05.03.2018
Schatten der Vergangenheit
Hochtief AG Essen: Die Sklavenhalter vom Sauerland
Etwa ein Kilometer südlich von Lüdenscheid im
Wander- und Erholungsgebiet Sauerland liegt die Versetalsperre. Der
Wanderer oder Spaziergänger ahnt nicht, dass in der idyllischen
Naturschönheit schreckliche Verbrechen in der Nazizeit begangen
wurden. Der aufmerksame Besucher entdeckt eine mit Plexiglas
überdeckte Mahntafel mit folgender Inschrift:
Am 21. Juni 1997 wurde hier
das Mahnmal "Schatten der Vergangenheit" eingeweiht, welches der
Lüdenscheider Künstler Heinz Richter für die Stadt
Lüdenscheid geschaffen hatte. Es trug die Inschrift:
Im Tal der Verse befand sich
unterhalb dieser Stelle zwischen 1940 und 1945 das Arbeitserziehungs-
und Konzentrationslager Hunswinkel. Von vielen Tausend Häftlingen
aus der Sowjetunion, Deutschland, Polen, Belgien, Frankreich, Italien,
Jugoslawien und den Niederlanden wurden mindestens 550 durch Hunger,
Schwerstarbeit und Erschießen getötet.
52 Jahre nach der Herrschaft
der Nationalsozialisten am 21. Juni 1997 Das Mahnmal wurde im September
2014 vermutlich durch Metalldiebe abgesägt und entwendet. Der Rat
der Stadt Lüdenscheid verurteilt diesen Akt der Zerstörung
und spricht sich dafür aus, dass die mit dem Kunstwerk verbundene
Mahnung erhalten bleibt.
Bis zur Installation eines dauerhaften Ersatzes soll vorübergehend diese Tafel die Erinnerung wach halten.
Das Arbeitserziehungs- und Konzentrationslager
Hunswinkel liegt seit der Fertigstellung unter der
Wasseroberfläche der Versetalsperre. Es verschwand unter den
Fluten. Die Spuren der schrecklichen Verbrechen führen zu dem
Essener Baukonzern Hochtief AG und zu seinem Vorstandsvorsitzenden
Eugen Vögler.
In den von Deutschen besetzten Gebieten wurden
Zivilisten teils auf der Straße eingefangen und nach Deutschland
zum Arbeitseinsatz verschleppt. Was sie erwartete, ist heute nur zu
erahnen. Für das Arbeitserziehungslager in Hunswinkel heißt
es zynisch in den Gestapo-Akten: „Die Arbeitsbedingungen und
Lebensverhältnisse für die Insassen sind im allgemeinen
härter als in einem Konzentrationslager. Dies ist notwendig, um
den gewünschten Zweck zu erreichen".
Alte und neue Mahntafel.
5000 bis 6000 Frauen, Männer, Kinder und
Jugendlichen litten unsägliche Qualen in dem Lager, mindestens 550
überlebten Hunswinkel nicht - vermutlich waren es aber mehr.
Mit deutscher Gründlichkeit wurde - wenn auch oft
gefälscht - buchgeführt über die Todesursache der
Sklavenarbeiter. Susanne Illhardt berichtete am 24.8.2010 in der WAZ
über Schicksale einzelner Häftlinge:
- Am 8. Mai 1943 wurde der 23-jährige Alexsey Antony aus Rostow in Russland auf der Flucht erschossen.
- Am 15. April 1945 starb der 45-jährige Wilhelm Bossinger aus Köln an Flecktyphus.
- Am 24. September 1943 wurde der 21-Jährige Wassilij Dani aus Maripol erschossen.
- Am 4. September 1942 wurde der 18-Jährige Boris Judin auf der Flucht durch einen Kopfschuss getötet.
- Am 10. Oktober 1943 setzte die 15-Jährige Marija Iwanowna Mischtujma durch Selbstmord ihrem Leben ein Ende.
- Am 11. Februar 1944 starb der 20-Jährige Iwan
Ponamarwo an einer Kreislaufstörung nach Erhängen. Er wurde
hingerichtet.
