15.04.2016
Ein bisschen
Illegalität und ein Haufen Arbeit
Vortrag
von Ulrich Sander auf der Konferenz der VVN-BdA in Hamburg, 9.4.2016
Eine Bemerkung vorweg:
Es war am 20. Dezember 1961 im Landgericht
Mannheim. Es ist Urteilverkündung, und zwar vor dem
Schwurgericht im Fall des SS-Führers Ehrlinger und vor der
Politischen Kammer im Fall des Betriebsrates Krumm von den Mannheimer
Motorenwerken. Rechtsanwalt Dr. Amman berichtet darüber
später: “Die beiden Urteilsverkündungen
fanden fast unmittelbar hintereinander statt, so daß die
Presseleute beide besuchen und miteinander vergleichen konnten.
Ehrlinger bekam zwölf Jahre Gefängnis, das
heißt umgerechnet für jedes von ihm hingemordete
Leben etwa dreieinhalb Tage Gefängnis. Krumm erhielt
fünf Monate Gefängnis, also für jede
Gedächtnisfahrt an die Stätten solcher Opfer
zweieinhalb Monate Gefängnis!“ Und
außerdem verlor Krumm sein Betriebsratsmandat und seinen
Arbeitsplatz. Er hatte Kollegenfahrten zur Gedenkstätte
Buchenwald in der DDR organisiert. Ehrlinger hatte Juden gemordet.
Ich bin Ulli Sander, wurde 1941 hier in Hamburg
geboren.
Vor drei Jahren wurde ich von einem
Studenten zu Forschungszwecken interviewt, der fragte: Also am Anfang
würde mich interessieren, wie es bei ihnen dazu gekommen ist,
dass Sie sich politisch engagiert oder interessiert haben?
Ich sagte: Zur VVN gehöre ich seit 1959. Seit 1961 bin ich
KPD-Mitglied. Ich geriet somit früh in verbotene
antifaschistische Organisationen. So war die Zeit damals. Jedoch es
begann schon viel früher.
Das Politische war immer dabei, immer, solang ich
denken kann, seit ich durch das bombardierte Hamburg
stolperte, war da die Politik - sie spielte eine Rolle, als ich
sechsjährig 1947 zur Schule kam, das war die Schule Am
Bullenhuser Damm in Hamburg-Rothenburgsort, früher ein Teil
des KZ Neuengamme. Es waren da in unserer Schule 20 jüdische
Kinder ermordet worden, die Lehrer stritten es ab, mein Vater
bestätigte den Mord, denn der stand in der Zeitung.
Meine Eltern haben viel über die Politik
gesprochen. Weil meine Eltern unter der Politik der Nazis gelitten
haben, dachte ich sehr früh: Das darf nicht wieder kommen.
Um uns waren in frühen Kinderjahren nicht
nur Nazis, sondern da war auch Krieg und darum kreiste mein ganzes
Denken von Anfang an. Ich bin ja noch vom Krieg betroffen. Nazis und
Krieg sind mir seit frühester Kindheit zutiefst verhasst. Mir
sind sie ja noch geläufig, die
Bombennächte. Also das älteste Erlebnis, was ich
hatte und noch erinnere, sind die Bombennächte in
Hamburg, das Bombardement, das hieß Gomorra, die
Engländer haben in ich glaub zwei oder drei Tagen und
Nächten fünfundreißigtausend
Menschen zum Tode befördert durch die Bombardierung
in Hamburg. Unsere Wohnung in der Stresowstraße in
Rothenburgsort ging kaputt.
Daran erinnere ich mich, wie wir vor den Flammen
flohen, aber einmal auch auf die Flammen zulaufen mussten, weil
zwischen uns und den Flammen der Luftschutzbunker lag. Das war so ein
furchtbares Erlebnis für einen Dreijährigen.
Und später kamen dann die
Freunde meiner Eltern zurück aus dem Krieg, oder aus dem KZ
und Gefängnis. Die waren vorher in einer Jugendgruppe - in den
frühen dreißiger Jahren - und haben Waffen gesammelt
und wollten damit irgendwas machen gegen die Nazis, und das ist
aufgefallen und die sind dann alle eingesperrt worden, beziehungsweise
sie durften sich „bewähren“.
Mein Vater wurde dann zur Bewährung in die Wehrmacht
gesteckt, und bevor der Krieg überhaupt begann, war er bereits
hundertprozentig kriegsbeschädigt infolge der Misshandlungen
in dem Strafbataillon.
Ja, mein Vater hat darunter sein ganzes Leben
gelitten, ist nur achtundfünfzig Jahre alt geworden
und kam eben schwer gebrochen aus dem Krieg zurück. Wir waren
dann 1944 zunächst aus Hamburg weggegangen, weil alles
zerstört war und dann sind wir neunzehnhundertsechsundvierzig
nach Hamburg zurückgekommen, aus Mecklenburg und haben in
Billbrook in einem elendigen Lager gelebt. Dann Pfingsten
neunzehnhundertsiebenundvierzig: Da haben sich dann diese Leute aus der
Jugendgruppe meiner Eltern mal wiedergetroffen. Da haben sie gedacht,
wir müssen mal wieder so wie damals, soweit wir
überlebt haben, alle zusammenkommen. Ein Pfingstcamp an der
Elbe. Sie haben sich dort stundenlang am Lagerfeuer
unterhalten, und ich habe zugehört, war beeindruckt wegen
ihres Mutes und war ängstlich zugleich, wegen der Schrecken,
die ich vernahm. Ich war angezogen von ihnen und abgestoßen.
Sie hatten ja immer nur ein Thema, und das war
kein schönes und ich weiß noch ganz genau: In der
ersten Nacht bin ich schwer krank geworden, hab ich zum ersten Mal
einen fürchterlichen Asthmaanfall gehabt, psychosomatisch und
dann hab ich sehr lange darunter gelitten - meine ganze Kindheit hatte
ich Asthma und ja das hat mich sehr beeinträchtigt.
Einen großen Teil meiner Schulzeit war
ich ausgefallen aus der Schule, ich hab dann noch zehn Jahre - nee elf
Jahre - bin einmal zurückgestuft worden, die Schule besucht.
1950 zogen wir vom Barackenlager in eine winzige neue Wohnung in
Hamburg-Horn, und ich fand am ersten Tag von der Schule nicht
zurück nach Hause. Zwischen Schule und Wohnhaus lag alles in
Trümmern und ich fand den Weg nicht. Ich irrte herum, viele
Kindheitserinnerungen führen mich in
Trümmerlandschaften zurück, noch heute.
Diese Erinnerungen brachten mich dazu, mich
früh in die Friedensbewegung einzureihen. Ich meine: Die
antifaschistische Bewegung muss Friedensbewegung sein oder sie ist
keine antifaschistische Bewegung. Meine ersten Erfahrungen als
Journalist machte ich als Pressesprecher der Ostermarschbewegung ab
1960.
Ich erlebte damals u.a. folgendes: Von 1958 bis
1960 durchlief ich eine kaufmännische Ausbildung bei der
SPD-Tageszeitung „Hamburger Echo“, die es heute
nicht mehr gibt. Im ersten Lehrjahr wurde ich von Chefs und Kollegen
aufgefordert, mit zur großen Antiatomkundgebung auf dem
Hamburger Rathausmarkt zu kommen, und ich reihte mich gern bei den
150.000 ein. Nachdem ich ab 1960 Mitglied der Leitung der deutschen
Ostermärsche wurde und die SPD-Führung auf NATO-Kurs
gegangen war, da wehte ein anderer Wind. Die SPD-Betriebsgruppe
verlangte meine Entlassung aus dem Betrieb. Allerdings vergeblich, denn
das wäre der Bruch meines Lehrvertrages gewesen.
Als wir uns als legale Kommunisten wie auch als
illegale KPD-Genossen in die Ostermarschbewegung einreihten, sagten die
Pazifisten: Die Kommunisten wollen uns ausnutzen, sie sind nur ihrem
Dogma, nicht dem gemeinsamen Ziel des Friedens verpflichtet. Wir
konnten dagegen halten. Alte Genossen, welche die Ostermarschroute
schon auf Todesmärschen gegangen waren, überzeugten.
In einem Buch von Andreas Buro über die Geschichte der
Friedensbewegung stellen die Ostermarschbegründer Helga und
Konrad Tempel fest, sie hätten damals zu viel Argwohn
gegenüber den Kommunisten gehabt. Diese Erkenntnis hat uns
gefreut.
