Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

10.09.2016

Middelhauve, Achenbach, Naumann und ihre „alte Garde“

Zur Faschisierung der Bonner Koalitionsparteien Anfang der 50er Jahre

Aus der Zeit, da die Ruhrindustrie und alten Naziseilschaften die FDP zu einer Nachfolgepartei der NSDAP machen wollten, stammt folgender Bericht. Die darin geschilderten  Vorgänge sind zum Verständnis der deutschen Nachkriegsgeschichte bedeutungsvoll.   

Während des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses erregte ein deutscher Verteidiger bei den Mitgliedern des Internationalen Gerichtshofes und den Gästen besonderes Aufsehen. Zu einer Zeit, da alle Welt wußte, welche Rolle die Verbrecher gespielt hatten, die vor dem Tribunal saßen, trat dieser Mann mit einer Unverschämtheit für seine Klienten — die Mitglieder des nazistischen Außenministeriums — ein, die allgemein empörte. Dieser Mann hieß Dr. Ernst Achenbach, selbst ehemaliger Legationsrat und politischer Berater des zum Tode verurteilten Nazi-Gesandten Abetz in Paris.

Dieser Dr. Achenbach war nach 1945 in seine juristische Laufbahn zurückgekehrt, um für das Wohl und Wehe seiner Gesinnungsgenossen, um als Verteidiger prominenter Nazis bei den Entnazifizierungsprozessen in Westdeutschland tätig zu sein. Es dauerte nicht allzu lange, bis er, der so „verdienstvoll“ für die „Bewegung“ politische Kleinarbeit leistete, „entdeckt“ wurde. Seine Entdecker waren die führenden Männer der FDP, genauer gesagt, ein gewisser Dr. Friedrich Middelhauve.

Achenbach kam zur FDP, avancierte schnell, wurde außenpolitischer Berater dieser Partei und zog schließlich in den nordrheinwestfälischen Landtag ein. Dort sitzt er noch heute stets neben seinem Gönner Middelhauve.

Wer ist dieser Dr. Friedrich Middelhauve? Der heute 57jährige ist „Verleger“ 1921 fing er in Opladen mit einer Buchhandlung an und gründete 1924 eine Druckerei. 1938 übernahm er mit freundlicher Unterstützung der Nazis noch das Papierverarbeitungswerk Julius Cramer in Köln-Ehrenfeld dazu. So zum Selbstversorger geworden, verbreitete er eifrig die vom Propaganda-Ministerium Goebbels’ genehmigten Druckereierzeugnisse.

Nach der Niederlage Hitlers gründete er die „Westdeutsche Verlags-G.m.b.H. Köln und Opladen“ und im Jahre 1947 den „schöngeistigen“ Verlag „Friedrich Middelhauve G.m.b.H., Opladen“.

Middelhauve gehörte nach 1945 zu den Mitbegründern der FDP in Nordrhein-Westfalen und wurde bald — sehr stark unterstützt von den Schwerindustriellen im Ruhrgebiet — der erste Landesvorsitzende dieser Partei. Die FDP Nordrhein-Westfalen entwickelte sich rasch zu dem finanziell stärksten Landesverband dank der Zuwendungen von seiten der Herren von Kohle und Stahl. So fließen 75 Prozent der gesamten Parteieinnahmen der FDP Westdeutschlands aus Nordrhein-Westfalen, genauer gesagt aus den Schmierfonds solcher Ruhrmagnaten wie Stinnes jun. und anderen.

Die Verbindungen zu den Schwerindustriellen half der 2. Landesvorsitzende, der kürzlich verstorbene Freiherr von Rechenberg, ein Unternehmer aus Köln, über verschiedene Industrieklubs herstellen. Rechenbergs These, die er auch bei der 2. Lesung der Kriegsverträge im Bundestag im Dezember 1952 vertrat, lautete: „Wir sollten nicht von Wiedervereinigung reden. Wir müssen untersuchen, wie die Chancen zur Befreiung der Ostzone stehen. Alles andere ist nur eine Frage der Organisation.“

Die wiedererstandenen Rüstungsmagnaten an Rhein und Ruhr wissen, wen sie in Middelhauve unterstützen. Er ist ihr Mann. Das Programm, das ihnen Middelhauve bereits vor einigen Jahren in geheimen Besprechungen entwickelte, das aber erst 1952 an die Öffentlichkeit gelangte, ist ihr Programm. Seine Mitarbeiter sind ihre Mitarbeiter, die gleichen wie in der Hitlerära.

