Heartfield: "Millionen stehen hinter Hitler"

Rallye „Spurensuche Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“

Ein Projekt der VVN/BdA NRW

 

05.03.2018

Schatten der Vergangenheit

Hochtief AG Essen: Die Sklavenhalter vom Sauerland

Versetalsperre

Etwa ein Kilometer südlich von Lüdenscheid im Wander- und Erholungsgebiet Sauerland liegt die Versetalsperre. Der Wanderer oder Spaziergänger ahnt nicht, dass in der idyllischen Naturschönheit schreckliche Verbrechen in der Nazizeit begangen wurden. Der aufmerksame Besucher entdeckt eine mit Plexiglas überdeckte Mahntafel mit folgender Inschrift:

Am 21. Juni 1997 wurde hier das Mahnmal "Schatten der Vergangenheit" eingeweiht, welches der Lüdenscheider Künstler Heinz Richter für die Stadt Lüdenscheid geschaffen hatte. Es trug die Inschrift:

Im Tal der Verse befand sich unterhalb dieser Stelle zwischen 1940 und 1945 das Arbeitserziehungs- und Konzentrationslager Hunswinkel. Von vielen Tausend Häftlingen aus der Sowjetunion, Deutschland, Polen, Belgien, Frankreich, Italien, Jugoslawien und den Niederlanden wurden mindestens 550 durch Hunger, Schwerstarbeit und Erschießen getötet.

52 Jahre nach der Herrschaft der Nationalsozialisten am 21. Juni 1997 Das Mahnmal wurde im September 2014 vermutlich durch Metalldiebe abgesägt und entwendet. Der Rat der Stadt Lüdenscheid verurteilt diesen Akt der Zerstörung und spricht sich dafür aus, dass die mit dem Kunstwerk verbundene Mahnung erhalten bleibt.

Bis zur Installation eines dauerhaften Ersatzes soll vorübergehend diese Tafel die Erinnerung wach halten.

Das Arbeitserziehungs- und Konzentrationslager Hunswinkel liegt seit der Fertigstellung unter der Wasseroberfläche der Versetalsperre. Es verschwand unter den Fluten. Die Spuren der schrecklichen Verbrechen führen zu dem Essener Baukonzern Hochtief AG und zu seinem Vorstandsvorsitzenden Eugen Vögler.

In den von Deutschen besetzten Gebieten wurden Zivilisten teils auf der Straße eingefangen und nach Deutschland zum Arbeitseinsatz verschleppt. Was sie erwartete, ist heute nur zu erahnen. Für das Arbeitserziehungslager in Hunswinkel heißt es zynisch in den Gestapo-Akten: „Die Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse für die Insassen sind im allgemeinen härter als in einem Konzentrationslager. Dies ist notwendig, um den gewünschten Zweck zu erreichen".

Alte Mahntafel

Neue Mahntafel

Alte und neue Mahntafel.

5000 bis 6000 Frauen, Männer, Kinder und Jugendlichen litten unsägliche Qualen in dem Lager, mindestens 550 überlebten Hunswinkel nicht - vermutlich waren es aber mehr.

Mit deutscher Gründlichkeit wurde - wenn auch oft gefälscht - buchgeführt über die Todesursache der Sklavenarbeiter. Susanne Illhardt berichtete am 24.8.2010 in der WAZ über Schicksale einzelner Häftlinge:

  • Am 8. Mai 1943 wurde der 23-jährige Alexsey Antony aus Rostow in Russland auf der Flucht erschossen.
  • Am 15. April 1945 starb der 45-jährige Wilhelm Bossinger aus Köln an Flecktyphus.
  • Am 24. September 1943 wurde der 21-Jährige Wassilij Dani aus Maripol erschossen.
  • Am 4. September 1942 wurde der 18-Jährige Boris Judin auf der Flucht durch einen Kopfschuss getötet.
  • Am 10. Oktober 1943 setzte die 15-Jährige Marija Iwanowna Mischtujma durch Selbstmord ihrem Leben ein Ende.
  • Am 11. Februar 1944 starb der 20-Jährige Iwan Ponamarwo an einer Kreislaufstörung nach Erhängen. Er wurde hingerichtet.