„Schon einmal hat man dem deutschen Volk
den Vorwurf gemacht, geschwiegen zu haben, wo mutige Worte und Taten
notwendig waren. In den Konzentrationslagern – wie
Bergen-Belsen – kamen Millionen Menschen ums Leben. Bei
Fortsetzung der Versuchsexplosionen und der atomaren
Aufrüstung aber drohen der gesamten Menschheit
Vernichtung.“ So begann der Aufruf zum ersten deutschen
Ostermarsch der Atomwaffengegner, der vor 56 Jahren von Hamburg und
anderen norddeutschen Städten zum Raketenübungsplatz
Bergen-Belsen-Hohne führte. Kommunist/innen und VVN-Kameraden
gehörten zu den Organisatoren, die dann auch halfen, die
Ostermärsche im ganzen Land vorzubereiten. Das geschah auch
dadurch, dass wir die Pressearbeit übernahmen und mittels
eines alten Fernschreibers, den Arno Klönne besorgte, die
Medien mit Ostermarschmeldungen versorgten. Live-Ticker nannte und
nennt man dies. Es gelang ein Durchbruch an oppositioneller
Medienarbeit. In dem Aufruf von 1960 hieß es weiter:
„Jede Herstellung, Erprobung und Lagerung von Atomwaffen
– gleich an welchem Ort und in welcher Hand – ist
die größte Gefährdung der
Menschheit.“ Allerdings haben wir uns dagegen gewehrt, die
Tests der UdSSR ebenso zu verurteilen, wie die Bomben des Westens. Wir
sagten: Die Sowjetunion hat Vorschläge gemacht, wie die Bombe
wieder aus der Welt verschwindet, der Westen hat solche
Vorschläge abgelehnt. Die westlichen Atomwaffen - auch heute
noch in unserem Land – sie gehören abgeschafft.
Im April 1967 meldete sich das Münchener
Institut für Film und Bild und bot mir einen Vertrag an, um
eine Tonbildreihe für die Schulen über Helmuth
Hübener zu erstellen. Offenbar griffen unliebsame Geister ein,
denn der Briefwechsel mit dem Institut endete abrupt, und die
Tonbildreihe wurde nie erstellt. In jener Zeit wurde meine Post
überwacht, daraus erwuchs ein Verfahren wegen Einfuhr
verfassungsfeindlicher Schriften. Bei einer Vernehmung im Amtsgericht
Wiesbaden wurde mir bereits im Oktober 1964 vorgehalten, einzelne
Exemplare von Zeitungen aus der DDR erhalten zu haben, für die
Deutsche Friedens-Union gearbeitet zu haben, eine Rede auf einer
Geschwister-Scholl-Gedenkfeier gehalten und gegen die Ermordung von
Julian Grimau durch die Franco-Faschisten protestiert zu haben. All
dies ging aus einer Akte aus Hamburg hervor, aus der der Amtsrichter
mir vorlas.
Vor acht Jahren erschien ein jetzt folgender
Bericht in der in Asien und Nordamerika von Berlin aus verbreiteten
Zeitung „The German Times“ (und The Asia Pacific
Times Monthly newspaper). Die Überschrift: Der deutsche
Nazijäger Ulrich Sander hat nie aufgegeben - Licht bringen in
eine dunkle Vergangenheit. Von Hanjo Seißler. Der Text u.a.:
„In
die Pflicht genommen fühlte sich der Sohn eines Hamburger
Widerständlers als er 15 Jahre alt war. Schon im Jahre 1956
wollte er dabei helfen, den von Nazis Ermordeten, Geschundenen und
Eingekerkerten, ihre Würde zurück zu
geben….
Kurzum: Er will
"Gerechtigkeit!"
(geschildert wird die Sache mit meiner Einschulung)
Mit 17 Jahren,
als kaufmännischer Lehrling in einem Zeitungsverlag, war er
über die Geschichte von Helmuth Hübener gestolpert.
Er begann zu recherchieren, was es mit dem Tod des 17-Jährigen
auf sich hatte.
Der war, weil
er 1942 Flugblätter gegen die Nazis und den Krieg
verteilt hatte, vom sogenannten Volksgerichtshof "wegen
Vorbereitung zum Hochverrat und landesverräterischer
Feindbegünstigung zum Tod" verurteilt und hingerichtet worden.
Das, was Sander, der seit 1963 als Journalist arbeitet, bei den
Recherchen über Mörder, Sadisten, Spitzel,
Verräter, Denunzianten und Feiglinge, aber auch tapfere
Normalmenschen, aufrechte Deutsche und stille Helden herausfand, hat
ihn bis heute nicht losgelassen. Wohl deswegen, versucht er
unermüdlich, Licht ins braune Dunkel zu bringen.
Im Jahr 1967
legte er eine erste Arbeit über Helmuth Hübener und
dessen Widerstandsgruppe vor. 1993 erschien sein Buch "Mord im
Rombergpark". (weitere Schilderungen meiner Veröffentlichungen
lasse ich nun weg) Es befasst sich (als erster) mit den Morden der
Nazis in der Endphase des Krieges. 1999 gab er den Nachlass des
Kölner Widerstandskämpfers und Journalisten Kurt
Bachmann unter dem Titel ‚Wir müssen
Vorkämpfer der Menschenrechte sein‘ heraus.
Dabei hat sich
Sander keineswegs ausschließlich schreibend eingemischt.
Bereits 1958 gründete er die "Geschwister-Scholl-Jugend" in
Hamburg mit. (…) Seit vielen Jahren stöbert er mit
kriminalistischem Gespür alte und neue Nazis auf,
hält Vorträge vor Schulklassen, Gewerkschaftern und
vor Menschen, die einfach nur wissen wollen, was wirklich geschehen ist
seit 1945.
Er enttarnte
Neonazis in der deutschen Gerichtsbarkeit und appelliert immer wieder
an Behörden und Politiker, um …
Straßen,
Plätze, Gebäude, Kasernen und andere
öffentliche Einrichtungen von den Namen
nationalsozialistischer Politiker, Hitlertreuer Militärs,
mörderischer Mediziner, das Recht beugender Juristen und
skrupelloser anderer Nutznießer des Systems - die
beispielsweise durch den "kostengünstigen Einsatz" von
KZ-Häftlingen und Verschleppten aus besetzten
Ländern, sogenannten Fremdarbeitern, gigantische
Vermögen zusammenrafften - zu befreien.
Ohne
ihn wüssten viele Deutsche nicht, dass deutsche Soldaten -
in Sonderheit Gebirgsjäger - in Italien und
Griechenland wehrlose Greise, Kinder und Frauen ermordet
haben. (…) Ohne ihn - der die Initiative, die
dagegen protestierte, mit seinem Wissen und in Artikeln
unterstützte - trüge ein Gymnasium im
westfälischen Kreuztal wohl noch den Namen des Industriellen
Friedrich Flick, eines verurteilten Kriegsverbrechers. Ohne Menschen
wie ihn und seine Freunde wären die neue
Blüten treibenden Reste des braunen Sumpfes vermutlich
längst ein angesehenes Feuchtbiotop. (…)
Dieser Report in einer deutsch-amerikanischen
Zeitschrift trug mir den Vorwurf ein, ich sei ein vom US-Imperialismus
gekaufter Agent (Arbeiterfotografie).
+++
Es soll nun noch eine Rede von mir aus dem Jahr
2011 zitiert werden, in der ich über mich selbst
Auskünfte gab, jedoch vor allem über Helmut
Hübener (1925-1942), den jüngsten vom
Volksgerichtshof ermordeten Widerstandskämpfer, der
Informationen des britischen Rundfunks in Flugblättern
verbreitete. „helMUT hÜBENer“ –
so schreibt sich der Name bzw. das Logo der Stadtteilschule in
Hamburg-Barmbek neuerdings. Die Namensgebungsfeier der
Helmuth-Hübener-Schule – die ich mit
ausgelöst hatte - war hinreißend. Besonders die
Schülertheatergruppe, aber auch die Band, der Chor, die
Malerei-Gruppe. Die Arbeitsgruppen erfanden den Namen ihrer Schule:
helMUT ÜBENer.
Ich war einer der Redner und sagte:
Ich gratuliere
Ihnen und Euch sehr herzlich zur neuen Namensgebung der Schule am
Benzenbergweg. Als ich zum ersten Mal von Helmuth Hübener
hörte, war ich so alt wie er war, als er begann, seine
Flugblätter zu schreiben. Also 16 Jahre, so alt wie viele von
Euch Schülerinnen und Schülern.
Ich las das
Todesurteil vom 11. August 1942 in einem Heft, das ein Mitstreiter
meiner Lehrerin Lisa Niebank, der Journalist und
Widerstandskämpfer Franz Ahrens herausgegeben hat. Das Urteil
hatte er in den Wiedergutmachungsakten gefunden.
Das Urteil hat
mich sehr beeindruckt. Die Nazirichter schilderten darin sehr genau die
große Widerstandsleistung und den Mut wie die Klugheit
Helmuth Hübeners. Er war ein so gefährlicher Feind
für sie, dass sie ihn zum Tode verurteilten. Er war mit 17
Jahren ihr jüngstes Opfer.