Da ist zunächst der bereits erwähnte Dr. Achenbach. Er hat als ehemaliger leitender Mitarbeiter des „Reichsaußenministeriums“ dafür gesorgt, daß recht viele seiner ehemaligen Kollegen wieder in Adenauers Außenamt untertauchen konnten. Gemeinsam mit Außenamts-Personalchef Pfeiffer. Bisher sind 85 Prozent der „alten Garde“ wieder in leitender Stellung in Adenauers Außenamt tätig.

Als persönlicher Sekretär dient bei Dr. Middelhauve ein gewisser Wolfgang Diewerge. Während des Nazireiches verfaßte er die chauvinistisch-antisemitische Hetzschrift über den „Fall Gustloff“ und war beteiligt an der Herausgabe der sogenannten „NS-Schulungsbriefe“.

Zum engeren Mitarbeiterstab Middelhauves gehört ferner der offiziell im Rechtsanwaltsbüro Achenbachs beschäftigte, aber 'sonst im Parteibüro tätige Dr. Werner Best. Es ist der gleiche Best, der 1931 als Verfasser der berüchtigten „Boxheimer Dokumente“ zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde. Sein Plan zur Unterdrückung der Demokratie wurde nach 1933 verwirklicht. 1933 machte er — aus der Strafanstalt entlassen — sofort Karriere, wurde Polizeipräsident von Hessen, trat zum Sicherheitsdienst (SD) der SS über und bekleidete den Rang eines 1 SS-Gruppenführers und war Stellvertreter von Heydrich, dem Leiter des SD. 1940 wurde dieser Best mit allen seinen mörderischen Qualitäten Kriegsverwaltungschef beim Militärbefehlshaber in Frankreich und 1942 „Reichsbevollmächtigter“ in Dänemark. Dort — wie schon in Frankreich und Deutschland — war er verantwortlich für die Hinrichtung zahlreicher Widerstandskämpfer, für die Judenverschleppungen und sonstigen Terrorakte. Nach Kriegsende von einem dänischen Gericht zum Tode verurteilt, begnadigte ihn die dänische Regierung jedoch wenig später auf den Einspruch „einflußreicher Freunde“ zu einer geringen Zuchthausstrafe und entließ ihn schließlich im August 1951 nach Westdeutschland. Er ist maßgeblich an der Abfassung des sogenannten „Deutschen Programms“, des Parteiprogramms Middelhauves, beteiligt.

Gleichfalls an der Ausarbeitung dieses Programm beteiligt ist der ehemalige „führertreue“ Rundfunkkommentator Hans Fritzsche, der für seine „Aushalte“-Kommentare einen der höchsten Posten im Goebbelsschen Propagandaministerium erklomm.

Da ist auch der frühere HJ-Oberbannführer Zoglmann — ehemals im „Protektorat Böhmen-Mähren“ und eine Zeitlang als Propagandachef Konrad Henleins tätig. Heute ist er Chefredakteur der im Middelhauveschen Verlag erscheinenden Zeitschrift „Die Deutsche Zukunft“, dem Sprachrohr der nazistischen „Lebensraum“-Politiker.

Ein eifriger Besucher des Middelhauveschen Hauptquartiers ist ferner ein gewisser Herr Hanfstaengel, während der Nazizeit hoher SS-Führer und Auslandspressechef der NSDAP. Und noch mehr „Prominente“ gehen hier aus und ein: Man sieht die Herren Grohe, ehemaliger Nazigauleiter von Köln, Dr. Naumann, ehemaliger Staatssekretär im Goebbels-Ministerium, Dr. Scheel, ehemaliger Reichsstudentenführer und Gauleiter von Salzburg, Paul Schmidt, ehemaliger Gesandter und Pressechef Ribbentrops, die SS-Generale Six, Gille, Kumm und Hauser sowie manchen anderen „alten Kämpfer“.

Die SS-Leute gehören zu den besonderen Schützlingen Middelhauves. Über diese Henker und Mörder äußerte er sich 1951: „Diese Männer der Waffen-SS haben anständig und tapfer gekämpft“. Ihre „Anständigkeit“ bürgt für die Qualitäten, die Middelhauve zur Durchsetzung seines Programmes braucht.

Wie im Hauptquartier der FDP Nordrhein-Westfalens, so sieht es auch in den unteren Organisationen aus. Bei den letzten Gemeindewahlen hat die FDP eine Liste von 50 ehemaligen prominenten Nazis und Berufssoldaten als Kandidaten aufgestellt. In Bielefeld wurde z. B. der ehemalige leitende Funktionär des SS-Reichssicherheitshauptamtes, Dr. Kohlhaas (heute FDP) mit den Stimmen der Koalitionsparteien zum Oberbürgermeister gewählt. In Paderborn waren sämtliche aufgestellten Kandidaten der FDP ehemalige Nazis. Viele hatten es bis zu hohen SS-Führern gebracht. In Olpe wurde ein „alter Kämpfer“ der NSDAP auf Vorschlag der FDP zum stellvertretenden Bürgermeister gewählt.