„Auf der Flucht
erschossen“, Tuberkulose, Herzschwäche,
Lungenentzündung, Hinrichtung - mit deutscher Gründlichkeit
wurden die Todesursachen niedergeschrieben.
Weiter heißt es:
„In Hunswinkel arbeiteten die Gefangenen hauptsächlich in
den Kalksteinbrüchen im Versetal. Mit Spitzhacken lösten sie
Steine aus dem Feld und schaufelten sie in Feldbahnloren. Teilweise
mussten die Felsbrocken mit bloßen Händen verladen
werden.“
Das Lager Hunswinkel wurde
ab 1942 auch für „Sonderbehandlungen“ der Gestapo
genutzt. Zwischen 100 und 350 Menschen wurden hier exekutiert.
Kurz vor Kriegsende wurden
noch 14 sowjetische Häftlinge aus Dortmund hingerichtet. Ein
Lüdenscheider Arzt, der die Morde vertuschte, bekam später
dafür Berufsverbot.
Spiegel-online vom 12. April 2000, berichtete:
Hochtief wird von der
Vergangenheit eingeholt. Ein Überlebender des Holocausts hat das
Bauunternehmen in Los Angeles auf 400 Millionen Dollar (rund 817
Millionen Mark) Wiedergutmachung verklagt.
Los Angeles - Der
62-jährige Josef Tibor Deutsch macht geltend, dass
Beschäftigte von Hochtief 1945 seinen Bruder erschlugen, als die
beiden beim Aufbau einer Ölraffinerie in der Nähe des
Konzentrationslagers Auschwitz halfen. Laut Deutsch prügelten
Hochtief-Aufseher jüdische Zwangsarbeiter, "um das letzte
Quäntchen Energie für das Unternehmen zu bekommen". Er und
sein Bruder seien von Juni 1944 bis Januar 1945 festgehalten worden.
Deutsch erklärte, seine
Klage diene auch zur Erinnerung an etwa 400 Familien, deren
Angehörige von Hochtief-Mitarbeitern getötet wurden. Nach
Angaben seines Anwalts Barry Fischer richtet sich die Klage sowohl
gegen Hochtief als auch gegen die Tochterfirmen Turner aus Texas und
Kitchell in Arizona.
Chronik des Arbeitserziehungslagers Hunswinkel
Arbeitserziehungslager Hunswinkel (Foto aus der WAZ v. 24.08.2010).
1929 bis 1952
Bau der Versetalsperre.
1932
Die Fa. Hochtief AG errichtet im Rahmen des Baus der Versetalsperre
für Arbeitskräfte des freiwilligen Arbeitsdienstes ein
Arbeitslager.
1938
Zur Nazizeit wird das Arbeitslager vom Reichsarbeitsdienst
(Organisation Todt) als Reichsarbeitsdienstlager eingerichtet. Zu
diesem Zeitpunkt bestand es aus zwei Baracken für je 100 Personen
und außerhalb der Umzäunung aus einer Kantinenbaracke. Die
Baracken besaßen keine Heizungen. In dieses zur nachhaltig
abschreckenden Disziplinierung betriebene Lager wurden Deutsche und
Ausländer eingewiesen. Während des in der Regel sechs Wochen
mit einer täglichen Arbeitszeit von zwölf Stunden dauernden
Dienstes waren Misshandlungen an der Tagesordnung.
1940
Am 24.08.1940 wurde aus dem Reichsarbeitsdienstlager an der Klamer
Brücke ein Arbeitserziehungslager (AEL), das der Gestapo und dem
Reichstreuhänder der Arbeit unterstellt war. Der
Ruhrtalsperrenverein (heute Ruhrverband) beauftragte die Firma Hochtief
mit dem Bau der Versetalsperre mithilfe von Zwangsarbeitern. In den
ersten fünf Monaten durchliefen das Lager 517 Häftlinge (457
Deutsche und 60 Ausländer). Die Häftlinge waren
Regimekritiker, Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten. Sie
wurden bei der Essener Firma Hochtief AG,
beim Ruhrtalsperrenverein eingesetzt. Ihr Arbeitsgebiet: Untere
Versetalsperre und in Lüdenscheider Gewerbebetrieben.