Wir haben dann
in der Geschwister Scholl Jugend Hamburg, einer Jugendgruppe von
Kindern von NS-Verfolgten und Widerstandskämpfern,
darüber gesprochen. 1960 bildeten wir eine Arbeitsgruppe, um
Kurzbiographien junger Widerstandskämpfer zu verfassen. Ich
übernahm es, über Helmuth Hübener zu
schreiben. Es begann eine Spurensuche, die nun schon über
fünfzig Jahre währt. (…)
Manche halfen
und manche auch nicht, eher nicht. Und das Buch wurde geschrieben, zwei
Straßen in Hamburg nach ihm benannt. Und nun diese Schule!
Und dies Lesebuch! (Es erscheint im Dezember mit einem Abschnitt
über „Widerstand“ und
„Hübener“ in der Reihe doppel-klick bei
Cornelsen)
Damals las ich
die ‚Reportage unterm Strang geschrieben‘ von
Julius Fucik, dem Prager Journalisten und Widerstandskämpfer,
den die Nazis – wie Helmuth - in Plötzensee
ermordeten. In seiner insgeheim in Gestapohaft geschriebenen Reportage
heißt es an einer Stelle: ‚Die ihr diese Zeit
überlebt, vergeßt nicht. Vergeßt die Guten
nicht und nicht die Schlechten. Sammelt geduldig die Zeugnisse
über die Gefallenen. Ich möchte, daß man
weiß, daß es keine namenlosen Helden gegeben hat.
Sucht euch wenigstens einen von ihnen aus und seid stolz auf
ihn.‘
Ich suchte mir
Helmuth Hübener als einen solchen Menschen aus. Und nun habt
Ihr es auch getan.
Drei lange
Jahre dauerte es, bis ich Helmuths Akten kennenlernen durfte. Die
Behörden in Hamburg und in Berlin/West, wo die Akten lagerten,
weigerten sich zu helfen. Es war die Zeit, da hohe Nazis noch in allen
Ämtern saßen. Da war man nicht daran interessiert,
dass Namen bekannt würden – nicht von Opfern, schon
gar nicht von Tätern. (…) In Hamburg aber redeten
die Behörden sich darauf raus, daß die Geschwister
Scholl Jugend nicht „anerkannt", sondern linksextrem sei.
(…)
Die Behandlung
unserer Jugendgruppe als „extremistisch“,
löste den Protest des Vaters der Geschwister Scholl,
Oberbürgermeister i.R. Robert Scholl, aus. Dieses Vorgehen, so
schrieb er uns, ‚zeigt, daß die restaurativen
Kräfte aus dem Dritten Reich sich wieder überall
regen dürfen und salonfähig geworden sind. Desto
wichtiger ist es, daß Sie die Jugend ... darüber
aufklären, was heute schon wieder gespielt wird und sie dabei
zu selbständigem, kritischem Denken erziehen.‘
Ich gab nicht
auf, beschaffte mir Akteneinsicht. (…) Das was uns viele
Ältere und viele aus Helmuths Generation immer wieder sagten:
Man konnte nichts wissen und nichts tun! das wurde von Helmuth und
seinen Freunden widerlegt. Allerdings zeigte ihr Schicksal auch, welche
Gefahr jenen drohte, die sich wehrten. Deshalb ist für uns
eine Lehre aus jener Zeit auch immer gewesen: Es gilt, sich rechtzeitig
gegen alte und neue Nazis, gegen die Beseitigung der Demokratie zu
wehren, damit das sich Wehren nie mehr lebensgefährlich wird.
Denn dann ist es zu spät.
Helmuth
Hübener ist sehr aktuell. Er hatte in Flugblättern
gewarnt: ‚Zu Tausenden wird Hitler Eure Frauen und Kinder zu
Witwen und Waisen machen, und der von Hitler begonnene Bomberkrieg wird
unzähligen Deutschen das Leben kosten.‘
(…) Wenn wir heute durch die Stadtteile (in denen
Hübener wirkte) gehen, finden wir an fast jedem Haus die Tafel
‚Zerstört 1943, wiederaufgebaut 195..‘ Auf
mich wirken diese zahllosen Tafeln wie ein einziges großes
Antikriegsdenkmal. Die Summe dieser Tafeln bestätigt die
Warnung Hübeners.
Eine weitere
Mahnung von Helmuth Hübener ist heute aktuell: ‚Wenn
alles sich rührt, haben die Nazis auskalkuliert,‘
heißt es einem Gedicht von ihm, das eben auch vorgetragen
wurde. Daher meine ich, es gilt sich gegen neuen Ungeist, neue Nazis,
neuen Rassismus, neue Kriege zu rühren. Damit nie wieder ein
so großer Mut zum sich Wehren notwendig wird, wie zu Helmuth
Hübeners Zeiten, muß jetzt gehandelt werden. In
seinem Sinne müssen wir wachsam sein.
Obwohl Bürger von Nordrhein-Westfalen,
werde ich von den bayerischen und badenwürttembergischen
Verfassungsschutzbehörden beobachtet und in ihren
Jahresberichten als »Linksextremist« ausgewiesen.
Ich gehöre zu den Bürgern, die angeblich mittels
»diffamierender Beschreibung der
Verfassungswirklichkeit« und scharfer Kritik »ein
grundsätzliches Infragestellen der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung« erkennen lassen. So meint es das Bayerische
Staatsministerium des Innern ausdrücken zu müssen,
weshalb ich in einer Antwort an Bürgerinnen und
Bürger zitiert werde, die wissen wollen, warum die VVN-BdA im
bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt und warum diese
Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Die »diffamierende Beschreibung der
Verfassungswirklichkeit« stammt nicht von mir, aber wird mir
und der VVN-BdA, deren Bundessprecher ich bin, untergeschoben.
Die »Diffamierung«, die mir
unterstellt wird, laufe darauf hinaus, daß der
»Kapitalismus, die bestehende freiheitliche demokratische
Staats- und Gesellschaftsordnung und mit ihr letztlich die
parlamentarische Demokratie« zu bekämpfen sei. Wer
als Antifaschist den Kapitalismus kritisiert, sei ein Anhänger
der »Dimitroff-Thesen« und bekämpfe die
Demokratie, so der bayerische Verfassungsschutz.
Daß in Deutschland mit der NSDAP auch
die ökonomischen Eliten siegten, die Hitler brauchten und
förderten, ist keine Erfindung von Georgi Dimitroff, sondern
das war Kenntnisstand aller politisch klar denkenden Beobachter in
jener Zeit.
Die allgemeine Schlußfolgerung der
Antifaschistinnen und Antifaschisten seit den Jahren 1933/34 war jedoch
auch, die Errungenschaften der demokratischen und parlamentarische
Gesellschaftsordnung zu verteidigen und auf ihrer Grundlage die
Menschen in den gemeinsamen Kampf gegen Krieg und Faschismus zu
führen. Gerade die Fehleinschätzung, daß
der bürgerliche Staat nur dominierende faschistische Elemente
enthält, trug zur Niederlage der Arbeiterbewegung 1933 bei.
Deshalb war die Errichtung der demokratischen Republik nach 1945 die
Hauptlosung als Schlußfolgerung aus dem Faschismus, und unter
dieser Losung einigten sich die Antifaschistinnen und Antifaschisten
vieler Richtungen in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.
Die Verteidigung der Grundrechte und des
Grundgesetzes gehörten und gehören zu den
Wesensmerkmalen der Politik und Praxis des Antifaschismus. Das
schließt Kapitalismuskritik der Antifaschisten nicht aus,
setzt sie aber nicht voraus. Deshalb forderten ich und Freunde von mir
den bayerischen Verfassungsschutz und den Innenminister
öffentlich und in Briefen wiederholt auf, die diffamierenden
Behauptungen über mich und die VVN sowie meine namentliche
Nennung im Verfassungsschutzbericht und im Portal über
»Linksextremismus« zu löschen. Eine
Antwort blieb aus. Nun klagt die VVN-BdA Bayern gegen das Land. Es gibt
ein Stasi-Unterlagen-Gesetz, aber keins über die
Gestapo-Unterlagen. Stattdessen beschloß der
Bundestag schon bald nach BRD-Gründung 1951 ein Gesetz zum
Artikel 131 des Grundgesetzes, das vorsah, die im Rahmen der
Entnazifizierung entlassenen Beamten möglichst wieder beim
Staat einzustellen, wobei sie sogar den jungen Hochschulabsolventen
vorgezogen wurden.
Aus dem Jahr 1966 stammt ein Gutachten eines der
höchsten 131er und Nazi-Mediziners, Hans
Bürger-Prinz, der nach dem Krieg in Hamburg der allein
zuständige Gutachter in Wiedergutmachungsfällen war.
