Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

23.06.2013

Bankenmacht kontra Demokratie

Diether Dehm im Jahre 1995

Für das „Schwarz-Braun-Buch - Alternativer Verfassungsschutzbericht" hat Diether Dehm, damals noch SPD-Politiker, heute MdB der Linkspartei, im Jahr 1995 einen geradezu visionären Artikel beigesteuert. Sein Fazit: Faschismus als Bewegung und Staatsmacht hat, platt gesagt, immer in wechselseiti­ger Beziehung zum vorher jahrzehntelangen Demokratieabbau gestanden. Da dies auch heute gilt, wird die Linke erst dann wieder voll handlungsfähig, wenn sie sich international auf Kommunikations- und Treffpunkte orientiert, in denen mit einer globalen Strategie der Macht der Großbanken entge­gengewirkt werden kann.

Hier der Wortlaut des Beitrags von Diether Dehm in dem von der VVN-BdA vor 18 Jahren herausgegebenen Buch, herausgegeben im Jahr 1995 von Ulrich Sander und  Anne Rieger unter Mithilfe von Dr. Hagen Blau:

Diether Dehm

Bankenmacht kontra Demokratie

Vor einem Jahr war ich in Frankfurt böse in die Schlagzeilen geraten. Bei einem Streitgespräch mit André Brie hatte ich gesagt: „Macht und Reichtum der Großbanken sind auf dieser Welt wie ein Krebsgeschwür.“ Für einen Stadtrat der Bankenstadt Frankfurt mit ca. 40.000 „Bankarbeitsplätzen“ zu starker Tobak, fanden selbst eigene Genossinnen und Genossen. FDP und CDU forderten mich zum Rücktritt auf. Die weiteren Folgen waren eher erfreulich: Auf zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen konnte ich zur Rolle der Großbanken Stellung nehmen, konnte ich differenzieren, daß ich nicht die vielen hundert kleineren und mittleren Geld- und Kredit­institute meine, sondern die Macht der drei deutschen Großbanken, den Internationalen Währungsfond und die Weltbank. Und daß es nicht gegen Bankenarbeitsplätze ging, sondern gegen die Großspeku­lanten, die ihre hasardeurhaften Derivatgeschäfte und ähnliche ge­rade auf Risiko der Angestellten betreiben. Derivate bleiben stets Wagnisse auf Kosten der Kleinen (und oft selbst der Großen), so­lange die Finanzmärkte so sehr von der realen Wirtschaft abgehoben sind (wenn zum Beispiel die preisspekulierten Warenmengen oft gar nicht real vorhanden sind; besonders schlimme Beispiele für darauf notwendig folgende Derivat-Crashs: Metallgesellschaft – erlitt bei derivaten Ölgeschäften in den USA Milliardenverluste, im Zuge der notwendigen Sanierung des Unternehmens gingen tausende von Ar­beitsplätzen verloren; der Sporthersteller Balsam mit gerade mal 400 Millionen DM Umsatz im Jahr soll bei spekulativen Devisenge­schäften 14 Milliarden D-Mark aufs Spiel gesetzt haben; das Versi­cherungsunternehmen Colonia spekulierte in „Kurssicherungs- und Termingeschäften“ mit einem dreistelligen Millionenbetrag1).

Beim 1. Mai in Frankfurt auf dem Römerberg ging dann der Hauptred­ner, der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel, auf meine Aus­sage ein, unterstrich sie und erklärte sie eher noch für maßvoll, denn für übertrieben.

