Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

15.05.2016

Offensive gegen die Demokratie

Die Großindustrie und der deutsche Faschismus

Zu „Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926-1943“ von Karsten Heinz Schönbach hat Eberhard Czichon eine Rezension geschrieben, erschienen in der „Jungen Welt“. Im Rahmen der Spurensuche/Rallye zu Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr haben wir Kontakt zu Dr. Karsten Heinz Schönbach aufgenommen.

Der Wortlaut der Rezension:

Offensive gegen Demokratie

Karsten Heinz Schönbachs Buch über Großindustrie und deutschen Faschismus

Von Eberhard Czichon

Der Griff nach Europa war seit 1914 ein Bestandteil deutscher Großmachtpolitik. 1961 hatte Fritz Fischer in »Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/1918« die enge Verflechtung von Monopolinteressen und Politik vor dem Ersten Weltkrieg nachgewiesen. Er schreckte damit die national-konservative BRD-Historiographie auf, die eiligst versuchte, seine entlarvenden Forschungsergebnisse wegzudiskutieren. Als in Köln 1967 meine Broschüre über den Anteil der Großbourgeosie an der Machtübergabe an Hitler erschien (»Wer verhalf Hitler zur Macht?«), wurde die Schrift ignoriert, ich war DDR-Historiker. Nur zögerlich gab es Versuche, die Vorgabe aufzugreifen. Dirk Stegmann, Reinhard Nebe und Dieter Petzina suchten Zugang zu Industriearchiven, um die »Mauer des Schweigens« zu durchbrechen. Sie wurden unterstützt von George W. F. Hallgarten und Joachim Radkau, die 1974 den Band »Deutsche Industrie und Politik von Bismarck bis heute« vorlegten. Gegen mein Buch über die Kriegsverbrechen der Deutschen Bank von 1938 bis 1945 konnten sich noch 1972 Hermann Josef Abs und der Bankvorstand mit Unterstützung der Justiz durchsetzen, Hallgarten und Radkau mussten Textstellen schwärzen. Danach dominierten bis 1985 die akademischen Geschichtsumdeuter.

in jenem Jahr erschienen die von der US-Militärregierung (OMGUS) 1948 vorbereiteten »Reports« gegen die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die IG Farben. Viele Journalisten griffen zwar die neuen Tatsachen auf, doch die Elite der Hochschulhistoriker war in der Mehrheit nicht bereit, die Wahrheit über die Verbrechen des deutschen Imperialismus im 20. Jahrhundert einzugestehen. Die DDR-Veröffentlichungen dazu wurden nach 1990 hartnäckig verschwiegen – mit Ausnahme der Arbeiten zum Holocaust.

Karsten Heinz Schönbach, 1972 in einer Arbeiterfamilie geboren, gelernter Mechaniker in Eisenhüttenstadt, Abitur 2001, studierte Volkswirtschaft und Geschichte und verteidigte 2012 an der FU Berlin bei Wolfgang Wippermann eine bemerkenswerte Dissertation zu den Beziehungen der deutschen Konzerne zum Nationalsozialismus von 1926 bis 1943. Wippermann bezeichnet die Arbeit mit Recht als »Standardwerk«, denn sie nimmt keine Rücksicht auf bestehende Tabus, revidiert vielmehr gründlich die konservative Schönschreibung imperialistischer deutscher Politik, besonders des deutschen Faschismus.

Schönbach belegt mit Dokumenten aus den Archiven von zwölf Industriekonzernen und sieben Banken die Hauptziele der »deutschen Großindustriellen« zwischen 1900 und 1933 und vor allem die Beziehungen zwischen Großbanken, Schwerindustrie und NS DAP seit 1927. Die von Stegmann, Nebe, Hallgarten/Radkau und mir vorgelegten Nachweise zur Herausbildung einer Pro-Hitler-Mehrheitsfraktion im deutschen Finanzkapital nach 1932 werden von ihm wesentlich ergänzt. Beeindruckend ist seine Spezifizierung der ökonomischen Interessen einzelner Konzerne an einer Hitler-Regierung und der Nachweis, wie sie ihre Offensive gegen die bürgerliche Demokratie organisierten. Das Gewicht der Untersuchung liegt dabei auf der Dynamik, die zwischen Reichspolitik und der Herausbildung des Bündnisses von Großindustriellen mit Hitler einschließlich dessen Finanzierung entstand. Allein 1932 standen der NSDAP laut Schönbach etwa 34 Millionen Reichsmark zur Verfügung.

Der Autor differenziert zwischen Naziindustriellen und Nazisympathisanten in der deutschen Kapitalelite. Er belegt, wie sich beide Gruppierungen bis Januar 1933, von Franz von Papen moderiert, gegen Kurt von Schleicher und dessen Versuch, eine konservative Krisenlösung mit Gregor Strasser zu finden (der »Querfront«), auf Hitlers Kanzlerschaft und damit auf die Beseitigung jedweder bürgerlich-demokratischer Regierungsformen einigten. Schönbach setzt sich auch kritisch mit Argumenten von Historikern wie Henry Ashby Turner auseinander, nur einzelne Industrielle hätten Hitlers Kanzlerschaft angestrebt. Der Vorzug von Schönbachs Arbeit besteht vor allem im Nachweis, dass jene von den Bestrebungen und Interessen einer Mehrheitsfraktion des deutschen Finanzkapitals getragen wurde.

Dessen Zusammenwirken mit dem Nazistaat wird vor allem mit Blick auf die Kriegsrüstung und die Verflechtung beider Seiten nach 1936 dargestellt, der Autor bleibt hier aber im Detail hinter den Untersuchungen von Dietrich Eichholtz zurück. So präzise wie Schönbach den Einfluss des Bankenkapitalismus beschreibt, die Konkurrenz zwischen Deutscher und Dresdner Bank, ihr unterschiedlicher Einfluss bleiben unberücksichtigt. Es wäre interessant gewesen zu zeigen, wie sich die beiden führenden Großbanken 1938 überboten, um das »jüdische Großkapital« zu vernichten (die Untersuchungsakten der OMGUS-Finanzverwaltung von 1946/47 liegen ja vor). Und es ist schade, dass es dem Autor nicht gelungen ist, die Machtverschiebung zwischen Dresdner und Deutscher Bank bei Görings Vierjahresplan-Politik und den IG Farben zu dokumentieren. Weit mehr als der OMGUS-Bericht geben darüber die Prozessakten im Landesarchiv Berlin Aufschluss.

Politisch brisant dagegen ist Schönbachs letzter Schwerpunkt, der Raubzug der deutschen Monopole und Banken sowie der Versuch, einen vom deutschen Imperialismus dominierten »Großwirtschaftsraum Europa« zu schaffen. Das erinnert mich an das Referat von Hermann Josef Abs vom Sommer 1941, in dem er vor dem Handelspolitischen Ausschuss der Reichswirtschaftskammer sagte: »… zur Gewinnung eines richtigen Standpunktes (…) sei davon auszugehen, dass Deutschland nach dem Kriege Europa beherrscht«.

Es ist auch bedauerlich, dass Schönbach seine Arbeit 1943 abbricht und auf die Untersuchung der Menschheitsverbrechen an Kriegsgefangenen, KZ-Insassen und Juden durch die deutschen Industriekonzerne in ihren Arbeitslagern und deren Finanzierung durch die Großbanken verzichtet.

Karsten Heinz Schönbach: Die deutschen Konzerne und der Nationalsozialismus 1926–1943. Trafo-Verlag, Berlin 2016, 680 Seiten, 59,80 Euro