Er bescheinigte meinem Schwiegervater, daß ihm keine
Entschädigung zukomme, denn »der Kläger
nahm die Risiken einer Verfolgung im Sinne einer mehr oder weniger
bewußt gewählten Selbstbewährung im Einsatz
für die Idee auf sich, unterscheidet sich darin also
gegenüber der unausweichlich Situationen eines rassisch
Verfolgten«. Der Kommunist Artur Burmester war also selbst
schuld, er hätte den Widerstand unterlassen sollen, dann
hätten ihm die Nazis nichts angetan. Dabei wird in dem
Gutachten durchaus deutlich, wie der Junge gelitten hat, der bereits
1933 mit 17 Jahren in die Fänge der Gestapo geriet und
insgesamt dreieinhalb Jahre Haft und
»Bewährungseinheit 999« sowie Zwangsarbeit
durchlitt. In der Haft wurde er mißhandelt, getreten,
gefoltert, um »Geständnisse« von ihm zu
erzwingen. Die Täter wurden nicht bestraft, sie hatten nach
1945 ein Recht auf Weiterbeschäftigung. Die Organisation des
Artur Burmester war die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Sie
war in Hamburg in den fünfziger/sechziger Jahren verboten, so
auch in einigen anderen Bundesländern.
Der frühere Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück (SPD) hatte zu Zeiten der Großen
Koalition eine Verordnung erlassen, daß Organisationen, die
im Verfassungsschutzbericht auch nur eines Bundeslandes stehen, in
allen Bundesländern keinen Gemeinnützigkeitsstatus
haben sollen. Angeblich sollte sich das gegen Nazis richten, es wird
jedoch auch gegen Linke praktiziert. Wer der VVN-BdA angehört,
soll mit schweren Nachteilen rechnen. Es werden wieder
Zustände wie im Kalten Krieg hergestellt. Es gilt, die
geplanten Maßnahmen gegen die VVN-BdA zu verhindern.
Im Kalten Krieg wurde die VVN gespalten. Es
erschienen sozialdemokratische und bürgerliche
Verfolgtenverbände auf der politischen Bühne. Die
Reste dieser Verbände haben sich in einer Vereinigung
zusammengeschlossen. Deren Zeitschrift habe ich vor zwei Jahren den
folgenden Brief geschrieben, der leider nie beantwortet wurde.
Sehr geehrte
Redaktion von „Gegen Vergessen – für
Demokratie“!
Schon seit 1985
existiert von Allan Merson das Buch „Kommunistischer
Widerstand in Nazideutschland“ in englischer Sprache. Erst
1998 kam das Buch bei Pahl-Rugenstein in Bonn in deutscher Sprache
heraus, und nun habe ich es mal wieder zur Hand genommen. Peter Gingold
schrieb dazu ein zu Herzen gehendes Vorwort: Er habe an der nationalen
Befreiungsbewegung des französischen Volkes, der
Résistance, teilgenommen, die tief eingebettet im Volk und
getragen von ihm handeln konnte. Daher ermesse er es als besonders
tragisch, wie die Widerständler in Deutschland
„hoffnungslos isoliert“ gewesen waren.
Diese
Einsamkeit setzte sich nach 1945 fort, und viele „Kinder des
Widerstandes“, die Hinterbliebenen jener, die sich gegen den
Faschismus in Deutschland erhoben, bekamen sie zu spüren. Wir
haben eine Gruppe dieses Namens gebildet. Wenn Sie möchten,
berichte ich Ihnen darüber.
Das Buch des
britischen Historikers Prof. Allan Merson ist wissenschaftlich
akribisch und voll kritischer Bewertung aber auch liebevoller
Parteinahme geschrieben. Fehler der Partei, in der viele unserer Eltern
und Großeltern wirkten, werden eben als Fehler bewertet und
nicht als vorsätzliche stalinistische Entartungen, wie es
derzeit gern dargestellt wird. Verdienste werden ebenso
gewürdigt wie auch der uneigennützige Kampf. Von
300.000 Parteimitgliedern Anfang 1932 wurden von 1933 bis 1945 150.000
eingekerkert und 30.000 ermordet. Bei Jürgen Zarusky (Hg.) vom
Institut für Zeitgeschichte im Buch "Widerstand als
Hochverrat" (Verlag K.G.Saur, 792 Seiten, 1998) erfahren wir:
"Politisch
motivierter Widerstand war ... zu 75 % kommunistischer, zu 10 %
sozialdemokratischer und nur zu 3 % christlich-bürgerlicher
Widerstand." (…)
1956 wurde die
KPD erneut verboten, und es wurden mindestens 250.000 Verfahren gegen
des Kommunismus verdächtige Bürger
durchgeführt, 10.000 wurden oft langjährig
eingesperrt. Tausende erhielten Berufsverbot.
Wir haben als
Verwandte der Betroffenen die Gruppe "Kinder des Widerstandes"
gegründet, um an das Unrecht, das man unseren Eltern und
Großeltern antat, zu erinnern und sie wenigstens in der
Erinnerungsarbeit zu würdigen. Vielen unserer Eltern und
Großeltern hielt man in Prozessen der Adenauerzeit vor, sie
seien uneinsichtig, denn sie wären doch schon nach 1933
vorbestraft gewesen und hätten nichts dazu gelernt. Die
solches sagten, waren oft schon Richter und Staatsanwälte in
der Zeit 1933-1945.
Manche von uns
klagen derzeit gegen den bayerischen Verfassungsschutz, weil der die
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten
unter dem Gesamtbegriff „Extremismus“ mit Nazis und
Neonazis auf eine Stufe stellt. Die VVN-BdA kommt vom Widerstand her.
Und der war doch vielfach links. Was soll der Vorwurf des
„linken Extremismus“ bedeuten, wenn dieser auf
große Teile des Widerstandes und seiner Hinterbliebenen
angewendet wird? Verleumdet nicht der VS den Widerstand gegen die Nazis
und rechtfertigt er nicht den Faschismus mit seiner Darstellung im
VS-Bericht? Knüpft er nicht an jene Justiz an, die nach 1950
kommunistische Widerständler oftmals verurteilte und sich
sogar auf die Urteile der Nazis gegen den Widerstand berief?
Peter Gingold
schrieb: „Der Faschismus wäre eine Sache der
hoffnungslosen Verzweiflung, wenn es nicht diesen kommunistischen
Widerstand gegeben hätte, den es von Anfang 1933 an gab und
nicht erst, als offensichtlich wurde, daß Hitlers Niederlage
besiegelt war, diesen Widerstand mit dem Opfertod von Zehntausenden,
diesen Widerstand, der trotz verheerender Einbrüche nie zum
Erliegen kam. An der Gefängnismauer im Stadtteil Preungesheim
in Frankfurt am Main, hinter der die Guillotine stand, die
Hinrichtungsstätte von Hunderten Nazigegnern, steht ein Spruch
der Schriftstellerin Ricarda Huch. Der erste Satz lautet:
‚Ihr, die das Leben gabt für des Volkes Freiheit und
Ehre - Nicht erhob sich das Volk, Euch Freiheit und Leben zu
retten...’ Dieser Satz sagt so viel aus über das
Heroische und Tragische des deutschen Widerstandes.“
Erinnert sei an
den ersten und bedeutungsvollen authentischen Widerstandsroman von Anna
Seghers „Das siebte Kreuz“. Von den sieben
Entflohenen aus dem KZ Osthofen (Anna Seghers nennt es verfremdet
Westhofen), gelang es nur einem, als er über die Grenze in die
Niederlande gebracht werden konnte, zu entkommen. Die Übrigen
wurden kurz nach ihrer Flucht wieder eingefangen, kaum möglich
Unterschlupf zu finden, und hingen dann an den für sie
aufgestellten Kreuzen, bis auf das siebte.“
Peter Gingold
nennt den Unterschied zwischen dem Widerstand in Deutschland und jenem
in den besetzten Ländern: „Mußte doch der
Widerständler in Deutschland dafür eintreten,
daß Hitler den Krieg verliert, also im Bewußtsein
der großen Masse der Deutschen ein Landesverräter
und Volksfeind sein, wogegen der Widerständler in den
okkupierten Ländern, der ja für die nationale
Befreiung seines Landes von der Okkupation kämpfte, als
Patriot hochgeachtet wurde.“
In seiner
Einführung schreibt Allan Merson: ‚Warum waren die
Widerständler nicht in der Lage, einen Vorteil aus dem
Scheitern und der endgültigen Niederlage des Naziregimes zu
ziehen und sich selbst an die Spitze einer breiten allgemeinen
patriotischen Bewegung zu setzen, wie es in Italien geschehen
ist?‘
Auf diese Frage
wird sicher die Beschäftigung mit der Geschichte der
Kriegsendphase eine Auskunft geben, die sich 2015 zum 70. Mal
jährt. Diese Phase war besonders gekennzeichnet von der
hasserfüllten Mittäterschaft vieler deutscher
Bürger, die glaubten, der von Goebbels angekündigten
angeblichen Rache der deutschen und ausländischen
Antifaschisten zuvorkommen zu sollen. So kamen noch mindestens 700.000
Menschen auf Todesmärschen ums Leben – und die da
mordeten, das waren nicht nur SS-Leute. Nein, das Volk hat sich nicht
erhoben, Freiheit und Leben zu retten derer, die ihr Leben gaben, um
Leben zu retten, auch nicht als Millionen deutscher Soldaten fielen,
die deutschen Städte sich in Trümmerlandschaften
verwandelten, worin Millionen der Zivilbevölkerung den Tod
fanden. Darin besteht die Tragik des deutschen Widerstandes, was auch
vieles in der gesamten Nachkriegsgeschichte Deutschlands, ja sogar
Europas erklärbar macht. Nicht nur, daß der
Volksaufstand gegen die Nazis ausblieb, auch die Nachkriegsentwicklung
– mit der unsere Generation es zu tun hatte – war
vielfach geprägt von jenem Hass auf unsere Eltern und
Großeltern mit dem wir aufwuchsen. Dennoch bleibt
unbegreiflich, wieso nur in unserem Land die Kommunisten derartig
diskriminiert und ausgegrenzt werden, wie es in keinem anderen Land
möglich ist.