1942
Ab Mai wurden vorwiegend sowjetische Zwangsarbeiter eingewiesen, aber
auch aus Deutschland, Polen, den Niederlanden, Italien, Frankreich,
Belgien, Jugoslawien und Luxemburg. Von der einheimischen
Bevölkerung wurde das Lager fortan als Russenlager bezeichnet. Die
meisten Häftlinge starben an Hunger und Erschöpfung oder
Folgeerkrankungen. Etwa fünf- bis sechstausend Frauen,
Männer, Kinder und Jugendliche litten bis 1945 unsägliche
Qualen in dem Lager, 550 überlebten diese nicht.
Das Lager wurde seit Ende 1942 regelmäßig auch für
„Sonderbehandlungen“ aus dem Zuständigkeitsbereich der
Gestapo Dortmund und Köln benutzt. Die Zahl der exekutierten
Menschen ist unklar. Die Zahlen bewegen sich zwischen 100 und 350.
1945
war das AEL Hunswinkel gleichzeitig ein Konzentrationslager. In dem
Lager wurden von der Gestapo Dortmund ca. 100 Menschen exekutiert.
Diese wurden dazu aus Dortmund nach Hunswinkel transportiert.
Noch kurz vor Kriegsende am 4. Februar 1945, wurden im Zuge von
Kriegsendphasenverbrechen mindestens 14 sowjetische
Gestapo-Häftlinge aus Dortmund im Lager exekutiert.
Am 11. April 1945 wurde das Lager von amerikanischen Soldaten befreit.
Chronik des Baukonzerns Hochtief AG
Hochtiefhaus in Essen (Quelle Hochtief).
1875
Gründung durch die aus Kelsterbach stammenden Schlosser Philipp Helfmann und Balthasar Helfmann in Frankfurt am Main.
1896
Nach dem Tod von Balthasar wandelte Philipp Helfmann das Unternehmen in die Aktiengesellschaft für Hoch- und Tiefbauten um.
1922
wurde der Firmensitz nach Essen verlegt. Hintergrund dieser
Änderung war ein Vertrag vom 10. Februar 1921 mit Hugo Stinnes.
Stinnes beteiligte sich an Hochtief und verpflichtet sich im Gegenzug,
Baumaßnahmen des Stinnes-Konzerns nur über Hochtief
ausführen zu lassen. Nach Stinnes Tod 1924 und dem Zerfall seines
Konzerns geriet auch Hochtief in Zahlungsschwierigkeiten. Die Aktien
des Stinnes- Konzerns wurden nun von RWE und AEG übernommen.
1933
Vom Naziregime erwartete Hochtief einen wirtschaftlichen Aufschwung und
eine rege Bautätigkeit im Rahmen der militärischen
Rüstung. Der Konzern war in die Strukturen und Verbrechen der
Nazi-Diktatur verstrickt. Der Vorstandsvorsitzende Eugen Vögler
trat 1937 in die NSDAP ein und die Einbindung von Hochtief in die
Strukturen und Verbrechen des Naziregimes wurde vorangetrieben.
Vögler selbst agierte als Führer der Wirtschaftsgruppe Bau
und Ehrenbannführer der Hitlerjugend, der Konzern selbst trennte
sich von Juden. 1935 waren alle Juden aus Aufsichtsrat und
verantwortlichen Stellen entfernt. Die neu eingestellten Direktoren
waren alle Mitglieder der NSDAP.
Als Bauunternehmen profitierte Hochtief von umfangreichen
Bauaufträgen des Nazi-Staates. Hierzu zählten neben zivilen
Objekten zunehmend militärisch genutzte Bauten. Unter Leitung der
Organisation Todt war Hochtief am Bau wesentlicher
Militäreinrichtungen beteiligt.
1934
in dieser Zeit begann der militärstrategische Autobahnbau in
Deutschland. An einem weiteren Großprojekt, den
Reichsparteitagsbauten in Nürnberg, beteiligte sich Hochtief.
Eugen Vögler (zweiter von links) beim Autobahnbau.
1935
Lastwagenfabrik für Opel in Brandenburg.