Mitte 1952 hatte Middelhauve seine faschistische Organisation so weit „gefestigt“, daß er das von ihm ausgearbeitete Parteiprogramm, das sogenannte „Deutsche Programm“, an die Öffentlichkeit bringen konnte. Auch in anderen Landesverbänden der FDP hatten sich mehr und mehr die Faschisten an die Spitze gesetzt, die dieses Programm vorbehaltlos unterstützen. In Hessen sorgte dafür der Landesvorsitzende August-Martin Euler, in Bayern der Bonner Justizminister Thomas Dehler und in Westberlin Gestapo-Schwennicke; alles geschworene Feinde der Arbeiterklasse, die nur zu gern den alten faschistischen Kräften leitende Positionen einräumen.

Das „Deutsche Programm“ verrät seine Stammväter. Es enthält als eine der ersten Forderungen, die ehemals von „Deutschland beherrschten Gebiete“ — wobei offen bleibt, ob sie sich von Bordeaux bis Stalingrad oder noch weiter erstrecken — zu „befreien“. Es verlangt weiter die Einsetzung einer „starken Regierung“ und die Zusammenfassung aller „antimarxistischen Kräfte“. Für die Kriegsverbrecher wird Generalamnestie gefordert. Im übrigen sieht das Programm, in dem das Wort Demokratie nicht ein einziges Mal erscheint, vor, den Unternehmern „freie Initiative“ zu gewähren. Für die durch diese „freie Initiative“ in Not geratenen Bevölkerungskreise soll mit Hilfe einer sogenannten „Volksunterstützung“ nach dem Vorbild der nazistischen Winterhilfe „gesorgt“ werden.

Auf dem im November 1952 durchgeführten FDP-Parteitag in Bad Ems wurde Middelhauve zum 2. Vorsitzenden der FDP „gewählt“. Sein chauvinistisches Programm wurde „gleichberechtigt“ neben dem alten Programm anerkannt.

Die Auslandspresse schätzte den Emser Parteitag entsprechend ein: „Es ist kaum zuviel gesagt, wenn man den Emser Parteitag im Endergebnis als etwas wie einen innerparteilichen 30. Januar der FDP betrachtet: Was sich da vollzogen hat, ist nichts anderes als eine kalte Machtübernahme — eine Machtübernahme nicht etwa irgendwelcher „Neonazis“, sondern der alten nationalsozialistischen Equipe. („Die Tat“, Zürich, 24.11. 52)

Diese Entwicklung wird auch vollauf durch einen — zwar nicht für die Veröffentlichung bestimmten, aber doch publizierten — Umfragebericht des „Reactions Analysis Staff“ bei der USA-Hochkommission in Westdeutschland bestätigt. Danach haben sich von den befragten FPD-Mitgliedern 25 Prozent für eine sofortige „Machtergreifung der Nationalsozialisten“ ausgesprochen. 59 Prozent der befragten FDP-Mitglieder haben die faschistische Entwicklung „gutgeheißen“.

*

Adenauer lanciert durch seine Partei die alten Industriebarone wieder in ihre Stellungen und gewährt in seinen Ministerien alten Nazibeamten Unterschlupf. Middelhauve baut innerhalb seiner Partei einen festen nazistischen Organisationsstab auf. Die Minister Hellwege und Seebohm von der faschistischen DP organisieren in ihrer Partei die alten Schlägergarden der SA, der SS und des Stahlhelms, wie die Kundgebungen dieser Parteien in der letzten Zeit hinreichend beweisen. Alle drei Parteien zusammen bilden die augenblickliche „Regierungskoalition“ in Bonn, die durch das neue Wahlbetrugsgesetz „gesichert“ werden soll. Diese durch und durch faschistische Koalition betreibt heute schon nach innen und auch nach außen eine faschistische Unterdrückungs- und Raubpolitik.

Das sind die Tatsachen. Adenauer aber erklärt frech und unverschämt, — im westdeutschen Rundfunk und am Mittwoch im Bundestag —, in Westdeutschland gäbe es „keine faschistische Gefahr“.

Das deutsche Volk und die übrigen Völker wissen, was sie davon zu halten haben. Es weiß, daß sich Adenauer ganz und gar umgeben hat mit alten nazistischen Kriegsverbrechern.

Das deutsche Volk wird den Adenauers, Middelhauves, Hellweges und ihren „alten Garden“ in den Arm fallen, sie vertreiben, damit sich eine bereits einmal erlebte, unheilvolle Entwicklung Deutschlands zu einer faschistischen Hochburg nicht wiederholt. H, Cz,

Aus Neues Deutschland  vom 23. Januar 1953