von 27 Industriellen mit Adolf Hitler und Hermann Göring in
Berlin. Bei diesem Treffen wurden für den laufenden Wahlkampf
zur Reichstagswahl am 5. März 1933 von der Creme der deutschen
Industrie noch schnell mehr als drei Millionen Reichsmark für
die NSDAP locker gemacht. Obwohl nach außen hin die Fassade
des unpolitischen, nur an Wirtschaftsfragen interessierten Unternehmers
aufrecht erhalten wurde, ist bekannt, dass Stinnes jun. sich nicht
scheute, während der Besetzung Dänemarks mit dem
Nazi-Statthalter Werner Best Geschäfte zu machen. Best war ein
promovierter deutscher Jurist, Nazi, Polizeichef,
SS-Obergruppenführer und ab 1942 deutscher Statthalter im
besetzten Dänemark, wo er vehement für die
»Endlösung der Judenfrage« eintrat. Der
nach der Befreiung in Dänemark zum Tode verurteilte
Nazi-Verbrecher kam – nach deutscher Intervention zu seinen
Gunsten – in die Bundesrepublik, wo er sofort aktiv an der
Kampagne für eine Generalamnestie zugunsten von
NS-Tätern mitwirkt. 1953 wurde er Direktoriumsmitglied und
Justitiar bei der Hugo Stinnes Industrie- und Handels GmbH in
Mülheim an der Ruhr. Als im Juli 1989 die Staatsanwaltschaft
Düsseldorf endlich einen Antrag auf die Eröffnung
eines Verfahrens gegen Best wegen Mordes an 8.723 Menschen stellte, war
Best einige Wochen zuvor gestorben. Dank des Mannes
im Hintergrund mit Namen Hugo Stinnes jun. – dem auch
Unterstützung anderer ehemaliger NS-Funktionäre
nachgesagt wird – konnte Best unbehelligt als
»Demokrat« in Erscheinung treten. Stinnes sei Dank! *
Zusammenfassung Die
VVN-BdA hat sich nun ans Werk gemacht, die Lücke zu
schließen, die besteht, was die Rolle der Industrie in der
Geschichtsschreibung zu 1933-1945 anbelangt. Es
wäre sehr fair, wenn die Medien über unser Buch »Von Arisierung bis
Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr
1933-1945«, PapyRossa Verlag Köln 2012,
berichteten. Denn die Einflussnahme der Wirtschaft
auf Wissenschaft und Publizistik mit dem Ziel, die Verbreitung von
Tatsachen über den NS und die Wirtschaft zu verhindern, ist
beträchtlich. Das geschieht einerseits durch Beharren auf die
alleinseligmachende Darstellungsweise eines Henry A. Turner aus dem
Jahr 1985, die aber durch andere Schriften aufgehoben ist, nicht nur
durch unsere, sondern auch durch Luntowski „Hitler und die
Herren von der Ruhr“, 2000, und Adam Tooze
„Ökonomie der Zerstörung“, 2006.
Wenn Turner schrieb: „Entspricht die weit verbreitete
Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist,
den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu verteidigen,“
so ist dies bezeichnend. Und so wird andererseits von den Verteidigern
der konservativen Kräfte sogar der Verfassungsschutz
bemüht, um antifaschistische Kapitalismuskritik auszuschalten. Im
Ruhrgebiet ist man sogar dazu übergegangen, aus
Gedenkstätten die Aussagen über die Verbrechen der
Wirtschaft 1933-1945 herauszunehmen. Die Hauptthese
der Geschichtsschreibung a la Turner ist die, dass „die
Wirtschaft“ erst nach dem 30. Januar 1933 sich notgedrungen
mit dem NS und Hitler arrangierte und dass vorher keine wirklich
bedeutenden Beziehungen, die dann zur
„Machtergreifung“ führten, zwischen ihnen
bestanden. Das wird durch Luntowski und Tooze widerlegt. Tooze
lässt zudem deutlich werden, dass auch die neuaufgenommenen
Beziehungen von Industrie und Kapital zum deutschen Faschismus aus der
Zeit Januar 33 bis Juni 34 geeignet waren, das Regime entscheidend zu
stärken, ja seine Existenz zu sichern. Industrie und Kapital
hätten es auch nach dem 30. Januar 33 noch in der Hand gehabt,
den Faschismus auszuschalten, wenn sie nur gewollt hätten. Sie
wollten nicht, denn ihr politisches und ökonomisches Programm
glich viel zu sehr dem der Nazis. Es wird bei Turner
gesagt, das Engagement der Großunternehmen beim Aufstieg des
NS werde von der Geschichtswissenschaft der letzten Jahre als gering
eingestuft. In den allerletzten Jahren ist das nicht mehr so. Ich
verweise auf Adam Tooze. Dieser britische Historiker schrieb das Buch
»Ökonomie der Zerstörung«
über die enge Kooperation der deutschen Industrie mit Hitler.
