10.09.2016
Middelhauve, Achenbach,
Naumann und ihre „alte Garde“
Zur
Faschisierung der Bonner Koalitionsparteien Anfang der 50er Jahre
Aus der Zeit, da
die Ruhrindustrie und alten Naziseilschaften die FDP zu einer
Nachfolgepartei der NSDAP machen wollten, stammt folgender Bericht. Die
darin geschilderten Vorgänge sind zum
Verständnis der deutschen Nachkriegsgeschichte
bedeutungsvoll.
Während des Nürnberger
Kriegsverbrecherprozesses erregte ein deutscher Verteidiger bei den
Mitgliedern des Internationalen Gerichtshofes und den Gästen
besonderes Aufsehen. Zu einer Zeit, da alle Welt wußte,
welche Rolle die Verbrecher gespielt hatten, die vor dem Tribunal
saßen, trat dieser Mann mit einer Unverschämtheit
für seine Klienten — die Mitglieder des nazistischen
Außenministeriums — ein, die allgemein
empörte. Dieser Mann hieß Dr. Ernst Achenbach,
selbst ehemaliger Legationsrat und politischer Berater des zum Tode
verurteilten Nazi-Gesandten Abetz in Paris.
Dieser Dr. Achenbach war nach 1945 in seine
juristische Laufbahn zurückgekehrt, um für das Wohl
und Wehe seiner Gesinnungsgenossen, um als Verteidiger prominenter
Nazis bei den Entnazifizierungsprozessen in Westdeutschland
tätig zu sein. Es dauerte nicht allzu lange, bis er, der so
„verdienstvoll“ für die
„Bewegung“ politische Kleinarbeit leistete,
„entdeckt“ wurde. Seine Entdecker waren die
führenden Männer der FDP, genauer gesagt, ein
gewisser Dr. Friedrich Middelhauve.
Achenbach kam zur FDP, avancierte schnell, wurde
außenpolitischer Berater dieser Partei und zog
schließlich in den nordrheinwestfälischen Landtag
ein. Dort sitzt er noch heute stets neben seinem Gönner
Middelhauve.
Wer ist dieser Dr. Friedrich Middelhauve? Der
heute 57jährige ist „Verleger“ 1921 fing
er in Opladen mit einer Buchhandlung an und gründete 1924 eine
Druckerei. 1938 übernahm er mit freundlicher
Unterstützung der Nazis noch das Papierverarbeitungswerk
Julius Cramer in Köln-Ehrenfeld dazu. So zum Selbstversorger
geworden, verbreitete er eifrig die vom Propaganda-Ministerium
Goebbels’ genehmigten Druckereierzeugnisse.
Nach der Niederlage Hitlers gründete er
die „Westdeutsche Verlags-G.m.b.H. Köln und
Opladen“ und im Jahre 1947 den
„schöngeistigen“ Verlag
„Friedrich Middelhauve G.m.b.H., Opladen“.
Middelhauve gehörte nach 1945 zu den
Mitbegründern der FDP in Nordrhein-Westfalen und wurde bald
— sehr stark unterstützt von den Schwerindustriellen
im Ruhrgebiet — der erste Landesvorsitzende dieser Partei.
Die FDP Nordrhein-Westfalen entwickelte sich rasch zu dem finanziell
stärksten Landesverband dank der Zuwendungen von seiten der
Herren von Kohle und Stahl. So fließen 75 Prozent der
gesamten Parteieinnahmen der FDP Westdeutschlands aus
Nordrhein-Westfalen, genauer gesagt aus den Schmierfonds solcher
Ruhrmagnaten wie Stinnes jun. und anderen.
Die Verbindungen zu den Schwerindustriellen half
der 2. Landesvorsitzende, der kürzlich verstorbene Freiherr
von Rechenberg, ein Unternehmer aus Köln, über
verschiedene Industrieklubs herstellen. Rechenbergs These, die er auch
bei der 2. Lesung der Kriegsverträge im Bundestag im Dezember
1952 vertrat, lautete: „Wir sollten nicht von
Wiedervereinigung reden. Wir müssen untersuchen, wie die
Chancen zur Befreiung der Ostzone stehen. Alles andere ist nur eine
Frage der Organisation.“
Die wiedererstandenen Rüstungsmagnaten an
Rhein und Ruhr wissen, wen sie in Middelhauve unterstützen. Er
ist ihr Mann. Das Programm, das ihnen Middelhauve bereits vor einigen
Jahren in geheimen Besprechungen entwickelte, das aber erst 1952 an die
Öffentlichkeit gelangte, ist ihr Programm. Seine Mitarbeiter
sind ihre Mitarbeiter, die gleichen wie in der Hitlerära.
Da ist zunächst der bereits
erwähnte Dr. Achenbach. Er hat als ehemaliger leitender
Mitarbeiter des „Reichsaußenministeriums“
dafür gesorgt, daß recht viele seiner ehemaligen
Kollegen wieder in Adenauers Außenamt untertauchen konnten.