„Auf der Flucht erschossen“, Tuberkulose, Herzschwäche, Lungenentzündung, Hinrichtung - mit deutscher Gründlichkeit wurden die Todesursachen niedergeschrieben.

Weiter heißt es: „In Hunswinkel arbeiteten die Gefangenen hauptsächlich in den Kalksteinbrüchen im Versetal. Mit Spitzhacken lösten sie Steine aus dem Feld und schaufelten sie in Feldbahnloren. Teilweise mussten die Felsbrocken mit bloßen Händen verladen werden.“

Das Lager Hunswinkel wurde ab 1942 auch für „Sonderbehandlungen“ der Gestapo genutzt. Zwischen 100 und 350 Menschen wurden hier exekutiert.

Kurz vor Kriegsende wurden noch 14 sowjetische Häftlinge aus Dortmund hingerichtet. Ein Lüdenscheider Arzt, der die Morde vertuschte, bekam später dafür Berufsverbot.

Spiegel-online vom 12. April 2000, berichtete:

Hochtief wird von der Vergangenheit eingeholt. Ein Überlebender des Holocausts hat das Bauunternehmen in Los Angeles auf 400 Millionen Dollar (rund 817 Millionen Mark) Wiedergutmachung verklagt.

Los Angeles - Der 62-jährige Josef Tibor Deutsch macht geltend, dass Beschäftigte von Hochtief 1945 seinen Bruder erschlugen, als die beiden beim Aufbau einer Ölraffinerie in der Nähe des Konzentrationslagers Auschwitz halfen. Laut Deutsch prügelten Hochtief-Aufseher jüdische Zwangsarbeiter, "um das letzte Quäntchen Energie für das Unternehmen zu bekommen". Er und sein Bruder seien von Juni 1944 bis Januar 1945 festgehalten worden.

Deutsch erklärte, seine Klage diene auch zur Erinnerung an etwa 400 Familien, deren Angehörige von Hochtief-Mitarbeitern getötet wurden. Nach Angaben seines Anwalts Barry Fischer richtet sich die Klage sowohl gegen Hochtief als auch gegen die Tochterfirmen Turner aus Texas und Kitchell in Arizona.

Chronik des Arbeitserziehungslagers Hunswinkel

Arbeitserziehungslager Hunswinkel (Foto aus der WAZ v. 24.08.2010)

Arbeitserziehungslager Hunswinkel (Foto aus der WAZ v. 24.08.2010).

1929 bis 1952
Bau der Versetalsperre.

1932
Die Fa. Hochtief AG errichtet im Rahmen des Baus der Versetalsperre für Arbeitskräfte des freiwilligen Arbeitsdienstes ein Arbeitslager.

1938
Zur Nazizeit wird das Arbeitslager vom Reichsarbeitsdienst (Organisation Todt) als Reichsarbeitsdienstlager eingerichtet. Zu diesem Zeitpunkt bestand es aus zwei Baracken für je 100 Personen und außerhalb der Umzäunung aus einer Kantinenbaracke. Die Baracken besaßen keine Heizungen. In dieses zur nachhaltig abschreckenden Disziplinierung betriebene Lager wurden Deutsche und Ausländer eingewiesen. Während des in der Regel sechs Wochen mit einer täglichen Arbeitszeit von zwölf Stunden dauernden Dienstes waren Misshandlungen an der Tagesordnung.

1940
Am 24.08.1940 wurde aus dem Reichsarbeitsdienstlager an der Klamer Brücke ein Arbeitserziehungslager (AEL), das der Gestapo und dem Reichstreuhänder der Arbeit unterstellt war. Der Ruhrtalsperrenverein (heute Ruhrverband) beauftragte die Firma Hochtief mit dem Bau der Versetalsperre mithilfe von Zwangsarbeitern. In den ersten fünf Monaten durchliefen das Lager 517 Häftlinge (457 Deutsche und 60 Ausländer). Die Häftlinge waren Regimekritiker, Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten. Sie wurden bei der Essener Firma Hochtief AG, beim Ruhrtalsperrenverein eingesetzt. Ihr Arbeitsgebiet: Untere Versetalsperre und in Lüdenscheider Gewerbebetrieben.