Der Internationale Währungsfond ist (nicht erst seit dem Baker-Plan) engverbunden mit der Schuldenkrise der ärmsten und der Schwellen-Länder. Der Baker-Plan setzte noch förmlich Prämien da­für aus, die Sozial­etats in den Hungerregionen der Welt weiter ab­zubauen, Kindersterblichkeit, Massenhunger und so weiter billigend und in Kauf nehmend. Hatten in den 70ern des „fetten Petro-Dol­lars“ die Kreditgeber die Entwicklungsländer in die Darlehensver­träge zur einigermaßen akzeptablen Zinshöhe hineingelockt, wurde ihre Devise, die Darlehen für Investitionen in weltmarktorien­tierte Produktpaletten zu nutzen, danach so verführerisch wie ka­tastrophal. (Marokko zum Beispiel stellte seine gesamte Grundnah­rungs­mittel­industrie [vorwiegend Hirse] um auf Schnittblumenex­porte und – da auch andere Länder gleichzeitig auf ähnliche Ideen gebracht worden waren – sank der Schnittblumenpreis, oh Wunder, auf zeitweilig weit unter die Hälfte. Schuldenmoratorien über Mo­ratorien folgten, die Zinsen und Zinseszinsen häuften sich im ho­hen zweistelligen Bereich. Infrastrukturen brachen zusammen, Mas­senhunger, Seuchen und Kindersterblichkeit breiteten sich aus.)

Die hochgelobte Devise des ermordeten Ex-Bankiers Herrhausen, der Dritten Welt einen Schuldennachlaß zu gewähren, war dabei nicht ganz hintergedankenfrei. Wußte der doch, daß die Deutsche Bank sich weitgehend vornehm aus den Petro-Dollar aufgeschwemmten Dar­lehens-Offerten herausgehalten hatte, aber die ärgsten Mitkonkur­renten im internationalen Kreditgeschäft in den armen Ländern kräftig involviert waren. Hätte es einen Schuldenerlaß oder eine Teil­entschuldung gegeben, hätte das die ohnehin abgeschriebenen und berichtigten Werte der Deutschen Bank nicht mal im „Pea­nuts“-Bereich gejuckt, aber ihr Marktanteile zusammengebrochener Mitbe­werber zugespült. Nun – dazu kam es nicht. Nicht wenige haben das vorzeitige Ableben des Ex-Deutsche-Bank-Chefs Herrhausen mit sei­nen vordergründig waghalsig klingenden Entschuldungsaufrufen in Verbindung gebracht ... (zumal Morde und Bekennerschreiben der RAF keine schützbaren Markenartikel sind.).

Es ist nicht nur die eine oder andere Großbank, sondern die innere Logik des Weltfinanzsystems, die überprüft werden muß, wenn von Demokratie die Rede ist. Eberhard Czichon vermerkte in seinem Werk „Wer verhalf Hitler zur Macht?“, daß es zunächst durchaus eine zö­gerliche Haltung gewisser Großunternehmen und Bankiers gegenüber Hitlers Vorstellungen und Persönlichkeit gab. Mit dem Zusammen­bruch der Darmstädter Handelsbank ändert sich das Bild. In einer Situation, in der die Nazis erste Wahleinbrüche hatten (und nicht mehr weiter Wah­len gewannen, sondern über eine Million Wähler ver­loren!), fanden Hugenberg und Schacht in Kreisen offene Ohren, die noch Monate vorher auf einen gewissen „New ­Deal“ mit Gewerk­schaf­ten und reformistischen Teilen der Arbeiterbewegung gesetzt hat­ten.

Die Rolle der Großbanken war in der deutschen Geschichte nicht einheitlich, aber in bestimmten Krisensituationen auf ein einziges Ziel reduziert: die Pressung der Reallöhne auf das jeweilige Kri­senniveau. Dabei sind aktive rote Gewerkschaften stets im Weg. Hat der Faschismus weltweit mehrere Gesichter, war die Peronistische Diktatur mit der Pinochetschen schon nicht vergleichbar und waren Militärdiktaturen in Griechenland wieder andere, als in Latein­ame­rika und Militärdiktaturen insgesamt wieder etwas anders als die „völkische“ Bewegung der Deklassierten und der Antisemitismus Hit­lers wieder anders als Mussolinis sozialdemagogische Faschis­mus­be­grün­dung, so hat Faschismus in allen Formen der Staatsmacht stets die Zerschlagung der Gewerkschaften als oberstes Ziel. Das koope­rative Gesellschaftsmodell, in dem starke Gewerkschaften am Regu­lationsmechanismus zumindestens korrigierend partizipieren, ist dem Faschismus antagonistisch entgegengeordnet. Insofern ist die berühmte Dimitroffsche Definition (wonach der Faschismus an der Macht die offene Diktatur des radikalsten Teiles des Finanzkapi­tals abbildet) in der Verknüpfung mit einer vor dem faschistischen Machtantritt gelagerten Krisensituation durchaus ein Hinweis in die richtige Richtung.