1936
Umzug aus dem Geschäftshaus "Am Pferdemarkt" in Essen in das
neue Hauptverwaltungsgebäude in der Rellinghauser
Straße. Hier ist heute noch der Sitz des Unternehmens.
Seit 1936 bestimmte der "Zweite Vierjahresplan" zunehmend die
Bautätigkeit. Darin hieß es, die deutsche Armee müsse
in vier Jahren einsatzfähig und die deutsche Wirtschaft in vier
Jahren kriegsfähig sein. In der Folgezeit nahmen entsprechende
Aufträge unverkennbar zu.
1937
begannen die Bauten des geplanten "Kraft durch Freude"-Seebades Prora auf Rügen.
1938
Seit 1938 baute Hochtief unter der Regie der Organisation Todt am
Westwall. Der Leiter der Organisation Todt, Fritz Todt (1891 -1942),
hatte von Hermann Göring 1938 den Auftrag erhalten, alle
kriegswichtigen Bauten durchzuführen. So übernahm die
Organisation Todt praktisch die Leitung aller Bauvorhaben. Als
"kriegswichtig" galten neben offensichtlich militärischen Bauten,
wie die Festungsanlagen am Westwall, auch Industriebauten und der
Verkehrswegebau. Die zivile Bautätigkeit nahm immer mehr ab.
1939
Ab 1939/1940 beschäftigte Hochtief auf den Baustellen in
zunehmendem Maße Zwangsarbeiter. Über diese Baustellen und
die dort beschäftigten Zwangsarbeiter ist wenig bekannt, da viele
Dokumente verloren gingen oder vernichtet wurden. Erschwerend kommt
hinzu, dass viele der Bauprojekte in Arbeitsgemeinschaften
durchgeführt wurden. Dadurch lässt sich keine Aussage
über die Zahl der bei Hochtief eingesetzten Zwangsarbeiter machen.
Was ermittelt werden konnte, kann in der im Oktober 2000 erschienenen
Unternehmenschronik nachgelesen werden.
1940
Nach dem deutsch-französischen Waffenstillstand 1940 begann der Bau des Atlantikwalls, an dem Hochtief ebenfalls mitwirkte.
1941
Auch im Rahmen der im Oktober 1941 beginnenden "Operation Wiking" in
Norwegen arbeitete Hochtief mit. Ebenso baute Hochtief im
deutsch-besetzten und nichtbesetzten Ausland: in Bulgarien,
Jugoslawien, Polen, Ungarn, Österreich und sogar im Iran. Bei den
Bauten handelte es sich zumeist um Verkehrswege, manchmal auch um
Industriebauten.
Auch an den sogenannten "Führerbauten", dem Berghof auf dem
Obersalzberg, der Wolfsschanze in Rastenburg (Ostpreußen) und dem
Führerbunker in Berlin, arbeitete HOCHTIEF mit.
1945
Gegen Ende des Krieges kam die Bautätigkeit fast völlig zum
Erliegen. Die Mitarbeiter auf Auslandsbaustellen in Osteuropa flohen
vor den vorrückenden sowjetischen Truppen. Noch im März
1945 wurde das Hauptgebäude von HOCHTIEF durch Bombentreffer
schwer beschädigt.
Eugen Vögler
Der am 1.2.1884 in Essen geborene und am 21.1.1956 in
Essen gestorbene Eugen Vögler, ein Bruder Albert Vöglers, war
Vorstandsvorsitzender der Hochtief AG, eines der größten
Konzerne der Bauindustrie. Sein Einfluss in Nazikreisen machte ihn zum
Leiter der Wirtschaftsgruppe Bauindustrie. Er profitierte durch die
Nazi-Diktatur und trat 1937 in die NSDAP ein. Alle Juden wurden aus dem
Vorstand von Hochtief entfernt und durch Direktoren mit
NSDAP-Parteibuch ersetzt. In seiner Eigenschaft als
Vorstandsvorsitzender des Konzerns und linientreuer Nazi war er auch
verantwortlich für die Verbrechen im Arbeitserziehungslager
Hunswinkel beim Bau der Versetalsperre.
Von Walter Hilbig, VVN-BdA Essen
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