1942
Ab Mai wurden vorwiegend sowjetische Zwangsarbeiter eingewiesen, aber auch aus Deutschland, Polen, den Niederlanden, Italien, Frankreich, Belgien, Jugoslawien und Luxemburg. Von der einheimischen Bevölkerung wurde das Lager fortan als Russenlager bezeichnet. Die meisten Häftlinge starben an Hunger und Erschöpfung oder Folgeerkrankungen. Etwa fünf- bis sechstausend Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche litten bis 1945 unsägliche Qualen in dem Lager, 550 überlebten diese nicht.
Das Lager wurde seit Ende 1942 regelmäßig auch für „Sonderbehandlungen“ aus dem Zuständigkeitsbereich der Gestapo Dortmund und Köln benutzt. Die Zahl der exekutierten Menschen ist unklar. Die Zahlen bewegen sich zwischen 100 und 350.

1945
war das AEL Hunswinkel gleichzeitig ein Konzentrationslager. In dem Lager wurden von der Gestapo Dortmund ca. 100 Menschen exekutiert. Diese wurden dazu aus Dortmund nach Hunswinkel transportiert.
Noch kurz vor Kriegsende am 4. Februar 1945, wurden im Zuge von Kriegsendphasenverbrechen mindestens 14 sowjetische Gestapo-Häftlinge aus Dortmund im Lager exekutiert.
Am 11. April 1945 wurde das Lager von amerikanischen Soldaten befreit.

Chronik des Baukonzerns Hochtief AG

Hochtiefhaus in Essen (Quelle Hochtief)

Hochtiefhaus in Essen (Quelle Hochtief).

1875
Gründung durch die aus Kelsterbach stammenden Schlosser Philipp Helfmann und Balthasar Helfmann in Frankfurt am Main.

1896
Nach dem Tod von Balthasar wandelte Philipp Helfmann das Unternehmen in die Aktiengesellschaft für Hoch- und Tiefbauten um.

1922
wurde der Firmensitz nach Essen verlegt. Hintergrund dieser Änderung war ein Vertrag vom 10. Februar 1921 mit Hugo Stinnes. Stinnes beteiligte sich an Hochtief und verpflichtet sich im Gegenzug, Baumaßnahmen des Stinnes-Konzerns nur über Hochtief ausführen zu lassen. Nach Stinnes Tod 1924 und dem Zerfall seines Konzerns geriet auch Hochtief in Zahlungsschwierigkeiten. Die Aktien des Stinnes- Konzerns wurden nun von RWE und AEG übernommen.

1933
Vom Naziregime erwartete Hochtief einen wirtschaftlichen Aufschwung und eine rege Bautätigkeit im Rahmen der militärischen Rüstung. Der Konzern war in die Strukturen und Verbrechen der Nazi-Diktatur verstrickt. Der Vorstandsvorsitzende Eugen Vögler trat 1937 in die NSDAP ein und die Einbindung von Hochtief in die Strukturen und Verbrechen des Naziregimes wurde vorangetrieben. Vögler selbst agierte als Führer der Wirtschaftsgruppe Bau und Ehrenbannführer der Hitlerjugend, der Konzern selbst trennte sich von Juden. 1935 waren alle Juden aus Aufsichtsrat und verantwortlichen Stellen entfernt. Die neu eingestellten Direktoren waren alle Mitglieder der NSDAP.
Als Bauunternehmen profitierte Hochtief von umfangreichen Bauaufträgen des Nazi-Staates. Hierzu zählten neben zivilen Objekten zunehmend militärisch genutzte Bauten. Unter Leitung der Organisation Todt war Hochtief am Bau wesentlicher Militäreinrichtungen beteiligt.

1934
in dieser Zeit begann der militärstrategische Autobahnbau in Deutschland. An einem weiteren Großprojekt, den Reichsparteitagsbauten in Nürnberg, beteiligte sich Hochtief.

Eugen Vögler (zweiter von links) beim Autobahnbau

Eugen Vögler (zweiter von links) beim Autobahnbau.