Das entlockte dem Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler eine
begeisterte Rezension (»außergewöhnliche
Forschungs- und Interpretationsleistung«, über Adam
Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der
Wirtschaft im Nationalsozialismus, Siedler Verlag, München
2007, 927 S., 44 Euro) Wehler: »Die westdeutsche
Zeitgeschichte hatte bisher ebenso wenig wie die
westeuropäische oder amerikanische Forschung ein solches Werk
hervorgebracht, das sich auf der Höhe des
gegenwärtigen Kenntnisstandes und Reflexionsniveaus
bewegt.« Die
Schwerindustrie wollte die Abschaffung der Demokratie und der Linken Ich
verweise auf Seite 129 bei Tooze über das wenig bekannte
„Spenden-Rendezvous“ Hitlers mit der
Schwerindustrie drei Wochen nach der Machtübergabe in
Görings Reichtagspräsidentenpalais: »Einmal
ganz abgesehen von den Folgen, zählt dieses Treffen vom 20.
Februar [1933] zu den berüchtigtsten Beispielen für
die Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler
bei der Aufstellung seines diktatorischen Regimes
beizustehen.“ ... „Krupp und Konsorten (wurden) von
Hitler nie gezwungen, sich seinem gewalttätigen Antisemitismus
oder sich seinen Eroberungsplänen
anzuschließen.« Entscheidend war das, was Hitler
den Industriellen versprochen und schließlich auch
durchgesetzt hatte: »das Ende der parlamentarischen
Demokratie und die Vernichtung der deutschen Linken« (S. 129). Tooze
eindeutig: »Und für genau dieses Versprechen
leistete ein hoher Prozentsatz der deutschen Großindustrie
gerne eine gehörige Anzahlung« (ebd.). Allein bei
diesem Treffen waren es drei Millionen Reichsmark für den
Fonds zur Wahl im März, die – das war korrekt
versprochen – nun wirklich die letzte sein sollte. Der
britische Historiker: »Krupp und Konsorten waren willige
Partner bei der Vernichtung des politischen Pluralismus in
Deutschland« (ebd.). Tooze: »Faktisch aber waren es
die Spenden vom Februar und März 1933 gewesen, die einen
wirklich entscheidenden Beitrag leisteten. Denn sie waren für
die Partei just in dem Moment eine kräftige Finanzspritze, als
die ungemein knapp bei Kasse war und, wie Göring so richtig
vorausgesagt hatte, vor der letzten Wahl ihrer Geschichte
stand.« Am Ende seines Buches stellte Tooze
die Frage, warum die Lobby der deutschen
»Privatwirtschaft« dann den »drastischen
Eingriff der Staatsmacht nach 1933« überhaupt
tolerierte, immerhin habe doch das Großunternehmertum zuvor
das »Reformstreben« der Weimarer Republik noch
massiv behindert (S. 757). Tooze: Zwar widersprach die
»autokratische nationalsozialistische Wende«
deutlich der »internationalen Agenda« –
den Exportinteressen –, die die deutsche Privatwirtschaft
pflegte, doch der »autoritäre Stil«, den
Hitlers Koalition in der Innenpolitik pflegte, »gefiel ihr
dafür ausnehmend gut, nicht weniger gut als die gesunden
Profite, die seit Mitte der dreißiger Jahre auf sie
zurollten« (ebd.). Wer an das Dogma glaubt,
daß die Unterstützung der Großindustrie
für Hitler ein »Mythos« sei, dem macht
Tooze deutlich, daß sie sich 1933 »dem politischen
Wandel nicht entgegen [stellte], wie während der ersten
Revolution in Deutschland 1918/19, sondern sich Hitlers
›Nationaler Revolution‹ in vielen entscheidenden
Punkten als willfähriger Partner« anbot (S. 166).
Selbst an privatwirtschaftlichen Schauplätzen, wo man
eigentlich »etwas Widerstand« erwartet
hätte, stießen die Vertreter der Nazipolitik,
schreibt der Autor in seiner »Ökonomie der
Zerstörung«, auf »bereitwillige
Kollaborateure«. Ob Autarkieprogramm, die Aufrüstung
oder sogar die große Zahl neuer
Überwachungsbehörden – »alles
fand den Beifall und die tatkräftige Unterstützung
von erfahrenen Firmenchefs, deren Fachwissen dem Regime mit
freundlicher Genehmigung der gesamten deutschen Industrie zur
Verfügung gestellt wurde« (ebd.). Es
trifft zu, dass in der historischen Literatur die Treffen Hitlers und
seiner Leute, wozu ab Dezember 1932 zweifellos auch Papen
gehörte, mit der Großindustrie,
vernachlässigt werden. Das Treffen am 20. Februar 1933
weniger, das Treffen am 7. Januar in Dortmund mehr. Die Teilnehmer
dieser Treffen waren zumeist nach 1945 wieder aufgestiegen und es war
nicht üblich, ihnen Vorhaltungen zu machen. Aber das
ändert nichts an den Tatsachen. Ulrich
Sander |