Gemeinsam mit Außenamts-Personalchef Pfeiffer. Bisher sind 85
Prozent der „alten Garde“ wieder in leitender
Stellung in Adenauers Außenamt tätig.
Als persönlicher Sekretär dient
bei Dr. Middelhauve ein gewisser Wolfgang Diewerge. Während
des Nazireiches verfaßte er die chauvinistisch-antisemitische
Hetzschrift über den „Fall Gustloff“ und
war beteiligt an der Herausgabe der sogenannten
„NS-Schulungsbriefe“.
Zum engeren Mitarbeiterstab Middelhauves
gehört ferner der offiziell im Rechtsanwaltsbüro
Achenbachs beschäftigte, aber 'sonst im Parteibüro
tätige Dr. Werner Best. Es ist der gleiche Best, der 1931 als
Verfasser der berüchtigten „Boxheimer
Dokumente“ zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt
wurde. Sein Plan zur Unterdrückung der Demokratie wurde nach
1933 verwirklicht. 1933 machte er — aus der Strafanstalt
entlassen — sofort Karriere, wurde Polizeipräsident
von Hessen, trat zum Sicherheitsdienst (SD) der SS über und
bekleidete den Rang eines 1 SS-Gruppenführers und war
Stellvertreter von Heydrich, dem Leiter des SD. 1940 wurde dieser Best
mit allen seinen mörderischen Qualitäten
Kriegsverwaltungschef beim Militärbefehlshaber in Frankreich
und 1942 „Reichsbevollmächtigter“ in
Dänemark. Dort — wie schon in Frankreich und
Deutschland — war er verantwortlich für die
Hinrichtung zahlreicher Widerstandskämpfer, für die
Judenverschleppungen und sonstigen Terrorakte. Nach Kriegsende von
einem dänischen Gericht zum Tode verurteilt, begnadigte ihn
die dänische Regierung jedoch wenig später auf den
Einspruch „einflußreicher Freunde“ zu
einer geringen Zuchthausstrafe und entließ ihn
schließlich im August 1951 nach Westdeutschland. Er ist
maßgeblich an der Abfassung des sogenannten
„Deutschen Programms“, des Parteiprogramms
Middelhauves, beteiligt.
Gleichfalls an der Ausarbeitung dieses Programm
beteiligt ist der ehemalige „führertreue“
Rundfunkkommentator Hans Fritzsche, der für seine
„Aushalte“-Kommentare einen der höchsten
Posten im Goebbelsschen Propagandaministerium erklomm.
Da ist auch der frühere
HJ-Oberbannführer Zoglmann — ehemals im
„Protektorat Böhmen-Mähren“ und
eine Zeitlang als Propagandachef Konrad Henleins tätig. Heute
ist er Chefredakteur der im Middelhauveschen Verlag erscheinenden
Zeitschrift „Die Deutsche Zukunft“, dem Sprachrohr
der nazistischen „Lebensraum“-Politiker.
Ein eifriger Besucher des Middelhauveschen
Hauptquartiers ist ferner ein gewisser Herr Hanfstaengel,
während der Nazizeit hoher SS-Führer und
Auslandspressechef der NSDAP. Und noch mehr
„Prominente“ gehen hier aus und ein: Man sieht die
Herren Grohe, ehemaliger Nazigauleiter von Köln, Dr. Naumann,
ehemaliger Staatssekretär im Goebbels-Ministerium, Dr. Scheel,
ehemaliger Reichsstudentenführer und Gauleiter von Salzburg,
Paul Schmidt, ehemaliger Gesandter und Pressechef Ribbentrops, die
SS-Generale Six, Gille, Kumm und Hauser sowie manchen anderen
„alten Kämpfer“.
Die SS-Leute gehören zu den besonderen
Schützlingen Middelhauves. Über diese Henker und
Mörder äußerte er sich 1951:
„Diese Männer der Waffen-SS haben anständig
und tapfer gekämpft“. Ihre
„Anständigkeit“ bürgt
für die Qualitäten, die Middelhauve zur Durchsetzung
seines Programmes braucht.
Wie im Hauptquartier der FDP Nordrhein-Westfalens,
so sieht es auch in den unteren Organisationen aus. Bei den letzten
Gemeindewahlen hat die FDP eine Liste von 50 ehemaligen prominenten
Nazis und Berufssoldaten als Kandidaten aufgestellt. In Bielefeld wurde
z. B. der ehemalige leitende Funktionär des
SS-Reichssicherheitshauptamtes, Dr. Kohlhaas (heute FDP) mit den
Stimmen der Koalitionsparteien zum Oberbürgermeister
gewählt. In Paderborn waren sämtliche aufgestellten
Kandidaten der FDP ehemalige Nazis. Viele hatten es bis zu hohen
SS-Führern gebracht. In Olpe wurde ein „alter
Kämpfer“ der NSDAP auf Vorschlag der FDP zum
stellvertretenden Bürgermeister gewählt.