Ökonomische Krisen erweitern die soziale und kulturelle Dimension des Faschismus um die äußere Attitüde von Solidarität, nämlich die staatliche und/oder völkische „Totalität“. So entsolidarisiert der innere, polit-ökonomische Gehalt des Faschismus ist, zum Beispiel die Löhne auf das jeweilige Krisenniveau zu pressen, je purer und unmittelbarer das aktualistische Interesse der jeweils hegemonia­len Kapitalfraktion „durchschlägt“, desto kollektiver, nivellierter und äußerlich monolitischer wird die Attitüde von Staat und Ge­sellschaft als quasi-solidarische Pose.

Das sind zwei eng zusammenhängende, durchaus hochinteressante Aspekte: Während die Dialektik aus wirklicher gesellschaftlicher Solidarität als Basis echter, persönlicher Autonomie, kreativer Individualisierung, kompetenter Gestaltung der Lebensentwürfe von Klassen, Schichten, Gruppen und einzelnen meistens in der Ge­schichte übersehen wurde und denen, die ein solidarisches Staats- und Gesellschaftsgefüge gefordert hatten, darum oft Platt- und Gleichmacherei unterstellt worden war, ist andererseits die Dia­lektik übersehen worden, daß der totalitäre faschistische (oder andersgeartete autoritäre) Staat in äußerlich solidarischer Pose und Form die innere völlige Entsolidarisierung und „glatt durch­schlagende Kapitalverwertungslogik“ darstellt. Es gibt darum und gab keinen Faschismus – welcher Prägung auch immer – der nicht in enger Liaison mit den jeweils nationalen, teilweise auch interna­tionalen großen Banken des Landes installiert und gehalten wurde.

Das Finanzsystem hat dabei den Kapitalismus in der Krisenbewälti­gung wesentlich elastischer gemacht. Der immer wieder in seiner Abstraktheit verkannte Marxsche Begriff der „Profitrate“ (= durch­schnittliche Profitrate) mußte ja stets in seinem Mehrwertgehalt diversifiziert werden: zum Beispiel in Gewinn, Steuern, Zinsen, Rente etc.. Eng betriebswirtschaftlich war die Marxsche Pro­fitrate ohnehin nie konzipiert. Und: Warum sollte man sie national fassen? Je internationalistischer die durchschnittliche Profitrate gefaßt wurde, desto abstrakter, desto mehr verwies sie aber auch auf die Regulativa der Kapitalbewegungen im Banken- und Finanzsystem. Ab­lesbar ist die Kapitalakkumulation in Zinsraten. In diesem Zusam­menhang ist sie auch wesentlich weniger von ihren einzelnen Kapi­tal­teilen kontrollier- und determinierbar.

Die somit in Zukunft noch schärfer auf uns zukommenden Krisen­bewe­gungen und -anfälligkeiten des Kapitalismus führen also zu jenem Befund, den Czichon im Embryostadium dieses Systems analysiert hat: in der Dominanz des Finanzkapitals und seiner rigiden Logik durch die jeweilige Krise. Will heißen: Auch aufgeklärte, liberale und zunächst noch demokratisch redende Bankenrepräsentanten werden auf Dauer und in Krisensituationen ansprechbar für faschistische Kooperationspartner. So wie in Österreich wieder mit Haiders FPÖ und in Italien mit der Verbindung aus Fini und Berlusconi, hat der Liberalismus als radikale polit-ökonomische Deregulationsbewegung längst die Bündnisfähigkeit mit dem Faschismus unter Beweis ge­stellt und somit seinen staatspolitischen Gehalt als liberale Bür­gertradition eingebüßt.

