27.01.2014 Glasnost
im Kapitalismus? Bankenverbrechen
haben eine lange Geschichte, die erst noch geschrieben werden
muß. Jedes Mal werden ein paar »Bauern«
geopfert, und die regierenden Kapitalparteien versprechen Reformen, um
Ruhe und neues Vertrauen herzustellen. Bis zum nächsten
»Rückfall«. Sicherheitsverwahrung
für Bankbanditen ist nicht vorgesehen Auch
die Deutsche Bank hat eine lange Kriminalgeschichte. Die Bank wurde
1871, mit dem Zweiten Reich, gegründet und erhielt damals
ihren irreführenden Namen. Bis heute wird sie gelegentlich mit
der Bundesbank verwechselt. Ihre Entwicklung ist beeindruckend, vor
allem, wenn man die Verstrickungen in kriminelle Wirtschaftspraktiken
und Regierungsverbrechen ausblendet. Über die Verbrechen, die
ihr für die Zeit von 1933 bis 1945 angelastet werden, liegen
erschütternde Untersuchungsergebnisse der OMGUS
(Militärregierungsbehörde der Vereinigten Staaten in
Deutschland) vor. Dort ist die Beteiligung der Bank und ihrer leitenden
Mitarbeiter an den Nazi-Verbrechen nachgewiesen. OMGUS empfahl damals
den Anklägern des Internationalen Militärtribunals in
Nürnberg, »daß erstens die Deutsche Bank
liquidiert wird, zweitens die verantwortlichen Mitarbeiter der
Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt
werden, drittens die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der
Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im
wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands ausgeschlossen
werden«. Danach hätte die
Geschichte der Deutsche Bank spätestens 1948 enden
müssen, und der verhaftete Nazi-Banker Hermann Joseph Abs
wäre nicht so bald freigelassen, sondern wegen
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt
worden. Die Deutsche Bank war Teil des Auschwitz-Kapitalismus. Doch zur
Schließung des Geldinstituts kam es nicht. Auch nicht zur
Verstaatlichung. Der Kalte Krieg änderte die Bewertung der
Ermittlungsergebnisse. Die Abs-Biographie wurde umgeschrieben, bis der
»Bankster« als Gegner der Nazis dargestellt werden
konnte. Der DDR-Historiker Eberhard Czichon, der schon 1970 mit seinem
Buch »Der Bankier und die Macht« einen ersten
(allerdings zunächst nicht überzeugenden) Versuch
gemacht hatte, die Geschichte der Deutschen Bank aufzuarbeiten,
schaffte dies 1995 mit einer Erweiterung seines Werks. Der Titel wurde
entpersonalisiert und lautet seitdem: »Die Bank und die
Macht« (Verlag PapyRossa). Wer tiefer in das Thema einsteigen
will, ist mit diesem Buch gut beraten. Wer DDR-Historikern nicht
glauben mag, sei auf Hermannus Pfeiffers Bücher »Das
Imperium der Deutschen Bank«, »Die Macht am
Main« und »Die Macht der Banken«
verwiesen. Vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise
ist es in den USA endlich zu einigen Gerichtsverfahren gegen die
Deutsche Bank gekommen. Auch die Europäische Union
verhängte kürzlich enorme
»Geldbußen« für
Bankenverbrechen, so daß es endlich auch einige tonangebende
deutsche Medien wagen, die illegalen Ausbeutungspraktiken dieser Bank
und anderer Geldhäuser etwas kritischer als bisher zu
beleuchten. Nun kann sich, wer will, Auflistungen des Strafregisters
der Deutschen Bank im Internet zusammengoogeln. Selbst das
wirtschaftsfreundliche Handelsblatt verfolgt seit längerem
besorgt, wie Großbanken, darunter auch die Deutsche Bank,
billionenschwere US-Pensionsfonds plündern, Zins- und
Währungsmanipulationen vornehmen und einen als Emissionshandel
deklarierten Raubzug zur Erbeutung von Steuergeldern führten.