Der von Hitler
propagierte Antikommunismus war offenbar weiterhin tief verwurzelt
geblieben. Davon war sogar die Entschädigungspolitik
beeinflußt. Das Bundesentschädigungsgesetz sah einen
Passus vor, der jenen die Wiedergutmachung raubte, die sich angeblich
gegen die „freiheitliche demokratische
Grundordnung“ gewandt hätten, was man vielen unserer
Eltern und Großeltern vorwarf.
Warum schreibe
ich Ihnen all dies? Ich kenne Sie nicht und die von Ihnen gepflegte
Antitotalitarismuspolitik (nicht Antifaschismus) sagte mir
verständlicherweise nie zu. Nun kam mir ihr Septemberheft
‚Für Demokratie‘ in die Hand, und es
ermutigte mich. Die Geschichte der deutsch-griechischen Beziehungen in
dem Heft veranlaßt mich, ihnen einfach mal zu danken. Das,
was sie schreiben, haben wir von 2002 bis 2008 in zahllosen Aktionen
gegen die Traditionspflege der Bundeswehr, die in unerhörter
antigriechischer Form in den Alpen zum Himmel schreit, auch zum
Ausdruck gebracht. Um die Unterlagen, die wir recherchiert hatten,
einzusammeln, wurde ein Untersuchungsverfahren mit Hausdurchsuchungen
und Diffamierungen auch gegen meine Person seitens der
Behörden gestartet. Der Prof. Argyris Sfoundouris, den Sie auf
Seite 8 vorstellen, der schrieb mir: Das darfst Du ihnen nie verzeihen,
und ich habe es auch nicht getan.
Vielleicht
überlegt sich Ihre Redaktion auch einmal, ob nicht
über die deutschen Kinder des Widerstandes auch einmal in
Ihrem Heft berichtet werden sollte. Sie sollten damit nicht solange
warten wie im Falle der griechischen Freunde.
Liebe Freundinnen und Freunde,
ihr habt auf dem Flugblatt zu dieser Veranstaltung
die wichtigsten aktuelle Aufgaben des Antifaschismus niedergeschrieben.
Ich stimme diesen zu. Besonders unterstreichen möchte ich die
Aussagen zur AfD. Eine ähnliche Lage wie heute gab es in den
60er Jahren. Es wurde die NPD bekämpft, die einen
ähnlichen Aufstieg hatte wie heute die AfD. Ja, 1969 drohte
Einzug der NPD in den Bundestag wie heute bei AfD. Verhinderung der NPD
war ein historischer Sieg, die ganze Geschichte wäre anders
verlaufen, wenn dieser Sieg nicht errungen worden wäre.
Der Bundeskongreß der VVN im Juli 1969
hatte die Hauptlosung „Die Einigung der demokratischen
Kräfte versperrt der NPD den Weg in den Bundestag“
herausgegeben. Denn das war die CDU/CSU-Politik:
Viele ihrer Politiker, die Massenmedien, Radio-,
Fernsehen und Presse der BRD beruhigten das erschreckte Volk. Sie
verbreiteten Berichte des Bundesinnenministeriums, das die rechte
Gefahr verharmloste, und die „Hoffnung" aussprach,
„daß es den demokratischen Kräften in der
NPD“ gelingen möge, „die Partei in eine
zwar nationalkonservative, aber doch der freiheitlichen Grundordnung
unserer Verfassung verpflichtete Richtung zu führen.“
Die Wirtschaftsgewaltigen und
reaktionären Kräfte in der BRD betrachteten die NPD
bereits als Reserve für den Fall, daß die
große Koalition auseinanderbreche.
F.J. Strauß erklärte 1967 als
Minister der großen Koalition, „daß eine
Koalition mit der NPD nicht für alle Zeiten
ausgeschlossen” sei.
Der Bundeskanzler Kiesinger hatte laut Berliner
Morgenpost vom 28.2.1967 selbst die NPD ins Spiel gebracht, als er
über die Bundestagswahlen 1969 äußerte,
daß, „falls keine der großen Parteien die
absolute Mehrheit erringt, eine kleine Koalition, jedoch mit der NPD
möglich“ sei.
Auch jetzt hören wir wieder Stimmen, die
von einem Arrangement der Union mit der AfD sprechen. Die
AfD-Vorsitzende stellte nach den letzten Wahlen zufrieden fest: Es gibt
wieder eine bürgerliche Mehrheit. Kommt die AfD in den
Bundestag, dann wird es auf lange Zeit keine Regierungsbeteiligung der
SPD, Grünen und LINKEN geben. Dann kann die Reaktion
durchregieren. Wir stehen also vor großen Herausforderungen.
+++
Fakten aus der
VVN-Geschichte
Material zum
Vortrag Ulrich Sanders bei der Hamburger VVN-BdA 9.4.16
Zahlen
12.000 Verfolgte wurden zunächst 1945 in
Hamburg gezählt; 1947 = 22.800 Personen haben Anerkennung
beantragt.
50.000 wählten 1946 in NRW die
Delegierten für VVN-Gründungskonferenz.
250.000 1947 in ganz Deutschland (192.000 in
Westdeutschland), Quelle: Zonenkonferenz der VVN in Hannover, Seite 35,
damals 200.000 Mitglieder der VVN.
Lt. VVN-Info-Dienst vom April 1948: Nur 300.000
überlebten die Haft. (Kommentar der VVN: Kaum ein Potential an
Wählern.)
Entlarvung
Zitat S. 47 + 59 Stobwasser-Buch
Die sozialdemokratische Zeitung „Die
Freiheit" in Mainz vom 6. Januar 1960 beurteilt die Lage wie folgt:
„... so ist doch niemand anders als Adenauer selbst
verantwortlich dafür, daß ehemalige aktive
Nationalsozialisten führende Stellungen in seiner Regierung
einnehmen und sogar Kabinettsmitglieder werden konnten ... So konnte
jenes schwüle politische Klima entstehen, in dem jetzt das
Unkraut antisemitischer und nationalistischer Umtriebe
wuchert.“
VAN entlarvt Altnazis
In Hamburg waren ca. 20 frühere
SS-Offiziere deren Tätigkeit meistens im Osteinsatz bestanden
hatte, und deren Mitgliedsnummern der Nazipartei den Behörden
bekannt waren, als hohe Polizeioffiziere, meistens bis zur
Pensionierung im Amt.
In einem Brief der VAN an den damaligen
Innensenator Helmut Schmidt wurden die Namen, Funktionen und
Mitgliedsnummern in der NSDAP mitgeteilt. Auch die Hamburger
Außenstelle der zentralen staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen mit Sitz in
Ludwigsburg erhielt diese Daten. Beide Stellen haben darauf nicht
reagiert.
Der Hamburger Chef der Gestapo und SS-Offizier
Streckenbach arbeitete z.B. unbehelligt als Wirtschaftsmanager bei der
Firma Ottenser Eisenwerke. Er ist für unzählige Morde
in Hamburg und im späteren Osteinsatz verantwortlich.
Die Aufmärsche der SS und
Traditionsverbände nahmen von Jahr zu Jahr zu. Jahrelang
marschierten regelmäßig in der Stadt Schleswig, im
Land Schleswig-Holstein die SS-Verbände zu
Kameradschaftstreffen auf und Hamburger und Schleswig-Holsteiner
Antifaschisten protestierten auf den Straßen,
während im Saal die Vertreter von Staat und Ländern
diese faschistischen Veranstaltungen begrüßten.
Über 50 Juristen, die als Richter und
Staatsanwälte an Sondergerichten die Terror-Urteile
beantragten bzw. fällten, waren im Hamburger Justizwesen
tätig.
Während sich die
Unterdrückungsmaßnahmen gegen die VVN
verstärkten, entwickelte sich im Kampf um die
Legalität der VVN eine zunehmende Solidarität
demokratischer Kreise in der Bundesrepublik, besonders aber auch aus
den anderen europäischen Ländern.