Das und wie diese Finanzoligarchen die meisten Industriekonzerne mehrheitlich kontrollieren, läßt schon demokratie-politisch, so­zial und ökologisch nicht allzuviel Gutes ahnen. Aber auch eigene expansive und nachhaltige Kapitalentwicklungen (wenn man überhaupt den Begriff „sustainable“ = „nachhaltig“ auch auf Gewinne übertragen könnte) werden durch ihre bornierten „Pawlowschen Freßreflexe“ und eindimensionalen Raff- und Vorwärtsstrategien nicht begünstigt. Überall wo – billigend in Kauf genommen von den kontrollierenden Banken – Industriekonzerne ihre „treuhandähnlichen“ Auffreßaktio­nen hinter sich gebracht hatten, blieben zumindest aktionärsin­terne Fragezeichen bis verbrannte Erde zurück. Siemens hat bis heute noch nicht Nixdorf in die eigene Palette integriert, Daimler Benz hat eine industrie-politische Verknüpfung von MTU, AEG, Dor­nier und MBB in keiner Weise gewinnbringend zustande gebracht. VW weiß mit der Angebotsdichte der aufgekauften SEAT- und ˇSKODA-Pro­dukt-Linien nichts anzufangen und hat sich offensichtlich daran übernommen. Ob BMW die im Winter 1993 übernommene British Rover Group nur als Marktanteil oder auch als neue Absatzperspektive ge­neriert, bleibt abzuwarten. Aber alles forciert von der jeweiligen „Hausbank“.

Von der Dämlichkeit der Herren Renaldo Schmidt, Küppersbusch und anderen, die der Metallgesellschaft, der Pleite bei Deckel-Maho und den Köpenickiaden eines Dr. Schneider einmal ganz abgesehen. Die „Nieten in Nadelstreifen“ siegen sich, wenn nicht zu Tode, dann wenigstens sterbenskrank.

Die zaghaften Vorstöße der Bundesregierung gegen das Depotstimm­recht, der Vorschlag der SPD, die wechselseitigen Verflechtungen abzubauen und die Bankentreuhänder in Aktionärsversammlungen künf­tig durch Wirtschaftsprüfer und besonders qualifizierte andere Personen zu ersetzen, die Beteiligungsmöglichkeiten zu limitieren, zielen zwar sicher in die richtige Richtung, aber nicht mit dem nötigen Effet und der internationalistischen Perspektive. Zudem die britische Bankendiskussion (wo die Großbanken, ähnlich wie bei uns, ihre Gewinnsteigerung von 1992 bis 1995 im Vergleich zu den zehn Jahren davor verdreifachen konnten), durchaus längst zwei­felsfrei herausgearbeitet hat, daß eine steuerliche Abgrenzbarkeit der Bankengewinne kaum möglich und allenfalls international in An­sätzen realisierbar ist. Hermanus Pfeiffer verweist darüber hinaus in seinem Werk „Die Macht der Banken“ auch auf die hochinteres­sante Lobbytätigkeit der Großbanken (ihre 8.129 personellen Insti­tu­tio­nen) als Lobbyisten, Berater (wie im Falle des Grünen Frank­furter Stadtkämmerers Tom Koenigs, der durch einen CDU-Lobbyisten der Deutschen Bank direkt bei der Privatisierung und Konsolidie­rung beraten wird.).

Da dies alles mit Demokratie wenig zu tun hat und da Faschismus als Bewegung und Staatsmacht, platt gesagt, immer in wechselseiti­ger Beziehung zum vorher jahrzehntelangen Demokratieabbau steht, ist die Linke erst dann wieder voll handlungsfähig, wenn sie sich international auf Kommunikations- und Treffpunkte orientiert, in denen mit einer globalen Strategie der Macht der Großbanken entge­gengewirkt werden kann.

1) Vergleiche: „Frankfurter Rundschau“ vom 28. Februar 1995.