Damit nicht genug. Die Kapitalstrategen
beschränken sich nicht mehr darauf, Privatpersonen, Gemeinden,
Länder, Staaten in ihre Schuldenfalle zu locken und rigoros zu
belügen und zu betrügen, auch nicht, Politiker und
Beamte zu bestechen, ganze Regierungen zu kaufen,
umweltzerstörende Großprojekte zu finanzieren, um
Reiche noch reicher zu machen, auch wenn dabei Arme immer
ärmer werden. Sie greifen auch nach der politischen Macht. Unvorstellbar,
daß ein derart infam und perfekt abgestimmtes kriminelles
Verhalten angeblich konkurrierender Banken durch Realisierung der
LIBOR-Leitzins-Raubzüge und Währungsmanipulationen
großen Stils nicht von der NSA-Überwachung und den
deutschen Nachrichtendiensten bemerkt worden wären. Oder haben
sie sie aufgedeckt? Darüber herrscht Schweigen. Der Verdacht
ist nicht abwegig, daß zumindest die
»systemrelevanten« Banken mit den
Nachrichtendiensten kooperieren. In diesem Zusammenhang wäre
es sicher – um einen Mainstream-Ausdruck zu bemühen
– »zielfördernd«, noch einmal
öffentlich und gründlich über jenen Mann,
seine Ideen und sein Ende nachzudenken, der der Nachwelt das Zitat
hinterließ, das Eberhard Czichon als Motto seinem Buch
»Die Bank und die Macht« voranstellte:
»Wir brauchen Berichterstattung und Kommentierung der
Wirklichkeit, nicht der Unwirklichkeit. Wir müssen sagen, was
ist. Bemühen wir uns also um Offenheit. Wir brauchen Glasnost
für den Kapitalismus – auch und gerade für
den Kapitalismus.« Der Mann, der diesen
Satz sagte, war Alfred Herrhausen. Moskaus Öffnung hin zur
kapitalistischen Diktatur (Glasnost und Perestroika) wurde von der
neuen Führung der Deutschen Bank als Chance gesehen, endlich
den Sprung auf die Ebene der Top-Ten, der Global Player, zu schaffen.
Czichon schreibt: »Für sein Global-Player-Ziel
entwickelte Alfred Herrhausen eine neue Corporate-Culture-Strategie,
mit der er einen Aufbruch in neue Gelddimensionen suchte. Herrhausen
kaufte nun nicht mehr in Aktien, er kaufte ganze Unternehmen, er
stieß dabei in die Höhen neuer Superlative
vor.« (Czichon, S. 416) Czichon
erwähnt den kometenhaften Aufstieg der Deutschen Bank unter
Herrhausen, der mit dem Ankauf der Londoner Investmentbank Morgan
Grenfell weder in der Londoner Lombardstreet noch an der Wallstreet in
New York »als Hilfe für ein notleidendes Geldhaus
verstanden wurde«, und fügt unmittelbar hinzu,
daß Herrhausens weitere Absichten, in der Community der
Weltbanken »mitzugestalten«, an »der
Explosion einer Hohlladungsmine« in Bad Homburg scheiterte.
Er sagt nicht, man habe diesen Außenseiter unter den Bankern,
diesen Moralisten unter den Chefs der Deutschen Bank, einfach
umgebracht. Er nennt nur Gründe, die diesen Gedanken, auch
den, es könnten ganz andere als linke Terroristen gewesen
sein, nahelegen. Herrhausens Nachfolger Hilmar Kopper wird zitiert, der
sagte, daß die Idee einer globalen Mega-Bank tot sei. Mit
Herrhausen gestorben? Josef Ackermann und seine Nachfolger haben das
strategische Ziel Herrhausens konsequent weiterverfolgt, und
daß ihnen alle Mittel recht waren, das Ziel zu erreichen,
wissen wir. Aber nicht etwa, weil unter Helmut Kohl, Gerhard
Schröder oder Angela Merkel Glasnost für den
Kapitalismus eingeführt worden wäre. Im Gegenteil.
Wir wissen es, weil die Deutsche Bank unter Ackermann, Jain und
Fitschen nicht einmal mehr davor zurückschreckt, sich mit der
Macht, die die Bank unter Herrhausen errang, sogar auf Kosten von
US-Bürgern mit kriminellen Methoden zu bereichern. Die
Wirtschaftsspione der NSA könnten das übelgenommen
haben. Glasnost für den Kapitalismus, diese
Forderung des bisher bedeutendsten Chefs der Deutschen Bank mit ihrer
großen Kriminalgeschichte, einer Bank, die nach Auffassung
der OMGUS-Finanzabteilung nach 1945 hätte liquidiert werden
müssen, hat sich als illusionär erwiesen. Ebenso die
wenigstens teilweise Entschuldung der unterentwickelten
Länder, die Herrhausen gefordert hat. Herrhausens Ideen sind
aber in der Welt und haben zumindest für diejenigen, die
– wie Herrhausen – auch in den USA »mehr
Markt wagen« wollen, einen großen Wert. Es ist
– vereinfacht ausgedrückt – eine
antimonopolistische Position. Aber gesetzt den Fall, der
Bankenmonopolismus könne durch ein breites Bündnis
gegen Bankenmacht, gebrochen werden, und Banker, die selbst von der
zuständigen EU-Kommissarin öffentlich als
»Bankster« beschimpft werden, könnten
dereinst angemessen bestraft werden, so könnten diese Erfolge
nie die radikalere Forderung nach wirtschaftsdemokratischen Kontrollen
ersetzen. Hans See Mit freundlicher
Genehmigung des Ossietzky 3/2014. |