S. 23 Fiete Schulze / Zitat Heinemann S. 80
… 34 Jahre später, am
20.7.1969, verlas der Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann
anläßlich seiner Gedenkrede zum 20. Juli in
Berlin-Plötzensee den Brief Fiete Schulzes an seine Schwester:
„Du haderst mit den
Verhältnissen, die Dir den Bruder nehmen. Warum willst Du
nicht verstehen, daß ich dafür sterbe, daß
viele nicht mehr einen frühen und gewaltsamen Tod zu sterben
brauchen? Noch ist es nicht so, doch hilft mein Leben und Sterben es
bessern.“
Diese Rede, die der Bundespräsident
„Das Vermächtnis Fiete Schulzes" nannte,
schließt mit den Worten:
„Solches Vermächtnis stellt uns
vor die immerwährende Aufgabe des demokratischen
Rechtsstaates. Die Widerstandskämpfer, die nur mit einem
Anschein von Justiz einfach niedergemacht wurden, fragen uns, ob wir
gegen antidemokratische Geistesrichtungen immun bleiben, ob wir den
Geist der ruhigen Vernunft in der Politik bewahren, ob wir Recht und
Gerechtigkeit gegen Jedermann obwalten lassen.“
Gegen
Neonazismus
Es wurde die NPD bekämpft, die jenen
Aufstieg hatte wie heute die AfD. 1969 drohte Einzug der NPD in den
Bundestag wie heute bei AfD.
Ab S. 65, vor allem Seite 70: Verhinderung der NPD
ein historischer Sieg, die ganze Geschichte wäre anders
verlaufen, siehe Strauß- und Kiesinger-Zitate Seite 66.
Der Bundeskongreß der VVN im Juli 1969
hatte die Hauptlosung „Die Einigung der demokratischen
Kräfte versperrt der NPD den Weg in den Bundestag“
herausgegeben. Diese klare Einschätzung der NPD
förderte die Arbeit in Hamburg.
Alle Veranstaltungen, Gedenkfeiern,
Infostände und Diskussionen waren geprägt von der
Mobilisierung der Öffentlichkeit gegen NPD und Neonazismus.
Hunderttausende von jungen Menschen haben zusammen
mit den alten Widerstandskämpfern in allen Städten
und Ländern der BRD in hervorragender Weise den demokratischen
Staat gegen die organisierten Rechtskräfte verteidigt. Sie
haben die Losung der VVN wahrgemacht und 1969 der NPD den Weg in den
Bundestag versperrt.
Damit war eine Wende in der Deutschland-Politik
erzwungen, die Große Koalition konnte nach dem Willen der
Wähler nicht mehr fortgesetzt werden. Zum ersten Mal seit 1948
war die CDU/CSU von der Regierungstätigkeit im Bonner
Bundeshaus ausgeschaltet.
Heute ist es offensichtlich, daß es ohne
diese Zurückdrängung der NPD keine Regierung
Brandt/Scheel gegeben hätte, auch keine Politik der
Entspannung.
Denn das war die CDU/CSU-Politik:
Die Massenmedien, Radio-, Fernsehen und Presse der
BRD beruhigten das erschreckte Volk. Sie verbreiteten Berichte des
Bundesinnenministeriums, das die rechte Gefahr verharmloste, und die
„Hoffnung" aussprach, „daß es den
demokratischen Kräften in der NPD“ gelingen
möge, „die Partei in eine zwar nationalkonservative,
aber doch der freiheitlichen Grundordnung unserer Verfassung
verpflichtete Richtung zu führen.“
Die Wirtschaftsgewaltigen und
reaktionären Kräfte in der BRD betrachteten die NPD
bereits als Reserve für den Fall, daß die
große Koalition auseinanderbreche.
F.J. Strauß erklärte 1967 als
Minister der großen Koalition, „daß eine
Koalition mit der NPD nicht für alle Zeiten
ausgeschlossen” sei.
Der Bundeskanzler Kiesinger hatte laut Berliner
Morgenpost vom 28.2.1967 selbst die NPD ins Spiel gebracht, als er
über die Bundestagswahlen 1969 äußerte,
daß, „falls keine der großen Parteien die
absolute Mehrheit erringt, eine kleine Koalition, jedoch mit der NPD
möglich“ sei.
Die großen Kundgebungen,
Gegendemonstrationen, Verhinderung der Aufmärsche der Neonazis
waren überall mit Schlägereien der militanten
Neonazis verbunden. Es nutzte nichts: Antifaschisten erzwangen z.B in
Duisburg, daß die NPD eine geplante Kundgebung absagen
mußte. Der sozialdemokratische Polizeipräsident von
Duisburg, Jürgensen, urteilte daraufhin in einer
Presseerklärung vom 2.10.1969:
„Wenn die Mittel und Methoden auch nicht
immer zu billigen waren, so haben die meist jugendlichen
Gegendemonstranten doch das Verdienst, den Bürgern unseres
Landes die Gefahr des Rechtsradikalismus sehr deutlich vor Augen
geführt zu haben. Wo andere von politischer Auseinandersetzung
nur geredet haben, haben sie gehandelt. Unsere Jugend
müßte ja geradezu seelisch krank sein, wenn sie nach
all den Erfahrungen, die wir in Deutschland mit einem extremen
Nationalsozialismus gemacht haben, nicht leidenschaftlich gegen das
Aufkommen eines neuen Nationalismus eintreten würde
...“
Wenn es gelungen ist, die NPD unter 5% zu halten,
dann soll man sich bei denen bedanken, die nicht müde wurden,
den wahren Charakter der NPD aufzuzeigen und zu diesem Zweck auch auf
die Straße zu gehen.
Die Nationaldemokratische Partei (NPD), eine
neofaschistische Organisation, von alten Nazis gegründet und
geführt, gefördert von den reaktionären
Kräften in der BRDhatte 1965 bei den Bundestagswahlen 2% der
Stimmen erhalten. Die Landtagswahlen 1966 brachten dieser
neofaschistischen Partei einen beträchtlichen Stimmenzuwachs.
Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, politische
Rechtsentwicklung, verbunden mit weiteren Einschränkungen
demokratischer Rechte und Freiheiten, erhöhter
Aufrüstung und die Einsetzung Nazi-Kiesingers zum
Bundeskanzler, hatten der NPD diesen rapiden Aufstieg verschafft.
Sie konnte Wahlerfolge von durchschnittlich 8%,
zum Teil bis 10% erzielen. 48 NPD-Ab- geordnete gab es bereits in 6 von
10 Landtagen, 179 Abgeordnete in Kreis-und Gemeindeparlamenten.
Weiterer Kampf
gegen die NPD
Seite 109: Große NPD-Kundgebung August
1976 verhindert, aber die dazu gehörige Intern. Kundgebung
nicht.
Losung: Kongress der nationalen Kräfte
Europa „Kampf gegen den Kommunismus - gegen die
Unterwanderung Europas durch farbige Völker“
1.800 in- und ausländische Faschisten
wurden in Hamburg erwartet, als Redner wurden angekündigt
Vertreter der faschistischen Organisation M.S.L., die in Italien eine
Anzahl politischer Morde beging, ebenso der Terrorist und Bombenleger
Burger aus Österreich.
Außer dem Kampf gegen Kommunisten und
„farbige Völker" forderten sie ein wieder zu
errichtendes „Deutsches Reich von der Maaß bis an
die Memel, von der Etsch bis an den Belt“ als Modell in
Europa.
Vorgesehen war eine Großveranstaltung,
die vorbereitet werden sollte durch einen Aktionstag mit 26
Infoständen, vier öffentliche Veranstaltungen in den
Stadtteilen und mehrere Demonstrationen im Stadtgebiet.
Noch zum
Antikapitalismus der VVN-BdA
Es wenig antikapitalistische Aktionen, eigentlich
gar keine. Aber neue Verfolgung der Anhtinazis.
Siehe dazu mein Referat und meinen
Ossietzky-Beitrag.
Jedoch Hinweise auf Ahlener Programm CDU (Der
Kapitalismus ist den Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht
gerecht geworden.)
Potsdamer Abkommen Seite 20:
Nach vielen kontroversen Diskussionen einigten
sich die Großmächte auf die Prinzipien ihrer
künftigen Politik in Deutschland. Hauptpunkte dieses Abkommens
waren:
- Deutschland ist als wirtschaftliche Einheit zu
behandeln
- sofortige Einrichtung zentraler deutscher
Verwaltungsstellen für Finanzen, Transport,
Außenhandel und Industrie
- Entnazifizierung, Auflösung aller
Naziorganisationen, Verbot jeder Neugründung und
Nachfolgeorganisation
- Entmilitarisierung, kein neuer Militarismus,
keine Politik der Gewalt
- Entmonopolisierung, keine Zusammenballung der
wirtschaftlichen Macht in wenigen Händen, um die Politik zu
bestimmen
In diesen Festlegungen wurden prinzipielle
Wünsche der Antifaschisten berücksichtigt.