Mitte 1952 hatte Middelhauve seine faschistische
Organisation so weit „gefestigt“, daß er
das von ihm ausgearbeitete Parteiprogramm, das sogenannte
„Deutsche Programm“, an die Öffentlichkeit
bringen konnte. Auch in anderen Landesverbänden der FDP hatten
sich mehr und mehr die Faschisten an die Spitze gesetzt, die dieses
Programm vorbehaltlos unterstützen. In Hessen sorgte
dafür der Landesvorsitzende August-Martin Euler, in Bayern der
Bonner Justizminister Thomas Dehler und in Westberlin
Gestapo-Schwennicke; alles geschworene Feinde der Arbeiterklasse, die
nur zu gern den alten faschistischen Kräften leitende
Positionen einräumen.
Das „Deutsche Programm“
verrät seine Stammväter. Es enthält als eine
der ersten Forderungen, die ehemals von „Deutschland
beherrschten Gebiete“ — wobei offen bleibt, ob sie
sich von Bordeaux bis Stalingrad oder noch weiter erstrecken
— zu „befreien“. Es verlangt weiter die
Einsetzung einer „starken Regierung“ und die
Zusammenfassung aller „antimarxistischen
Kräfte“. Für die Kriegsverbrecher wird
Generalamnestie gefordert. Im übrigen sieht das Programm, in
dem das Wort Demokratie nicht ein einziges Mal erscheint, vor, den
Unternehmern „freie Initiative“ zu
gewähren. Für die durch diese „freie
Initiative“ in Not geratenen Bevölkerungskreise soll
mit Hilfe einer sogenannten
„Volksunterstützung“ nach dem Vorbild der
nazistischen Winterhilfe „gesorgt“ werden.
Auf dem im November 1952 durchgeführten
FDP-Parteitag in Bad Ems wurde Middelhauve zum 2. Vorsitzenden der FDP
„gewählt“. Sein chauvinistisches Programm
wurde „gleichberechtigt“ neben dem alten Programm
anerkannt.
Die Auslandspresse schätzte den Emser
Parteitag entsprechend ein: „Es ist kaum zuviel gesagt, wenn
man den Emser Parteitag im Endergebnis als etwas wie einen
innerparteilichen 30. Januar der FDP betrachtet: Was sich da vollzogen
hat, ist nichts anderes als eine kalte Machtübernahme
— eine Machtübernahme nicht etwa irgendwelcher
„Neonazis“, sondern der alten
nationalsozialistischen Equipe. („Die Tat“,
Zürich, 24.11. 52)
Diese Entwicklung wird auch vollauf durch einen
— zwar nicht für die Veröffentlichung
bestimmten, aber doch publizierten — Umfragebericht des
„Reactions Analysis Staff“ bei der
USA-Hochkommission in Westdeutschland bestätigt. Danach haben
sich von den befragten FPD-Mitgliedern 25 Prozent für eine
sofortige „Machtergreifung der Nationalsozialisten“
ausgesprochen. 59 Prozent der befragten FDP-Mitglieder haben die
faschistische Entwicklung „gutgeheißen“.
*
Adenauer lanciert durch seine Partei die alten
Industriebarone wieder in ihre Stellungen und gewährt in
seinen Ministerien alten Nazibeamten Unterschlupf. Middelhauve baut
innerhalb seiner Partei einen festen nazistischen Organisationsstab
auf. Die Minister Hellwege und Seebohm von der faschistischen DP
organisieren in ihrer Partei die alten Schlägergarden der SA,
der SS und des Stahlhelms, wie die Kundgebungen dieser Parteien in der
letzten Zeit hinreichend beweisen. Alle drei Parteien zusammen bilden
die augenblickliche „Regierungskoalition“ in Bonn,
die durch das neue Wahlbetrugsgesetz „gesichert“
werden soll. Diese durch und durch faschistische Koalition betreibt
heute schon nach innen und auch nach außen eine faschistische
Unterdrückungs- und Raubpolitik.
Das sind die Tatsachen. Adenauer aber
erklärt frech und unverschämt, — im
westdeutschen Rundfunk und am Mittwoch im Bundestag —, in
Westdeutschland gäbe es „keine faschistische
Gefahr“.
Das deutsche Volk und die übrigen
Völker wissen, was sie davon zu halten haben. Es
weiß, daß sich Adenauer ganz und gar umgeben hat
mit alten nazistischen Kriegsverbrechern.
Das deutsche Volk wird den Adenauers,
Middelhauves, Hellweges und ihren „alten Garden“ in
den Arm fallen, sie vertreiben, damit sich eine bereits einmal erlebte,
unheilvolle Entwicklung Deutschlands zu einer faschistischen Hochburg
nicht wiederholt. H, Cz,
Aus Neues Deutschland vom 23. Januar 1953
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