1935
Lastwagenfabrik für Opel in Brandenburg.

1936
Umzug aus dem Geschäftshaus "Am Pferdemarkt" in Essen in das neue Hauptverwaltungsgebäude in der Rellinghauser Straße. Hier ist heute noch der Sitz des Unternehmens.
Seit 1936 bestimmte der "Zweite Vierjahresplan" zunehmend die Bautätigkeit. Darin hieß es, die deutsche Armee müsse in vier Jahren einsatzfähig und die deutsche Wirtschaft in vier Jahren kriegsfähig sein. In der Folgezeit nahmen entsprechende Aufträge unverkennbar zu.

1937
begannen die Bauten des geplanten "Kraft durch Freude"-Seebades Prora auf Rügen.

1938
Seit 1938 baute Hochtief unter der Regie der Organisation Todt am Westwall. Der Leiter der Organisation Todt, Fritz Todt (1891 -1942), hatte von Hermann Göring 1938 den Auftrag erhalten, alle kriegswichtigen Bauten durchzuführen. So übernahm die Organisation Todt praktisch die Leitung aller Bauvorhaben. Als "kriegswichtig" galten neben offensichtlich militärischen Bauten, wie die Festungsanlagen am Westwall, auch Industriebauten und der Verkehrswegebau. Die zivile Bautätigkeit nahm immer mehr ab.

1939
Ab 1939/1940 beschäftigte Hochtief auf den Baustellen in zunehmendem Maße Zwangsarbeiter. Über diese Baustellen und die dort beschäftigten Zwangsarbeiter ist wenig bekannt, da viele Dokumente verloren gingen oder vernichtet wurden. Erschwerend kommt hinzu, dass viele der Bauprojekte in Arbeitsgemeinschaften durchgeführt wurden. Dadurch lässt sich keine Aussage über die Zahl der bei Hochtief eingesetzten Zwangsarbeiter machen. Was ermittelt werden konnte, kann in der im Oktober 2000 erschienenen Unternehmenschronik nachgelesen werden.

1940
Nach dem deutsch-französischen Waffenstillstand 1940 begann der Bau des Atlantikwalls, an dem Hochtief ebenfalls mitwirkte.

1941
Auch im Rahmen der im Oktober 1941 beginnenden "Operation Wiking" in Norwegen arbeitete Hochtief mit. Ebenso baute Hochtief im deutsch-besetzten und nichtbesetzten Ausland: in Bulgarien, Jugoslawien, Polen, Ungarn, Österreich und sogar im Iran. Bei den Bauten handelte es sich zumeist um Verkehrswege, manchmal auch um Industriebauten.
Auch an den sogenannten "Führerbauten", dem Berghof auf dem Obersalzberg, der Wolfsschanze in Rastenburg (Ostpreußen) und dem Führerbunker in Berlin, arbeitete HOCHTIEF mit.

1945
Gegen Ende des Krieges kam die Bautätigkeit fast völlig zum Erliegen. Die Mitarbeiter auf Auslandsbaustellen in Osteuropa flohen vor den vorrückenden sowjetischen Truppen. Noch im März 1945 wurde das Hauptgebäude von HOCHTIEF durch Bombentreffer schwer beschädigt.

Eugen Vögler

Der am 1.2.1884 in Essen geborene und am 21.1.1956 in Essen gestorbene Eugen Vögler, ein Bruder Albert Vöglers, war Vorstandsvorsitzender der Hochtief AG, eines der größten Konzerne der Bauindustrie. Sein Einfluss in Nazikreisen machte ihn zum Leiter der Wirtschaftsgruppe Bauindustrie. Er profitierte durch die Nazi-Diktatur und trat 1937 in die NSDAP ein. Alle Juden wurden aus dem Vorstand von Hochtief entfernt und durch Direktoren mit NSDAP-Parteibuch ersetzt. In seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender des Konzerns und linientreuer Nazi war er auch verantwortlich für die Verbrechen im Arbeitserziehungslager Hunswinkel beim Bau der Versetalsperre.

Von Walter Hilbig, VVN-BdA Essen