Ausnahme SPD. Schumachers Losung war:
„Sozialismus als Tagesaufgabe". Die KPD hatte hingegen keine
umstürzlerischen Forderungen, sie verlangte die demokratische
Republik mit alle Rechten für das Volk.
Adenauers beachtliche Rede aus jener Zeit:
Der spätere Bundeskanzler Dr. Adenauer im
März 1946 in der Aula der Kölner
Universität: „Die größte
Aufmerksamkeit werden wir der Ausmerzung des nationalsozialistischen,
militaristischen Geistes in Deutschland widmen müssen. Die
aktiven Nationalsozialisten und die aktiven Militaristen, die
für den Krieg und seine Verlängerung
Verantwortlichen, dazu gehören insbesondere auch gewisse
Wirtschaftsführer, müssen aus ihren Stellen entfernt
werden. Sie müssen je nach Lage des Falles, von deutschen
Gerichten gestraft, ihr Vermögen muß ganz oder
teilweise beschlagnahmt werden. Das Elend, das sie über
Deutschland, über die ganze Welt gebracht haben, schreit zum
Himmel.“
Die SPD, wie gesagt, irritierte mit
„Sozialismus als Tagesaufgabe“ S. 14
Der Name „Sozialistische Freie
Gewerkschaft“ (vorübergehender Vorschlag) ist
wahrscheinlich entstanden, weil in dieser Zeit, von hohen
SPD-Funktionären initiiert, das Thema „Sozialismus
als Tagesaufgabe" in Arbeiterkreisen diskutiert wurde.
Ehemalige Mitglieder aus KPD und SPD
führten Besprechungen durch und entwickelten ein gemeinsames
Hamburger Aktionsprogramm.
Das vorliegende Protokoll von der Besprechung des
Komitees mit den Vertretern der Parteien und Organisationen gibt
Auskunft über gemeinsame Festlegungen.
Doch dann
Spaltung und Unvereinbarkeit/später Berufsverbot 6.5.1948
Am 1.8.51 wurde die WN-Hamburg durch die
SPD-geführte Hamburger Polizei verboten.
Ab 19.9.50: VVN-Mitglieder wurden aus dem
öffentlichen Dienst entfernt.
Aber 131-Gesetz, das den ehemaligen Nazis wieder
den Weg in den öffentlichen Dienst ebnete.
Verbot der Ostkontakte. Wirkte sich besonders
gegen die Jugend aus.
Gute Rolle der Geschwister Scholl Jugend.
Siehe Heft aus 1988 „Verdrängte
Schuld ..." Opfer des Kalten Krieges bis zum heutigen Tag.
Geschichtsforschung
Zur Geschichtsforschung und -vermittlung: Arbeit
an der Broschürenreihe mit dem Arbeitstitel „Jugend
im antifaschistischen Widerstand", die Aufnahme von Forschungsarbeiten
in den Stadtteilen und die Herausgabe neuer Literatur in Hamburg.
Hervorzuheben sind die neuen Wege, die in der
Geschichtsvermittlung begangen wurden.
Mit der Herausgabe des „Illustrierten
Stadtführers zu den Stätten der Hamburger
Arbeiterbewegung und des antifaschistischen Widerstandes" (1975)
organisierte die VVN zusammen mit der
Ernst-Thälmann-Gedenkstätte die ersten Rundfahrten zu
den Stätten des Widerstandes und des Nazi-Terrors.
Diese Rundfahrten fanden bei der Jugend
großen Anklang und nahmen immer größeren
Umfang an.
Sie wurden im Jahr 1978 durch die Einbeziehung der
Gedenkstätte Neuengamme erweitert und mit dem Hamburger
Stadtjugendring als „Alternative Stadtrundfahrten"
fortgeführt. Sie entwickelten sich zu einer beachtlichen und
beliebten Form der Geschichtsvermittlung.
Die Verlegung von Großkundgebungen gegen
neonazistische Umtriebe und Aufmärsche an historische
Stätten (Altonaer Blutsonntag - Juden-Getto Hamburg - Schule
Bullenhuser Damm) verdeutlichte eindrucksvoll und nachhaltig die
Grausamkeit der nazistischen Gewaltherrschaft. Das
Bewußtsein, selbst am Tatort scheußlicher
Verbrechen zu weilen, wirkte sich bei den Teilnehmern aus und
beeinflußte auch die Beziehungen zum heutigen
antifaschistischen Kampf, so Kam. Stobwasser.
Beispiel:
Veranstaltung Schule am Bullenhuser Damm
Nach der Delegiertenkonferenz im Februar 1979
stand die Durchführung der seit längerer Zeit
vorbereiteten Großveranstaltungen zum Kindermord in der
Schule Bullenhuser Damm an. Es mußte endlich gelingen, die
Wahrheit über dieses grausame Verbrechen des
nationalsozialistischen Regimes der Hamburger Bevölkerung und
der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik stärker ins
Bewußtsein zu bringen.
Die Vertreter der VVN - Bund der Antifaschisten
und der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme in der Antifaschistischen
Initiative in Hamburg nutzten ihre Beziehungen zu
ausländischen Verfolgtenorganisationen, um dieser
Veranstaltung eine internationale Bedeutung zu geben. Es wurden
Überlebende der Angehörigen der ermordeten Kinder
ermittelt und eingeladen. Ebenso Teilnehmer bzw. Ankläger aus
dem Curiohaus-Prozeß in Hamburg sowie Delegationen aus den
Vereinigungen ehemaliger Opfer des Faschismus im Ausland.
Im
Aufruf zu einer Willenskundgebung, der von tausenden
Bürgern der verschiedensten politischen Richtungen und
Glaubensbekenntnisse unterzeichnet wurde, waren die Hauptforderungen:
- für Fortführung der Politik
der Entspannung und Friedenssicherung,
- für Rüstungsstopp und
Einleitung konkreter Abrüstungsmaßnahmen,
- gegen Berufsverbote,
- gegen jede weitere Einschränkung der
staatsbürgerlichen Rechte und Freiheiten.
Der Bundeskongreß betonte die
Verbundenheit mit der jungen Generation durch die Verabschiedung eines
eindringlichen Appells an die Jugend, ihre Zukunft selbst zu bestimmen.
Das Orientierungs- und Aktionsprogramm der VVN -
Bund der Antifaschisten wurde überarbeitet und die wichtigsten
Aufgaben im Kampf um Abrüstung und Demokratisierung in allen
Lebensbereichen im einzelnen formuliert.
Die geplante SS-Provokation zum 30. Jahrestag der
Befreiung wurde verhindert
In Hamburg plante die HIAG, eine Zusammenfassung
der ehemaligen SS-Divisionen, als Gegenmaßnahme zum 30.
Jahrestag der Befreiung eine große faschistische Aktion am 9.
und 10. Mai 1975 in Hamburg.
Zwei Dinge sind den antifaschistischen
Kräften in den Jahren 1969 bis 1972 gelungen:
1. Sie haben die NPD als offen auftretende
neonazistische Partei entlarvt, in dem sie den Nachweis
führten, daß es sich nicht um eine demokratische
Partei, sondern um einen Zusammenschluß alter und neuer Nazis
handelte. Dadurch wurde sie daran gehindert, Masseneinfluß zu
erlangen.
2. Sie haben den Charakter der CDU/CSU als
Sammelbecken aller reaktionären Elemente in der Bundesrepublik
nachgewiesen.
Wirtschaftskrise, Rechtsgefahr, Neonazismus und
Arbeitslosigkeit konnten nur in gewaltigen Anstrengungen aller
demokratischen, fortschrittlichen Kräfte innerhalb und
außerhalb der Regierung und des Parlaments Schritt um Schritt
zurückgedrängt und bewältigt werden.
Anhang:
Erfolgreich gegen einen IG Farben-Nachfolger
Prozess gegen Farbenfabriken Bayer AG (aus dem
Stobwasser-Buch von 1983):
Am 3.2.1965 verteilte die VAN Hamburg das
Bildflugblatt „Verjährung für
S-Gewaltverbrechen? Urteilen Sie selbst!"
In Wort und Bild werden darin die
scheußlichen Mordverbrechen aufgezeichnet und
begründet, daß es eine Verjährung dieser
Verbrechen nicht geben darf. Es war eine Kampfschrift in der damaligen
Verjährungsdebatte gegen diejenigen, die nach 20 Jahren die
NS-Mordverbrechen als verjährt betrachtet wissen wollten und
eine dementsprechende gesetzliche Regelung anstrebten.
Unter einem Bild, das Kinder im KZ zeigte, stand
folgender Text:
„lm Aufträge von Konzernen und
Firmen, wie zum Beispiel Bayer, wurden von SS-Ärzten
verbrecherische Versuche an Häftlingen vorgenommen, um die
Wirkung chemischer Mittel auszuprobieren. Doktor Mengele machte
Versuche an Zwillingen.“
Bereits am 5. Februar erwirkte die Firma
Farbenfabriken Bayer AG, Leverkusen, vertreten durch den Vorstand Dr.
Hansen und Dr. Silcher, eine einstweilige Verfügung beim
Landgericht Hamburg, „der Dringlichkeit wegen“ ohne
vorherige Verhandlung. Der schriftliche Antrag auf Erlaß
einer einstweiligen Verfügung datiert erst vom 6.2.1965. Durch
diese einstweilige Verfügung wurde der VAN bzw. den
verantwortlichen Personen bei Androhung einer Geldstrafe in
unbeschränkter Höhe oder einer Haftstrafe bis zu
sechs Monaten verboten, den Namen „Bayer" im Zusammenhang mit
der obengenannten Behauptung zu erwähnen, bzw. verlangt, bei
weiterer Verbreitung des Flugblattes den Namen „Bayer"
dauerhaft unkenntlich zu machen.
Gegen diese Verfügung erhob die VAN
Widerspruch beim Landgericht Hamburg. Sie führte als
Beweismittel im Prozeß ein:
- Das Buch „KL Auschwitz" herausgegeben
vom Internationalen Auschwitz-Komitee.
- Das Buch „Macht ohne Moral" von
Raimund Schnabel.
- Das Buch „Auschwitz —
Zeugnisse und Berichte —" Europäische Verlagsanstalt
Frankfurt am Main.
- 225 Fotokopien von Urkunden aus
Nürnberger NS-Verbrecher-Prozessen.
Die Gegenseite, die Farbenfabriken Bayer AG,
beantragte den Widerspruch gegen die Verfügung des
Landgerichts am 5.2. zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages
führten sie einen von fünf Anwälten
erarbeiteten Schriftsatz von 39 Seiten ein, um zu beweisen,
daß die im Jahre 1952 gegründeten Farbenfabriken
„Bayer AG" keine Aufträge an die SS gegeben haben
könnten.
Das Landgericht Hamburg lehnte es am 26.5.1965 in
seinem Urteil ab, den Argumenten der Farbenfabriken zu folgen. Es hob
die „einstweilige Verfügung" gegen die VVN auf.
In der Urteilsbegründung heißt
es, daß die einstweilige Verfügung aufgehoben werden
müsse, „weil die im Flugblatt aufgestellte
Behauptung nach der aus dem Vortrag beider Parteien gewonnen
Überzeugung wahr ist“. Die Versuche an
Häftlingen seien Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es wird
weiter gesagt, bei dem Urteil des Landgerichts Hamburg handele es sich
lediglich um die Prüfung der Behauptung der VAN,
„… im Auftrage von Konzernen und Firmen, wie z.B.
Bayer, wurden von SS-Ärzten verbrecherische Versuche an
Häftlingen vorgenommen“ - nur darüber
konnte in dem Urteil entschieden werden.
Die Bayer AG legte gegen das Urteil des
Landgerichts Hamburg beim Oberlandesgericht Hamburg Berufung ein (28.
Juli 1965).
Die fünf Anwälte der Firma, Dr.
v. Metzler, Dr. K. Abendroth, Martin Luther, Dr. E. Jahn und Werner
Hofer haben in umfangreichen Schriftsätzen ihre Berufung vor
dem Oberlandesgericht begründet.
Die VAN antwortete mit immer neuen Dokumenten aus
den Bayer-Betrieben, die sich der Bayer-Konzern in der Nazizeit
angeeignet hatte und die sich auf dem Boden der Deutschen
Demokratischen Republik befinden.
In der Berufungsverhandlung vor dem Hanseatischen
Oberlandesgericht am 26. Mai 1966 versuchte es die Firma mit einem
Vergleichsvorschlag. Die VAN sollte schriftlich erklären,
daß sie in ihrem Flugblatt die „Farbenfabriken
Bayer AG" nicht gemeint habe, dann würden sie ihre Berufung
zurücknehmen.
Die VAN hat diesen Vergleich abgelehnt.
Der heutige Konzern Bayer AG ist entstanden aus
dem alten Chemiekonzern „I.G. Farbenindustrie AG". Er ist ein
Ergebnis der Entflechtungsbestimmungen der Alliierten und dem Verlust
von Betrieben im Osten. Bis auf die Abschreibung der verlustig
gegangenen Betriebe hat der Konzern nur den Namen etwas
geändert, denn die Kernbetriebe und Forschungsstätten
in Leverkusen sind ihm unverändert geblieben. Der Name
„Bayer” als Firmenzeichnen wurde genauso
beibehalten wie leitende Direktoren des alten Konzerns. In den
Schriftsätzen an das Gericht wurde
sinngemäß die Behauptung aufgestellt, es sei eine
ganz neue Firma, die mit dem alten Konzern überhaupt nichts zu
tun habe. Für die im Flugblatt der VAN aufgedeckten Verbrechen
sei nicht die heutige „Bayer AG" sondern die getilgte Firma
„Bayer“ verantwortlich.
Die aufgestellte Behauptung der VAN sei aber
geeignet, den Kredit der Firma zu gefährden und sonstige
Nachteile wirtschaftlicher Art für sie
herbeizuführen. In ihrer gewerblichen Betätigung
seien sie innerhalb und außerhalb Deutschlands besonders
verletzbar, denn wie gerichtsbekannt ist, sind ihre vertriebenen
pharmazeutischen Mittel praktisch in den Händen von jedermann.
In all den Schriftsätzen der Bayer AG
findet sich kaum ein Wort des Bedauerns der Versuche an
Häftlingen und Kindern. Die Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, die damit verbundenen Todesopfer spielen bei ihren
Begründungen überhaupt keine Rolle, im Gegenteil, die
Opfer werden noch verhöhnt, wie folgende Formulierungen
beweisen.
Zu der Überlassung weiterer
Präparate an den SS-Arzt Dr. Vetter wird erklärt:
(Schriftsatz 17. Mai 1965, Seite 38/39)
„Dr. König glaubte, diesen
Wunsch nicht ablehnen zu können, obwohl er aus den in den
Krankenblättern vermerkten Körpergewichten den
Schluß zog, daß die Behandlung nicht an
SS-Mannschaften vorgenommen war. Aus Gewissensgründen glaubte
Dr. König, den Häftlingen die Hilfe durch beide
Präparate nicht versagen zu können.“
Weil die wissenschaftliche Abteilung von der
Wirksamkeit ihrer Präparate überzeugt war, glaubten
die Herren in Leverkusen, (Schriftsatz vom 28. Juli 1965, Seite 27)
„... es nicht verantworten zu können, Doktor Vetter
zur Behandlung von Häftlingen solche Präparate
verweigern zu dürfen. Professor Dr. Hörlein
entschied: Ach Martens, schicken Sie den armen Menschen die
Präparate weiter ...“
Obwohl diesen Herren die unzähligen
Todesopfer bei den Versuchen bekannt waren, lassen sie scheinheilig
versichern, (Schriftsatz vom 9.11.1965, Seite 11) „kein
Häftling hat zu irgendeiner Zeit sich gegen diese
erfolgreichen Tbc-Behandlungen gewandt“.
Als endlich der Termin der Verhandlung und
Urteilsverkündung festgelegt war, zog die Firma ihre Berufung
einige Tage vor dem Termin zurück. Damit war das Urteil des
Landgerichts Hamburg rechtskräftig.
Das Hamburger Landgericht hat als einziges Gericht
in der BRD in seinem Urteil gegen die Bayer AG, diesen großen
Konzern wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Das ist
eine mutige und verdienstvolle Handlung. Im Urteil wird klar und
deutlich ausgedrückt, daß allein die Beteiligung an
den verbrecherischen Häftlingsversuchen Gegenstand dieses
Verfahrens war und die VAN-Behauptungen den Tatsachen entsprechen.
Für den Vorstand der VAN war die
Zurücknahme der Berufung des Bayer-Konzerns beim
Oberlandesgericht eine große Erleichterung.
Es waren kritische Stimmen laut geworden, die auf
die Bedeutung des Bayer-Konzerns und seine Verbindungen zu den
höchsten Stellen hinwiesen. Es wurde bezweifelt, daß
die VAN erfolgreich sein könnte.
Sie müsse eher mit einer großen
Schadensersatzsumme rechnen. In den Schriftsätzen der
Anwälte wurde schon auf große wirtschaftliche
Schäden hingewiesen.
Es kam jedoch anders.
Es erwies sich einmal mehr, daß durch
offensives Auftreten der VAN Erfolge zu erzielen waren. Nicht die
wirtschaftliche Macht des Großkonzerns hatte dieses Verfahren
gewonnen, sondern die von Antifaschisten öffentlich
vorgetragene historische Wahrheit.
(Anmerkung: VAN, d.i. Vereinigte
Arbeitsgemeinschaft der Naziverfolgten, so nannte sich die VVN Hamburg
in der Zeit ihres Verbots.)
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